Spezifische Phobien
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Dr. Hans Morschitzky
Klinischer Psychologe, Psychotherapeut
Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie
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Singuläre Phobien
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Morschitzky, H. (2019). Wenn Furcht zur Phobie wird: Ein Selbsthilfeprogramm - Spezifische Phobien verstehen und bewältigen. Ostfildern: Patmos Verlag. Erscheinungsdatum: Frühjahr 2019. Dieses Buch informiert über alle wichtigen Spezifischen Phobien und vermittelt zahlreiche Selbsthilfestrategien, jeweils in Form von 10 Schritten. Das Manuskript ist bereits fertig und wird vom Verlag gerade lektoriert.
Krankhafte Furcht von bestimmten Objekten und Situationen
Symptomatik der spezifischen Phobie
Eine spezifische Phobie ist eine ausgeprägte, anhaltende und unangemessene oder unbegründete Angst, die durch das Vorhandensein oder die Erwartung von klar erkennbaren, eng umschriebenen Objekten oder Situationen ausgelöst wird. Die Konfrontation mit dem phobischen Reiz bewirkt eine Angstreaktion, die bis zu einer situationsgebundenen oder situationsbegünstigten Panikattacke ansteigen kann.
Das Ausmaß der Angst hängt mit der Nähe zum phobischen Objekt zusammen (die Angst wird größer, wenn z.B. ein gefürchteter Hund näher herankommt), ist aber dennoch nicht immer in vorhersagbarer Weise damit verbunden (z.B. kann sich eine Hundephobie oder eine Brückenphobie zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Reaktionen äußern).
Die Betroffenen erkennen, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist, können sich dadurch aber nicht beruhigen. Die phobischen Objekte und Situationen werden gemieden oder können nur unter starker Angst oder großem Unbehagen ertragen werden.
Bei spezifischen Phobien handelt es sich um monosymptomatische Phobien, im Gegensatz zu den „multiplen Situationsphobien“ bei der Agoraphobie. Manche Betroffene weisen mehr als eine spezifische Phobie auf. Einige Phobien, die bei einer Agoraphobie auftreten, kommen auch als eigenständige situationale Phobien vor (z.B. Lift- oder Flugphobie), besser bekannt unter dem Namen Klaustrophobie.
Bestimmte spezifische Phobien (z.B. Angst vor Ansteckung oder spitzen Messern) sind eher zwanghafte Befürchtungen bzw. Impulse und stehen den Zwangsstörungen nahe, weil den phobischen Auslösern durch zwanghafte Kontrollen begegnet wird.
Häufige phobische Objekte und Situationen sind Tiere, Vögel, Insekten, Höhen, Donner, Fliegen, kleine geschlossene Räume, Anblick von Blut oder Verletzungen, Injektionen, Zahnarzt- und Krankenhausbesuche.
Angstsymptome müssen in den gefürchteten Situationen mindestens einmal seit Auftreten der Störung wie in Kriterium B. von F40.0 (Agoraphobie) aufgetreten sein.
Es besteht eine deutliche emotionale Belastung durch die Symptome oder das Vermeidungsverhalten sowie die Einsicht, daß diese übertrieben und unvernünftig sind.
Die Symptome sind auf die gefürchtete Situation oder Gedanken an diese beschränkt.
Wenn gewünscht, können die spezifischen Phobien wie folgt unterteilt werden:
- Tier-Typ (z.B. Insekten, Hunde)
- Naturgewalten-Typ (z.B. Sturm, Wasser)
- Blut-Injektion-Verletzungstyp
- situativer Typ (z.B. Fahrstuhl, Tunnel) - bekannt als Klautrophobie
- anderer Typ (z.B. Angst zu erbrechen)
Die folgende Darstellung versucht ohne Systematik einen Eindruck von der Vielfalt spezifischer Phobien zu vermitteln, differenziert nach verschiedenen Auslösern:
Dunkelheit. Die Dunkelangst ist eine im Rahmen der Evolution verständliche Angst vor Bedrohung durch unbekannte Gefahrenquellen, die oft auch durch das Einschalten von elektrischem Licht nicht gemildert wird.
Lärm und Geräusche (insbesondere überraschende und unidentifizierbare Reize).
Naturereignisse (Gewitter, Donner, Blitz, Unwetter, Feuer).
Tiefe Wasser. Es bestehen Ängste vor dem Bootfahren wegen des Ertrinkens.
Geschlossene Räume bzw. Enge (Aufzug, Tunnel, Unterführung, Bergwerk, fenster-loser Raum). Klaustrophobien treten lebenszeitlich bei 7-8% der Bevölkerung auf.
Höhen. Typisch sind Ängste vor Brücken (Angst hinunterzufallen), Berggipfeln oder hohen Gebäuden, die durch fehlende Schwindelfreiheit verstärkt werden.
Fliegen. Flugphobien (Aviophobien) finden sich bei rund 30% der Bevölkerung, jeder zweite verspürt zumindest ein deutliches Unbehagen beim Fliegen. Flugangst-Patienten fürchten weniger das Abstürzen als die agoraphobische Eingeengtheit.
Wasserlassen und Stuhlgang auf öffentlichen Toiletten.
Bestimmte Tiere. Hunde, Katzen, Pferde, Vögeln, Schlangen, Mäuse, Insekten (z.B. Bienen), Spinnen und Schnecken sind die am ehesten phobisch besetzten Tiere. Eine Spinnenphobie findet sich bei 35% der Menschen. Viele Tierphobien entwickeln sich in der Kindheit aus falscher Einschätzung der Gefahr oder sind biologisch vorgeformt (Ängste vor sich am Boden bewegenden Tieren wie z.B. Schlangen).
Prüfungssituationen. Prüfungsangst (Misserfolgsangst) wirkt leistungsmindernd.
Schule. Psychoanalytiker unterscheiden zwischen Schulphobien (Schulverweigerung wegen eines Trennungskonflikts von der Mutter) und Schulangst (Schul-unlust aus Angst vor der Schule und den Lehrern). Derartige Ängste sind primär Ausdruck einer sozialen Phobie im Kindesalter.
Erröten. Die Angst vor dem Erröten (Erythrophobie) beeinträchtigt das Wohlbefinden in sozialen Situationen. Sofern keine soziale Phobie gegeben ist, ist das Erröten Ausdruck einer schreckbedingten Gefäßweitstellung (andere dagegen erblassen).
Verletzung und Blut (Blutphobie).
Schmutz und Bakterien. Häufig kommt es in der Folge davon zu Zwangshandlungen (Waschen und Reinigen), wenn die Verunreinigung unvermeidlich erscheint.
Medizinische Institutionen. Krankenhäuser und Arztbesuche (insbesondere beim Zahnarzt oder Frauenarzt) sind angstbesetzt.
Medizinische Geräte und Behandlungsmethoden. Nadeln, Spritzen, Infusionen, Operationen und bestimmte Untersuchungsmethoden (Gastroskopie, Lumbalpunktion) werden so gefürchtet, dass Behandlungen nur erschwert möglich sind.
Nach dem ICD-10 müssen bei einer phobischen Störung das phobische Objekt oder die phobische Situation außerhalb der betreffenden Person liegen, weshalb körperbezogene Ängste als hypochondrische Störung klassifiziert werden, außer sie beziehen sich auf eine spezielle Situation, in der eine Krankheit erworben werden könnte.
Typische Beispiele für körperbezogene Ängste sind:
Angst vor Harndrang (bei Reizblasensymptomatik) oder Durchfall (Sphinkter-Phobie). Diese Ängste engen häufig die Bewegungsfreiheit ein. Sie können Ausdruck einer bereits vorhandenen Agoraphobie sein und dazu dienen, die Bewegungseinschränkung zu rechtfertigen.
Angst vor bestimmten Krankheiten: Krebs, Herzinfarkt, AIDS, Geschlechtskrankheit, Strahlenkrankheit, Schizophrenie. Herzbezogene Ängste mit Angstanfällen (Herzphobie) zählen zu den Panikstörungen.
Blut- und Injektionsphobien, die bei 3-4% der Bevölkerung vorkommen, können dazu führen, dass notwendige Operationen oder kleinere ärztliche Eingriffe nicht erfolgen, Frauen aus Angst vor der Geburt nicht schwanger werden möchten trotz Kinderwunsch, Besuche bei Verwandten im Krankenhaus vermieden werden.
Während bei den meisten Phobien die Herzfrequenz beim Anblick des gefürchteten Objekts ansteigt, kommt es beim Anblick von Blut, Verletzungen oder irgendetwas Grauenhaftem nach einer kurzen Pulsbeschleunigung zu einem parasympathisch (vagovasal) gesteuerten Absinken des Herzschlags um 30-40 Schläge pro Minute, bis hin zu Ohnmachtsneigung und tatsächlicher Ohnmacht [69]. Bei Verletzungen wird dadurch der Blutverlust vermindert.
Der vagovasale Reflex dürfte auf dem Hintergrund der Evolutionsgeschichte auch in Zusammenhang mit dem Totstellreflex stehen, wie er aus der Tierwelt her bekannt ist.
Agoraphobiker berichten häufig über Übelkeit ohne subjektives Angsterleben. Die aufsteigende Übelkeit hängt mit der parasympathischen Reaktionsweise zusammen
Bei Blutphobien besteht oft eine familiäre Tradition (vererbte und/oder erlernte Reaktionsweise). 70% aller Blut- und 56% aller Injektionsphobiker wurden im Laufe ihres Lebens beim Anblick von Blut oder bei invasiven medizinischen Maßnahmen ohnmächtig, während dies unter Agoraphobikern, die oft eine Ohnmacht fürchten, nur bei 1% im Lebenszeitraum der Fall war.
Ähnlich wie Blut- und Verletzungsphobien sind auch Zahnarztphobien sehr verbreitet (bei 8-10% der Bevölkerung), was zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Der Gang zum Zahnarzt wird oft mehr gefürchtet als schmerzende Zähne, die im Laufe der Zeit immer mehr kaputt werden.
Menschen mit spezifischen Phobien richten sehr viel Aufmerksamkeit auf die rechtzeitige Erkennung von potenziellen Gefahren. Sie entwickeln eine Überaufmerksamkeit („Überfokussierung“, selektive Aufmerksamkeit) auf die als gefährlich angesehenen Reize, um rechtzeitig Angst vermeidende Maßnahmen treffen zu können. Die Überaufmerksamkeit führt zu einer unnötig hohen vegetativen Erregung, kleinste Auffälligkeiten bewirken bereits eine Alarmreaktion.
Epidemiologie, Verlauf und Folgen der spezifischen Phobie
In den USA (NCS-Studie) zeigt sich eine spezifische Phobie bei 11,3% im Lebenszeitraum, bei 8,8% innerhalb der letzten 12 Monate und bei 4,5% innerhalb des letzten Monats. Differenziert nach dem Geschlecht ergibt sich eine spezifische Phobie im Laufe des Lebens bei 15,7% der Frauen und 6,7% der Männer, innerhalb des letzten Jahres bei 13,2% der Frauen und 4,4% der Männer, innerhalb des letzten Monats bei 8,7% der Frauen und 2,3% der Männer.
Beginn und Verlauf von spezifischen Phobien hängen von deren Art ab. Traumatische Erlebnisse können die Ausprägung einer spezifischen Phobie begünstigen.
Spezifische Phobien in leichterer Ausprägung wie Angst vor Dunkelheit, Unwetter und Tieren beginnen oft bereits in der Kindheit. Die objekt- und situationsbezogenen Ängste im frühen Kindesalter erreichen jedoch nur selten den Schweregrad einer phobischen Störung. Spezifische Phobien, die bis ins Erwachsenenalter anhalten, verschwinden nur selten (nur bei 20%).
Der Beginn spezifischer Phobien liegt meistens vor dem 20. Lebensjahr. Patienten mit spezifischen Phobien können oft über lange Zeit psychosozial unbeeinträchtigt leben. Phobien, die sich aufgrund einer traumatischen Erfahrung (z.B. Unfall mit Erstickungsgefahr) oder einer unerwarteten Panikattacke entwickeln, weisen einen besonders akuten Entwicklungsverlauf auf und können in jedem Altersabschnitt auftreten.
Unbehandelt können spezifische Phobien über Jahrzehnte bestehen bleiben. Spezifische Phobien stellen so lange keine Belastung dar, als sie das Leben nicht unnötig einengen oder zu gefährlichen Situationen führen (z.B. Autounfall wegen Kleintierphobie, Radunfall wegen Hundephobie, Verlust des Gleichgewichts auf einer Leiter wegen Bienenphobie).
Menschen mit einer spezifischen Phobie können oft über längere Zeiträume sozial funktionieren, während Personen mit einer sozialen Phobie oft schon von Beginn an eine erhebliche psychosoziale Beeinträchtigung aufweisen.