Dr. Hans Morschitzky

Klinischer Psychologe, Psychotherapeut

Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie

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Vegetatives Nervensystem

 

 

Das vegetative Nervensystem regelt den inneren Betrieb des Körpers, hält alle lebenswichtigen Organtätigkeiten aufrecht und passt den Körper an wechselnde Umweltbedingungen an. Es steuert Kreislauf, Atmung, Stoffwechsel, Ernährung, Eingeweide, Verdauung, Drüsentätigkeit, Temperatur, Ausscheidung, Aktivität, Schlaf, Wachstum, Reifung und Fortpflanzung.

 

Das vegetative Nervensystem besteht aus zwei Teilen, die gegensätzliche Funktionen haben und durch ihr Zusammenspiel das vegetative Gleichgewicht des Körpers (Homöostase) aufrechterhalten: 

  1. sympathisches Nervensystem: für Aktivität und Leistung;

  2. parasympathisches Nervensystem: für Erholung, Entspannung und Energieaufbau.

 

Sympathikus und Parasympathikus im Überblick

 

Körperbereich

Sympathikus - Aktivierung

Parasympathikus - Beruhigung

Herz

Steigerung des Herzschlags,

Kraftsteigerung,

Erweiterung der Herzkranzgefäße

Verlangsamung des Herzschlags,

Verengung der Herzkranzgefäße

Blutgefäße der arbeitenden Muskulatur

Erweiterung

Verengung

Blutgefäße der Haut

Verengung

Erweiterung (Erschlaffung)

Blutdruck

Steigerung durch Beschleunigung der Herztätigkeit und Verengung der Blutgefäße der Haut

Reduzierung durch verringerte Herztätigkeit und Erweiterung der Blutgefäße der Haut

Gerinnungsfähigkeit

des Blutes

Erhöhung, um eventuelle Wunden

zu schließen

Abschwächung, d.h. Verdünnung

Stoffwechsel

Steigerung, Energieabbau

Reduzierung, Energieeinsparung

Bronchien (Lunge)

Erweiterung

Verengung, Schleimproduktion

Magen/Darm

Hemmung der Verdauungsfunktionen, Hemmung der Produktion von

Verdauungssäften bzw. Schleim,

Anspannung der glatten Muskulatur,

Gefäßverengung,

Hemmung der Defäkation

Förderung der Verdauungsfunktionen, Anregung der Produktion von

Verdauungssäften bzw. Schleim,

Entspannung der glatten Muskulatur,

Gefäßerweiterung,

Anregung der Defäkation

Bauchspeicheldrüse

Hemmung der Insulinproduktion

Förderung der Insulinproduktion

Schweißdrüsen

wenig klebriger Schweiß

viel dünnflüssiger Schweiß

Speicheldrüsen

Hemmung des Speichelflusses

(zähflüssiger Speichel)

Verstärkung des Speichelflusses (dünnflüssiger Speichel)

Harnblase

Hemmung des Zusammenziehens der Harnblase (Harnverhalten)

Zusammenziehen der Harnblase (Harnentleerung)

Genitalien

Hemmung der Durchblutung der

Genitalien (Gefäßverengung),

Ejakulation

Förderung der Sekretion,

Stimulierung der Durchblutung der Genitalien (Gefäßerweiterung),

Erektion

Auge

Pupillenerweiterung,

Lidspaltenerweiterung

Pupillenverengung, Akkomodation,

Lidspaltenverengung

Tränendrüsen

geringe Sekretion

starke Sekretion

Gehirn

Bewusstseinsaufhellung

Bewusstseinsminderung

 

Die Organe des vegetativen Nervensystems verfügen über eine glatte Muskulatur, die vom Willen nicht steuerbar ist, weshalb man auch vom „autonomen“ oder „unwillkürlichen“ Nervensystem spricht. Emotionale Zustände (Freude, Ärger, Wut, Leid, Trauer, Angst) bewirken Veränderungen des vegetativen Nervensystems.

 

Die Informationsweiterleitung im sympathischen und parasympathischen Nervensystem erfolgt über zwei verschiedene Arten von Nervenbahnen:

  1. Afferente Bahnen. Weiterleitung der Informationen von der Peripherie in die übergeordneten Zentren (Zentralnervensystem: Gehirn und Rückenmark). Die afferente Erregungsleitung erfolgt über eine einzige Nervenzelle.

  2. Efferente Bahnen. Weiterleitung der Informationen von den übergeordneten Steuerungszentren zu den Muskel- und Drüsenzellen. Für die efferente Erregungsleitung sind zwei Nervenzellen erforderlich. Die Umschaltung von der ersten auf die zweite Nervenzelle erfolgt in sog. Ganglien. Ganglien sind Nervenzellansammlungen bzw. Nervengeflechte außerhalb des Zentralnervensystems, die aus den Nervenzellkörpern der zweiten efferenten Nervenzellen bestehen. Das Neuron nach den Ganglien wird auch postganglionäres Neuron genannt. Das erste efferente Neuron, d.h. die Nervenzelle vor den Ganglien, dessen Zellkörper innerhalb des Zentralnervensystems in sog. vegetativen Kernen liegen, wird auch präganglionäres Neuron genannt. Die sympathischen Ganglien liegen in der Nähe der Wirbelsäule, die parasympathischen Ganglien meistens in der Nähe der Erfolgsorgane.

 

Die Informationsweiterleitung von der präganglionären auf die postganglionäre Nervenzelle erfolgt im sympathischen und im parasympathischen Nervensystem durch den Transmitterstoff Acetylcholin. Die erste, präganglionäre Nervenzelle wird daher auch cholinerg genannt.

 

Das zweite, postganglionäre Neuron, das direkt auf die Muskel- bzw. Drüsenzelle des Erfolgsorgans einwirkt, weist zwei Transmittersubstanzen auf:

  1. Noradrenalin in den sympathischen Nervenfasern, weshalb die postganglionären Fasern des sympathischen Nervensystems auch adrenerg genannt werden.

  2. Acetylcholin in den parasympathischen Nervenfasern, weshalb die postganglionären Fasern des parasympathischen Nervensystems auch cholinerg genannt werden.

 

Die entscheidende Transmittersubstanz des sympathischen Nervensystems ist das Katecholamin Noradrenalin, das in den Endigungen der postganglionären Neurone synthetisiert, in Vesikeln (Bläschen) gespeichert und bei Bedarf freigesetzt wird.

 

Die Entfernung aus der Synapse geschieht durch Wiederaufnahme und durch enzymatische Inaktivierung mittels der Monoaminooxidase (MAO) und der Catechol-O-Methyl-Transferase (COMT).

 

Das sympathische Nervensystem weist Alpha- und Beta-Rezeptoren in zwei verschiedenen Ausprägungen auf, die jeweils unterschiedliche physiologische Wirkungen haben. 

 

Die prä- und postganglionäre Transmittersubstanz des parasympathischen Nervensystems ist der Überträgerstoff Acetylcholin, der auch für die Informationsübertragung an den motorischen Endplatten der willkürlich innervierten quergestreiften Skelettmuskulatur verantwortlich ist.

 

Periphere adrenerge und cholinerge Erregungsübertragung

 

Adrenerge Wirkungen

 

 

 

 

 

Rezeptor

Ort

Effekte von Agonisten

alpha1

Gefäße, Uterus,

Schließmuskeln (Blase, Darm),

Lunge (Bronchiolen),

Magen- und Darmdrüsen

Kontraktion,

 

 

Hemmung der Sekretion

alpha2

Gefäße,

Niere (Reninfreisetzung),

Leber (Lipolyse - Fettabbau),

Bauchspeicheldrüse

(Insulinfreisetzung)

 

Kontraktion (der Gefäße),

Hemmung der Organfunktion

beta1

Herz

 

Niere (Reninfreisetzung)

Steigerung von Frequenz,

Überleitung und Kontraktilität

Steigerung der Sekretion

beta2

Gefäße, Uterus,

Schließmuskeln (Blase, Darm), Lunge (Bronchiolen),

Bauchspeicheldrüse

(Insulinfreisetzung)

Erschlaffung,

 

 

Steigerung der Sekretion

 

 

 

Cholinerge Wirkungen

 

 

 

 

 

Rezeptor

Ort

Effekte von Agonisten

Nikotinrezeptor

Skelettmuskulatur

vegetative Ganglien

Relaxation

Erregung, Förderung der

Transmission

Muskarinrezeptor

Herz

 

 

glatte Muskulatur

Drüsen

Abnahme von Frequenz,

Kontraktionskraft und Leitungsgeschwindigkeit

Kontraktion

Sekretionssteigerung

 

Medikamente wirken auf das vegetative Nervensystem in Form der Beeinflussung der synaptischen Erregungsübertragung ein, wobei es zwei Ansatzmöglichkeiten gibt:

  1. Einwirkung in den Ganglien, d.h. bei der Umschaltung von der ersten auf die zweite Nervenzelle. Medikamente, die hier ansetzen, d.h. bei der cholinergen Erregungsübertragung, beeinflussen gleichzeitig Sympathikus und Parasympathikus.

  2. Einwirkung bei der Informationsübertragung vom zweiten, postganglionären Neuron auf das jeweilige Erfolgsorgan. Medikamente, die hier eingreifen, wirken spezifischer, d.h. sie beeinflussen nur die adrenerge Übertragung des sympathischen Nervensystems oder die cholinerge Übertragung des parasympathischen Nervensystems. Im parasympathischen Nervensystem dient zwar an beiden Umschaltungsstellen des efferenten Neurons der Transmitter Acetylcholin als Überträgersubstanz, es sind jedoch jeweils andere Rezeptorsysteme vorhanden. Die ganglionären Acetylcholin-Rezeptoren sind so genannte Nikotinrezeptoren, die postganglionären Acetylcholinrezeptoren sind so genannte Muskarinrezeptoren.

 

 

Das sympathische Nervensystem - Körperliche Aktivierung

 

Jeder Stressor bzw. angstmachende Reiz führt zuerst zu einer unspezifischen Aktivierung der Grohirnrinde (Kortex) und des limbischen Systems im Zwischenhirn, die eine Stimulierung des zentralen und peripheren noradrenergen Systems bewirken („arousal reaction“).

 

Das sympathische Nervensystem ist ein aktivierendes System, das Energie freisetzt (abbaut) und den Körper auf Handlungen und kurzfristige Höchstleistungen vorbereitet (ausgelöst durch die Hormone Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol).

 

Stress, Aufregung und Angst (besonders Panikattacken) führen zu einer Adrenalinausschüttung mit massiver Körpersymptomatik (Herzrasen, Schwitzen, Atembeschleunigung, Muskelanspannung u.a.). Bei chronischem Stress kann der Adrenalinspiegel bis zum 10-fachen erhöht sein. Angst ist unmöglich ohne körperliche Erregung, körperliche Erregung ist jedoch möglich ohne Angst. Auch Wut und Freude führen zu einer Aktivierung des Sympathikus.

 

Das sympathische Nervensystem hat folgende Aufgaben:

Der Hypothalamushinterteil im Zwischenhirn als oberste Steuerungsinstanz des sympathischen Nervensystems setzt gleichzeitig zwei Aktivierungsmechanismen in Gang:

  1. Neuronale Aktivierung. Über die Nervenbahn erfolgt die Ausschüttung der Nebennierenmarkhormone Adrenalin und Noradrenalin, die eine kurzfristige maximale Aktivierung durch Rückgriff auf gespeicherte Energiereserven bewirken.

  2. Hormonelle Aktivierung. Botenstoffe (Hormone), die über die Blutbahn zu bestimmten Organen und Gewebeteilen transportiert werden, bewirken eine längerfristige Mobilisierung des Körpers durch Aufbau und Preisgabe neuer Energien. 

 

 

Neuronale Aktivierung (Hypothalamus-Nebennierenmark-System)

 

Der Hypothalamus im Zwischenhirn als oberste Steuerungsinstanz des vegetativen Nervensystems stimuliert über eine Nervenbahn die Sympathikuskerne im Rückenmark, von denen aus über nervöse (elektrische) Impulse im Nebennierenmark die Ausschüttung eines Hormongemisches von 80% Adrenalin und 20% Noradrenalin in die Blutbahn bewirkt wird. Die Katecholaminausschüttung erfolgt wegen der neuronalen Vermittlung sehr rasch und dient im Sinne einer Alarmreaktion einer nur kurzfristigen Energiemobilisierung durch Rückgriff auf gespeicherte Energiereserven des Körpers.

 

Adrenalin hat folgende Funktionen:

Wegen der zentral erregenden Wirkung gilt die Adrenalinerhöhung als Anzeichen für psychische Belastung und Stress (z.B. vorweggenommene Beanspruchung, Konflikte, Ängste, aber auch positive Gefühle wie freudige Erregung). Adrenalin ist daher auch bei Flucht- und Vermeidungsreaktionen gegenüber Noradrenalin überproportional erhöht. Ein Adrenalinstoß führt zu einer erhöhten geistigen Wachheit, die bei anhaltenden Angst- und Stresszuständen das Abschalten erschwert. Angstbedingtes, abendliches Grübeln im Bett führt häufig zu Einschlafstörungen, manchmal zu Panikattacken.

 

Eine Panikattacke entsteht durch eine plötzliche Adrenalinausschüttung, die den Körper kurzfristig maximal aktiviert, eine exzessive Kortisolausschüttung ist dagegen nicht gegeben. Eine vermehrte Adrenalinfreisetzung kann nicht nur durch Angst, Aufregung und Stress bewirkt werden, sondern auch durch Ärger, Wut und Aggression.

 

Noradrenalin hat folgende Funktionen:

Noradrenalin wirkt weder zentral erregend noch beschleunigt es den Herzschlag oder erhöht es den Blutzuckerspiegel. Diese energiesparende Anpassung ermöglicht einen sprunghaften Einsatz von energieliefernden Prozessen bei Bedarf, z.B. bei plötzlicher körperlicher Anstrengung oder bei sofort erforderlicher Kampfposition angesichts einer akuten Bedrohung. Körperliche Belastung allein bewirkt eine gegenüber Adrenalin überproportionale Noradrenalinerhöhung. Noradrenalin gilt daher als Anzeichen für eine körperliche Belastung bzw. für eine Kampfreaktion.

 

Die maximale Aktivierung des Sympathikus durch die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin wird nach einigen Minuten infolge von Gewöhnung an den Stressor (Habituation) gestoppt, so dass eine Überbeanspruchung des Körpers verhindert wird. Dies erfolgt einerseits durch Aktivierung des parasympathischen Nervensystems, andererseits durch chemischen Abbau von Adrenalin und Noradrenalin, was jedoch einige Zeit dauert, so dass man sich auch nach der Beseitigung der Belastung oder Gefahr noch einige Zeit angespannt und erregt fühlt.

 

 

Hormonelle Aktivierung (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System)

 

Schon während der Alarmreaktion regen die Katecholamine über den Hypothalamus die Ausschüttung von Nebennierenrindenhormonen (Kortikosteroide) an, und zwar von so genannten Glukokortikosteroiden (Zuckerstoffwechselhormonen), die die Auffüllung der entleerten Energiespeicher in Gang setzen. Etwa vier Stunden nach der Alarmreaktion erreichen diese Hormone ihren höchsten Blutspiegel. Ziel der Verschiebung von der neuronal bewirkten, raschen und kurzfristigen Leistungsbereitschaft durch die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin auf eine hormonell ausgelöste, längerfristige Leistungsbereitschaft durch Nebennierenrinden- und Schilddrüsenhormone ist es, den Körper durch Aufbau und Preisgabe neuer Reserven leistungs- und widerstandsfähiger zu machen, ohne ihn dabei so überzuaktivieren, wie dies durch Adrenalin geschieht. Diese Reaktionsmechanismen benötigen wegen der hormonellen Informationsübermittlung über die Blutbahn etwas länger bis zur vollen Wirksamkeit, wirken dafür jedoch langfristiger.

 

Der Hypothalamus gibt infolge neuronaler Impulse aus höheren Gehirnzentren über die Blutbahn hormonfreisetzende Hormone ab, die die Hypophyse stimulieren, die als oberste Steuerungsinstanz aller hormonellen Prozesse gilt.

 

Der Hypophysenvorderlappen setzt daraufhin bestimmte Hormone frei, die in den untergeordneten Drüsen die Ausschüttung bestimmter Endhormone bewirken:

Die Glukokortikosteroide (besonders Kortisol) haben folgende Funktionen: 

Eine erhöhte Kortisolausschüttung ist die normale Reaktion auf Stress. Anormal hohe Kortisolkonzentrationen bei chronischem Stress können zu Bluthochdruck und Stresszucker führen. Zahlreiche Untersuchungen bei Tieren und Menschen zur Thematik der gelernten Hilflosigkeit konnten zeigen, dass unkontrollierbar und unvorhersagbar unangenehme Reize bzw. Situationen zu einer massiven Kortisolausschüttung führen (leicht nachweisbar durch den Kortisolspiegel im Blut).

 

Früher wurde davon ausgegangen, dass eine stressinduzierte Hypersekretion von Kortisol das Immunsystem schwächt und für Infektionskrankheiten, Krebs oder Autoimmunkrankheiten anfälliger macht. Neuerdings wird angenommen, dass Kortisol eine protektive Wirkung besitzt, indem eines stressinduzierte Immunaktivierung abgebremst wird, um schädigende Effekte zu vermeiden. Der Zusammenhang zwischen einem Zuviel bzw. Zuwenig an Glukokortikoiden und der Störung der Immunfunktionen ist noch nicht eindeutig geklärt.

 

Die Schilddrüsenhormone, insbesondere T3 (Trijodthyronin), bewirken eine raschere Sauerstoffaufnahme in den Zellen, so dass mehr Verbrennungsenergie zur Verfügung steht und die Stoffwechselprozesse dadurch beschleunigt werden. Als Folge davon wird die Wärmeproduktion vermehrt.

 

Chronischer Stress bewirkt eine Drosselung der Produktion der Geschlechtshormone und damit eine Reduktion des sexuellen Verlangens, bei Frauen zusätzlich oft ein Aussetzen der Menstruationsblutung, bei Männern eine geringere Samenproduktion.

 

 

Das parasympathische Nervensystem - Körperliche Beruhigung und Erholung

 

Das parasympathische Nervensystem ist ein wiederherstellendes System, das den Körper zurück in den Normalzustand versetzt und der Ruhe, Erholung und Schaffung neuer Energien dient. Im Gegensatz zum sympathischen Nervensystem reagiert das parasympathische Nervensystem nicht als Ganzes, sondern aktiviert nur diejenigen Funktionen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt notwendig sind. Ein Teil der parasympathischen Nervenfasern läuft im Vagus (10. Hirnnerv) mit, so dass man vereinfachend auch von vagotoner Aktivierung spricht.

 

Alle Entspannungstechniken (autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Atemtechniken, Meditation, Selbsthypnose, Yoga, Biofeedback) unterstützen die Aktivität des parasympathischen Nervensystems. Beruhigungsmittel dienen demselben Ziel, machen bei Dauergebrauch jedoch abhängig. 

 

Das parasympathische Nervensystem hat folgende Funktionen:

Psychovegetative Störungen (funktionelle Störungen, die keine Gewebeveränderungen bewirken) zeigen sich kaum in einer isolierten Erregung des gesamten Sympathikus bzw. Parasympathikus, sondern in einer Kombination aus Symptomen beider Nervensysteme. Besonders bei extremen Erregungs- und Panikzuständen bewirken die gleichzeitige Erregung von Sympathikus und Parasympathikus Symptome wie z.B. Herzrasen und Durchfall bzw. Harndrang.

 

Die meisten funktionellen Störungen sind Ausdruck dafür, dass Energie für eine körperliche Leistung bereitgestellt wird, diese aber nicht abgerufen wird (weil sie gar nicht benötigt wird), so dass ein Spannungszustand bestehen bleibt. Viele Stresszustände (z.B. Ängste) spielen sich im Kopf ab, ohne dass eine massive körperliche Aktivität erforderlich wäre.

 

 

Unterschiedliche biologische Reaktionsbereitschaft der Menschen

 

Bei seelischen und körperlichen Belastungen erfolgt in Abhängigkeit von Anlage (Konstitution) und Lernerfahrungen eine individuell sehr unterschiedliche vegetative Reaktionsbereitschaft.

Etwas vereinfacht kann man zwei Typen unterscheiden:

  1. Kampf- und Fluchttypen (Sympathikotoniker)

  2. Schrecktypen (Vagotoniker).

 

Beide Typen können nicht allein durch psychologische Faktoren erklärt werden, sondern drücken unterschiedliche konstitutionelle Bedingungen aus. Die jeweiligen Anlagefaktoren werden jedoch durch bestimmte Erziehungs- und Milieufaktoren verstärkt und sind innerhalb gewisser Grenzen auch veränderbar.

 

 

Sympathikotoniker (Kampf-Flucht-Typen)

 

Sympathikotoniker neigen bei Angst, Aufregung und Stress zu sympathischer Überaktivierung: vermehrte Herz- und Atemtätigkeit, Blutdruckanstieg, Muskelanspannung, Heiß-Werden, abnehmender Appetit, Verstopfung. Sie zeigen eine Überanspannung, ein ständiges „Auf-dem-Sprung-Sein“, eine große innere Unruhe, eine leichte Gereiztheit bis zur Aggressivität, eine große Hektik in allen Bewegungen, eine überschnelle Kampf- und Leistungsbereitschaft, eine ständige Überaktivität ohne Entspannung.

 

Sympathikotoniker neigen im Krankheitsfall zu Störungen des Gefäß-, Herz- und Kreislaufsystems: Bluthochdruck, Kreislaufstörungen, Herzkranzgefäßerkrankungen (Angina pectoris und Herzinfarkt). Ein „Kampftyp“ mit ständiger Anspannung und Ausrichtung auf Höchstleistungen wird durch bestimmte Risikoverhaltensweisen (z.B. Rauchen) zusätzlich fixiert.

 

„Nervosität“ ist eine starke Aktivierung des Sympathikus. Der Körper ist bereits auf hohe körperliche und geistige Leistung eingestellt, ohne diese jedoch schon zu erbringen (z.B. Aufregung wegen bevorstehender Prüfung oder Unternehmung). Es besteht eine große Anspannung, die nicht durch erholsame Ruhe abgelöst werden kann, weil man sich bewusst und unbewusst ständig mit der bevorstehenden Belastung beschäftigt. Nicht bewältigbare Erwartungsängste führen zu chronischer Anspannung, wie diese für Angstpatienten typisch ist. In harmloser Form zeigt sich eine deutliche Nervosität oft auch bei bevorstehenden positiven Ereignissen (z.B. Urlaub oder Hochzeit).

 

 

Vagotoniker (Schrecktypen)

 

Vagotoniker neigen bei Angst, Aufregung und Stress zu parasympathischer Überaktivierung: Abfall von Herz- und Atemtätigkeit, Blutdruckabfall, Schwindel, Benommenheit, Ohnmachtsneigung, Atemnot durch Zusammenziehen der Bronchien, Schwitzen, Kälteempfindung, Nachlassen der Muskelspannung („weiche Knie“), Schwächegefühl, Übelkeit/Brechreiz durch Verkrampfung der Magen- und Darmmuskulatur, Harn- oder Stuhldrang, Erröten, Weinen.

 

Vagotoniker bleiben in der Schock-/Schreckreaktion wie gelähmt, eben geschockt, stecken und gelangen nicht zu Widerstand und aktiver Auseinandersetzung mit dem Stressor. Das psychische Ohnmachtserleben zeigt sich körperlich in ständiger Benommenheit, Schwindelgefühlen und Ohnmachtsneigung. Die vagotone Befindlichkeit drückt entweder eine starke Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit als Folge einer Schreckbereitschaft bzw. Schockreaktion aus oder eine Erschöpfung nach übermäßiger Anspannung.

 

Der „Schrecktyp“ wird vor allem gefördert durch eine Lebensgeschichte, in der Ohnmachtserleben und Hilflosigkeitsgefühle dominieren, wo von der eigenen Aktivität keine Problemlösung erwartet wird, so dass man sich den Umweltbedingungen wehrlos ausgeliefert fühlt. Diese Reaktionsbereitschaft wurde bei vielen Frauen durch das traditionelle weibliche Rollenklischee wesentlich verstärkt. Eine Frau, die ständig zu Hilflosigkeitsreaktionen neigt, wird auch durch einen Mann verstärkt, der ihre Hilflosigkeit und Abhängigkeit als besonders weiblich schätzt bzw. von seiner Persönlichkeit her eine derartige Frau wünscht.

 

Vagotoniker neigen im Krankheitsfall zu übermäßig niedrigem Blutdruck mit zahlreichen Folgesymptomen (z.B. Kollapsneigung), Magen-Darm-Beschwerden (chronische Verstopfung, Gastritis, Magenentzündungen, Magengeschwüre, Zwölffingerdarmgeschwüre), Blasenerkrankungen, Bronchialasthma, asthenisch-depressiven Zuständen.

 

Die Unterscheidung zwischen Sympathikotonikern (Kampf-Flucht-Typen) und Vagotonikern (Schrecktypen) erlaubt bereits unabhängig von konkreten Situationen die Vorhersage der körperlichen Reaktionsweise bestimmter Menschen in Angstsituationen:

 

 

Das biologische Reaktionsspektrum bei Furcht und Bedrohung

 

Bei Mensch und Tier sind in Furchtsituationen vier Reaktionsmuster möglich, die je nach situativer Notwendigkeit, individueller Reaktionsfähigkeit, Struktur des Organsystems, Temperament und individueller Lerngeschichte variieren können:  

  1. Flucht,

  2. Immobilität und Bewegungsstarre,

  3. Abwehr durch Aggression,

  4. Beschwichtigung durch Unterordnung.

 

Das Fluchtverhalten ist charakterisiert durch eine schnelle motorische Reaktion. Bereits bei der Vorstellung von Gefahr erfolgt eine massive Aktivierung des sympathischen Nervensystems (Anstieg des Herzzeitminutenvolumens, des arteriellen Blutdrucks, der Muskeldurchblutung u.a.), um der Muskulatur den benötigten gesteigerten Energiestoffwechsel gewährleisten und auf diese Weise die Fluchtreaktion vorbereiten zu können. Das Muster einer starken Fluchttendenz findet sich z.B. bei Tierphobikern bei der Konfrontation mit den gefürchteten Tieren (oft schon vor dem Anblick des Tieres). Die massive Furchtreaktion äußert sich in einer panikähnlichen Symptomatik.

 

Immobilität, Bewegungsstarre oder „Einfrieren der Bewegung“ ist die der Fluchtreaktion entgegengesetzte Reaktionsmöglichkeit. Sie kann in zwei Formen auftreten:

Die Immobilitätsreaktion besteht in einer vagotonen Aktivierung, d.h. in einer Steuerung durch das parasympathische Nervensystem (Pupillenerweiterung, Abfall der Körpertemperatur, anfängliche Beschleunigung mit anschließendem dramatischen Abfall der Pulsfrequenz). Die biologische Sinnhaftigkeit der tonischen Immobilität („Totstellreflex“) besteht in einer Sicherung des Überlebens, wenn Flucht oder Kampf aus offensichtlicher Unterlegenheit nicht möglich oder sinnvoll erscheint. Viele Raubtiere greifen ihre Beute nur bei Bewegung an und reagieren nicht auf bewegungslose Tiere.

 

Blut- und Injektionsphobiker zeigen eine vagotone Reaktionsbereitschaft, wenn sie medizinischen Eingriffen nicht ausweichen können oder dem Anblick von Blut ausgesetzt sind. Es tritt ein zweiphasiges kardiovaskuläres Reaktionsmuster auf: nach anfänglichem Anstieg von Blutdruck und Herzrate erfolgt ein starker Blutdruckabfall bis hin zur vagovasalen Ohnmacht.

 

Aggressive Verhaltensweisen im Sinne einer Furchtabwehr durch Aggression kommen zum Ausdruck als Drohgebärden in Form bestimmter Körperhaltungen sowie (insbesondere bei Primaten) als drohendes Fixieren des Gegenüber in Form heruntergezogener Augenbrauen, geschlossenem Mund und zusammengepressten Lippen. Bei einer Aggression als Abwehr von Bedrohung werden alle verfügbaren Mittel des jeweiligen Organismus eingesetzt.

 

Beschwichtigung oder Unterordnung als Variante des Umgangs mit Bedrohung wird besonders bei Bedrohung durch die eigenen Artgenossen gezeigt. Hier werden Gesten der Unterlegenheit und Unterordnung eingesetzt, um dem stärkeren Tier die Anerkennung seiner Überlegenheit zu signalisieren. Diese untertänige Reaktionsweise ist bei vielen Tieren (z.B. Wölfen, Hunden, Primaten) zu beobachten. Menschen mit sozialer Phobie erleben Blickkontakt als recht bedrohlich und signalisieren unbewusst durch ihr ständiges Wegschauen ihre Unterlegenheit. Sie harren (ähnlich wie Agoraphobiker) in sozialen Situationen bei einem generell erhöhten tonischen Erregungsniveau aus.

 

 

Das allgemeine Anpassungssyndrom

 

Bei jeder körperlichen oder seelischen Belastung kommt es zum Ablauf folgender vegetativer Reaktionsphasen, die von Selye, dem Begründer der Stressforschung, als „allgemeines Anpassungssyndrom“ (AAS) des Körpers an den Stressor beschrieben wurden:

  1. Alarmreaktion bei akutem Stress (durch eine Adrenalinausschüttung),

  2. Widerstandsstadium bei chronischem Stress,

  3. Erschöpfungsstadium bei unzureichender Stressbewältigung.

 

 

Alarmreaktion

 

Jede akute körperliche oder seelische Belastung bewirkt eine kurzfristige, maximale Aktivierung des vegetativen Nervensystems („Alarmreaktion“). Bei akuter Angst wird extrem schnell das limbische System (namentlich die Amygdala) aktiviert, das über eine Katecholaminausschüttung eine massive körperliche Aktivierung bewirkt.

 

Bei der Alarmreaktion werden zwei Phasen unterschieden, die für Angst- und Panikreaktionen von zentraler Bedeutung sind:

  1. Schockphase,

  2. Kampf- oder Fluchtphase.

 

 

Schockphase

 

Bei akuter Bedrohung erfolgt zuerst eine kurze Schockphase. Umgangssprachlich nennt man diesen Zustand „Schrecksekunde“. Das vegetative Nervensystem schaltet einen Moment lang auf die vagotone Spannungslage um, also eigentlich auf totale Entspannung. Die massive, parasympathische Aktivität bewirkt eine kurzfristige Reaktionsunfähigkeit, die dem Atemholen, Kräftesammeln und Abschätzen der Gefahr dient.

 

Ein schwerer psychischer Schock führt zum Absacken von Herztätigkeit und Blutdruck und damit zum Kreislaufabfall bzw. -versagen, der dadurch entstehende Sauerstoffmangel bewirkt Ohnmacht.

 

Ein leichterer Schock (Schreckreaktion, „Schrecksekunde“), wie dieser in der Regel bei akuter Angst und Bedrohung auftritt, zeigt sich in parasympathisch gesteuerten Reaktionen, z.B. Kreislaufschwäche, Schwindel, Ohnmachtsangst, Atemnot, Zuschnüren der Kehle, Übelkeitsgefühlen, Harn- oder Stuhldrang, Durchfall, Magenkrämpfen, Muskelschwäche („weichen Knien“), Erröten, Tränenausscheidung, Weinkrämpfen.

 

Die Schockphase ist (bzw. war in der Evolution) durchaus sinnvoll:

Bestimmte Menschen, die eher zu einer parasympathisch (vagoton) bestimmten Spannungslage neigen, bleiben in dieser Schock-/Schreckreaktion stecken, d.h. es kommt nicht bzw. nicht so rasch zur sympathisch dominierten Kampf- oder Fluchtphase im Sinne einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Stressor. Sie klagen daher in Belastungs- bzw. Angstsituationen über anhaltende Zustände von Schwindel, Ohnmachtsneigung, Atemnot, „weiche Knie“, Harn- oder Stuhldrang, Übelkeit, Magenkrämpfe, Wechsel von Verstopfung und Durchfall („Reizdarm“).

 

 

Kampf- oder Fluchtphase

 

Nach der Schreckreaktion stellt sich der Körper in der Kampf- oder Fluchtphase auf eine kurzfristige Höchstleistung ein. Man spricht von einer „Bereitstellungsreaktion“, die den sofortigen maximalen Einsatz unseres ganzen Körpers bewirkt und Kampf oder Flucht zum Ziel hat. Es erfolgt eine durch den Sympathikus (mittels „Adrenalinschub“) gesteuerte massive Aktivierung des Herz- und Kreislaufsystems und der Atmung, eine Anspannung der Skelettmuskulatur u.a. Dabei werden gleichzeitig alle momentan nicht benötigten Körpervorgänge gehemmt (Appetit, Verdauung, sexuelle Reaktion, Immunabwehr u.a.), um kurzfristig alle Energien auf die Bewältigung der aktuellen Stresssituation konzentrieren zu können. Der Zeitablauf für diese Mobilmachung beträgt etwa ½-1½ Minuten. Gleichzeitig entwickeln sich anstelle der langsamen und gleichmäßigen Hirnwellen, wie sie in Ruhe typisch sind, schnelle, unruhige und unregelmäßige Hirnwellen als Zeichen der erhöhten Erregung und Aufmerksamkeit.

 

Die massive Aktivierung erfolgt durch zwei verschiedene Arten von Stresshormonen:

  1. Nebennierenmarkhormone (die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin) bewirken zuerst eine 3-4 Minuten dauernde massive Aktivierung des Sympathikus.

  2. Nebennierenrindenhormone (die Glukokortikosteroide Kortisol und Kortison) ermöglichen - zeitlich etwas verzögert und länger wirksam - die Bewältigung eines länger andauernden Stresszustands.

 

Herz und Kreislauf arbeiten auf Hochtouren, die Blutgefäße der Haut verengen sich und der Blutdruck steigt. Die Ankurbelung des Blutkreislaufs dient dem erhöhten Energietransport, um die Zellen des Körpers rasch und ausreichend mit Sauerstoff, Nährstoffen und den steuernden Botenstoffen (Hormonen) versorgen zu können. Die Atmung wird schneller und tiefer, um möglichst viel Sauerstoff als Verbrennungsenergie für den Körper aufnehmen zu können. Die Skelettmuskulatur wird angespannt, um den Körper auf Kampf oder Flucht vorzubereiten, so dass man sich „ständig auf dem Sprung“ fühlt. Die im Körper in Form von Zucker- und Fettreserven gespeicherte Energie wird bereitgestellt und in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Die erhöhte Energiezufuhr an die Skelettmuskulatur wird durch eine Intensivierung der Durchblutung erreicht, indem die Blutgefäße der Skelettmuskulatur erweitert werden. Angesichts von akuten Gefahren ist auch eine maximale geistige Aufmerksamkeit gegeben, so dass man sich hellwach erlebt, bis hin zur unangenehmen Überwachheit (Hypervigilanz).

 

Alles, was im Moment nicht lebensnotwendig ist, wird ausgeschaltet. Zur Mobilisierung vorhandener Reserven wird für den kurzen Zeitraum der Alarmreaktion alles gehemmt, was einem längerfristigen Energieaufbau dient:

Bei der Flucht- und Kampfbereitschaft scheinen unterschiedliche sympathische Aktivitäten gegeben zu sein. Beim Fluchtimpuls steht die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin im Vordergrund. Dieses bewirkt eine Verengung der Blutgefäße, eine Freisetzung von Blutzucker, eine Förderung der Blutgerinnung und eine (über)starke geistige Aktivierung. Bei einer Kampfbereitschaft kommt es dagegen vorwiegend zur Produktion von  Noradrenalin, das den Herzschlag und den Blutdruck erhöht sowie Blutfette freisetzt. Nach einigen Minuten lässt die Alarmwirkung nach, es kommt zur Entspannung oder (bei Andauer der körperlichen oder seelischen Belastung) zur Widerstandsphase (Anpassungsphase). Alpha2-adrenerge und beta-adrenerge Rezeptoren sowie andere neuronale Systeme (insbesondere über GABA) bewirken im Sinne eines Feedbacksystems ein Abklingen der Reaktion und ein neues Gleichgewicht.

 

Die Begriffe „Kampf“ und „Flucht“ sind bei vielen Stresssituationen nicht wörtlich zu nehmen. „Kampf“ bezeichnet das Herangehen an die angst- oder Stressauslösende Situation, den Versuch, das Problem aktiv zu lösen, „Flucht“ jede Art von Rückzug aus den belastenden Situationen, auch Fluchtimpulse, nicht nur wirkliches Weglaufen.

 

Zum Verständnis, warum gerade die körperliche Leistung bei Stress im Vordergrund steht, muss man bedenken, dass sich diese vegetative Reaktion in Millionen von Jahren allmählich herausgebildet hat. Die meiste Zeit lebten die Menschen unter Bedingungen, in denen körperliche Leistungsfähigkeit (Kraft, Schnelligkeit) die entscheidende Voraussetzung dafür war, in Stresssituationen zu überleben. Unsere biologische Ausstattung stammt aus einer früheren Phase der Evolution, wo Kampf oder Flucht die angemessensten Reaktionsweisen waren, um mit Bedrohung fertig zu werden.

 

Derselbe körperliche Reaktionsmechanismus der Kampf- oder Fluchtphase läuft auch dann ab, wenn Situationen nur als bedrohlich vorgestellt werden, d.h. der Körper unterscheidet nicht zwischen realen und vorgestellten Gefahren. Körperliche Mobilisierung bereits bei der Vorstellung von Gefahren ist notwendig, um bei tatsächlicher Gefahr rasch reaktionsbereit zu sein. Der Organismus reagiert somit bei körperlichen und seelischen Belastungssituationen in gleicher Weise mit einer Aktivierung des vegetativen Nervensystems. Bei psychischem Stress ist die körperliche Mobilisierung meist zu stark, weil keine entsprechende Aktivität (Kampf oder Flucht) erforderlich ist.

 

Die körperliche Aktivierung stellt vor allem dann eine Fehlsteuerung dar, wenn vorschnell und unberechtigt Situationen als gefährlich eingeschätzt werden. Es kommt zu einem körperlichen Anspannungszustand, der mangels Bewegung bestehen bleibt, sowie zum Aufbau von Energie und zur Beschleunigung von Stoffwechselvorgängen, was gar nicht erforderlich ist.

 

 

Widerstandsphase (Anpassungsstadium)

 

Als Widerstandsphase bezeichnet man die Zeit, in der die Aktivierung des Körpers andauert. Diese Zeitspanne hängt davon ab, wie lange die belastende Situation weiterbesteht bzw. wie lange der Körper in der Lage ist, die übermäßige Anspannung aufrecht zu erhalten. Um die vom Sympathikus gesteuerte Mobilmachung des Körpers zu bremsen, setzt einige Minuten nach Beginn des Alarmstadiums eine Gegenregulation über den Parasympathikus ein. Dadurch soll der Körper wieder in das Gleichgewicht gebracht werden. In dieser Phase der Stressreaktion kann es zur übersteigerten Aktivierung von Magen- und Darmtätigkeit kommen, verbunden mit Gefühlen von Übelkeit, Erbrechen, Stuhl- und Harndrang.

 

Im Widerstandsstadium passt sich der Körper bei Bedarf an einen längerdauernden bzw. chronischen Stressor durch Mobilisierung anderer Abwehrkräfte an:

Es kommt (nach 4 Stunden) zur vollen Wirksamkeit der Nebennierenrindenhormone, insbesondere des Glukokortikosteroids Kortisol (Hydrokortison), das Aufbau und Preisgabe neuer Energien ermöglicht. Dies geschieht durch Zuckerherstellung aus Eiweiß sowie durch verstärkte Magensaftproduktion (Verdauungsförderung). Gleichzeitig werden die Katecholamineffekte verstärkt (Herzleistung erhöhende Adrenalinwirkung, allgemein gefäßverengende Noradrenalinwirkung).

 

Unkontrollierbarer Stress führt zu einem langanhaltenden erhöhten Glukokortikoidspiegel. Anhaltender, unbewältigbarer Stress bewirkt eine „erlernte Hilflosigkeit“, die das Tiermodell für Stresserkrankungen darstellt. Die Entdeckung von Glukokortikoidrezeptoren im Gehirn weist darauf hin, dass die Stressreaktion nicht nur vom Gehirn ausgeht, sondern auch darauf zurückwirkt und degenerative sowie regenerative Folgezustände auslöst. Bei Dauerstress erfolgt eine Degeneration noradrenerger Axone und eine Verringerung der noradrenergen Innervationsdichte im Kortex.

 

Neben der Ausschüttung von Glukokortikosteroiden kommt es bei längerer Belastung auch zur vermehrten Freisetzung von Schilddrüsenhormonen, die eine Steigerung der Sauerstoffaufnahme der Zellen und damit eine Beschleunigung der Stoffwechselvorgänge bewirken. Insbesondere T3 (Trijodthyronin), das bereits nach Stunden seine Maximalwirkung erreicht, bewirkt eine gesteigerte Verbrennung von Kohlehydraten (Zucker und Stärke), Eiweiß und Fetten, eine Steigerung des Grundumsatzes, eine Erhöhung des Zuckerabbaus bis zur Erschöpfung der Reserven und damit einen Anstieg des Blutzuckers, eine Entleerung der Fettdepots und einen Mangel an Eiweiß. Die anfallende Verbrennungswärme wird durch Schwitzen und erhöhte Durchblutung der Hautgefäße an die Umwelt abgegeben.

 

Als gefährlicher Nebeneffekt der Konzentration aller Energien auf die Bewältigung eines Dauerstresses zeigt sich eine erhöhte Anfälligkeit des Körpers für Krankheiten, da der Körper hierfür nur unzureichende Abwehrreserven zur Verfügung hat.

 

 

Erschöpfungsphase

 

Nach der Bewältigung des Stresszustandes in der Widerstandsphase erfolgt eine Umschaltung in die parasympathische (vagotone) Spannungslage, die der Erholung dient. Bei unzureichender Stressbewältigung arbeitet das sympathische Nervensystem weiter, während gleichzeitig das parasympathische Nervensystem aktiviert wird. Es kommt dadurch zu einer Störung in den normalerweise gut koordinierten vegetativen Abläufen, zu einem Nebeneinander von Anspannung und Schwäche. Erst nach einer Weile haben sich die einzelnen Körperfunktionen wieder so eingespielt, dass man wirklich abschalten und sich erholen kann.

 

Diese Störungen werden bei einmaligen oder seltenen Stresssituationen verhältnismäßig leicht überwunden. Gelingt dies wegen des anhaltenden physischen oder psychischen Stresszustandes nicht, bleibt das Missverhältnis zwischen Aktivität und Entspannung auf Dauer bestehen, was sich entweder mehr im Sinne einer übermäßigen Anspannung (sympathikotone Richtung) oder in einem Schwächezustand (vagotone Richtung) äußert.

 

Die Überforderung der einzelnen Organfunktionen bewirkt Befindensstörungen:

Psychische Überlagerungen können bei vielen organischen Krankheiten auftreten, so dass man gar nicht von einigen typischen psychosomatischen Krankheiten (z.B. Bluthochdruck, Asthma, Magen-, Darm-, Zwölffingerdarmgeschwür) sprechen kann. Andererseits können primär körperliche Faktoren die psychische Befindlichkeit beeinträchtigen. Therapeutisch bedeutet die Wechselwirkung von körperlichen und geistig-seelischen Vorgängen, dass zur Gesundung bei schweren Störungen auf beiden Ebenen angesetzt werden muss.

 

Chronische Stress und Angstzustände beeinträchtigen die Heilungschancen bei vielen Krankheiten (z.B. bei Krebs, Infektionskrankheiten). Bei ständiger Überlastung ist die Immunabwehr so geschwächt, dass selbst ein Schnupfen übermäßig lange anhält.

 

Eine allgemeine Erschöpfung wird heute auch „chronisches Erschöpfungssyndrom“ genannt. Das äußere Bild der Erschöpfung kann sehr unterschiedlich ausschauen, z.B.

Es gibt einige Störungen, die bei fast allen Erschöpfungszuständen auftreten: Schlafstörungen, Einschränkung der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, Nervosität. Die Überforderung und Erschöpfung zeigt sich immer an dem Organ oder Organsystem, das am wenigsten belastbar ist.

 

Die organische Schwäche kann anlagemäßig vorhanden sein oder nur im Moment bestehen. Jemand mit einer erblichen Veranlagung zu erhöhter Magensäureproduktion wird bei dauerndem Stress wahrscheinlich am ehesten an einer Magenschleimhautentzündung oder sogar einem Magengeschwür erkranken. Wer sich wenig bewegt, wird bei Belastungen vielleicht mit Rückenschmerzen reagieren.

 

Das „schwächste Glied in der Kette“, das Organ, an dem sich die Erschöpfungs- und Krankheitszeichen zuerst zeigen, kann auch durch bestimmte Risikoverhaltensweisen vorgeschädigt sein. Nikotin-, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch können die Grundlage für eine Magenschleimhautentzündung sein, das Rauchen die Grundlage für eine chronische Bronchitis oder Kreislaufstörung, falsche Ernährung für Stoffwechselstörungen usw.

 

 

Körperliche Reaktionsabläufe bei Panikattacken

 

Angst, Aufregung und Stress bewirken bestimmte biologisch sinnvolle vegetative Reaktionen, im negativen Fall bestimmte belastende Fehlregulierungen. Jede unnötige Adrenalinausschüttung führt zu psychovegetativen Beschwerden. Alles, was zu einem drastischen Anstieg des Adrenalinspiegels im Blut führt, kann eine Panikattacke auslösen. Die Alarmierung des Körpers kann dabei durch körperliche und/oder seelische Stressoren bewirkt werden.

 

Panikattacken können auch nach einer starken körperlichen oder seelischen Belastung auftreten. War der Adrenalinspiegel aufgrund von starkem Stress über einen längeren Zeitraum erhöht, sinkt er mit nachlassender Belastung nicht sofort auf das Normalmaß zurück, sondern wird oft über eine Panikattacke abgebaut. Dies erklärt das häufige Auftreten von Panikattacken gerade in Phasen beginnender Ruhe, d.h. wenn man sich eben in den Sessel gesetzt oder in das Bett gelegt hat.

 

Der Umstand, dass man die ungewohnten körperlichen Reaktionen in einem Ruhezustand nicht zu erklären vermag, und die einsetzende ängstliche Beobachtung des Körpers, die einem mangels anderer Tätigkeiten möglich ist, führen zu Beunruhigung und Angst und damit zu einer Verstärkung der körperlichen Symptome. Panikattacken können sogar im Schlaf auftreten, und zwar ebenfalls dann, wenn die chronische Verspannung, die man bis in den Schlaf hinein mitgenommen hat, endlich aufhört.

 

 

Symptome der Schockreaktion

 

Die anfänglichen Schock- und Schrecksymptome bei einer Panikattacke werden durch das parasympathische Nervensystem erzeugt:

 

Symptome der körperlichen Mobilisierung

 

Die Symptome der Überaktivierung werden durch das sympathische Nervensystem mittels einer Adrenalinausschüttung erzeugt:

Nach der Sympathikusüberaktivierung erfolgen parasympathische Reaktionen:

 

Wenn die Panikattacke aus verschiedenen Gründen (anhaltende Todes- oder Verlustängste, massive Erregung durch Wut und Aggressionen, fehlende Bewegung aus Angst umzufallen) nicht abklingt, kommt es zu einem längerdauernden Nebeneinander von sympathisch und parasympathisch bewirkten Körperreaktionen mit einem anschließenden Erschöpfungsgefühl.

 

 

Der Körper bei Angstzuständen - Wissenswerte Details

 

Viele Menschen mit Panikstörung und Agoraphobie haben nach Ausschluss organischer Ursachen ein erhöhtes Erklärungsbedürfnis für ihre Störung. Sie bleiben aus verständlichen Gründen weiterhin organisch fixiert, obwohl sie laut Ärzten „nichts Organisches“ haben. Für Betroffene, denen die bisherigen Erläuterungen über die Körper-Seele-Zusammenhänge noch immer nicht ausreichend und konkret genug erscheinen, sowie für interessierte nichtärztliche Psychotherapeuten sind die folgenden Ausführungen gedacht, die mit Hilfe der entsprechenden Fach- und Populärliteratur erstellt wurden. Recht informativ ist das allgemeinverständlich und humorvoll geschriebene Buch „Der gesunde Kranke“ von Lieb und Pein, Fachleuten ist das Buch „Biologische Psychologie“ von Birbaumer und Schmidt zu empfehlen.

 

Umfangreicheres Wissen von Menschen mit Angststörungen kann dazu führen, die ärztlichen Erläuterungen, die im Rahmen einer Kassenpraxis mit dem damit verbundenen Zeitdruck oft nur knapp ausfallen, besser zu verstehen und eventuell spezifischere Fragen an den behandelnden Arzt zu richten. Für Angstpatienten, die medizinische Informationen aus Angst vor Beunruhigung vermeiden, stellt der folgende Text eine Art Konfrontationstherapie dar.

 

 

Herz und Kreislauf

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Beschleunigung des Herzschlags, eine Erhöhung der Pumpleistung des Herzens und eine Erweiterung der Herzkranzgefäße, infolgedessen eine Blutkreislaufsteigerung. Subjektiv wird dies erlebt als starkes Herzklopfen, Herzrasen oder Herzstolpern, Stechen, Schmerzen oder Engegefühl in der Brust.

 

Jede körperliche oder seelische Belastung erhöht die Aktivität des Herzens. Die vermehrte Durchblutung bewirkt eine verstärkte Versorgung aller Körperzellen mit Nährstoffen und mit Sauerstoff als der Verbrennungsenergie sowie den anschließenden raschen Abtransport der Stoffwechselprodukte aus dem Gewebe. Das Blut wird 5 mal  schneller durch den Körper gepumpt, um es stark mit Sauerstoff und Zucker anzureichern. Bei physischer und psychischer Belastung werden die Skelettmuskeln, die für Kampf- und Fluchtverhalten benötigt werden, besonders versorgt. Anders formuliert: wenn die Muskeln durch Bewegung mehr Sauerstoff fordern, arbeitet das Herz härter, um mehr Blut in Umlauf zu bringen.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress kommt es manchmal zu Herzrhythmusstörungen (Herzstolpern, Extraschläge, Herzschläge „außer der Reihe“, sog. Extrasystolen).   Extrasystolen entstehen bei raschem Umschalten auf Beschleunigung oder Verlangsamung der Herzschläge. Nach raschen Herzschlägen macht das Herz anschließend eine (von vielen als beängstigend erlebte) kurze Pause, um den Rhythmus wiederherzustellen. Dies ist eine völlig normale, ungefährliche Reaktion. Die Herzaussetzer sind ein Zeichen der Beruhigung nach einer größeren Belastung. Ein Ausschluss organischer Ursachen ist aber dennoch erforderlich. Übermäßiges Rauchen bzw. Kaffeetrinken kann ebenfalls (neben der Pulsbeschleunigung) Herzrhythmusstörungen bewirken.

 

Angst, Aufregung und Stress kann auch zu einer nervös bedingten Verkrampfung der Herzkranzgefäße führen („spastische Angina pectoris“ infolge spastischer Verengung) und damit zu einer verminderten Durchblutung und unzureichenden Sauerstoffzufuhr zum Herzen, oft verbunden mit ausstrahlenden Schmerzen vorwiegend in den linken Arm und Herzinfarktängsten. Es treten ähnlich massive und beängstigende Schmerzen auf wie bei Angina pectoris (wörtlich „Brustenge“). Im Gegensatz zu Angina pectoris sind diese jedoch vorübergehend, weil sie rein „nervös“ bedingt sind. Die Schmerzen lassen sich durch Ruhe oft nicht lindern, auch nicht durch Medikamente wie Nitroglyzerin, sondern sind intensiv und dauern lange an. Die Schmerzen können einige Stunden bis Tage anhalten, während ein Angina-pectoris-Anfall nur 2-20 Minuten dauert. Die Schmerzzustände treten am Tag oder in der Nacht auf, d.h. oft auch während des Schlafs. Auslöser können neben Stressfaktoren auch Koffein, bestimmte Substanzen im Zigarettenrauch und Kälte sein. Häufig entstehen daraus Panikattacken.

 

Hilfen sind: den linken Arm langsam immer tiefer in warmes Wasser tauchen, was entspannend wirkt und die Herzdurchblutung fördert; die Formel „Linker Arm ganz warm“ aus dem autogenen Training, verbunden mit der Vorstellung des Armes in warmem Wasser; eine verlängerte Ausatmung zur Beruhigung des Herzens.

 

Die Beschwerden bei einer Angina pectoris beruhen auf einer Verengung der Herzkranzgefäße durch Ablagerungen in den Gefäßen, so dass zuwenig Blut hindurchfließen kann. Bei körperlicher Belastung braucht das Herz mehr Blut, d.h. mehr Sauerstoff und Nährstoffe als durch die verstopften Herzkranzgefäße zugeführt werden kann. Als Folge davon kommt es zu heftigen Brustschmerzen: plötzliche, meist anfallsweise auftretende Schmerzen hinter dem Brustbein, die typischerweise in den linken Arm ausstrahlen, manchmal auch auf die obere Brust, die Schultern, den Hals, den Unterkiefer und den Oberbauch, oft erlebt als Druck auf der Brust, als beklemmendes, schmerzendes, brennendes Gefühl, als Engegefühl in der Brust, wie wenn ein Reifen um die Brust gelegt würde. Bei schweren Anfällen treten oft Kollapszustände auf, verbunden mit Übelkeit, Schwitzen und Angstgefühlen.

 

Bei der Prinzmetal-Angina, einer Sonderform der Angina pectoris, treten Schmerzen in Ruhe bei ansonsten guter Belastbarkeit auf. Die Symptomatik ist charakterisiert durch eine starke ST-Hebung im Anfall, die sich nach 1-2 Stunden normalisiert, und durch Kammerarhythmien ohne zusätzliche enzymatische Auffälligkeiten.

 

Bei einem Herzinfarkt besteht das Hauptsymptom in einem intensiven Schmerz, der sich im Zentrum des Brustraums ausbreitet. Der veränderte Herzrhythmus, der bei Panikattacken so beunruhigend ist, wird dagegen als zweitrangig erlebt. Bei Bewegung werden der Schmerz und der Druck ärger, bei Ruhigstellung geringer, bei Panikattacken dagegen verschwinden die Symptome durch Bewegung rasch und können in Ruhe sogar zunehmen. Während ein kürzerer und weniger ausgeprägter Sauerstoffmangel durch Verengung der Herzkranzgefäße eine Angina pectoris bewirkt, kommt es bei einem längeren und vollständigen Sauerstoffmangel durch Gefäßverschluss zu einem Herzinfarkt. Wenn das Herz einige Sekunden lang überhaupt keinen Sauerstoff mehr erhält, stirbt der betroffene Teil des Herzmuskels ab. In bestimmten Fällen kann eine durch arteriosklerotische Ablagerungen bedingte Angina pectoris zu einem Herzinfarkt führen. Ist ein großes Blutgefäß und damit ein großer Herzbereich vom Infarkt betroffen, kommt es zum sofortigen Tod, sind nur kleine Bereiche betroffen, bleibt der Infarkt fast unbemerkt („stummer Infarkt“, mit kurzen Brustschmerzen).

Typische Herzinfarktsymptome sind: heftige Schmerzen hinter dem Brustbein, oft ausstrahlend in den linken Arm, Übelkeit, kalter Schweiß und niedriger Puls.

 

In den hochindustrialisierten Staaten zählen Brustschmerzsymptome zu den häufigsten Beschwerden. Laut einer repräsentativen Studie in den USA haben 17,4% der Bevölkerung ein Unbehagen im Brustbereich, 13,8% erleben Druckgefühle und 7,6% heftige Schmerzen über eine halbe Stunde oder länger.

 

1995 wurden in der BRD 409159 Herzkathederuntersuchungen durchgeführt, von denen nur 26,8% der Fälle eine Koronarintervention zur Folge hatten. Die weitere Betreuung der Untersuchten ohne positiven Koronarbefund ist in individueller und sozial-medizinischer Hinsicht oft unbefriedigend.

 

Untersuchungsreihen an Patienten mit einem starken Verdacht auf eine stenosierende Koronarerkrankung haben gezeigt, dass mindestens 20-30%, eher sogar ein Drittel der Fälle, keine organische Symptomatik aufweisen. Heidelberger Forscher, die im Laufe von 10 Jahren die Daten einer repräsentativen Akutklinik-Stichprobe von fast 50000 Patienten gesammelt hatten, zeigten auf, dass unter den mit der Verdachtsdiagnose Angina pectoris stationär aufgenommenen Patienten in 15,8% der Fälle keine organische Diagnose gesichert werden konnte und diesen Patienten auch keine klare Alternativdiagnose angeboten wurde.

 

Die wichtigsten Ursachen für die Fehlklassifikation waren folgende Krankheitsbilder: Refluxösophagitis, costovertebrales Syndrom und Herz-(Angst-)Neurose. Eine Angststörung stellt die häufigste nichtorganische Ursache von Brustschmerzen dar. Verschiedene amerikanische Studien mit Hilfe von Herzkathederuntersuchungen führten die falsch-positiven Befunde der betroffenen Personen auf deren hohe Belastung durch Angst, Depression oder körperliche Fixierung zurück.

 

Andererseits weisen oft auch herzkranke Patienten psychische Belastungsfaktoren auf, so dass unklar bleibt, ob organisch und nichtorganisch bedingte Brustschmerzen anhand bestimmter psychopathologischer Kriterien klar voneinander unterschieden werden können. Genau diese Fragestellung wurde in einer aktuellen Studie der kardiologischen Ambulanz der Universitätsklinik Heidelberg untersucht, die sich mit der Thematik der psychischen Komorbidität bei Patienten mit alarmierender Brustschmerzsymptomatik beschäftigte.

 

Von 77 Patienten, die mit dem Schmerzbild einer Angina pectoris in Ruhe zur medizinischen Abklärung kamen, konnte mittels einer invasiven Herzkathederuntersuchung bei 35% keine stenotische Lumeneinengung gefunden werden. Die kardiologische Unauffälligkeit dieser Personengruppe wurde durch ein negatives Belastungs-EKG und ein unauffälliges Langzeit-EKG bestätigt.

 

Im Gegensatz zu der häufigen Behauptung, dass eine „Pseudo-Angina-pectoris“ hauptsächlich bei weiblichen Personen auftritt, setzte sich die Gruppe der Patienten mit nichtorganisch bedingten Herzschmerzen aus 81% Männern und 19% Frauen zusammen. Der durchschnittliche Frauenanteil bei nichtorganisch bedingten Brustschmerzen liegt auch nach anderen Studien unter 50%.

 

Die organisch gesunden Patienten mit Herzbeschwerden waren nur geringfügig depressiver als die herzkranken Patienten, während hinsichtlich des Ausmaßes an Hilflosigkeit und Klagsamkeit eine gleich große Belastung und somit kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen bestand.

 

Patienten mit nichtkoronar bedingten Herzschmerzen wiesen zumindest in dieser Studie kein höheres Ausmaß an psychischer Irritabilität auf als Patienten mit ischämischen Herzschmerzen. Die verwendeten psychodiagnostischen Erhebungsinstrumente waren nicht in der Lage, zwischen beiden Gruppen zu unterscheiden.

 

Zur Erklärung der Befunde weisen die Autoren darauf hin, dass eine chronifizierte Schmerzsymptomatik beide Gruppen eher homogenisiert als differenziert. Chronische Schmerzen können ein depressives Zustandsbild bewirken, eine Depression wiederum kann die Schmerzschwelle senken und damit das Schmerzerleben verstärken.

 

Die gängigen Vorstellungen der Kardiologen und Psychosomatiker über eine leichte diagnostische Unterscheidbarkeit zwischen beiden Gruppen sind nach den Heidelberger Forschern kritisch zu beurteilen. Menschen mit psychisch bedingten Brustschmerzen, die eine medizinische Durchuntersuchung bis zur Koronarangiographie erleben, stellen eine heterogene Patientengruppe dar. Typische Panikpatienten wurden zu diesem Untersuchungszeitpunkt in der Regel bereits sicher diagnostiziert und ausgefiltert.

 

Die Studie stellt einen Beleg dafür dar, dass viele Menschen mit chronifizierter angina-pectoris-artiger Symptomatik ohne organischen Befund weniger eine Panik- und Angststörung aufweisen als vielmehr eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Dieser Aspekt ist insbesondere auch bei einer posttraumatischen Belastungsstörung (z.B. bei Zuständen nach einem Unfall, einer Vergewaltigung oder einem Überfall) zu bedenken, wo Brustschmerzen mit angstbetonten Herzsensationen im Vordergrund stehen.

 

Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer organischen Durchuntersuchung bei Brustschmerzen. Das Vorhandensein psychischer Belastungsfaktoren stellt kein verlässliches Zeichen für eine nichtorganische Brustschmerzsymptomatik dar. Andererseits weisen 15-20% aller Patienten nach einem akuten Infarkt eine Depression auf. Rund 15% der Herzinfarktpatienten erleben Panikattacken.

 

In einer unausgelesenen Stichprobe von 3705 Patienten, die zur Abklärung mittels Belastungs-EKG überwiesen wurden, hatten 19,7% auffällige Angstwerte und 9,1% hohe Depressionswerte.

 

Menschen mit einer Herzneurose, die heute als Herztod-Phobie bezeichnet wird, fürchten plötzliche Tachykardien (bis zu 160 Schläge/min), starken Blutdruckanstieg (bis zu 200/100 mg Hg), Schweißausbrüche, Gesichtsröte und gelegentliche Atembeschleunigung. Sie klagen über Herzschmerzen und Stiche mit ausstrahlenden Schmerzen in den linken Arm, die sich in unregelmäßigen Abständen wiederholen.

 

Funktionell bedingte Herzschmerzen sind charakterisiert durch einen dumpfen Druck und ein Brennen (einige Stunden bis mehrere Tage) und kurze nadelartige Schmerzen unter der linken Brustwarze. Die psychogenen Schmerzzustände treten ohne körperliche Belastung auf. Wenn sie bei körperlicher Belastung einsetzen, dann deshalb, weil die von Herztod-Phobikern wahrgenommenen Körpersensationen immer Angst auslösen.

 

Nach dem ersten Anfall kommt es zu einer gedanklichen und erlebnismäßigen Einengung auf ein stark angstbesetztes Herzerleben. Im Sinne einer Erwartungsangst besteht eine ständige Angst vor einem Herzinfarkt, die durch bestimmte Strategien zu bewältigen versucht wird. Herztod-Phobiker kontrollieren dauernd ihren Puls, bestehen auf häufigen Herzuntersuchungen trotz fehlendem pathologischen Befund und wandern von einem Arzt zum anderen, wenn sie sich nicht verstanden fühlen.

 

Eine der Hauptängste bei Menschen mit Panikattacken, wo das Herzrasen im Vordergrund steht, ist die Angst vor einem Herzinfarkt, so dass das Herz bei diesem Gedanken sofort noch schneller zu schlagen beginnt. Viele Panikpatienten haben von Natur aus einen niedrigen Blutdruck, der bei einer anfänglichen Schreckreaktion noch weiter sinkt. Um eine Ohnmacht zu vermeiden, setzt Herzrasen als Mittel der Gegensteuerung ein. Bei einem Herzinfarkt (Verschluss von Gefäßen) würde Herzrasen nichts nützen. 

 

Bei Herzrasen und infolgedessen steigendem Blutdruck kann man nicht mehr ohnmächtig werden! Bewegung wäre allerdings besser als die ängstliche Beobachtung des Herzrasens beim Sitzen oder Liegen. Bewegung führt rasch zu Blutdrucksteigerung und vermehrter Atmung, wodurch die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn verbessert und Schwindelzustände rasch beseitigt werden. Sport lässt Herzrasen normal erscheinen.

 

Herzrasen hat angesichts von körperlichem oder seelischem Stress die Funktion der Blutdruckerhöhung (und damit der verbesserten Sauerstoffzufuhr zum Gehirn zwecks Vermeidung von Schwindelzuständen), so dass die Angst vor einem Herzinfarkt unbegründet ist (niedriger Blutdruck schützt vor einem Herzinfarkt). Herzrasen führt weder zu einem Herzinfarkt noch kann es einen Herzinfarkt verhindern, der - wie erwähnt - in einem Verschluss eines Blutgefäßes besteht, das der Herzversorgung dient.

 

Herzängste führen oft zu Schonung und mangelnder körperlicher Betätigung. In der Folge davon kommt es schon bei geringer Belastung rasch zum Herzrasen, weil die fehlende Kraft des Herzens durch mehr Herzschläge ausgeglichen werden muss. Der Druck, den das Herz auf die Blutsäule in den Arterien ausübt (systolischer Blutdruck), hängt von der Kraft des Herzmuskels und der Herzschlagzahl ab.

 

Ein untrainiertes, geschwächtes oder krankes Herz kann oft keinen ausreichenden Druck mehr durch die Kraft seiner Kontraktion aufbauen und versucht dann häufig, dies durch eine vermehrte Schlagzahl auszugleichen, damit der Körper ausreichend durchblutet wird. Während bei Untrainierten Blutdruck und Puls unter Belastung stark ansteigen, ist dies bei Trainierten kaum der Fall.

 

Bewegung und Konditionstraining sind sehr wichtig, um Herzrasen und Atemnot vorzubeugen. 3-4 mal pro Woche sollen während 30-60 Minuten 65% der maximalen Kreislauftätigkeit erreicht werden, d.h. ein Puls von 180 minus Alter. Ein Pulsanstieg auf 160 pro Minute unter Trainingsbedingungen ist durchaus normal und gesund, ein höherer Wert bringt dagegen keine zusätzlichen positiven Wirkungen auf das Herz. Ein sportlicher Trainingseffekt ist überhaupt erst ab einer Herzfrequenz von 100 und mehr pro Minute zu erwarten.

 

Durch ein Konditionstraining wird das Herz leistungsfähiger. Die Größe der Herzkammern, die Dicke der Herzwände und die Weite der Herzkranzgefäße nehmen zu. Das Herz pumpt mit jedem Schlag mehr Blut und verbessert damit die Blutzirkulation und die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff. Es werden auch neue Blutgefäße (insbesondere Kapillargefäße) gebildet, um die Muskelfasern und die Haut besser versorgen zu können.

 

Durch ein regelmäßiges Konditionstraining steigt der Puls unter Belastung weniger stark an, gleichzeitig sinkt der Ruhepuls ab. Der Ruhepuls erreicht bei Untrainierten oft Zahlen über 90, während bei Trainierten eine Verlangsamung auf Werte zwischen 32 und 40 möglich ist. Ein Konditionstraining (z.B. auf einem Hometrainer) kräftigt nicht nur das Herz und den Körper, sondern stellt auch eine Art Angstbewältigungstherapie bei Panikpatienten mit der Angst vor Herzrasen dar.

 

Bei Herzrasen kann der Herzschlag folgendermaßen verlangsamt werden:

Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem eine Verlangsamung des Herzschlags, eine Verringerung der Pumpleistung und eine Verengung der Herzkranzgefäße. In der Folge davon kommt es zu einen Abfall des Kreislaufs. Im Schockzustand kann ein Kreislaufversagen eintreten. Subjektiv äußern sich Schock- und Schreckreaktionen als Kreislaufschwäche. 

 

 

Blutdruck

 

Unter Blutdruck versteht man den vom Herzmuskel erzeugten Druck, unter dem die Blutmasse des ganzen Körpers durch die Adern (Arterien) getrieben wird. Der Blutdruck ist abhängig von der Schlagkraft des Herzens, von der Elastizität der Gefäßwandung und dem Widerstand der Arteriolen und Kapillargefäße (den kleinen arteriellen Blutgefäßen). Der Blutdruck steigt durch eine erhöhte Herztätigkeit und die Verengung der kleinen arteriellen Blutgefäße der Haut.

 

Die Steigerung des systolischen Blutdrucks (Pumpdruck auf die Arterien beim Auswurf des Blutes aus dem Herzen, d.h. zum Zeitpunkt des Zusammenziehens des Herzmuskels) erfolgt durch die verstärkte Herzleistung.

 

Die Steigerung des diastolischen Blutdrucks (Blutdruck in den Arterien zwischen zwei Herzschlägen, Widerstand der Arterienwände zum Zeitpunkt der Erschlaffung des Herzens, d.h. während der Füllung mit Blut) erfolgt aufgrund der Verengung der kleinen Arterien (Arteriolen) durch Noradrenalin. Die kleinsten Arterien sind die eigentlichen Widerstandsgefäße des Blutstroms und bestimmen, wie viel Blut zu den Organen und Geweben fließt.

 

Die Arterien (vom Herzen wegführende Blutgefäße) haben Muskeln in ihren Wänden und können sich daher bei der Systole (Blutauswurf des Herzens mit entsprechendem Pumpdruck) elastisch ausdehnen und bei der Diastole (Ruhephase des Herzens) wieder zusammenziehen, wodurch das Blut weiterbefördert wird.

 

Die Venen (zum Herzen hinführende Blutgefäße) haben einen niedrigen Druck und sind eher weit gestellt. Es besteht eine schwächer ausgeprägte Muskulatur als bei den Arterien. Deshalb befindet sich in den Venen mehr Blut als in den Arterien. Auf dieses sog. „Reserveblut“ kann bei besonderen Belastungen zurückgegriffen werden.

 

Der Blutdruck wird gemessen in Millimeter Quecksilbersäule (mm Hg). Die Blutdruck-Normalwerte (systolisch/diastolisch) sind:  

Grenzwerthypertonie: 140-160/90-95 mm Hg (mehr als 140/90 mm Hg ist überhöht).

Hypertonie (Bluthochdruck): Werte über 160/95 mm Hg.

Niedriger Blutdruck (Hypotonie): Werte unter 100/70-65 mm Hg.

 

Die angeführten Grenzwerte gelten nicht für gelegentliche Blutdruckschwankungen, sondern für den durchschnittlich gegebenen Blutdruck. Besonders kritisch ist ein zu hoher diastolischer Blutdruck (über 95 mm Hg), der auf eine zu geringe Elastizität der Gefäße und damit auf eine Verkalkung und Verhärtung der Arterien hinweist. Er kann aber auch Ausdruck einer psychisch bedingten, chronischen Verspannung sein.

 

Der Blutdruck schwankt im Tagesverlauf. Die höchsten Werte ergeben sich am Vormittag (8.00-11.00), späten Nachmittag und frühen Abend (16.00-20.00). Während der Mittagszeit (besonders nach dem Mittagessen) sinkt der Blutdruck deutlich ab, am stärksten während der Nacht (tiefste Werte gegen 3.00). Frühaufsteher haben einen starken Blutdruckanstieg in den frühen Morgenstunden.

 

„Morgenmuffeln“ haben einen verzögerten und langsameren Anstieg im Laufe des Vormittags (viele Menschen mit niedrigem Blutdruck klagen über Morgenmüdigkeit). Umgekehrt sinkt der Blutdruck am Abend bei den Frühaufstehern früher ab als bei den Morgenmuffeln. Entsprechend den Blutdruckschwankungen ändern sich auch die Körpertemperatur und die allgemeine Leistungsfähigkeit.

 

Hypertonie (hoher Blutdruck) bedeutet, dass sich das Herz zu sehr anstrengen muss, um zur Versorgung der Gewebe das Blut durch den ganzen Körper zu pumpen. Der Blutdruck wird zu hoch, wenn das Herz mit jedem Zusammenziehen eine erhöhte Blutmenge ausstoßen oder einen erhöhten Widerstand der Arterienwände überwinden muss (bedingt durch mangelnde Elastizität der Gefäße infolge von Verkalkung).

 

Bei Bluthochdruck muss das Herz mehr Kraft aufwenden, weshalb sich ein verstärktes Muskelwachstum entwickelt. Der vergrößerte Herzmuskel benötigt mehr Sauerstoff, der jedoch gerade bei Gefäßverkalkungen nur unzureichend zugeführt wird.

 

Typische Bluthochdrucksymptome: pulsierende Kopfschmerzen, Schwindel (oft mit Ohrensausen und Flimmern vor den Augen), Kribbeln in Armen und Beinen, Wetterfühligkeit, Nasenbluten, leichter Druckschmerz in der Brust, Atemnot (besonders bei physischem und psychischem Stress), Herzbeschwerden, Müdigkeit, Leistungsminderung, Nervosität, Reizbarkeit, Unruhegefühl.

 

Angst, Aufregung und Stress führen häufig zu steigendem Blutdruck, bewirkt durch das sympathische Nervensystem. Obwohl der Blutdruck in Angst-, Stress und Konfliktsituationen messbar erhöht ist, wird dies oft gar nicht so erlebt. Bei extremer körperlicher oder seelischer Belastung (z.B. bei heftigem Streit) kann der Blutdruck bis auf 240/130 mm Hg ansteigen.

 

Viele Menschen glauben, sie könnten in Stress und Ärgersituationen ganz ruhig bleiben, und erkennen ohne Messung gar nicht, wie hoch ihr Blutdruck in diesen Situationen ansteigt. Sie sind stolz darauf, wie gut sie sich beherrschen können.

 

Wenn der Blutdruck aufgrund von Stress dauerhaft erhöht ist, kann eine funktionelle Störung in eine organische übergehen. Der Körper lernt, dies als Normalzustand zu verstehen, und sorgt nicht mehr für Maßnahmen zur Senkung des Blutdrucks.

 

Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem ein Absinken des Blutdrucks als Folge der reduzierten Herztätigkeit und der Erweiterung der kleinen arteriellen Blutgefäße der Haut.

 

Schock- und Schreckreaktionen sowie überfordernder Stress bewirken eine parasympathische Überaktivität mit starkem Blutdruckabfall bis hin zum Kreislaufzusammenbruch. Subjektiv macht sich dies bemerkbar in Schwindel- und Ohnmachtsgefühlen, eventuell sogar in kurzer Ohnmacht.

 

Der so häufige und belastende Schwindel (Schwankschwindel: der Boden unter den Füßen scheint zu schwanken) resultiert oft aus folgenden Kreislaufproblemen:

 

Das Versacken des Blutes in den Venen (und damit die Schwindelzustände) bzw. der Stau in den Muskeln kann durch drei Methoden leicht behoben werden:

 

 

Niedriger Blutdruck und dessen Ursachen

 

Als niedriger Blutdruck (Hypotonie) gilt ein systolischer Blutdruck unter 105 mm Hg und ein diastolischer Blutdruck unter 70-65 mm Hg. Die Gefäße sind durch eine Fehlsteuerung der Gefäßnerven so erweitert, dass die vom Herzen ausgeworfene Blutmenge nicht ausreicht, um einen normalen Blutdruck herzustellen. Dies führt zu Blut- und Sauerstoffmangel im Gehirn sowie zu Beeinträchtigungen aller Körperfunktionen.

 

Niedriger Blutdruck äußert sich in folgenden Symptomen: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Antriebsschwäche, Unlust, Erschöpfung, Konzentrations- und Leistungsschwäche, Schwindelgefühle, Ohnmachtsneigung, Ohrensausen, Kopfschmerzen, Schwarzwerden vor den Augen, blasses Gesicht, kalte Hände und Füße, Herzschmerzen (Mangeldurchblutung des Herzmuskels und damit Sauerstoffmangel), Herzklopfen (Ankurbelung des Blutdrucks), Herzstechen, Krämpfe innerer Organe (Mangeldurchblutung), Übelkeit, Appetitlosigkeit, Magendrücken, Blähungen, bei Frauen oft Unterleibskrämpfe, Stimmungsschwankungen, Gereiztheit, depressive Verstimmung, Wetterfühligkeit, Schlafbedürfnis, Schlafstörung (Blutleere im Gehirn, besonders zwischen 2 Uhr und 4 Uhr). Schwarzwerden vor den Augen, Flimmern oder Sternchensehen beruht auf einer Mangeldurchblutung der Sehbahn und des Augenhintergrundes.

 

Bei „nervösem Niederdruck“ sollten keine blutdrucksteigernden Mittel eingenommen werden, die den Sympathikusnerv reizen und eine Zusammenziehung der Blutgefäße bewirken, weil sich dadurch alle angeführten Symptome noch verschlechtern können. Besser sind sportliche Betätigung und Kneipp-Methoden. Menschen mit niedrigem Blutdruck kamen vor dem Ausbruch von Panikattacken mit ihrer körperlichen Befindlichkeit ganz gut zurecht.

 

Viele Menschen mit Panikstörung haben einen generell niedrigen Blutdruck (z.B. 95/65 mm Hg), ohne in der Vergangenheit darunter gelitten zu haben. In einer bestimmten Situation fiel der Blutdruck noch weiter ab, so dass es zu einer bedrohlichen Unterversorgung des Körpers mit Blut und damit auch mit Sauerstoff und Nährstoffen (namentlich Glukose, d.h. Zucker) kam, die der Körper durch eine Ankurbelung von Herz und Kreislauf zu beheben versuchte. Dies wird oft als Panikattacke erlebt.

 

Panikattacken mit anfänglicher Ohnmachtsangst und anschließendem Herzrasen haben oft eine ganz einfache Erklärung. Vor Panikattacken sind die großen Gefäße häufig erweitert, der Blutdruck sackt ab, es kommt zu Schwindel, Druck auf der Brust, Schweißausbruch, Übelkeit und im Extremfall zu Ohnmacht. Das Herz fängt daraufhin zu rasen an, um den Kreislauf wieder anzukurbeln. Solche vegetativen Symptome machen Angst. Die aufkommende Panikreaktion bewirkt zusätzlich einen massiven         Adrenalinschub und damit eine Umkehr der Symptomatik: Kreislauf und Blutdruck werden weiter erhöht (durch Herzrasen und Verengung der Blutgefäße), die Atmung wird beschleunigt. Diese Alarmreaktion schützt wirksam vor Ohnmacht.

 

Herzrasen ist das Mittel der Wahl, um bei niedrigem Blutdruck in bestimmten körperlichen oder seelischen Stresssituationen den Blutdruck rasch zu erhöhen. Bei steigendem Blutdruck kann man nicht mehr ohnmächtig werden!

 

Patienten mit einem Kreislaufschock (extreme Gefäßerweiterung) wird vom Arzt Adrenalin gespritzt, das sofort die Gefäße verengt und vor einem Kollaps schützt. Eine Panikattacke bewirkt dasselbe.

 

Es gibt vier verschiedene Arten von niedrigem Blutdruck:

  1. psychovegetativ bedingte Hypotonie: in Belastungssituationen;

  2. symptomatische Hypotonie: Folge von Krankheiten;

  3. orthostatische Hypotonie: beim Aufstehen und längeren Stehen;

  4. konstitutionelle (essentielle oder primäre) Hypotonie: anlagebedingt.

 

 

Psychovegetativ bedingte Hypotonie

 

Psychovegetativ bedingte Hypotonie äußert sich im Extremfall in einem kurz andauernden Verlust des Bewusstseins und der Muskelspannung. Dieser langsam sich entwickelnden vagovasalen Ohnmacht (Synkope) gehen folgende Vorzeichen voraus: Muskelschwäche, Schwindelgefühl, Übelkeit, Schweißausbruch, Unruhe, Blässe, Seufzeratmung, Gähnen (als Zeichen von Sauerstoffmangel).

 

Sinken der systolische Blutdruck (infolge geringerer Herztätigkeit) und der diastolische Blutdruck (infolge Entspannung der Blutgefäße der Haut) weiter ab, kommt es zunächst zu einer Pulsbeschleunigung, bei Erreichen von systolischen Blutdruckwerten zwischen 60 und 55 mm Hg zu einem plötzlichen Absinken der Pulsfrequenz mit anschließendem Bewusstseinsverlust. Dauert die Bewusstlosigkeit länger als 10-20 Sekunden an, können auch klonische Muskelkrämpfe auftreten. 30% aller gesunden Erwachsenen haben schon einmal eine vagovasale Synkope erlebt.

 

Der Blutdruckabfall lässt sich rasch beenden, wenn der Betroffene in die horizontale Lage gebracht wird (mit den Füßen hochgelagert), Bewegungen macht oder die Muskeln der Arme und Beine mehrfach fest anspannt (dadurch steigt der Blutdruck).

 

Der vagovasale Anfall hängt mit einer Hemmung der Fluchtreaktion zusammen. Die physiologische Vorbereitung auf die Fluchtreaktion führt zur Mehrdurchblutung der Muskulatur. Wenn man wegen einer Hemmung der Fluchtreaktion in Bewegungslosigkeit verharrt, kommt es zu einer unphysiologischen „inneren Verblutung“ in die Muskulatur und damit zu einem verminderten Rückstrom des Blutes zum Herzen. Es erfolgt eine Abnahme des Herzzeitvolumens (Herzfrequenz mal Schlagvolumen pro Minute). Überschreitet die Verminderung des Herzzeitvolumens ein kritisches Ausmaß, tritt Bewusstlosigkeit ein. Voraussetzung ist eine Immobilisierung der Motorik in aufrechter Haltung, die Betroffenen stehen steif da ohne Bewegung. Im Liegen erfolgt keine vagovasale Ohnmacht, weil sich das Blut gleichverteilt und nicht in den Beinen versackt.

 

Die vagovasale Ohnmachtsneigung beruht auf einer Alarmreaktion des Körpers, d.h. auf einer Aktivierung für Kampf oder Flucht, ohne anschließende Bewegung, so dass durch den reduzierten Rückfluss des Blutes von den Muskeln zum Herzen eine Minderversorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff erfolgt, was zu Schwindel und Ohnmachtsneigung führt. Jede körperliche Bewegung beseitigt den Schwindel und die Ohnmachtsneigung, weil der Blutdruck steigt und die Blutgefäße der Haut verengt werden, so dass mehr Blut und damit auch mehr Sauerstoff in das Gehirn gelangt. Selbst lautes Schreien oder Singen sowie die spontane Äußerung der Angstgefühle führt bereits zur Normalisierung von Puls- und Blutdruck.

 

Psychodynamisch wird die Ohnmacht in Form einer Synkope als Mechanismus gesehen, einer ausweglos erscheinenden Situation zu entkommen, da Kampf oder Flucht nicht möglich sind oder nicht gewagt werden. Die Betroffenen fühlen sich in großen seelischen Belastungssituationen hilflos und „ohnmächtig“. Dissoziative („hysterische“) Anfälle treten dagegen ohne Blutdruck- und Herzfrequenzänderungen auf.

 

 

Symptomatische Hypotonie

 

Symptomatische Hypotonie tritt auf als Folge von Krankheiten, Allergien, Medikamentennebenwirkungen oder bestimmten körperlichen Zuständen:

 

 

Orthostatische Hypotonie

 

Orthostatische Hypotonie (mit der Folge von orthostatischem Schwindel) ist eine Sonderform des niedrigen Blutdrucks, die beim Übergang vom Liegen zum Stehen oder bei längerem Stehen auftritt (orthostatisch = aufrecht stehen). Sie zeigt sich besonders bei jüngeren Frauen, bei großen, hageren Menschen, bei Personen mit Krampfadern (die erweiterten Beinvenen nehmen zuviel Blut auf) und bei vielen Patienten nach krankheitsbedingten Liegephasen.

 

Diese Störung ergibt sich aus dem vorübergehenden Versagen der Kreislaufregulation beim Aufstehen oder im Stehen. Das Blut folgt der Schwerkraft und versackt deshalb beim Aufrichten oder längeren Stehen nach unten in die Beine. Im Liegen dagegen entspricht der Blutdruck der Betroffenen der Norm. Da die dünnwandigen Venen leichter dehnbar sind als die Arterien und sich kaum selbst zusammenziehen können, versacken beim Aufstehen kurzfristig 400-600 ml Blut in den Beinen. Diese Menge wird den Blutgefäßen in Oberkörper und Kopf entzogen, so dass weniger Blut zum Herzen zurückfließen kann. Wenn sich aber die Herzkammern weniger füllen, dann sinkt auch die Pumpleistung des Herzens und der Blutdruck fällt ab.

 

Bei normalem Blutdruck wird dieser Reaktion sofort durch Verengung der Beingefäße und Abgabe von gespeichertem Blut aus den Depots des Körpers gegengesteuert, so dass man von dem kurzen Blutdruckabfall nichts bemerkt. Das gelingt bei der orthostatischen Hypotonie nicht schnell genug. Es kommt beim plötzlichen Aufstehen oder nach längerem Stehen zu Schwindel, Übelkeit, Flimmern und Schwarzwerden vor den Augen oder sogar zu einer kurzen Ohnmacht infolge der Blutleere im Gehirn. Zugleich wirkt sich die verzögerte Gegenregulation des Sympathikus (vermehrte Ausschüttung der Stresshormone) in Form von Herzrasen, Schweißausbrüchen und Angstgefühlen blutdrucksteigernd aus.

 

Der orthostatische Schwindel wird beim Stehen vor allem dann provoziert, wenn der Blutdruck ohnehin schon niedrig und nur im Liegen normal ist, sowie bei Krampfadern, wo an sich bereits bis zu 20% des Blutes in den Venen versacken.

 

 

Essentielle (konstitutionelle) Hypotonie

 

Essentielle Hypotonie (anlagebedingt, ohne zugrundeliegende Krankheit) kommt familiär gehäuft vor und kann durch psychosoziale Faktoren verstärkt werden.

 

Die Hypotoniesymptome Antriebsschwäche, chronische Müdigkeit, Ohnmachtsneigung und reduziertes Leistungsvermögen können verschlüsselter Ausdruck einer bestimmten Persönlichkeit sein. Konstitutionell niedriger Blutdruck hat dann keinen Krankheitswert, wenn er (wie oft der Fall) keine Lebensbeeinträchtigung darstellt.

 

Ein zu niedriger Blutdruck kann oft viele Jahre lang unerkannt und ohne belastende Auswirkungen vorhanden sein, dann aber durch psychosoziale Stressfaktoren, die zu einem ständigen psychischen Ohnmachtserleben führen, zu einem großen Problem werden. Ohnmachtserleben gegenüber den Anforderungen des Alltags und Unvermögen, die Konflikte zu lösen, führt zu Erschöpfung und Blutdruckabfall.

 

Eine Tasse Kaffee oder Schwarztee sind bewährte blutdrucksteigernde Mittel. Bei erniedrigten Blutdruckwerten sind nur in extremen Fällen Medikamente sinnvoll.

 

Sympathomimetika (z.B. Präparate wie Effortil®, Novadral®, Dihydergot®) führen direkt zu einer Verengung der Venen in Armen und Beinen und damit zu einem verbesserten Rückfluss des Blutes zum Herzen. Sie haben meist nur eine vorübergehende Wirkung und sollten bei akutem Bedarf nicht länger als 4-6 Wochen eingenommen werden, da ein Gewöhnungseffekt (nachlassende Wirkung) mit einer anschließenden Verschlechterung des Allgemeinbefindens eintreten kann.

 

Die medikamentöse Sympathikuserregung kann über die Gefäßverengung die Pulsrate beängstigend steigern. Die Blutdrucksteigerung führt oft zu einer als unangenehm erlebten, erhöhten Allgemeinerregung und Unruhe. Es können auch Herzrhythmusstörungen und Angina-pectoris-ähnliche Beschwerden auftreten.

 

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft empfiehlt bei niedrigem Blutdruck anstelle von Medikamenten ein intensives Trainingsprogramm: Wassertreten, Kneippgüsse, Wechselduschen, Atemgymnastik und regelmäßige sportliche Betätigung. Morgengymnastik, Krafttraining und Ausdauersportarten wie Leichtathletik (Zirkeltraining), Schwimmen, Radfahren, Ballspiele, Tennis, Laufen, Wandern oder Schilanglauf stärken den Kreislauf.

 

 

Durchblutungsveränderungen im Körper

 

Blut ist das Transportmittel, das den ganzen Körper mit Sauerstoff, Zucker, anderen Nährstoffen, Abwehrzellen und Hormonen versorgt und die Abfälle beseitigt. Die fünf Liter Blut des Körpers werden jeweils durch Erweiterung bzw. Verengung der Blutgefäße der verschiedenen Organe so umverteilt, wie es dem aktuellen Bedarf entspricht.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Erhöhung der Durchblutung durch die Erweiterung der Blutgefäße in den Organen, die für die momentane Aktivität bzw. für das Überleben besonders wichtig sind (Herz, Lunge, Leber, Skelettmuskulatur, vor allem die großen Muskeln wie z.B. Bizeps und Oberschenkeln). Es erfolgt eine vermehrte Versorgung der Arm-, Bein- und sonstigen Kampf-Flucht-Muskulatur mit Sauerstoff und Nährstoffen.

 

Gleichzeitig wird die Durchblutung der Gefäße in den Organen, die für die momentane Tätigkeit nicht unbedingt nötig sind (Magen, Darm, Nieren, Haut, Schleimhäute, Geschlechtsorgane), vermindert zugunsten der erhöhten Durchblutung der aktuell wichtigen Organe. Sympathikotone Hautgefäßverengung (Vasokonstriktion der peripheren Hautgefäße) wird technisch gewöhnlich als Abnahme der Fingerpulsamplitude festgestellt, Vasodilatation der Muskelgefäße als Zunahme des Blutvolumens im Unterarm.

 

Die Mangeldurchblutung bestimmter Organe führt zu Übelkeit („Schmetterlinge im Bauch“), Nachlassen der Verdauungstätigkeit und verminderter sexueller Reaktion. Die blutleere Haut wirkt blass, Hände und Füße sind kalt und kribbelig. Taubheits-, Kribbel- und Kältegefühle sind typische Zeichen einer angstbedingten Blutumverteilung zur arbeitenden Muskulatur. Die Verengung der Blutgefäße an der Körperoberfläche reduziert die Gefahr der Verblutung bei Verletzungen in Kampf- und Bedrohungssituationen. Diesem Zweck dient auch die Verkrampfung von Brust und Bauchdecke bei realer bzw. gefürchteter Bedrohung. In geringerem Maße ist auch die Durchblutung des Gehirns von der Blutumverteilung betroffen. Dies führt zu Schwindelgefühlen, die bei angstbedingter massiver sympathischer Aktivierung sehr oft beklagt werden.

 

Diese Vorgänge erklären, warum bei Angst, Aufregung und Stress oft geklagt wird über Herzrasen, blasse und kalte Haut, blasses Gesicht, kalte Hände und Füße, Verdauungsstörungen und mangelnde sexuelle Reaktionsfähigkeit.

 

Eine wirksame Blutumverteilung hängt von der Schnelligkeit ab. Dies wird durch die Beschleunigung des Herzschlags und das Schlagvolumen bewirkt. Das Schlagvolumen ist jene Menge Blut, die das Herz, und zwar die rechte Herzkammer, während eines Schlages aufnimmt und wieder über die linke Herzkammer in den Körper pumpt.

 

Bei einer Notfallreaktion kann der Puls von durchschnittlich 70 Schlägen pro Minute auf 180 und mehr pro Minute ansteigen, während sich das Schlagvolumen verdoppelt. In Ruhe wird das Blut in einer Minute einmal „umgewälzt“. Während der Alarm- oder Bereitstellungsreaktion werden infolge des stark erhöhten Pulses die 5 Liter Blut bis zu 5 mal pro Minute durch den Körper gepumpt und dabei immer wieder mit Energie (Sauerstoff und Zucker) angereichert.

 

Bei Ruhe und Entspannung, wie sie über das parasympathische Nervensystem bewirkt wird, werden die Blutgefäße von Herz, Lunge, Leber und Skelettmuskulatur verengt und damit die Durchblutung verringert, während die Blutgefäße von Haut, Verdauungsorganen, Schleimhäuten und Geschlechtsorganen erweitert und damit die Durchblutung erhöht wird. Zur Verdauung wird vermehrt Blut benötigt und den anderen Organen entzogen (insbesondere dem Kopf und der Muskulatur). Man fühlt sich daher nach dem Essen geistig und körperlich müde. Fortgesetzte Tätigkeit erfordert eine erhebliche Mehranstrengung.

 

Die Entspannung der Muskeln im Unterleib (und damit die vermehrte Durchblutung) kann durch Wärmevorstellungen und Wärmeerfahrungen gefördert werden:

Schock- und Schreckreaktionen äußern sich - parasympathisch bedingt - als Erröten. Rotwerden beruht auf einer vagotonen Fehlregulierung in Überraschungssituationen.

 

 

Atmung

 

Der Mensch kann ohne Essen etwa 40 Tage, ohne Trinken nahezu 5 Tage, ohne Sauerstoff nur einige Minuten überleben. Bei fehlender Sauerstoffzufuhr zum Gehirn treten bereits nach einigen Sekunden Schwindel und zunehmende Bewusstseinstrübung, nach 4 Minuten bleibende Gehirnschäden auf.

 

Ängste sind stets mit Atmungsveränderungen verbunden, so dass dem Verständnis der richtigen Atmung eine ganz besondere Bedeutung zukommt.

 

Bei der Einatmung gelangt die Luft über die Nase oder den Mund durch die Luftröhre zur Lunge. Im Brustkorb teilt sich die Luftröhre, um beide Lungenflügel versorgen zu können. Die beiden Luftröhrenäste werden Bronchien genannt. Diese verzweigen sich in der Lunge in immer feinere Verästelungen (Bronchiolen). Durch diese gelangt die Luft schließlich in die Lungenbläschen (Alveolen), die extrem dünn und von feinsten Blutgefäßen durchzogen sind. Hier erfolgt der Gasaustausch: Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft und Abgabe von Kohlendioxid aus dem Blut.

 

Im Rahmen des so genannten Lungenkreislaufs wird das verbrauchte Blut, das die rechte Herzkammer aus den großen Körpervenen aufnimmt, über die Lungenarterie in die Lunge befördert, bis hin zu den Lungenbläschen. Dort gibt das Blut das Abfallprodukt Kohlendioxid (CO2) zum Ausatmen ab und nimmt aus der eingeatmeten Luft den Sauerstoff (O2) auf. Das mit Sauerstoff angereicherte Blut gelangt dann in die linke Herzkammer und wird dort über die Körperhauptschlagader (Aorta) je nach Bedarf im Körper verteilt. Das Atmungszentrum im Hirnstamm koordiniert die gesamte Atmung.

 

Der Sauerstoff muss mit dem Blut in der Lunge in Kontakt kommen, um aufgenommen und verwertet werden zu können. Aufgrund des aufrechten Ganges des Menschen und der Schwerkraft ist das Blut in der Lunge sehr unterschiedlich verteilt. An der Lungenspitze, in der Nähe des Schlüsselbeins, beträgt die Durchblutung weniger als ein Zehntel Liter pro Minute, im untersten Drittel der Lunge dagegen einen Liter pro Minute. Für eine maximale Aufnahme von Sauerstoff ist das Hineinatmen in den unteren Bereich der Lunge erforderlich. Bei flacher Atmung werden nur 0,2 statt 0,5 Liter Sauerstoff aufgenommen, wodurch die unteren Lungenbläschen unterversorgt bleiben.

 

Sauerstoff ist die Verbrennungsenergie des Körpers, durch die alle Stoffwechselprozesse ermöglicht werden. Sauerstoff sorgt in den Körperzellen für die Verbrennung der Nährstoffe, wodurch diese zur Energiegewinnung nutzbar gemacht werden. Während der Sauerstoff verbrannt wird, entstehen Kohlendioxid (Kohlensäure) und Wasser als Stoffwechselabfälle. Zuviel Kohlendioxid und zuwenig Sauerstoff im Blut führen zum Einatmen. Bei Sauerstoffüberangebot und Kohlendioxidmangel (z.B. nach einer Hyperventilation) kommt es zur Atemruhe oder zum Atemstillstand. Hyperventilation bewirkt somit Atemnot, führt jedoch nicht zur Bewusstlosigkeit.

 

Atem- und Herzrhythmus sind eng aneinander gekoppelt. Das Verhältnis von Atmung und Herzschlag beträgt in Ruhe sowie im Schlaf 1:4. Bei 15-20 Atemzügen pro Minute erfolgen 60-80 Herzschläge. Die Ruheatmung sollte nicht mehr als 15 Atemzüge pro Minute umfassen (bei Männern 12-14, bei Frauen 14-15 Atemzüge). Unter Belastung erfolgen bis zu 30 Atemzüge, bei gezielter Entspannung 6-10 Atemzüge pro Minute. Schneller atmen beschleunigt den Herzschlag, weil der vermehrt eingeatmete Sauerstoff zu den Organen weiterbefördert werden muss. Langsamer atmen verlangsamt den Herzschlag. Viele Panikpatienten haben bereits in Ruhe einen zu hohen Puls.

Einatmen bedeutet Anspannung, Ausatmen bewirkt Entspannung. Je flacher die Atmung, desto schneller ist sie und desto höher ist in der Regel auch die Herzfrequenz. 

 

Die Einatmungsluft enthält 20% Sauerstoff, 78% Stickstoff, 0,03% Kohlendioxid und andere Stoffe wie z.B. Reizstoffe, Umweltgifte, Staub. Die Ausatmungsluft enthält 14% Sauerstoff, 69% Stickstoff, 5% Kohlendioxid sowie etwas Wasserdampf und Spuren anderer Gase.

 

Das maximale Sauerstoffaufnahmevermögen hängt von der Größe des Herzminutenvolumens (Schlagfrequenz mal Schlagvolumen/Minute) ab. Ausdauerbelastung verbessert das Herzschlagvolumen. Das Sportlerherz schlägt in Ruhe oft nur 40 mal pro Minute und kann bei Belastung mit weniger Schlägen mehr Blut befördern als das von Untrainierten. Ein trainierter Körper hat infolgedessen eine bessere Aufnahme und Verwertung von Sauerstoff als ein untrainierter Körper.

 

Sportler atmen Luft mit 20% Sauerstoff ein und Luft mit 12% Sauerstoff aus. Nichtsportler atmen ebenfalls 20% Sauerstoff ein, jedoch 17% wieder aus: sie nutzen mit jedem Atemzug nur 3% des vorhandenen Sauerstoffs. Untrainierte müssen daher fast dreimal soviel atmen wie Trainierte, um dieselbe Energie zu erhalten.

 

Ausdauersport (Laufen, Schwimmen, Radfahren, Skilanglauf) ist das beste Atemtraining, weil dadurch eine maximale Sauerstoffaufnahme und -verwertung erfolgt.

 

Unzureichendes Ausatmen vor dem Einatmen, wie dies oft bei Angst, Aufregung und Stress der Fall ist, führt dazu, dass sich Kohlendioxid und Schlacken als Abfallprodukt des Atmens in der Lunge stauen und ins Blut abgedrängt werden, was eine vorübergehende Vergiftung bewirkt, die sich in Unruhe, Müdigkeit, Erschöpfung u.a. äußert. Vollständiges Ausatmen ermöglicht erst intensives Einatmen.

 

Ständige Sauerstoffunterversorgung des Körpers führt langfristig zu Verspannungen, Kopfweh, Kreislaufproblemen, rascher Ermüdung und Konzentrationsschwäche. 

 

Asthma und Bronchitis werden durch psychogen bedingte Verkrampfungen der Atmungsorgane verstärkt. Asthma ist eine Störung der Ausatmung als Folge von Verkrampfung oder schleimbedingter Verstopfung der Bronchiolen.

 

Bei Arbeitsbedingungen ohne ausreichende Sauerstoffzufuhr kann der Körper Energie durch Glykolyse (Zuckerspaltung) gewinnen. Zu Beginn jeder intensiven Arbeit schaltet der Organismus von der Oxydation (Energiegewinnung unter Sauerstoff) auf Glykolyse um. Dabei wird Glukose in Laktat (Milchsäure) umgewandelt.

 

Man unterscheidet drei Formen der Atmung: Brust-, Zwerchfell- und Vollatmung.

 

 

Brustatmung

 

Die Zwischenrippenmuskeln (Interkostalmuskeln) sorgen dafür, dass das Volumen des Brustkorbs beim Einatmen zunimmt und beim Ausatmen abnimmt, was jedoch nur bei körperlicher Belastung verstärkt erforderlich ist (in Ruhe reicht die Zwerchfellatmung). Jede dieser Bewegungen überträgt sich auf die Lunge, die sich dann entsprechend ausdehnt oder verkleinert. Bei der reinen Brustatmung wird nur das obere und mittlere Drittel der Lunge durchlüftet.

 

Zur Brustatmung gehört auch die Schulter-(Schlüsselbein-), Flanken-(Untere Rippen-) und Rückenatmung. Bei der Schulteratmung bewegen sich in der Einatmungsphase die Schultern in Richtung der Ohren.

 

Weil bei der Schulteratmung Muskeln des Schlüsselbeins benutzt werden, die normalerweise zum Atmen nicht gebraucht werden, spricht man auch von Schlüsselbein- oder Hochatmung. Die Schulter-(Schlüsselbein-)Atmung ist die schlechteste und ineffizienteste Atmungsform, weil mit sehr viel Energie relativ wenig Luft bewegt wird. Durch das Hochziehen der Schultern wird der Brustkorb nicht erweitert, sodass sich die Lunge nicht genügend ausdehnen kann. Es kommt zu einem unangenehmen Luftstau im oberen Brustkorb, der eine Einatmung im unteren Lungenbereich verhindert. Die muskuläre Verspannung im Schulter- und Brustbereich verhindert ein entspanntes Ausatmen.

 

Die Schulteratmung tritt auf bei Angstzuständen, wenn der Atem zu stocken beginnt. Bei einer Schreckreaktion zieht man die Schultern hoch, hält den Atem an und atmet ineffektiv aus dem oberen Brustkorb heraus weiter, in der irrigen Meinung, über den Mund maximal viel Luft aufzunehmen. Tatsächlich wird jedoch nur ein kleiner Teil der Lungenkapazität genutzt, was verstärkte Atemnot bewirkt und Hyperventilieren begünstigt. Es werden Muskelgruppen aktiviert, die für den normalen Atemvorgang nicht benötigt werden, um den Preis, dass „mehr Arbeit für weniger Luft“ erfolgt. Gleichzeitig wirkt die hochsitzende Luftfülle bedrängend (Druckgefühl auf der Brust).

 

Etwa zwei Drittel der Menschen atmen falsch. Sie ziehen beim Einatmen den Bauch ein und heben die Schultern, beim Ausatmen drücken sie den Bauch heraus. Sie atmen zu flach in den oberen Brustraum hinein und haben eine zu hohe Atemfrequenz Mehr als 15 Atemzüge pro Minute werden von vielen Atemtherapeuten bereits als Stresssignal angesehen. Wenn man bei der Aufforderung, mit dem Mund tief einzuatmen, um eine maximale Menge Luft aufzunehmen, die Schultern in Richtung der Ohren hebt, hat man eine völlig ineffiziente Schulter- oder Schlüsselbeinatmung. Bei überwiegender Brustatmung, wie sie für viele Menschen typisch ist, hebt und senkt sich nur der Brustkorb, entsprechend dem früheren militärischen Motto „Brust heraus, Bauch hinein!“.

 

Eine falsche Atmung hängt heutzutage öfters auch mit dem herrschenden Schlankheitsideal zusammen. Verschiedene Menschen möchten nicht durch eine stärkere Bauchatmung in unangenehmer Weise an ihren Bauch erinnert werden.

 

 

Zwerchfellatmung

 

Das Zwerchfell ist der wichtigste Atemmuskel, weil er bei richtiger Atmung 80% des Atemvolumens bewirkt. Es handelt sich dabei um eine gewölbte Muskelplatte, die aussieht wie ein aufgespannter Regenschirm und die den Brustraum vom Bauchraum abgrenzt. Eigentlich sind zwei Zwerchfellkuppeln vorhanden, je eine im rechten und linken Oberbauch. Der Zwerchfellmuskel und die Zwischenrippenmuskeln sorgen gemeinsam für die Ausdehnungsfähigkeit der Lunge und ausreichende Atemluft.

 

Die Zwerchfellatmung ist die „normale“ Atmung in Ruhe. Sie beruht auf einer Anspannung (Abflachung) des Zwerchfells beim Einatmen, wodurch die Lunge sich ausdehnen kann und das untere Drittel der Lunge durchlüftet werden kann, und einer Entspannung (Krümmung) beim Ausatmen, wodurch die Lunge zusammengepresst wird.

 

Die beiden Lungenflügeln hängen frei im Brustkorb und werden bei der Einatmung auseinandergezogen. Durch das Auseinanderziehen der Lunge beim Tiefertreten des Zwerchfells entsteht scheinbar ein Hohlraum (ein Unterdruck in Wirklichkeit), in den die Luft passiv hineingesogen wird.

Die Lunge kann sich durch die Zwerchfellatmung nach unten weiter ausdehnen und mehr Luft aufnehmen. Im untersten Drittel ist aufgrund der Schwerkraft auch das meiste Blut zur Sauerstoffaufnahme.

 

Das Ausatmen ist ein rein passiver Vorgang für Zwerchfell, Lunge und Luft. Die vorher angespannte Zwerchfellmuskulatur entspannt sich und wölbt sich deshalb wieder in den Brustkorb vor. Die vorher gedehnte Lunge kann nun wie ein Gummiband auf ihre ursprüngliche Größe zusammenschrumpfen. Dabei entweicht die Luft automatisch und passiv aus der Lunge über die Nase oder durch den Mund.

 

Beim Einatmen flacht sich die bis dahin hochgewölbte Zwerchfellkuppel durch aktives Zusammenziehen der Muskulatur ab (das Zwerchfell steht dann um 1-3 cm tiefer). Dadurch wird der Brustraum größer, zunächst auf Kosten des Bauchraums. Die Eingeweide im Bauchraum können aber nicht beliebig zusammengedrückt werden. Folglich drängen sie nach vorne und wölben den Bauch vor (Heben und Senken der Bauchdecke bei guter Zwerchfellatmung). Man spricht deshalb auch von der Bauchatmung.

 

Bei der Zwerchfellatmung werden auch die seitlichen Rippenmuskeln bewegt. Die unteren Rippen werden auseinandergezogen, so dass sich der Brustraum erweitert. Diese Form der Atmung nennt man Flankenatmung. Es weitet sich auch der untere Rücken.

 

Die Zwerchfellatmung erleichtert auch andere Körpervorgänge:

 

 

Vollatmung

 

Die Vollatmung (Brust- und Zwerchfellatmung) ist die effizienteste Atmung. Zuerst hebt sich die Bauchdecke (Zwerchfellatmung), dann erweitern sich auf der Höhe der Einatmung infolge der Aufwärtsbewegung der Luft die unteren Rippen (Flankenatmung) und der Rücken (Rückenatmung), schließlich heben sich die Schultern (Schlüsselbeinatmung), so dass der ganze Atemraum vom Zwerchfell bis zum obersten Lungenbereich, den Lungenspitzen, benutzt wird. Anschließend wird sofort ausgeatmet. Ein ergiebiger tiefer Atemzug steigt somit immer von unten, aus dem Bauch heraus, nach oben bis in die Lungenspitzen. Die Atmung gleicht einer Wellenbewegung.

 

 

Atmung und Psyche

 

Atmung und körperliche bzw. psychische Befindlichkeit hängen eng zusammen. Es ist unmöglich, einerseits ruhig und entspannt zu atmen und andererseits aufgeregt zu sein. Über die Art der Atmung wird der Körper entspannter oder angespannter.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Erweiterung der Luftröhre und der Bronchien (Luftröhrenverzweigungen in der Lunge), was eine tiefere Atmung ermöglicht, um mehr Sauerstoff für die bevorstehende Muskeltätigkeit zur Verfügung zu haben. Atemhäufigkeit und Atemmenge steigen an. Durch eine vertiefte Atmung kann bedeutend mehr Sauerstoff aufgenommen werden als durch eine beschleunigte. Der bei Angst vermehrt aufgenommene Sauerstoff bleibt mangels Bewegung in den Bronchien und wird nicht zu den Lungenbläschen in den Randbezirken der Lunge transportiert, was das Gefühl der Atembeklemmung bewirkt.

 

Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem eine Verengung der Luftröhre.

 

Schock- bzw. Schreckreaktionen führen durch die parasympathische Überaktivität zu einer Verkrampfung der Bronchiolen (kleine Verästelungen der Bronchien) bei der Ausatmung sowie zu einer reduzierten Atemhäufigkeit und -menge, was als Atemnot erlebt wird. Subjektiv äußern sich Schock- und Schreckreaktionen als Atemanhalten, Zuschnüren der Kehle, „Knödelgefühl“ im Hals, (durch Sauerstoffmangel bedingte) allgemeine Schwäche, Schwindel, Benommenheit, Erstickungsangst.

 

Bei Schreck hält man die Luft an. Bleibt der Schreck bestehen, so dass man nicht erleichtert ausatmen kann, bleibt diese Luft im Körper, und man atmet anschließend mit angespanntem Brustkorb wieder ein, wie dies auch bei Asthmatikern der Fall ist. Dies führt zu einem Spannungsgefühl um die Brust, meist linksseitig, was oft herzbezogene Ängste auslöst.

 

Atemanhalten wird häufig auch zur Unterdrückung von unangenehmen Gefühlen und zur Linderung von Schmerzzuständen eingesetzt. Tiefes Durchatmen führt dagegen oft zu Weinen. Weinen bei Angst und Stress kann durchaus gut und entspannend sein und sollte nicht unterdrückt werden. Weinen soll deswegen aber nicht gefördert werden, weil Untersuchungen zeigen, dass es einem danach nicht unbedingt besser geht.

 

Grundsätzlich dient ein „Tief-Luft-Holen“ in Schrecksituationen dazu, innezuhalten, sich voll zu konzentrieren und dann gezielt zu reagieren (was bei „Schrecktypen“ unterbleibt).

 

Kleine Spannungsveränderungen der Atemmuskeln verändern das Gesamtvolumen der Lunge beträchtlich. Schon leichte Muskelverspannungen können Störungen der Atmung bewirken, wie dies bei Angst, Aufregung, Stress und verschiedenen körperlichen Krankheiten der Fall ist. Die Verspannung des Brustkorbs (zusammen mit der häufigen Schulter-Nacken-Verspannung und der Anhebung der Schlüsselbeine und des Brustbeins) behindert die Atmung und kann zu Hyperventilation mit Panikattacken führen. Verstärkte Brustatmung bei Verspannung bzw. Verkrampfung der Zwischenrippenmuskulatur führt zu einem Enge- und Druckgefühl im Brustkorb. Durch die Füllung der oberen Lungenhälfte bei gleichzeitiger Anspannung des Brustkorbs entsteht der Eindruck, dass kein Platz mehr zum Atmen da sei. Als Folge davon wird noch intensiver mit dem Mund eingeatmet, wodurch das Engegefühl im Brustkorb verstärkt wird. Es kommt zu einer „aufgesetzten Hyperventilation“.

 

 

Hyperventilation

 

Bei Angst, Aufregung, Wut und Stress ist die Atmung oft entweder rasch und flach mit eingestreuten Seufzerzügen oder sie wechselt von unruhiger Mittellage zur Hyperventilation (schnell und tief). Plötzliches Erschrecken kann zu einem vorübergehenden Atemstillstand führen, gefolgt von einer intensivierten Atmung.

 

Das Hyperventilationssyndrom wird heute als eine Unterform der Panikstörung angesehen, ähnlich wie die Herzphobie. Beiden gemeinsam ist der appellative Charakter der Symptomatik. Das Hyperventilationssyndrom tritt vor allem bei jüngeren Menschen auf, bevorzugt im zweiten und dritten Lebensjahrzehnt.

 

Die Symptomatik kommt bei Frauen dreimal so häufig vor wie bei Männern. 60% der Angstpatienten hyperventilieren bei Angst. Menschen mit chronischem Hyperventilationssyndrom weisen in weniger als 1% der Fälle eine Zwerchfellatmung auf.

 

Die Art der Atmung (fast ausschließlich Brustatmung, geringe oder fehlende Bauchatmung) kann bei ansonsten unklaren Symptomen den Verdacht auf ein Hyperventilationssyndrom untermauern. Zur Überprüfung dient ein Hyperventilationstest für drei Minuten, wobei die Betroffenen erkennen lernen, wie ihre Symptome entstehen.

 

Hyperventilation ist in über 95% der Fälle psychisch bedingt. Wenn keine Auslösung durch psychische Erregung (Angst, Ärger, Wut) erkennbar ist, sollten mögliche organische Ursachen ausgeschlossen werden, z.B. Kaliummangel oder -überschuss, Magnesiummangel, Kalziummangel, metabolische Azidose oder Alkalose. 

 

Menschen mit Ängsten, chronischer Stressbelastung und Verspannung atmen flach und unergiebig aus dem oberen Brustkorb heraus und nutzen damit nur ein Drittel bis zur Hälfte der Lungenkapazität. Bei mehr Sauerstoffbedarf atmen sie noch stärker mit dem Brustkorb statt intensiver mit dem Zwerchfell. Durch die schnelle Atmung kommt es zum belastenden Herzrasen. Den Betroffenen fällt die Hyperventilation oft gar nicht auf, so dass sie diese auch nicht als die Ursache ihres Herzrasens erkennen können.

 

Die generelle Einatmung durch den Mund, wie sie insbesondere bei Menschen mit Allergien, Asthma oder Atemwegserkrankungen vorkommt, begünstigt bei Angst, Aufregung oder Stress ohne gleichzeitige Bewegung eine Hyperventilation. Oft wird die Hyperventilation nicht durch Angst, sondern durch Wut oder Aggression ausgelöst.

 

Hyperventilation wird einerseits häufig durch chronische Muskelverspannungen im Brustkorb begünstigt, führt andererseits aber auch zu Brustschmerzen, wenn bei fast vollständig gefüllter Lunge hyperventiliert wird (sog. aufgesetzte Hyperventilation). Hyperventilation führt zur Überdehnung der Muskeln zwischen den Rippen, was Schmerzen bzw. Ziehen in der Brust hervorruft. Weiteres, noch tieferes Einatmen führt zu verstärktem Schmerz bzw. Ziehen.

 

Die Betroffenen sollten die körperlichen Vorgänge bei einer Hyperventilation genau verstehen, um die so häufige Beunruhigung durch die dabei auftretenden Symptome zu vermindern. Deshalb wird im folgenden eine ausführliche Erklärung geboten.

 

Unter dem Hyperventilationssyndrom versteht man eine über das physiologische Bedürfnis hinausgehende Beschleunigung und Vertiefung der Atmung, wodurch im Blut der Sauerstoffanteil ansteigt und der Kohlendioxidgehalt stark abfällt. Das Atemminutenvolumen liegt durchschnittlich 95%, im Anfall sogar bis zu 500% über dem Soll.

 

Hyperventilation bedeutet, dass man schneller und/oder tiefer atmet, als es für die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff und den Abbau von Kohlendioxid nötig ist. Es wird zuviel Sauerstoff eingeatmet und zuviel Kohlendioxid ausgeatmet. Ohne körperliche Bewegung sinkt der Kohlendioxidanteil im Blut besonders stark ab, weil nicht genügend Kohlendioxid in den Muskeln gebildet wird.

 

Hyperventilation bewirkt eine Fehlregulation des Gasstoffwechsels im Bereich der Lungenbläschen und infolgedessen eine Verminderung des Kohlendioxidpartialdrucks, wodurch es zu einer Verschiebung des Säure-Basen-Gleichgewichts kommt. Kohlendioxid ist zwar ein Abfallprodukt, muss jedoch in einem bestimmten Verhältnis zum Sauerstoff im Körper vorhanden sein. Durch den Kohlendioxidmangel steigt der pH-Wert (Säure-Basen-Verhältnis im Blut): das Blut wird basisch. Das massive Absinken des Säuregehalts im Blut wird „respiratorische Alkalose“ genannt. Bei starker Hyperventilation kann der Kohlendioxidanteil im Blut in weniger als 30 Sekunden um 50% abnehmen. Innerhalb einer Minute treten Symptome auf.

 

Hyperventilation bewirkt über die Kohlendioxidreduktion eine Erniedrigung der Kalziumionen-Konzentration im Blut, d.h. der Anteil von ionisiertem Kalzium im Blut sinkt ab, wodurch die Nervenzellen erregbarer werden und leichter eine Alarmreaktion (Bereitstellungsreaktion) ausgelöst werden kann. Wenn das Kohlendioxid, das von Eiweißkörperchen im Blut transportiert wird, durch die Hyperventilation (insbesondere bei fehlender körperlicher Bewegung) im Blut stark abnimmt, lagert sich normalerweise neben anderen Stoffen das Erdalkalimetall Kalzium enger an das Eiweiß.

 

Kalzium ist ein wichtiger Bestandteil des Blutes und wird neben der Stärkung der Knochen u.a. auch zur Funktionsfähigkeit der Nervenzellen und der Muskel benötigt. Kalzium ist im Blut teilweise an Eiweiß gebunden, teilweise schwimmt es als freier Bestandteil ohne Verbindung zu anderen Blutbestandteilen im Blut herum. Das freie Kalzium im Blut wird um so weniger, je mehr Stellen am Bluteiweiß wegen des stark abgeatmeten Kohlendioxids frei werden.

 

Das freie Kalzium im Blut ist u.a. dafür verantwortlich, dass die Muskeln geschmeidig arbeiten können. Wenn weniger freies Kalzium im Blut ist, werden die Nerven erregbarer, und die Muskeln beginnen sich zu verkrampfen. Gewöhnlich merkt man dies zuerst an einem Kribbeln in den Lippen bzw. im Bereich des Mundes, bald darauf ziehen sich die Lippen zusammen („Kussmundstellung“). Dann kribbelt es in Händen und Füßen, und die Finger ziehen sich zusammen, so dass die Hände wie Pfoten aussehen („Pfötchenstellung“) und im Extremfall gar nicht mehr bewegt werden können. Neben Kribbeln, Pelzigkeit und Taubheitsgefühlen können in Brust und Hals auch Druck- oder Engegefühle entstehen.

 

Durch die engere Bindung der Kalziumionen an das Eiweiß im Blut verengen sich auch die Blutgefäße im Gehirn, was die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn beeinträchtigt und zu Schwindel, Konzentrationsstörungen und Schwarzwerden vor den Augen führt und die bestehende Angst und Unruhe verstärkt. Gleichzeitig wird das sympathische Nervensystem aktiviert, so dass eine Notfallsreaktion immer wahrscheinlicher wird, die dann als Panikattacke erlebt wird.

 

Hyperventilation führt über den Kalziumabfall zur Verkrampfung der Bronchien und der Stimmritzen. Wegen der zunehmenden Angst, keine Luft zu bekommen, und wegen des Drucks im Brustkorb atmen die Betroffenen noch tiefer und heftiger. Da weiterhin keine Bewegung erfolgt, wird der Kohlendioxidmangel im Blut noch größer.

Nicht einmal im Extremfall führt hyperventilationsbedingte Sauerstoffnot zur Ohnmacht, wie eine niederländische Studie an Versuchspersonen ergab, die mindestens 90 Minuten lang so schnell und tief atmeten, als sie konnten. Es ist jedoch eine Hyperventilationstetanie möglich, d.h. ein krampfartiger Anfall, der für Unerfahrene wie ein epileptischer Anfall ausschaut, so dass Beobachter  unnötigerweise den Notarzt rufen. 

 

Der Arzt verabreicht oft eine Kalziumspritze zur Krampflösung. Die künstliche Zufuhr von Kalzium löst rasch den Muskelkrampf (Tetanie). Eigentlich handelt es sich dabei um einen typischen Placeboeffekt, weil bei einer Hyperventilation nur ein relativer und kein absoluter Kalziummangel gegeben ist. Die Kalziuminjektion bewirkt ein subjektives Wärmegefühl in Händen und Füßen, was dem Gefühl des Absterbens der Extremitäten entgegenwirkt.

 

Bei starken Tetanien wird oft auch eine Beruhigungsspritze (Valium®, Rivotril®) verabreicht, was meist unnötig ist, weil deren Wirkung weit über den Hyperventilationszeitraum hinaus anhält, so dass man sich noch Stunden später benommen fühlt.

 

Richtige, langsame Atmung, gleichzeitige Bewegung während der Atmung bzw. eine Papiertüte, ein Taschentuch oder die hohle Handinnenfläche vor dem Mund, um das ausgeatmete Kohlendioxid wieder einzuatmen, sind gut geeignet, den Kohlendioxidgehalt im Blut rasch zu steigern und die Muskeln geschmeidiger zu machen.

 

Eine Hyperventilation bewirkt folgende Symptome: anhaltendes Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können, verbunden mit dem Zwang, ein paar Mal tief durchatmen zu müssen, Atemnot und Druck auf der Brust, Herzklopfen und Herzrasen, Herzschmerzen, Brustschmerzen (durch Überspannung der Muskeln zwischen den Rippen), Engegefühl über der Brust (Gürtel- und Reifengefühl), Gefühllosigkeit, Kribbeln („Ameisenlaufen“) und Zittern an Händen (besonders in den Fingerspitzen), Füßen und Beinen, Kribbeln um die Mundregion, taube Lippen, Globusgefühl (Zusammenschnüren der Kehle), Verkrampfung der Hände („Pfötchenstellung“), kalte Hände und Füße, Zittern, Muskelschmerzen, Druck im Kopf und Oberbauch, Bauchbeschwerden (durch das Luftschlucken), Übelkeit, Schwindel, Benommenheit, Unwirklichkeitsgefühle, Pupillenerweiterung, Sehstörungen, Gefühl, wie auf Wolken zu gehen, Angst, ohnmächtig zu werden, und Todesangst (wegen der Erstickungsgefühle).

 

Im Extremfall einer Hyperventilationstetanie führt der Sauerstoffmangel zu Ohnmacht und Krampfzuständen. In der Ohnmacht normalisiert sich die Blutzusammensetzung schnell wieder, weil man richtig atmet, so dass man rasch und problemlos von alleine zu sich kommt. Hyperventilation führt auch zu Veränderungen der Wahrnehmung. Sehen und Hören sind beeinträchtigt, das Selbsterleben bekommt eine andere, angstmachende Dimension, was die Paniksymptome verstärkt, insbesondere die Angst vor dem Verrücktwerden. Bei starker Hyperventilation treten binnen einer Minute Symptome auf. Sie sind zwar unangenehm, bewirken aber keine bleibenden Schäden.

 

Eine zu rasche und zu tiefe Atmung im Sinne einer Hyperventilation führt paradoxerweise zu einem Sauerstoffmangel, verbunden mit dem Angstgefühl zu ersticken, so dass noch schneller und tiefer geatmet wird (was die Symptomatik verschärft).

 

Trotz des Überatmens besteht ein Gefühl von Luftnot, das sich bis zur Erstickungsangst steigern kann. Dies hängt damit zusammen, dass die Atmung vor allem durch einen Kohlendioxidüberschuss und in geringerem Ausmaß auch durch einen Sauerstoffmangel angeregt wird. Bei einer Hyperventilation ist gerade das Umgekehrte der Fall, so dass das Atemzentrum die Atmungsvorgänge vermindert.

 

Menschen, die chronisch hyperventilieren, haben oft keine eindeutig abgrenzbaren akuten Anfälle, nur relativ unspezifische und vage Beschwerden, selten Atemstörungen oder Tetaniezeichen. Als Leitsymptome des chronisches Hyperventilationssyndroms gelten: Schwindel, Brustschmerzen, kalte Hände und Füße sowie verschiedene psychische Beschwerden (Müdigkeit, Schlappheit, Schläfrigkeit, Wetterfühligkeit, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Reizbarkeit, Angespanntheit, ängstliche oder depressive Symptomatik).

 

Panikattacken lassen sich nach neueren Untersuchungen nicht generell durch die direkte biologische Wirkung der Hyperventilation erklären, wenngleich im Einzelfall Hyperventilation oft zu Panikattacken führen kann. Panikattacken dürfen nicht einfach mit dem Hyperventilationssyndrom gleichgesetzt werden. Viele Panikpatienten hyperventilieren überhaupt nicht. Provokationstests bewirkten bei Panikpatienten keinen erniedrigten Kohlendioxidpartialdruck des Blutes, der bei chronischer Hyperventilation zu erwarten gewesen wäre.

 

 

Globusgefühl - Zuschnüren der Kehle

 

Angst, Aufregung, Stress, Ekel, Trauer und Depressionen bewirken häufig ein Fremdkörper- und Engegefühl im Rachen. Es entsteht ein Würgegefühl und ein Schluckzwang, wie wenn man einen im Rachen steckenden Fremdkörper (Globus = Kugel, Ball) schlucken sollte, der sich jedoch trotz Schluckens nicht von der Stelle bewegt. Der Schluckakt ist im Gegensatz zu einer Schluckstörung nicht beeinträchtigt.

 

Das Globusgefühl kann folgende Empfindungen umfassen: Kloß im Hals, Fremdkörpergefühl, Kratzen, Brennen, Trockenheitsgefühl, Schleimgefühl, Räusperzwang, Schluckzwang, Schmerzen im Hals, die gelegentlich bis zu den Ohren ausstrahlen, im Extremfall ein Zuschnüren der Kehle, das als angstmachendes Erstickungsgefühl erlebt wird. Das Zuschnüren der Kehle ist ein typisches Angstsymptom. Bei bestimmten Panikpatienten beginnt die Attacke mit einem Globusgefühl, das zu einer Erstickungsangst und erst infolgedessen zu massivem Herzrasen führt. Das Globusgefühl beruht auf einer angst- und Stressbedingten Krampfneigung der Muskulatur des Speiseröhrenmundes.

 

Ein weiteres nicht-organisches Globusgefühl entsteht durch Verspannungen der Schluck- und Halsmuskulatur, bedingt durch extreme körperliche Belastung, aber auch durch extremes Zurückbeugen des Kopfes (z.B. beim Zahnarzt) und der damit verbundenen Überdehnung der Halsmuskulatur. Verschiedene Angstpatienten fürchten den Zahnarzt gerade wegen dieses Globusgefühls. Sie haben Angst, etwas zu verschlucken und dabei zu ersticken. Die Angst vor dem Verschlucken und dem darauffolgenden Ersticken stellt eine gar nicht so seltene spezifische Phobie (Verletzungsphobie) dar. 

 

Ein psychogen bedingtes Globusgefühl kann durch Trinken und Essen leicht beseitigt werden, während beim Leerschlucken keine Erschlaffung der Muskelspannung des Speiseröhreneinganges erfolgt. Angstpatienten führen deshalb nicht selten eine Flasche mit einem Getränk mit sich, das die Verspannung ebenso rasch beseitigt wie die oft gleichzeitig gegebene Mundtrockenheit. 

 

Laut Psychoanalyse symbolisiert ein Globusgefühl bestimmte „Schluckprobleme“. Man schluckt ein Problem hinunter und würgt daran. Als Konversionssymptom wurde das Globusgefühl deshalb früher auch „Globus hystericus“ genannt. 

 

 

Speichelfluss

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Verminderung des Speichelflusses und der Schleimbildung, was die Luftzufuhr in die Lunge verbessert. Stress hemmt Appetit und Verdauung und damit auch den Speichelfluss. Subjektiv äußert sich dies häufig in trockenem Mund bzw. dickflüssigem Speichel.

 

Das parasympathische Nervensystem bewirkt eine Erhöhung des dünnflüssigen Speichelflusses und eine vermehrte dünnflüssige Schleimabsonderung. Dadurch wird beim Essen der Bissen schlüpfrig und schluckfähig.

 

Subjektiv äußert sich Entspannung durch vermehrte Speichelbildung, so dass man öfter schlucken muss. Vermehrtes Schlucken tritt auch bei Entspannungsübungen auf.

 

 

Skelettmuskulatur

 

Alle Muskeln haben eine bestimmte Grundspannung (Tonus), ohne die wir ganz in uns zusammensinken würden, wie dies z.B. bei einem Ohnmachtsanfall passiert. Der Muskeltonus ändert sich ständig, ohne dass uns dies auffällt. Wenn bereits bei potentieller Gefahr die Skelettmuskeln angespannt werden, ist bei tatsächlichem Bedarf eine rasche Reaktionsmöglichkeit im Sinne von Kampf oder Flucht gegeben. Bei häufiger Fehlalarmierung kommt es jedoch zu einer chronischen Muskelverspannung.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Anspannung der Skelettmuskulatur als Vorbereitung auf körperliche Aktivität (Flucht oder Angriff). Die vermehrte Energiezufuhr erhöht den Spannungszustand in den Muskeln. Gedanken und Gefühle, d.h. innere Reize, führen zur gleichen muskulären Anspannung wie Anforderungen vonseiten der Umwelt. Dies ist für das Überleben unbedingt notwendig. Die Erregungsbereitschaft der Gelenke äußert sich oft in einem unsicheren Stand, der subjektiv als typischer Schwankschwindel erlebt werden kann. Die hohe Muskelanspannung führt zu Zittern, solange keine gerichteten Bewegungen erfolgen. Das Zittern der Muskeln dient auch der Bereitstellung von Wärme, um der Skelettmuskulatur Höchstleistungen abzuverlangen. Damit die Muskeln Höchstleistung erbringen, müssen sie warm sein, wie aus dem Sport bekannt ist.

 

Viele Betroffene haben vor dem von anderen Menschen beobachtbaren Zittern der Hände oft mehr Angst als vor dem von anderen nicht sichtbaren Herzrasen. Sie fürchten oft, wie Alkoholiker auf Entzug zu wirken, wenn sie in einem Lokal eine Tasse Kaffee zum Mund führen. Das feinmotorische Zittern wird durch Anspannung zu unterdrücken versucht, so dass bei Überspannung eine grobmotorische Reaktion sichtbar werden kann, die erst recht auffällig macht. Die Verspannung und Verkrampfung in den Muskeln kann so weit gehen, dass sich diese nicht einmal in Ruhestellung zu ihrer ursprünglichen Länge und Form ausdehnen können. Dies beeinträchtigt die Durchblutung der Muskeln und die Funktion des Lymphsystems, so dass nicht alle Giftstoffe aus den Muskeln ausgeschieden werden können. Die im Körper verbleibenden Giftstoffe bilden Kristalle und verursachen Schmerzen, Steifheit und manchmal Entzündungen und Schwellungen. Chronische Muskelverspannung führt nicht nur zu örtlich begrenztem Muskelschmerz, sondern auch zu Gelenkverrenkungen und ihren Folgeschmerzen.

 

Die Verspannung der Beine hängt nicht nur mit der Vorbereitung auf Kampf oder Flucht zusammen, sondern oft auch mit einer Urangst vor dem Fallen, der man durch Anspannung der Beine zu begegnen sucht. Übungen des entspannten und sicheren Stehens (in der Bioenergetik „Erden“ genannt) sind hilfreiche Bewältigungsstrategien.

 

Viele Menschen drücken ihre Knie fest zusammen und stehen mit den Beinen steif durchgestreckt da, weil sie Angst haben umzufallen. Die Beine elastisch etwas durchzubeugen (wie beim Schifahren) und den Körperschwerpunkt zu senken, gibt dagegen Sicherheit vor dem Fall. Beim Schifahren kommt es gerade dann zu Knochenbrüchen, wenn man die Beinmuskeln anspannt und sich gegen den Fall wehrt (in 90% der Fälle). Übermäßige Anspannung in Phasen von körperlicher Untätigkeit führt nicht selten zu Panikattacken.

 

Es ist typisch, dass Panikanfälle oft in Ruhe, d.h. ohne anschließende Bewegung, auftreten (beim Sitzen oder Liegen, in Pausen, am Wochenende). Möglichst ruhiges Stehen-, Sitzen- oder Liegen-Bleiben bei Panikattacken aus Angst, dass noch Ärgeres passieren könnte, verstärkt die Symptomatik. Durch Bewegung wird dagegen die Anspannung rasch abgeführt. Hilfreich ist das Ausschütteln der Arme und Beine.

 

Muskuläre Verspannung bewirkt häufig Schlafstörungen, besonders dann, wenn tagsüber keine Bewegung und damit keine Ermüdung der Muskeln erfolgt, die angenehme Entspannung garantiert. Einschlafstörungen treten verstärkt auf, wenn vor dem Einschlafen oft langes ängstliches Grübeln erfolgt, wodurch der Körper immer wieder aktiviert wird und nicht auf Entspannung umschalten kann. Ein- und Durchschlafstörungen bzw. Schlaflosigkeit sind oft Ausdruck einer Befindlichkeitsverschlechterung.

 

Chronische Anspannung führt zu chronischer Müdigkeit, die sich ähnlich wie eine Depression äußert. Die Betroffenen klagen über Erschöpfung, ohne dass sie sich angestrengt hätten (sog. asthenische Symptomatik, d.h. Kraft- und Energielosigkeit). Diese Müdigkeit lässt sich am raschesten durch körperliche Betätigung überwinden, auch wenn man sich anfangs kaum dazu aufraffen kann. Bei der Behandlung von Depressionen und Angststörungen gewinnen körperliche Aktivierung, Sport (Langsamlauftherapie), Massagen, Bäder zur Muskelentspannung und körperorientierte Psychotherapie zunehmend an Bedeutung.

 

Chronische Muskelverspannungen bewirken oft starke Schmerzzustände, weil die angespannten Muskeln die Gefäße verengen und die Blutzufuhr beeinträchtigen. Die Erfahrung des Muskelkaters nach einer ungewohnten körperlichen Betätigung, d.h. nach einer Überforderung der Skelettmuskulatur, ist jedermann bekannt.

 

Die Schmerzen resultieren aus den zweifachen Folgen der Minderdurchblutung:

  1. Unterversorgung mit Sauerstoff,

  2. fehlender Abtransport der Abfallprodukte des Stoffwechsels (Milchsäure usw.).

 

Stressbedingte, chronische Muskelverspannungen zeigen sich in vielen Bereichen:

Angstbedingte chronische Verspannungen werden fälschlich oft als Bandscheibenleiden oder Rheumatismus diagnostiziert. Wenn alle Behandlungsversuche scheitern, erhebt sich der Verdacht auf Angst, Depression oder Stress als Ursache der Verspannungen. Oft wirken sich psychische Faktoren bei organisch bereits vorgeschädigten Körperteilen im Sinne einer psychischen Überlagerung aus.

 

Subjektiv äußern sich Angst, Aufregung und Stress als Anspannung der Muskulatur, was sich manchmal bis zu deutlich sichtbarem Zittern oder Beben ausweitet. Ohne anschließende körperliche Betätigung wird die chronische Anspannung der Muskulatur als unangenehme Verspannung erlebt, oft verbunden mit Schmerzen. Bei einer Gesamtaktivierung des Organismus drückt sich emotionale Anspannung vorrangig in erhöhter Muskelspannung aus.

 

Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem eine Erschlaffung der Skelettmuskulatur. Die Muskulatur umfasst mehr als die Hälfte der Körpermasse, so dass eine Lösung und Erschlaffung der Muskulatur zu einer weitreichenden Umschaltung des Organismus in Richtung Entspannung führt. 

 

Muskelentspannung bei sich oder bei anderen wird als Schwere erlebt. Entspannte, schlafende und ohnmächtige Menschen wirken deshalb schwerer als sonst. Das autogene Training beginnt mit der „Schwere-Übung“ als Mittel der muskulären Entspannung.

 

Bei Entspannung sowie vor dem Einschlafen treten öfters Muskelzuckungen in den Armen und Beinen sowie im Gesicht auf, die eine elektrische Entladung der vorher angespannten Muskeln darstellen. Zahlreiche Menschen, die um diese Vorgänge nicht Bescheid wissen, fürchten sich daher, an einer unbekannten Störung zu leiden, wenn derartige Zustände plötzlich auftreten.

 

Die parasympathische Überaktivität bei Schock- bzw. Schreckreaktionen führt zu „weichen Knien“, weil die Spannung nachlässt, im Extremfall zum Zusammensinken des Körpers, was bei Angstpatienten praktisch nicht vorkommt. Entsprechende Muskelschwächen in den Beinen sind eher durch eine Tranquilizerüberdosierung verursacht, wie dies bei älteren Menschen häufig vorkommt.

 

 

Temperaturumverteilung

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Erhöhung der Temperatur im Körperinneren (Kerntemperatur) und eine Verminderung der Hauttemperatur als Folge der Blutumverteilung und der erhöhten Stoffwechselprozesse. Dies geschieht durch die Verengung der Blutgefäße der Haut.

 

Bei Ruhe und Entspannung erfolgt über das parasympathische Nervensystem eine Reduzierung der Temperatur im Körperinneren (Kerntemperatur) und eine Erhöhung der Hauttemperatur als Folge der Blutumverteilung und der verminderten Stoffwechselprozesse. Die Senkung der Körpertemperatur geschieht größtenteils durch Erweiterung der Hautgefäße. Ungefähr 75% der Wärmeabgabe erfolgt durch Wärmestrahlung und Wärmeleitung.

 

 

Schweißdrüsen

 

Der Schweiß erhöht die Leitfähigkeit der Haut und damit die Reaktionsgeschwindigkeit. Der Anstieg der Hautleitfähigkeit (Absinken des Hautwiderstands) ist ein beliebtes Maß für die sympathikotone Erregung, weil die neuronale Kontrolle der Schweißdrüsen ausschließlich durch den Sympathikus erfolgt. Ein emotionaler Reiz führt innerhalb von 1-4 Sekunden zum Absinken des Hautwiderstands.

 

Der Schweiß dient als natürliches Kühlsystem für den erhitzten Körper, ähnlich wie das Kühlwasser beim Auto. Im Rahmen der Evolution diente der Schweiß wohl auch dazu, den Körper glitschiger und damit für einen möglichen Feind unangreifbarer zu machen. Bei Tieren werden durch den Schweiß die Geruchsreize für Artgenossen intensiviert. Es gibt einen kalten und einen warmen Schweiß.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress kommt es - bewirkt über das sympathische Nervensystem - zum Auftreten von kaltem und klebrigem Schweiß. Die Schweißdrüsen sondern vermehrt Schweiß ab zur Kühlung des vermeintlich hart arbeitenden Organismus. Der Schweiß trifft jedoch (im Gegensatz zum Arbeitsschweiß) auf kalte Haut, bedingt durch die verminderte Durchblutung der Blutgefäße der Haut bei akutem Angst- und Stresszustand, wo er sofort kalt wird. Das emotionale Schwitzen („kalter Angstschweiß“) geht im Gegensatz zum thermischen Schwitzen nicht mit einer Gefäßerweiterung einher. Wegen des Schwitzens wird oft ein Händedruck vermieden. 

 

Das parasympathische Nervensystem bewirkt das Auftreten von warmem, dünnflüssigem Schweiß großen Ausmaßes. Vermehrtes Schwitzen bei Anstrengung (Arbeitsschweiß) dient dazu, den Körper angesichts des hohen Energieverbrauchs und der damit verbundenen Erhitzung zu kühlen und vor Überhitzung zu bewahren. Über die Verdunstungskälte, die durch das Schwitzen entsteht, wird das Blut unter der Haut gekühlt, bevor es in das Körperinnere gepumpt wird. 20% der Wärme wird durch Wasserverdunstung abgegeben, die zum Teil unmerklich durch Haut und Lunge erfolgt.

 

Drei Viertel der durch die Stoffwechselprozesse entstehenden übermäßigen inneren Wärme wird durch eine intensive Durchblutung der Haut an die Umwelt abgestrahlt. Bei körperlicher Anstrengung ist die Haut gut durchblutet, da die Blutgefäße weit gestellt sind. Ist bei hoher Außentemperatur die Luft mit Wasserdampf gesättigt, kann es zu einer Wärmestauung (Hitzschlag) kommen.

 

 

Stoffwechsel

 

Unter Stoffwechsel versteht man alle chemischen Vorgänge im Inneren des Körpers, in jeder lebenden Zelle. Das gilt von dem ursprünglichen Ausgangsstoff der zugeführten körperfremden Nahrung über deren Umbau bis zu den Endprodukten.

 

Zu den Stoffwechselsubstanzen gehören Kohlehydrate (z.B. Zucker oder Getreidestärke), Fette, Proteine (Eiweißstoffe), Mineralsalze, Spurenelemente, Vitamine, Sauerstoff und Wasser.

 

Der durch die Atmung aufgenommene Sauerstoff sorgt in den Körperzellen für die Verbrennung der Nährstoffe, wodurch diese nutzbar gemacht werden. Die dem Körper zugeführte Nahrung wird um- bzw. abgebaut. Im Verdauungsvorgang werden die verwertbaren Bestandteile chemisch umgeformt und in kleine Teile zerlegt, damit sie die Darmwand durchdringen und in das Blut eintreten können. Über den Blutkreislauf werden sie den Zellen zugeführt und helfen dort entweder deren eigene Substanz aufzubauen (Zellstoffwechsel) oder dienen der Energiegewinnung (Betriebsstoffwechsel).

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Beschleunigung der gesamten Stoffwechselprozesse und infolgedessen eine verbesserte Leistungsfähigkeit des menschlichen Organismus (energieabbauender Stoffwechsel). Subjektiv fühlt man sich durch den erhöhten Energieverbrauch oft heiß und erhitzt, hinterher oft müde und ausgelaugt.

 

Bei körperlicher und/oder seelischer Belastung zeigt sich folgender Stoffwechsel:

Der Stoffwechsel kann durch eine Schilddrüsenstörung zu stark oder zuwenig ausgeprägt sein (übermäßige oder zu geringe Verbrennung der Nahrungsstoffe).

 

Eine Schilddrüsenüberfunktion (vor allem zuviel Trijodthyronin) führt zu folgenden Symptomen: starke Erhöhung des Grundumsatzes, übermäßiges Hitzegefühl, Gewichtsabnahme trotz Appetit (Magerkeit), Herzrasen, Verdauungsstörungen, Durchfall, Unruhe und Nervosität, psychische Veränderungen (Depressivität, Schlafstörungen). Eine Schilddrüsenüberfunktion kann Panikattacken bewirken.

 

Bei Ruhe und Entspannung kommt es - vermittelt durch das parasympathische Nervensystem - zur Reduzierung der gesamten Stoffwechselprozesse. Dies ermöglicht eine Erholung des ganzen Körpers und energieaufbauende Stoffwechselprozesse.

 

 

Zuckerspiegel

 

Glukose ist der Treibstoff, mit dem der Körper läuft. Das Gehirn kann nicht (wie z.B. das Muskelgewebe) Proteine aufnehmen und nutzen. Deshalb treten bei sinkendem Blutzuckerspiegel (insbesondere bei einem Nüchternblutzuckerspiegel unter 50 mg %) viele Symptome auf, die eine große Beunruhigung auslösen. Die gegenteilige Situation (z.B. „Stresszucker“ als Folge andauernder seelischer Belastung) wird dagegen subjektiv meist gar nicht wahrgenommen. Wir brauchen keine großen Zuckereinlagerungen, um den Nachschub an Glukose zu gewährleisten, denn die meisten Lebensmittel können vom Körper in Glukose und Fruktose gespalten werden.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels durch Umwandlung des in der Leber und Skelettmuskulatur gespeicherten Glykogen in Glukose (Traubenzucker) mit anschließender vermehrter Zuckerausschüttung in das Blut, um mehr Energie für den sofortigen Verbrauch der Muskeltätigkeit bereitzustellen. Zuckerüberschüsse sind in der Leber gespeichert, um bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können, wenn der Verdauungstrakt leer ist. Angstpatienten weisen in der Regel keinen Zuckermangel auf, sondern Schwankungen des Blutzuckerspiegels (instabile Blutzuckerwerte).

 

Symptome erzeugt eher ein rasches Absinken des Blutzuckerspiegels als ein zu niedriger Blutzuckerwert. Eine regelmäßige und ausgewogene Ernährung ist daher sehr wichtig. Als Soforthilfe sind 3 Stück Dextroenergen anzuraten, länger wirksam ist jedoch ein Stück Vollkornbrot oder Obst.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress wird schnell viel Insulin produziert, was zur Folge hat, dass mehr Insulin ausgeschüttet wird als der Körper benötigt. Dies wiederum führt dazu, dass die verfügbare Glukose schnell aufgebraucht wird und der Blutzuckerspiegel drastisch sinkt. Ein erniedrigter Blutzuckerspiegel trägt dazu bei, dass schon kleine Veränderungen in der Atmung, wie sie in Angstsituationen immer auftreten, körperliche Symptome produzieren. Es treten die typischen Hypoglykämiesymptome auf, die der Körper durch einen massiven Adrenalinschub zu bewältigen versucht.

 

Der Verzehr von Süßigkeiten (z.B. Pralinen) bei Stress und Traurigkeit erhöht nachweislich den Serotoninspiegel, was die subjektiv angenehmen Zustände begründet, führt jedoch bei zu großen Mengen zu einem Blutzuckerabfall und infolgedessen zu einem erhöhten Adrenalinschub mit umfassender sympathischer Überaktivierung, was als Auslöser für Panikattacken dienen kann.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress besteht oft eine Appetitlosigkeit, die zu einer zeitweiligen Unterzuckerung führt, so dass Angst- und Stresssituationen eine noch größere Unterzuckerung bewirken. Es treten dann die Symptome von Hypoglykämie auf, die der Körper durch einen massiven Adrenalinschub zu bewältigen versucht und damit eine massive körperliche Aktivierung auslöst.

 

Hypoglykämie (Unterzucker) führt zu folgenden Symptomen: Herzklopfen und Herzrasen, Blutdrucksenkung, Schwindel bis hin zur Ohnmacht, dumpfe Kopfschmerzen, Schweißausbruch (kalter Schweiß), Zittern (meistens inneres Zittern ohne entsprechende äußere Anzeichen), Blässe der Haut, kalte Hände und Füße, Übelkeit, Magenkrämpfe, innere Unruhe, Angstzustände (Panik), plötzliche Traurigkeit, Schlaflosigkeit zwischen zwei und drei Uhr morgens (wegen Blutleere im Gehirn), Müdigkeit am Vormittag und am Nachmittag, Koordinationsstörungen, Zucken der Augenlider, Sehstörungen (Doppelbilder), Ataxie, Bewusstseinsstörungen, Heißhunger (Hunger auf Süßes), Hungergefühl eine Stunde nach der Mahlzeit.

 

Bei Angst- und Panikpatienten ist das Phänomen der Unterzuckerung mit anschließender Ankurbelung des Sympathikus eine Erklärung dafür, dass nach einer längeren Konfrontationstherapie keine Gewöhnung (Habituation) an die angstmachenden Situationen eintritt. Sollte im Rahmen einer Konfrontationstherapie das Gefühl eines inneren Zitterns auftreten (von dem die Betroffenen meist irrtümlich annehmen, dass es auch äußerlich sichtbar sein müsse), dann empfiehlt sich zur Überprüfung eines eventuellen Zuckermangelsyndroms ein kleiner Imbiss. Wenn aus Angst und Aufregung keine Nahrungsaufnahme möglich ist, erhärtet sich der Verdacht auf eine Hypoglykämie.

 

Die Betroffenen sollten dann ihren Blutzuckermangel als Folge ihrer angst- und Stressbedingten Appetitlosigkeit erkennen lernen, weil sie dadurch in Angstsituationen weniger angstmachende Ursachenzuschreibungen vornehmen können.

 

Über das parasympathische Nervensystem kommt es zur Reduzierung des Blutzuckerspiegels durch verminderte Zuckerausschüttung.

 

 

Ursachen für Hypoglykämie

 

Eine Hypoglykämie kann durch folgende Faktoren bedingt sein:

 

Unterzuckerungs-Angstsyndrom bei Zuckerkrankheit

 

Besonders jüngere Menschen mit insulinpflichtigem Typ-I-Diabetes müssen ihre Warnsignale rechtzeitig erkennen lernen. Unterzuckerungsbedingte Angstsymptome sind bei ihnen vorwiegend durch „gegenregulatorische“ Hormonausschüttungen und nicht so sehr durch den Zuckermangel im Gehirn selbst bedingt.

 

Unterzuckerungs-Angstsyndrom

 

Gegenregulationssymptome

(Adrenerge Symptome)

Zuckermangelsymptome

Angst, nächtliche Alpträume

Konzentrationsminderung

Unruhe, Reizbarkeit

Merkfähigkeitsstörung

Zittern

Kopfschmerzen

Schwitzen

Müdigkeits- und Schwächegefühl

Herzklopfen/-rasen

Sehstörungen (Verschwommensehen)

Atembeklemmung

Schläfrigkeit

Körpermissempfindungen

Zunehmende Bewusstseinsstörung und

Gefühl der Unwirklichkeit (Derealisation)

schwere neurologische Störungen

 

Anhand der Zuckerkrankheit können sehr gut die Körper-Seele-Zusammenhänge aufgezeigt werden, ebenso die Probleme monokausaler Erklärungsmodelle, d.h. ob ein Symptom rein körperlich oder rein seelisch bedingt ist. Bei gut eingestelltem Diabetes kann im Rahmen einer großen körperlichen oder seelischen Belastung plötzlich eine Unterzuckerung auftreten, die zu Angstsymptomen führt.

 

Aus Angst vor Unterzuckerungssymptomen bzw. aus Unsicherheit in der Wahrnehmung dieser Symptome nehmen Zuckerkranke gelegentlich zuviel Zucker, Obstsäfte, Süßigkeiten usw. zu sich und gefährden dadurch die Diabetes-Einstellung.

 

 

Verdauungsorgane

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt der Sympathikus eine Reduzierung der Verdauungsprozesse durch Hemmung der Magen- und Darmtätigkeit, um Energie zu sparen und den Körper kurzfristig ganz auf die Kampf- oder Fluchtreaktion einzustellen (verminderte Beweglichkeit bzw. reduzierte Muskelspannung von Speiseröhre, Magen und Darm, weniger Magensäure, Gefäßverengung). Zum Ausgleich erfolgt etwas später eine verstärkte Parasympathikus-Aktivität mit Magen- und Darmreaktionen (auch ohne vorherige Nahrungsaufnahme). Während eines Dauerlaufs ist keine Verdauung möglich. Leistungssportler (z.B. Marathonläufer) ergänzen ihren Energiehaushalt durch Flüssigkeitslösungen oder Traubenzucker, nicht jedoch durch feste Nahrung.

 

Subjektiv äußern sich Angst und Stress oft in funktionellen Oberbauchbeschwerden (Appetitlosigkeit, Unwohlsein, Schlechtwerden, Völlegefühl, Magenschmerzen, Erbrechen, Aufstoßen, Sodbrennen usw.) und funktionellen Unterbauchbeschwerden (Durchfall, Verstopfung, Reizdarm: Wechsel von Durchfall und Verstopfung).

 

Funktionelle und organisch fundierte Magen- und Darmstörungen gehen zwar mehrheitlich mit einer vagotonen (parasympathischen) Fehlsteuerung einher, können jedoch auch durch eine sympathische Überaktivität mitverursacht sein (neben Anlagefaktoren und Risikoverhaltensweisen). Bei der Kampf- oder Fluchtreaktion werden Skelettmuskeln, Herz und Gehirn stärker durchblutet als im entspannten Zustand, die Verdauungsorgane dagegen weniger. Die kleinen Arterien in der Magenschleimhaut verengen sich unter dem Einfluss der Stresshormone. Durch die mangelhafte Durchblutung wird auf die Dauer die Schleimhaut geschädigt, so dass die Magenwände selbst bei verminderter Magensäure nicht mehr geschützt sind. Somit sind nicht nur die Schreckhaften, Hilflosen in Gefahr, ein Magengeschwür zu entwickeln, sondern auch Menschen, die ständig „eine Wut im Bauch“ haben.

 

Oft bewährt sich folgende Differenzierung:

Dies ist biologisch-evolutionär sinnvoll (vgl. die Tierwelt):

Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem eine Anregung der Verdauungsprozesse durch die Aktivierung der Magen- und Darmtätigkeit in Form von Anspannung der Muskulatur, Anregung der Peristaltik (wellenförmige Bewegung von Magen und Darm zum Weitertreiben des Speisebreis), Verstärkung der Drüsentätigkeit (mehr Magensäure) und Gefäßerweiterung. Die parasympathische Überaktivität in Schock- und Schreckreaktionen bewirkt zahlreiche Symptome. 

 

Funktionelle oder organisch fundierte Magen- und Darmstörungen treten häufig auf bei Menschen, die sich ständig hilflos fühlen und chronisch schreckhaft sind, denen die Möglichkeiten fehlen, sich zu wehren, die sich nicht durchsetzen können und daher allem und jedem ausgeliefert erleben. Klinisch ist oft eine Depression oder eine Angststörung vorhanden.

 

Viele Magen- und Darmstörungen sind funktioneller Natur:

Diffuser Magenschmerz beruht oft auf einer Reizung der Magenschleimhaut durch

Diese Kombination kann auf einem Hin- und Her-Gerissen-Sein zwischen zwei Haltungen beruhen. Jemand weiß nicht, ob er

Zorn und Wut bewirken eine Rötung der Magenschleimhaut (vermehrte Durchblutung), verstärkte Säureproduktion und starke Magenwandbewegungen. Unterdrückte Wut („alles in sich hineinfressen“) kann bei entsprechender Veranlagung zu Geschwüren führen. Bei ständig erhöhter Säureproduktion entstehen mehr säureproduzierende Zellen. Seelische Verspannung führt auf Dauer zu Blutarmut der Magenwand. Die Fähigkeit der Magenschleimhaut, Schleim zu produzieren, nimmt ab, so dass Magengeschwüre entstehen. Schleim schützt die Magenwand gegenüber der eigenen Säure.

 

Übermäßige Verkrampfung des Dickdarms kann zweierlei bewirken:

  1. Durchfall: Abgabe von Wasser und infolgedessen eine schnelle wässrige Entleerung des Darms. Wenn die Dickdarmwand zu aktiv ist und der Kot zu schnell weiterbefördert wird, wird dieser nicht eingedickt und bleibt flüssig. Im Rahmen der Evolution ermöglichte die Darmentleerung weniger Gewicht und schnellere Flucht. 

  2. Spastische Verstopfung: Spannungsbedingte Behinderung des Transports des Darminhalts, gelegentlich auch Blähungen bei fast leerem Magen, was ebenfalls ein Verstopfungsgefühl bewirkt. Dieses wird begleitet von Völlegefühl, Blähungen, Leibschmerzen und Appetitlosigkeit.

 

Ein Reizdarm (colon irritabile) ist eine funktionelle Dickdarmstörung mit folgenden Symptomen: unklare Bauchbeschwerden, Wechsel von Durchfall (Diarrhoe) und Verstopfung (Obstipation), oft nur fallweise Verstopfung oder häufige Durchfälle, Neigung zu Blähungen, „Blähbauch“ und reichlicher Abgang von Winden. Nach einer deutschen Studie führen Ängste zu einer erhöhten, Depressionen zu einer verminderten Darmmotilität. Die durchschnittliche Passagezeit des Nahrungsbreis im Darm betrug bei Gesunden 42 Stunden, bei Angstpatienten 14 Stunden, bei Depressiven 49 Stunden. Angstpatienten bekommen leicht Durchfall, Depressive leicht Verstopfung.

 

Bei chronischer vagotoner Fehlsteuerung, d.h. bei ständigen Schreck- und Hilflosigkeitsreaktionen, können in Verbindung mit Anlagefaktoren und Risikoverhaltensweisen bestimmte Geschwüre entstehen (z.B. Magengeschwür, Zwölffingerdarmgeschwür). Vererbung (Neigung zu erhöhter Magensäureproduktion) und Risikoverhaltensweisen (Rauchen, Alkohol, Kaffee, falsche Ernährungsgewohnheiten, zu viele Medikamente u.a.) gelangen oft erst durch chronischen Stress zur vollen Auswirkung.

 

Dafür gibt es zwei Voraussetzungen:

Magen und Darm reagieren mit Überanspannung und erhöhter Säureproduktion. Dadurch werden die Schleimhäute geschädigt. Durch die Verkrampfung der Muskulatur ist die Blutversorgung der Schleimhäute gestört. Schlecht oder gar nicht durchblutetes Gewebe wird geschädigt. Es bekommt zuwenig Sauerstoff, und die Abfallprodukte des Stoffwechsels werden nicht abtransportiert. Das durch die geschädigte, vielleicht abgestorbene Schleimhaut nicht mehr geschützte Muskelgewebe entzündet sich durch die Einwirkung der recht aggressiven Magensäure. Es kann zu Blutungen, aber auch zum Magen- oder Darmdurchbruch kommen. Ständiges Unterdrücken der Entspannungsbedürfnisse des Körpers führt im Ausgleich zu überschießender Parasympathikusaktivität, besonders in der Nacht, wo es nichts mehr zu verdauen gibt.

 

 

Ausscheidungsorgane

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Hemmung der Ausscheidungsorgane durch die Anspannung der Schließmuskulatur (keine Darm- und Blasenentleerung). Subjektiv kann sich dies als Harnverhalten äußern.

 

Das parasympathische Nervensystem bewirkt eine Aktivierung der Ausscheidungsorgane (Darm- und Blasenentleerung).

 

Subjektiv äußern sich Schock- oder Schreckreaktionen häufig als Harndrang („Reizblase“), tatsächlicher Harnverlust (Stressinkontinenz), Stuhldrang, Durchfall und allgemeines Gefühl, gleich „in die Hose zu machen“.

 

Darm- und Blasenentleerungen bei Angst und Gefahr sind im Rahmen der Evolution zu verstehen. Durch den Gewichtsverlust wird die Flucht erleichtert.

 

 

Augen

 

Bei Angst, Aufregung und Stress bewirkt das sympathische Nervensystem eine Erweiterung der Pupillen, um mehr Licht durchzulassen und damit die Augen lichtempfindlicher zu machen und das Sehfeld zu vergrößern. Eine vergrößerte Pupille, also größere Blende wie beim Fotoapparat, verringert die Schärfentiefe und erhöht damit die Möglichkeit, unterschiedliche Entfernungen besser voneinander zu unterscheiden. Dadurch können möglicherweise bedrohliche Objekte besser wahrgenommen werden. Subjektiv kann sich dies in Sehstörungen äußern (verschwommenes Sehen, Pünktchen vor den Augen). Das parasympathische Nervensystem bewirkt eine Verengung der Pupillen.

 

Bei Angst, Aufregung und Stress kommt es - gesteuert über das sympathische Nervensystem - zur Abflachung der Augenlinsen. Die infolgedessen geringere Brechkraft/größere Brennweite ermöglicht eine verbesserte Fernsicht (Objekte in 3-10 Meter Entfernung werden besonders gut wahrgenommen). Chronische Verspannung im Bereich der Augen kann die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit fördern.

 

 Subjektiv kann sich Angst, Aufregung und Stress in dem Gefühl äußern, nicht gut zu sehen, soweit es die Nahsicht betrifft (z.B. beim Lesen und Schreiben).

 

Bei Ruhe und Entspannung bewirkt das parasympathische Nervensystem eine Krümmung der Augenlinsen. Die dadurch größere Brechkraft/geringere Brennweite ermöglicht eine verbesserte Nahsicht.

 

Subjektiv kann sich ohnmächtig machende Angst und Stressbelastung in dem Gefühl äußern, nicht gut zu sehen, soweit es die Ferne betrifft (beim Autofahren).

 

Viele Menschen mit Angststörungen klagen über Sehstörungen. Verschiedene Sehstörungen hängen jedoch nicht mit dem aktuellen Zustand der Pupillen und der Augenlinsen zusammen, sondern mit Durchblutungsstörungen bzw. Blutumverteilungen zur arbeitenden Muskulatur bei einer Alarmreaktion:

 

 

 

Schwindel - Oft am meisten gefürchtet und am wenigsten verstanden

 

Westphal wies bereits 1871 bei der Darstellung der Agoraphobie auf den psychologischen Zusammenhang von Angst und Schwindel hin. Freud beschrieb 1895 in seinen „Studien über Hysterie“ anhand des Falles der 18jährigen Katharina sehr eindrucksvoll den Schwindel als eines der zentralen Symptome bei einem Angstanfall.

 

Schwindel ist eines der häufigsten und lästigsten Symptome bei Angst, insbesondere bei Agoraphobie. Menschen mit Agoraphobie ohne ausgeprägte Panikstörung behaupten oft, dass sie ihr Vermeidungsverhalten nur wegen ihres unerklärlichen Schwindels entwickelt hätten. Sie fürchten zumeist ein unangenehmes Schwindelgefühl, verbunden mit der Angst umzufallen, so dass sie ihre Aktivitäten einschränken. Sie leiden in der Regel unter einem ungerichteten Schwindel. Störungen des Gleichgewichtsorgans im Ohr oder neurologische Schwindelzeichen sind nicht vorhanden.

 

38% der Deutschen (32% der Männer und 44% der Frauen) leiden unter geringem, mittlerem oder starkem Schwindel, bei 8% ist der Schwindel krankheitswertig. Schwindel ist keine Krankheit, sondern ein Symptom, das viele Ursachen haben kann. Eine organische Abklärung ist nötig, insbesondere dann, wenn außer dem Schwindel keine Angstsymptomatik erkennbar ist. Eine umfassende Schwindelabklärung besteht in einer ohrenärztlichen, augenärztlichen, internistischen, neurologischen und psychiatrischen Begutachtung. Viele Angstpatienten bleiben nach Ausschluss organischer Ursachen oft ratlos und frustriert zurück, weil sie weder ein plausibles Erklärungsmodell noch Hilfestellungen für den besseren Umgang mit ihren Schwindelzuständen erhalten haben.

 

Der Neurologe Lempert beschreibt in seinem allgemeinverständlichen Ratgeber „Schwindel - was steckt dahinter. Informationen und Ratschläge“ die verschiedenen Arten und Ursachen von Schwindelzuständen. Seine hilfreichen Darstellungen werden für schwindelgeplagte Angstpatienten ausführlich wiedergegeben (bestimmte rein organische Ursachen werden allerdings nicht dargestellt).

 

 

Schwindel als Folge einer Störung des Gleichgewichtssystems

 

Schwindel ist die Folge einer Störung des Gleichgewichtssystems durch Ausfälle oder widersprüchliche Informationen vonseiten des vestibulären, visuellen und sensiblen Systems. Schwindel ist ein Warnhinweis für den Betroffenen, vorsichtig zu sein. Das Gleichgewichtssystem wird durch Informationen aus drei Sinnesorganen gesteuert:

  1. Das Vestibularorgan (Gleichgewichtsorgan, Labyrinth) im Innenohr registriert die Haltung und Bewegung des Kopfes (vestibuläres System).

  2. Die Augen vermitteln ein Abbild der Umwelt (visuelles System).

  3. Zahlreiche sensible Nervenendigungen erhalten Informationen über Haltung und Bewegung der Körperglieder und registrieren den Kontakt zum Boden (sensibles System).

 

Das sensible System empfängt einerseits die Druck- und Berührungsreize von den Fußsohlen und der Körperoberfläche als Rückmeldung über den jeweiligen Kontakt zum Boden und ermöglicht andererseits die Eigenwahrnehmung des Körpers (Spannung der Muskeln und Stellung der Gelenke). Im Gleichgewichtsorgan werden alle aus dem ganzen Körper einlaufenden Informationen zur Haltung und Bewegung verarbeitet.

Enge funktionelle Verknüpfungen der Zentren der Raumorientierung mit dem limbischen System begründen die Zusammenhänge zwischen Schwindel und Angst bzw. Depression.

 

 

 

Drehschwindel als Folge einer Störung im vestibulären System

 

Beim Drehschwindel dreht sich alles wie nach einer Karussellfahrt. Während der Fahrt macht das Drehen Spaß, die fortgesetzten Dreherlebnisse am Boden wirken dagegen recht unangenehm. Die Umgebung scheint sich um einen zu drehen, teilweise nach rechts, teilweise nach links. Solange man sich auf den Beinen halten kann, tritt man unruhig hin und her. Derartige Erfahrungen hängen mit der Funktionsweise des Gleichgewichtssystems im Ohr zusammen.

 

Ein spontaner Drehschwindel stellt immer eine Störung des vestibulären Systems dar, das vom Gleichgewichtsorgan im Innenohr über den Gleichgewichtsnerven bis zum Gleichgewichtszentrum im Stammhirn reicht, wo die Drehreize wahrgenommen und verarbeitet werden. 

 

Das Gleichgewichtsorgan im Labyrinth des Innenohrs (in den drei Bogengängen) ist mit Flüssigkeit gefüllt. Diese Flüssigkeit gerät bei jeder Kopfbewegung in Fluss und erregt dabei bestimmte, in die Flüssigkeit hineinragende Haare, was an das Gleichgewichtszentrum im Stammhirn weitergeleitet wird.

 

Ein harmloser, nichtorganischer Drehschwindel entwickelt sich nicht beim Drehen, sondern beim anschließenden Stehen bleiben, weil sich die Flüssigkeit in den Bogengängen im Innenohr noch weiterdreht, was nicht zur Wahrnehmung des Stehens passt. Wenn die Informationen des Gleichgewichtsorgans nicht mit denen des Auges und der Körperwahrnehmung übereinstimmen, entsteht ein unangenehmer Schwindel.

 

Ein krankhafter Drehschwindel lässt sich durch eine von vier Ursachen erklären:

  1. Ausfall des rechten oder linken Gleichgewichtsorgans oder des Gleichgewichtsnervs (Neuritis vestibularis). Es kommt zu mehrtägigem Drehschwindel, Übelkeit und Fallneigung zur erkrankten Seite.

  2. Menière-Krankheit. Es handelt sich dabei um eine Innenohrerkrankung mit wiederholten, anfallsartig auftretenden und einige Stunden andauernden Drehschwindelattacken, begleitet von Fallneigung, Nystagmus (Augenrucken mit einem Wechsel von langsamen Augenbewegungen in einer Richtung und schnellen Rückstellbewegungen in Gegenrichtung), Hörminderung, rauschenden oder pfeifenden Ohrgeräuschen (Tinnitus), Übelkeit oder Erbrechen sowie Völlegefühl im betroffenen Ohr. Die Menière-Anfälle beruhen auf einer bislang ungeklärten Störung der Flüssigkeitsbalance des Gleichgewichtsorgans im Innenohr, weshalb es auch keine ursächliche, sondern nur eine symptomdämpfende Therapie gibt.

  3. Durchblutungsstörungen im Gleichgewichtszentrum. Eine mangelhafte Durchblutung des Gleichgewichtszentrums im Hirnstamm bewirkt eine einige Minuten anhaltende Drehschwindelattacke, die insbesondere bei älteren Menschen auf eine Arteriosklerose (Verhärtung und Verengung der Blutgefäße) hinweisen kann und als möglicher Vorbote eines Schlaganfalls erkannt und behandelt werden muss.

  4. Migräne. Schwindelzustände sind bei der Hälfte der Migränekranken vorhanden.

 

 

 Lageabhängiger Schwindel

 

Man unterscheidet zwei Formen von lageabhängigem Schwindel:

  1. Gutartiger Lagerungsschwindel. Diese Schwindelform wird ausgelöst durch eine Veränderung der Kopfposition. Sie zeigt sich am häufigsten einige Sekunden nach der Lagerung auf die linke oder rechte Kopfseite, aber auch beim Hinlegen auf den Rücken, beim Bücken, beim Aufrichten aus gebückter Haltung oder aus dem Liegen, oder auch wenn der Kopf in den Nacken gelegt wird. Oft ist der Schwindel mit Übelkeit, Erbrechen oder Schweißausbruch verbunden. Die Ursache liegt in einer Funktionsstörung im Innenohr. Bestimmte Teilchen der Ohrsteine (Otolithen) lösen sich von ihren Sinneszellen ab, entweder spontan oder (in 20% der Fälle) durch eine Schädelverletzung, schwimmen frei in der Innenohrflüssigkeit herum und lagern sich bevorzugt im nahegelegenen hinteren Bogengang des Innenohrs ab. Bei einem Lagewechsel geraten sie in Bewegung, bewirken über eine Strömung der Ohrflüssigkeit eine Reizung der Sinneszellen und lösen damit eine intensive Drehempfindung aus. Die Lösung dieses Problems besteht in einfachen, wiederholten Bewegungsübungen, die anfangs durch die Schwindelprovokation als unangenehm erlebt werden. Man setzt sich aufrecht auf eine Bettkante oder ein Sofa und lässt sich möglichst rasch in die Seitenlage fallen, in der der Schwindel auftritt. Der Kopf soll dabei hinter dem Ohr aufliegen, d.h. das untere Ohr ist gut sichtbar. Diese Position gilt es 30 Sekunden lang auszuhalten. Durch wiederholte Bewegung des Kopfes in der Ebene des hinteren Bogengangs werden die verirrten Ohrsteinchen aus dem Bogengang herausgebracht und zu anderen Winkeln des Gleichgewichtsorgans befördert, wo sie keine unerwünschten Erregungen bewirken können.

  2. Zentraler Lageschwindel. „Lageschwindel“ bedeutet, dass der Schwindel nur bei einer bestimmten Kopfposition auftritt. „Zentral“ bezeichnet den Umstand, dass die Störung nicht im Gleichgewichtsorgan des Innenohrs liegt, sondern im Gehirn (Störung des Gleichgewichtszentrums des Hirnstamms oder im nahegelegenen Kleinhirn). Die Ursachen hierfür können in folgenden Gehirnerkrankungen bestehen: Tumore, Metastasen, Multiple Sklerose, Hirnblutungen, Infarkte und Migräneattacken.

 

 

Schwindel als Folge einer Störung im visuellen System

 

Der Schwindel besteht in einer Irritation des Gleichgewichts, die allein durch Sehreize ausgelöst wird. Der visuelle Schwindel ist erklärbar durch die enge Zusammenarbeit von vestibulärem und visuellem System bei der Steuerung des Gleichgewichts. Neben dem Brillenschwindel (anfänglicher Schwindel bei neuen Augengläsern mit anderer Brechkraft) sind zwei Schwindelarten besonders zu erwähnen:

  1. Höhenschwindel. Höhenschwindel ist durch widersprüchliche Informationen von visuellem und sensiblem System zu erklären, bedingt durch den Ausfall des visuellen Systems für die Gleichgewichtsstabilisierung. Beim Blick aus großen Höhen kann das visuelle System nichts mehr zum Gleichgewicht beitragen. Die Augen erkennen eine Schwankung des eigenen Körpers normalerweise durch eine Verschiebung in bezug auf ein feststehendes Sehziel. Durch die weite Entfernung der Sehziele in großen Höhen können die Körperschwankungen nicht mehr visuell entdeckt werden, weil die Verschiebung des Körpers in bezug auf mögliche Fixierungspunkte in der Tiefe zu gering ist. Zur Erkennung von Körperschwankungen mit dem Ziel der Gleichgewichtsstabilisierung verbleibt daher nur mehr die sensible Eigenwahrnehmung des Körpers. In großen Höhen ist es daher nützlich, möglichst viele Nahziele zu fixieren, eine feste Standfläche zu wählen und sich irgendwo festzuhalten. Der Höhenschwindel wird durch psychische Faktoren verstärkt, nämlich durch die bildhafte Vorstellung, in die Tiefe zu fallen, so dass vermehrt Angstreaktionen auftreten, die physiologische Anspannungszustände bewirken, die die Gleichgewichtsstabilisierung erst recht erschweren.

  2. Schwindel durch Augenbewegungsstörungen (Nystagmus). Diese Schwindelform wird durch ständig ruckende oder pendelnde Bewegungen (Nystagmus) verursacht. Als mögliche Ursachen kommen Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans, des Hirnstamms, des Kleinhirns oder Lähmungen der Augenmuskeln in Betracht. Viele Panikpatienten haben einen sehr sensiblen, nicht organisch bedingten Nystagmus, d.h. ein nicht bewusstes Zittern des Augapfels in Form von rasch aufeinanderfolgenden waagrechten, senkrechten oder kreisenden Bewegungen aus innerer Unruhe. Dadurch entsteht eine größere Abweichung zwischen Augen- und Kopfbewegungen, die zu unstimmigen Informationen über die räumliche Orientierung führen. Das kurzfristige Fixieren eines Punktes wirkt beruhigend. 

 

 

Schwindel als Folge einer Störung im sensiblen System

 

Die Eigenwahrnehmung des Körpers ist ein gerade von Agoraphobiepatienten oft unterschätzter Sinn zur Stabilisierung des Gleichgewichts. Über die sensiblen Nerven und die Rückmarksbahnen wird dem Gehirn andauernd die Spannung der Muskeln und die Stellung der Gelenke gemeldet. Mit Hilfe des sensiblen Systems können wir auch bei geschlossenen Augen die Position der Körperglieder und alle Bewegungen millimetergenau wahrnehmen. Bei einem Ausfall des sensiblen Systems muss das visuelle System verstärkt einspringen.

 

Eine gestörte Körperwahrnehmung wird anfangs oft als Schwindel erlebt, obwohl es sich tatsächlich um eine Gangunsicherheit handelt. Die sensible Wahrnehmung der Haut ist beeinträchtigt, weshalb die Fußsohlen den Boden nicht gut spüren können. Der Untergrund erscheint als weich, nachgebend oder bewegt. Man hat den Eindruck, als ginge man auf Watte oder auf Eiern. Im Dunkeln tritt die Gangunsicherheit wegen des Ausfalls der kompensatorischen Wirkung des visuellen Systems verstärkt auf.

 

Bei einem Schwankschwindel fühlt man sich unsicher auf den Füßen, die Erde scheint zu schwanken, das Körpergewicht wird auf eine Seite gezogen. Man glaubt zu torkeln und möchte sich festhalten oder anlehnen. Derartige Schwindelzustände sind bei Agoraphobiepatienten oft anzutreffen und rein psychogen bedingt.

 

Bei organischen Ursachen ist die gestörte Körperwahrnehmung oft begründet in einer Polyneuropathie (Erkrankung der peripheren Nerven), manchmal in einer Rückenmarksschädigung. Von den über 100 Ursachen einer Polyneuropathie sind die häufigsten die Zuckerkrankheit und der Alkoholmissbrauch.

 

Kontrovers diskutiert wird der zervikale Schwindel, der in einer Erkrankung der Halswirbelsäule besteht. Weiters führen Verspannungen der Muskulatur, Verklemmungen der Gelenke und Erstarrungen des Bewegungsablaufs einerseits zu Blutgefäßverengungen im Schulter-Nacken-Bereich oder im Bereich der Halswirbelsäule und damit zur Sauerstoffunterversorgung des Gehirns, andererseits durch die Fehlstellung des Kopfes im Raum zu irritierenden Informationen für das Gleichgewichtsorgan im Ohr.

 

Die Nackenmuskulatur ist maßgeblich am Gleichgewichtsgefühl beteiligt. Das Ungleichgewicht der Muskelspannung (stärkere Anspannung auf einer Seite des Nackens) erzeugt das Gefühl der Instabilität und des Schwindels.

 

 

Schwindel als Folge einer Störung der Körpermotorik

 

Motorische Gleichgewichtsstörungen äußern sich meist als Gangunsicherheit, manchmal auch als Schwankschwindel. Die Art der Gangstörung wird durch die Art der Erkrankung und den Ort der Schädigung bestimmt. Bei einer Kleinhirnschädigung sind die Schritte breitbeinig, ausfahrend wackelig und verfehlen ihr Ziel. Bei der Parkinson-Krankheit ist der Gang kleinschrittig schlurfend und manchmal mit einer Starthemmung beim Losgehen verbunden. Bei fortgeschrittener Erkrankung fallen die Gleichgewichtsreflexe aus, die unerwartete Bewegungen bewältigen helfen.

 

 

Schwindel bei Reisekrankheit

 

Die Reise- oder Bewegungskrankheit (in Autos, Schiffen, Flugzeugen) äußert sich in folgenden Symptomen: Schwindel, allgemeines Unwohlsein, Müdigkeit, Gähnen, Blässe, kalter Schweiß, vermehrter Speichelfluss, Druckgefühle im Kopf und Oberbauch, Übelkeit, Würgreiz oder Erbrechen. Nach einigen Stunden bzw. nach einigen Tagen (bei Schiffsreisen) bessert sich die Schwindelsymptomatik. Lesen im Bus erzeugt bei vielen Menschen Schwindel.

 

Die Reisekrankheit wird durch ungewohnte bzw. unerwartete Bewegungen sowie durch widersprüchliche Sinnesmeldungen ausgelöst. Während das Gleichgewichtsorgan die Fahrbewegung wahrnimmt, sieht das Auge im Inneren des Fahrzeugs keine Bewegung. Ein Blick aus dem Fenster von Bus, Schiff oder Flugzeug schafft mögliche Fixierungspunkte. Diese sollten nicht zu weit entfernt sein.

 

 

Schwindel bei Herz- und Kreislauferkrankungen

 

Schwindel, Benommenheit, Schwarzwerden vor den Augen (Flimmern), Ohnmachtsneigung und Ohnmacht sind oft die Folgen einer Mangeldurchblutung des Gehirns, zumeist bedingt durch harmlose oder vorübergehende Kreislaufstörungen.

 

Der Kreislaufschwindel als Folge eines Blutdruckabfalls wird von den Betroffenen folgendermaßen beschrieben: Benommenheit, Leichte oder Leere im Kopf, Verlangsamung oder Verwirrung des Denkens, manchmal Entrückung von der Umwelt.

Bei stärkerer Mangeldurchblutung zeigen sich folgende Symptome: unscharfes Sehen, Zusammenziehen oder Verdunkeln des Gesichtsfeldes, Verschlagen oder Rauschen der Ohren, flaues Gefühl im Bauch oder Übelkeit, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Standunsicherheit, im Extremfall kurze Ohnmacht (Synkope) mit spontanem Wiedererwachen.

 

Ein erhöhter Blutdruck kann ebenfalls Schwindel auslösen, typischerweise begleitet von Kopfschmerzen. Die Ursache liegt in einer reflektorischen Verengung der Hirngefäße und einer daraus resultierenden Minderdurchblutung, insbesondere bei einem Blutdruck über 200 mm Hg.

 

Herzrhythmusstörungen können durch die ungleichmäßige Durchblutung des Gehirns in gleicher Weise Schwindelzustände bewirken, insbesondere bei älteren Menschen.

 

 

Schwindel als Folge einer alkoholbedingten Beeinträchtigung

 

Ein Alkoholrausch führt zu vorübergehenden Schwindelzuständen und Gleichgewichtsstörungen. Alkohol bewirkt eine Hemmung der Funktionen des Kleinhirns (Feinabstimmung der Körper- und Augenbewegungen). Dies erklärt Phänomene wie Standunsicherheit, schwankenden Gang, ausfahrende Bewegungen und unkontrollierte Zungenbewegungen von alkoholisierten Personen.

 

Der Alkohol gelangt auch in das Gleichgewichtsorgan und ändert dort die mechanischen Eigenschaften des Bogengangsystems. Die daraus resultierende Erregung der Sinneszellen macht sich (auch ohne Bewegungsreiz) als Drehschwindel bemerkbar.

 

Eine entsprechende Schwindelsymptomatik kann als konditionierte Reaktionsweise auch bei völliger Abstinenz auftreten. Nicht selten geben die Betroffenen an, dass sie wegen einer lästigen Schwindelsymptomatik zu trinken begonnen hätten, wodurch alles im Laufe der Zeit noch schlimmer geworden sei.

 

Die gefäßerweiternde Alkoholwirkung hat einen blutdrucksenkenden Effekt, was die Schwindelzustände verstärkt. Dies wirkt sich besonders bei niedrigem Blutdruck recht negativ aus.

 

Chronischer Alkoholkonsum kann zu schweren und dauerhaften Gleichgewichtsstörungen führen, bedingt einerseits durch eine Polyneuropathie, andererseits durch einen Mangel an Vitamin B12, was ohne Ersatz zu einer Beeinträchtigung der sensiblen Rückenmarksbahnen führt.

 

 

Schwindel als Folge einer medikamentenbedingten Beeinträchtigung

 

Die meisten Medikamente können Schwindel als Nebenwirkung haben. Dies trifft sogar auf Placebos zu, d.h. die Teilnehmer an Medikamentenstudien halten das eingenommene Placebopräparat für die Ursache eines aktuell erlebten Schwindelzustands. Schwindel zählt sogar zu den häufigsten Placebophänomenen.

 

Medikamentös bedingter Schwindel beruht meistens auf einer Überdosierung oder zu raschen Dosissteigerung, die dem Körper zuwenig Zeit für eine Anpassung lässt, kann aber auch bei richtiger Dosis auftreten.

 

Es gibt folgende potentiell schwindelerzeugende Medikamentengruppen:

Wenn eine Durchuntersuchung keinen Hinweis auf eine organisch bedingte Schwindelsymptomatik ergibt und auch ein psychogener Schwindel unwahrscheinlich erscheint, sollte auf den Beipackzetteln eventuell eingenommener Medikamente nachgelesen werden, ob die beklagte Schwindelsymptomatik eine Medikamentennebenwirkung darstellen könnte. 

 

Schwindeldämpfende Medikamente sollten nur kurzfristig (z.B. bei Reisen) eingenommen werden, keinesfalls länger als zwei Tage, da sie den Erholungsprozess im Gleichgewichtssystem hemmen. Bei Lageschwindel und chronischen Schwindelformen sind derartige Medikamente nicht angezeigt. Bei Dauerbehandlung können schwindeldämpfende Medikamente selbst wiederum Schwindel hervorrufen.

 

 

Psychogener Schwindel

 

Der Angstschwindel ist ein eher diffuser Schwindel, häufig erlebt als Benommenheit, Unsicherheit auf den Beinen, mangelnde Standfestigkeit, Schweben wie auf Wolken, wie wenn man den Kontakt zum Boden verloren hätte, oft verbunden mit Unruhe, manchmal auch mit Übelkeit. Haltungsveränderungen beeinflussen diese Schwindelform kaum. Bei normalem Gang fühlt man sich wie betrunken schwankend.

 

Menschen mit Panikattacken beschreiben verschiedenartige Schwindelzustände: Benommenheit, Leere im Kopf, schwankende Bewegung des Bodens, der Umwelt oder des eigenen Körpers, Unsicherheit beim Gehen oder Stehen, Gefühl des drohenden Sturzes oder einer bevorstehenden Ohnmacht.

 

Eine Begleitperson, Sitzen oder Liegen bewirkt oft eine Besserung der Schwindelsymptomatik, Kopfbewegungen können dagegen die Schwindelzustände verstärken.

 

Viele Agoraphobiker klagen über Schwindel, Ohnmachtsangst und Übelkeit, wurden im Laufe des Lebens jedoch kaum ohnmächtig (dies war nur bei 1% der Agoraphobiker der Fall).

 

Bei Menschen mit Angststörungen, die über Schwindelzustände klagen, obwohl keine neurologischen oder vestibulären Ursachen festgestellt werden können, lassen sich zwei relativ gut abgrenzbare Syndrome unterscheiden:

  1. Phobischer Attacken-Schwankschwindel mit und ohne Paniksymptome.

  2. Psychogene Stand- und Gangstörung. Schreckreaktionen führen zu „weichen Knien“ als Folge der Dominanz des parasympathischen Nervensystems. Ohne subjektiven Schwindel im Kopf fühlen sich die Betroffenen “schwindlig auf den Füßen“. Sie beschreiben ein Schwanken beim Stehen und Gehen und bewegen sich langsam und zögerlich (wie auf Eis). Ständige Angst führt zu chronischer (sympathisch bedingter) Muskelverspannung mit Gleichgewichtsstörungen.

 

Bei vielen Menschen mit Agoraphobie steht der phobische Attacken-Schwankschwindel mit situativ verstärkter Stand- und Gangunsicherheit ohne subjektiv erlebte Angstsymptomatik im Mittelpunkt des Erlebens. Agoraphobie und phobischer Attacken-Schwankschwindel weisen folgende Zusammenhänge auf:

 

„Welche zentrale Rolle die Angst beim psychogenen Schwindel einnimmt, zeigt sich nicht zuletzt an der häufigsten umschriebenen klinischen Erscheinungsform des psychogenen Schwindels, dem phobischen Attackenschwindel. Diesen erleiden Patienten in bestimmten sozialen Situationen (Kaufhäuser, Restaurants, Konzerte, Besprechungen, Empfänge) oder angesichts typischer auslösender Sinnesreize (Brücken, leere Räume, Treppen, Straßen, Autofahren). Der Schwindel entspricht von seiner Erlebnisqualität her dem Höhenschwindel und ist durch die Kombination eines Benommenheitsgefühls mit subjektiver Stand- und Gangunsicherheit sowie einer Crescendo-Vernichtungsangst charakterisiert. Im Unterschied zur Agoraphobie oder unspezifischen Panikattacken klagen die Patienten mit phobischem Attackenschwindel nicht in erster Linie über die ‘Angst’, sondern über den ‘Schwindel’, der allenfalls die schreckliche Angst ausgelöst habe. Sie fühlen sich organisch krank. Zum Schwindel führende Sinnesreize und Situationen können rasch konditioniert werden und sich generalisieren. Es bildet sich ein entsprechendes Vermeidungsverhalten aus.“

 

In der Münchner Spezialambulanz für Schwindel war unter 768 Patienten nach dem benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (20,6%) der phobische Schwankschwindel (16,8%) als zweithäufigste Schwindelart anzutreffen.

 

Ein phobischer Schwankschwindel ist durch sechs Kriterien charakterisierbar:

 

Die illusionäre Wahrnehmungsstörung des Schwankschwindels und der Standunsicherheit der Betroffenen wird dadurch zu erklären versucht, dass viele Schwindelpatienten mit ängstlicher Selbstbeobachtung in übersensibler Weise sensomotorische Regelvorgänge registrieren, die normalerweise unbewusst ablaufen, so dass die beim freien aufrechten Stand entstehenden feinen Körperschwankungen oder unwillkürlichen Kopfbewegungen als beängstigende Beschleunigungen wahrgenommen werden.

 

Bei Menschen mit Schwindel zeigen sich auffällig oft Angst, Verunsicherung oder Depression. Aktuelle Konflikte und psychosoziale Stressfaktoren (partnerschaftliche oder berufliche Konflikte, Trennungen, Verluste, existentielle Erschütterungen) bzw. krisenhafte Zuspitzungen bereits seit langem bestehender Probleme lösen dann in bestimmten Situationen recht unangenehme Schwindelattacken aus, die sich die Patienten anfangs überhaupt nicht erklären können, so dass sie wegen des gefürchteten Schwindels eine Vermeidungshaltung im Sinne einer Agoraphobie entwickeln, d.h. ihren Aktionsradius einengen. Das Hauptproblem sind jedoch nicht die vielen situativen Bedrohungsmöglichkeiten, sondern die aktuellen Lebensumstände, die den Betroffenen oft buchstäblich „den Boden unter den Füßen“ weggezogen haben. Angesichts einer bestimmten Lebenssituation kann einem richtig „schwindlig“ werden.

 

In der Stand- und Gangunsicherheit drücken sich symbolisch oft zentrale Lebensfragen aus: Wie sehr kann man bzw. möchte man auf „eigenen Füßen“ stehen? Was passiert, wenn man im Leben loslässt und fällt? Wer oder was fängt einen auf?

 

Verhaltenstherapeuten, die diesen Hintergrund im Rahmen einer geplanten Konfrontationstherapie bei einer Agoraphobie, die primär durch Schwindelzustände und Fallängste bedingt ist, nicht berücksichtigen, gehen oft am Kern des Problems vorbei.

 

Eine symptombezogene Behandlung zu Therapiebeginn ist dann sinnvoll,

 

Bei Depressionen äußert sich Schwindel häufig als Leere oder Nebel im Kopf, als eine Art Schleier über Wahrnehmung und Denken, als Benommenheit oder Unsicherheit beim Gehen. Bei einer somatisierten Depression kann Schwindel ein ständig beklagtes Hauptsymptom sein. Schwindel tritt auch im Rahmen einer Neurasthenie auf, d.h. bei einer „nervösen Erschöpfung“.

 

Schwindel kann durch eine Hyperventilation im Rahmen einer angst- oder wutbedingten Erregung ausgelöst werden. Es kommt zu einer Verschiebung des Sauerstoff-Kohlendioxidverhältnisses im Blut, in weiterer Folge zu Gefäßverengungen und mangelhafter Blut- und Sauerstoffversorgung im Gehirn, was als Schwindel erlebt wird.

 

Bei älteren Menschen mit Erfahrungen von Stürzen oder längerer Bettruhe äußert sich Schwindel - abgesehen vom typischen Altersschwindel, der Ausdruck einer Mehrfachschädigung ist - häufig als Gangunsicherheit, bewirkt durch die erhöhte Selbstbeobachtung und die ängstliche Erwartung zu fallen, oft auch als Folge einer schlechten körperlichen Konstitution oder einer langzeitigen Tranquilizereinnahme.

 

 

Körperliche Schonung bei Angst - Ein sicherer Weg zur Angstverstärkung

 

Körperliche Schonung führt zu mangelnder Fitness. Alltägliche Belastungssituationen lösen dann übermäßige körperliche Reaktionen aus (Herzrasen, Atemnot, Schwitzen, Muskelkater usw.). Wenn Menschen mit ohnehin niedrigem Blutdruck in Belastungs- und Angstsituationen (z.B. bei einer Agoraphobie) einen weiteren Blutdruckabfall erleben und sich deshalb zur Schonung hinlegen, sind sie derartigen Kreislaufreaktionen zukünftig noch stärker ausgeliefert.

 

Wissenschafter der NASA, der amerikanischen Weltraumbehörde, haben nachgewiesen, dass bei Gesunden allein eine Bettruhe von 7 Tagen das Koordinationssystem des Gleichgewichts und damit die körperlichen Erholungsmöglichkeiten beeinträchtigt.

Vaitl und Hamm studierten den Effekt der kardiovaskulären Dekonditionierung, der in den bisherigen Erklärungskonzepten von Angststörungen noch zuwenig Beachtung gefunden hat. Die vielbeklagten Herz-Kreislauf-Beschwerden von Angstpatienten könnten hierin ihre Ursache haben.

 

Dieser Effekt kann unter folgenden Umständen auftreten:

Alle genannten Bedingungen führen zu einer Verschiebung der Körperflüssigkeiten in den Brustbereich und infolgedessen zu einer Zunahme des zentralen Blutvolumens.

 

Das Kreislaufsystem des Menschen ist hauptsächlich dem aufrechten Gang und den Bedingungen der Schwerkraft der Erde angepasst, weshalb starke Verschiebungen der Körperflüssigkeiten heftige körperliche Gegenmaßnahmen hervorrufen, die das Ziel haben, das Flüssigkeitsvolumen des Körpers wieder zu reduzieren (z.B. verstärktes Harnlassen und andere Flüssigkeitsverluste bei Bettlegrigkeit).

 

Diese Effekte entstehen regelmäßig nach längerem Aufenthalt in der Schwerelosigkeit im Weltraum. Sie lassen sich auf der Erde dadurch provozieren und simulieren, dass die Versuchspersonen über längere Zeit eine Körperposition einnehmen, bei der ihr Kopf 6° unter die Horizontale abgesenkt ist. Die Flüssigkeitsverteilung im Körper entspricht bei dieser Lagerung annähernd derjenigen, die unter Schwerelosigkeitsbedingungen vorherrscht.

 

Diese Simulationsmethode wird außerhalb der Raumfahrt dazu verwendet, um die nachteiligen Effekte verlängerter Bettruhe auf die Herz-Kreislauf-Funktion zu untersuchen. Der einzige Unterschied zwischen der Bettruhe in horizontaler Position und dem Liegen mit einer Kopfhaltung 6° unter der Horizontalen ist der, dass diese Effekte bei der abgesenkten Kopfposition rascher eintreten und damit der Untersuchungszeitraum verkürzt wird. Kreislaufstabile Versuchspersonen zeigten bereits nach einem Tag eine erhebliche kardiovaskuläre Dekonditionierung (bestimmt mit Hilfe des Orthostoasetests und der Fahrrad-Ergometrie), wenn sie sich in dieser Zeit in einer 6°-Kopf-nach-unten-Position befanden. Innerhalb eines Tages wurde der Kreislauf gesunder Probanden derart intolerant gegenüber dem „Stress“ der aufrechten Position, dass 4 von 10 Versuchspersonen während der Orthostoasetests einen Ohnmachtsanfall erlitten.

 

Durch die Untersuchung von Agoraphobikern im Vergleich zu anderen Personen konnte die Hypothese bestätigt werden, dass die bei Agoraphobikern zu beobachtende kardiovaskuläre Dekonditionierung darauf zurückzuführen ist, dass sich diese aufgrund übertriebenen Schonverhaltens zu lange in der horizontalen Position aufhalten.

 

Infolge des Schonverhaltens vermeiden Angstpatienten nicht nur körperliche Anstrengungen und Belastungen, sondern legen sich schon bei den geringsten Anzeichen von Unwohlsein oder bei noch unklaren Beschwerden hin und verbleiben möglichst lange Zeit in dieser Position. Bei längerem Stehen tritt dann vermehrt Herzrasen auf.

 

Beim Übergang vom Liegen in die aufrechte Position kommt es bei vielen Agoraphobiepatienten zu körperlichem Unwohlsein, das durch eine Orthostase-Labilität oder durch starke Blutdruckschwankungen bedingt sein kann. Die körperlichen Missempfindungen führen zu weiterer Schonung, indem sich die Betroffenen neuerlich in die Horizontale begeben und sich weiter schonen.

 

Die Befürchtung, an einer undefinierten Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems zu leiden, verstärkt die Symptomatik, sobald die Betroffenen erkennen, dass Maßnahmen wie Hinlegen und Schonen nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Diese Befunde bestätigen eine amerikanische Untersuchung, wonach bei Panikpatienten verstärkt Tachykardien unter Orthostase-Belastung auftraten.

 

Aus dem Umstand, dass bei Angstpatienten nach dem Aufstehen oft Anzeichen von Kreislaufschwäche auftreten (z.B. Herzrasen und Herzklopfen, Schwindelattacken, Muskelzittern, Übelkeit und Schweißausbrüche), ergibt sich die Schlussfolgerung, schrittweise die körperliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen zu steigern, um eine Konfrontationstherapie nicht durch mangelnde Kondition zum Scheitern zu bringen.

 

Viele Angstpatienten klagen nicht nur über Kreislaufprobleme, sondern auch über eine Schwäche in den Beinen, verbunden mit der Angst umzufallen. Die mangelnde Bewegung im Rahmen der ständigen Schonhaltung führt rasch zu einem Muskelschwund (Atrophie) der Beine. Schon der altgriechische Arzt Hippokrates formulierte ein Gesetz des Lebens: „Was gebraucht wird, wächst; was nicht gebraucht wird, geht zugrunde.“ Unbenutzte Beinmuskeln bilden sich bereits innerhalb einiger Wochen zurück, was Sportler ohne Training, Verunfallte nach einem sechswöchigen Gipsverband, ältere Menschen nach einer mehrmonatigen Liegephase und Astronauten ohne körperliches Trainingsprogramm im Weltraum bald zu spüren bekommen.

 

Ein geeignetes Konditionstraining stärkt die Muskulatur (insbesondere auch die Waden- und Oberschenkelmuskulatur), verbessert die Knochenfestigkeit (größere Knochendichte als Schutz vor Brüchen), vermehrt die Blutgefäße im Gehirn und fördert dadurch die geistige Fitness, senkt den Blutdruck und die Herzfrequenz, verbessert die Sauerstoffversorgung des Körpers und beseitigt das chronische Müdigkeitssyndrom vieler Angstpatienten. Ständige Müdigkeit wird nicht durch Schonung, Ausrasten und Energiesparen überwunden, sondern durch häufigeres Ermüden als Folge vermehrten Energieverbrauchs durch Sport und körperliche Betätigung.

 

Selbst in der Rehabilitation von Patienten nach einem Herzinfarkt gehört körperliche Aktivität so früh als möglich zum Standardtherapieprogramm. Die Erkenntnisse der Sportmedizin werden zunehmend auf die Behandlung von Herzinfarktpatienten übertragen. Strenge Bettruhe, wie sie früher verordnet wurde, schwächt den Patienten zusätzlich, besonders, wenn er älter ist. Das Konditionstraining nach einem Herzinfarkt sollte mit etwa 60-70% der maximalen Leistungsfähigkeit erfolgen.

 

Das beste Trainingsprogramm für die Gesamtfitness besteht aus einer Kombination von Ausdauersportarten und muskelkräftigenden Elementen. Nach dem Kriterium des Sauerstoffverbrauchs können vier Trainingsmethoden unterschieden werden:

Der Effekt der Leistungssteigerung durch Sport lässt sich durch eine Laktatuntersuchung messen. Aus dem Ohrläppchen werden ein paar Tropfen Kapillarblut gewonnen, und der Laktatspiegel (Milchsäure) wird im Labor bestimmt. Dieser Wert gibt verlässlich Auskunft über die Leistungsfähigkeit.

 

Sport verbessert die oft depressive Stimmung vieler Angstpatienten, weil dabei die Ausschüttung von Endorphinen, d.h. körpereigenen Opiaten, bewirkt wird (was bislang trotz häufiger Behauptungen allerdings nicht ausreichend klar erwiesen ist), steigert den oft niedrigen Blutdruck und verbessert die Gehirndurchblutung.

 

Bei Ängsten und Depressionen werden durch Sport Muskelspannungen abgebaut und intensivere Atemzüge bewirkt. Von Menschen mit belastenden Erlebnissen litten jene weniger häufig unter verschiedenen Krankheiten, die regelmäßig Sport betrieben.

 

Ein Forscherteam aus Göttingen hat in den letzten Jahren den Stellenwert von Sport in der Behandlung psychischer Erkrankungen untersucht und den aktuellen Forschungsstand zusammenfassend dargestellt. Im folgenden werden diese bedeutsamen Erkenntnisse ausführlich referiert.

 

Zahlreiche Studien an Gesunden haben den positiven Einfluss eines Ausdauertrainings auf Faktoren wie Ängstlichkeit, Depressivität, Selbstbewusstsein, Konzentrationsfähigkeit und Stressbewältigung nachgewiesen. Sport senkt die Eigenschaftsangst (trait anxiety) und beeinflusst in positiver Weise physiologische Faktoren, die als Ausdruck von Angst und Spannung angesehen werden. Aerobes Training hat auch günstige Auswirkungen auf die Schlafqualität (erhöhter Tiefschlafanteil, größere REM-Latenz).

 

Bei Sportlern mit einer Trainingspause weist das „akute Entlastungssyndrom“, d.h. eine „Sport-Entzugssymptomatik“, auf die Bedeutung neurobiologischer Adaptationsprozesse hin. Eine akute Sportpause führt nach 1-2 Wochen bei durchtrainierten Sportlern zu Symptomen wie Herzstichen, Schwindel, Verdauungsstörungen, Unruhezuständen, Schlafstörungen und depressiver Verstimmung. Bei Wiederaufnahme der sportlichen Betätigung verschwinden alle Symptome innerhalb kurzer Zeit. Die neurobiologischen Ursachen dieses Phänomens sind derzeit noch unbekannt, man schreibt jedoch dem serotonergen Neuronensystem eine bedeutsame Rolle zu.

 

Die erste größere praktische und wissenschaftliche Bedeutung im psychiatrischen Kontext erlangte die Sporttherapie Ende der 70er Jahre in den USA, wo depressive Patienten mit Erfolg an einem Ausdauertrainingsprogramm teilnahmen.

 

Verschiedene Studien an psychisch Kranken belegen mittlerweile eindeutig, dass Sport bei Depressionen und Angststörungen heilsam wirkt (zu anderen psychischen Störungen liegen noch zuwenig Studien vor). Die Göttinger Arbeitsgruppe legte 1997 die erste vollrandomisierte, placebokontrollierte Studie zur therapeutischen Wirksamkeit von Ausdauertraining bei Patienten mit Panikstörung und/oder Agoraphobie vor. Im Rahmen der 10 Wochen dauernden Studie wurden die Therapieeffekte bei 49 Panikpatienten untersucht, die drei verschiedenen Behandlungsbedingungen zugeordnet wurden: Ausdauertraining (3-4 mal 30-60 Minuten Laufen pro Woche), Clomipramin (112,5 mg pro Tag) und Placebo. Clomipramin und Ausdauertraining führten im Vergleich zur Placebogruppe zu einer deutlichen Besserung der Angstsymptomatik, gleichzeitig sank auch das Ausmaß der Depressivität. Die gemessene Steigerung der körperlichen Fitness bestätigt die Wirksamkeit des Ausdauertrainingsprogramms. Diese Studie weist darauf hin, dass bei Panikpatienten bereits ein Ausdauertraining ohne spezifische Begleittherapie zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik führt.

 

Das Ausdauertraining beeinflusst das autonome Nervensystem und zentrale Neurotransmittersysteme. Das Göttinger Forscherteam befasst sich mit verschiedenen möglichen Wirkmechanismen. Vor allem wird die Frage geprüft, ob ein Ausdauertraining die Reaktionsbereitschaft zentraler serotonerger Neurone verändert und dies wiederum das psychische Befinden von Gesunden und Angstpatienten beeinflusst.

 

Nach der Endorphinhypothese führt ein Ausdauertraining akut zu einem Anstieg von Beta-Endorphinen im Plasma, Trainingswiederholungen bewirken eine potenzierte Ausschüttung von Beta-Endorphinen. Die häufige Annahme, dass der Anstieg an Endorphinen zu einer Stimmungsverbesserung führt, ließ sich bislang durch Korrelationsstudien nicht empirisch bestätigen. Psychische Zustandsverbesserungen scheinen daher beim gegenwärtigen Wissensstand nicht durch die Ausschüttung von Endorphinen aus der Adenohypophyse erklärbar zu sein, vor allem auch deshalb nicht, weil das Protein Beta-Endorphin die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreiten kann.

 

Nach der Serotoninhypothese führt eine intensive motorische Aktivität zu einem erhöhten Umsatz von Serotonin. Möglicherweise kommt es dadurch nach einiger Zeit zu einer adaptiven Rezeptor-Downregulation in einer Weise, wie dies dem postulierten Wirkmechanismus von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern entspricht.

 

Ausdauertraining aktiviert auch das Noradrenalin- und Dopaminsystem. Bei Depressiven wurde nach einem körperlichen Training eine erhöhte Zahl von Noradrenalin- und Serotoninmetaboliten im Liquor cerebrospinalis gefunden.

 

Nach zahlreichen Untersuchungen weisen Angstpatienten eine reduzierte Belastbarkeit des Herz-Kreislauf-Systems und der Atmung auf:

Die verminderte kardiopulmonale Leistungsfähigkeit stellt nach Auffassung des Göttinger Forscherteams eine pathogenetisch wirkende Komponente innerhalb eines multifaktoriellen Modells zur Genese der Panikstörung dar. Stress in Verbindung mit Bewegungsmangel und einer entsprechenden biologischen Disposition führt zu einem erhöhten Sympathikotonus und infolgedessen zu einer vegetativen Übererregbarkeit.

 

Die Wahrnehmung von Kreislaufsymptomen (diffuser Schwindel, Ohnmachtsgefühl, Herzrasen) und deren Bewertung als gefährlich führt zu Herzangst, Hyperventilation und Panikattacken. In weiterer Folge kommt es zu ausgeprägtem Vermeidungsverhalten, psychosozialem Rückzug und vollständigem Verzicht auf sportliche Betätigung, auch wenn diese früher oft einen wichtigen Teil des Lebens darstellte. Der Mangel an Bewegung und körperlicher Fitness verstärkt den Teufelskreis der Angst.

 

Bei Ausdauertrainierten wurden im Vergleich zu anderen Personen folgende positive Effekte hinsichtlich der körperlichen Fitness festgestellt:

Ein Teil der Angstpatienten weist eine erhöhte Laktatsensitivität auf, wie bei experimentellen Panikstudien festgestellt wurde. Bei Laktatinfusionen wird oft geklagt über Parästhesien (Körpermissempfindungen), Zittern, Schwindel, starkes Herzklopfen, Kälte, Nervosität und Atemnot. Dieser Umstand könnte auch für das Vermeidungsverhalten verschiedener Panikpatienten gegenüber sportlicher Betätigung bedeutsam sein.

 

Ein Ausdauertraining reduziert bei Angstpatienten die vegetative Erregbarkeit, führt zu einer gesunden Abhärtung des Körpers, stellt eine aktive Bewältigungsstrategie angesichts von unvermeidlichen Härten des Lebens dar und verbessert das allgemeine körperliche Befinden und Selbstbewusstsein.

 

Körperliche Betätigung führt zu einer sofortigen Unterbrechung des ängstlichen und/oder depressiven Grübelns, weil durch die Konzentration auf die Umwelt, in der die Ausdauersportart ausgeführt wird, eine sofortige Aufmerksamkeitsumlenkung erfolgt, z.B. Konzentration auf die Natur beim Laufen oder Radfahren, Kontakt mit anderen Menschen im Schwimmbad oder während des Schiurlaubs.

 

Ein Ausdauertraining stellt für viele Agoraphobiepatienten mit und ohne Panikstörung bereits eine Art Konfrontationstherapie dar, so dass sportliche Betätigung in ein verhaltenstherapeutisch orientiertes Angstbehandlungsprogramm leicht und gut integrierbar ist. Gleichzeitig führt vermehrte körperliche Aktivität zu der oft gewünschten körperlichen Entspannung, ohne dass zu diesem Zweck Medikamente (vor allem zum Schlafen) eingenommen werden müssen, wie dies ansonsten häufig der Fall ist.

 

Die alleinige Anwendung eines Ausdauertrainings ohne weitere Behandlungskomponenten kann nach neuesten Befunden bei bestimmten Panikpatienten mit und ohne Agoraphobie bereits eine ausreichende Besserung bewirken.

 

Die Erfahrungen des Göttinger Forscherteams zeigen jedoch auch, dass Angstpatienten eine entsprechende Information, Motivation und Handlungsanleitung benötigen, um in dieser Weise aktiv zu werden. Die gutgemeinten Ratschläge, sich etwas mehr zu bewegen und in die frische Luft zu gehen, weil dies gesund sei, bleiben in der Regel so lange wirkungslos, als sie nicht in ein konkretes Erklärungsmodell zur Wirksamkeit bei Angststörungen eingebettet werden.