Dr. Hans Morschitzky
Klinischer Psychologe, Psychotherapeut
Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie
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Chronische Schmerzen: Schmerzstörung
Chronische Schmerzstörung (F45.4)
Schmerzen sind Warnsymptome und mögliche Hinweise auf
eine körperliche Erkrankung. Bei einer
Schmerzstörung wird
dagegen der Schmerz vom Symptom zum Problem: Die Schmerzen verlieren ihre
Warnfunktion und verselbstständigen sich zu einer eigenständigen Krankheit. Im
internationalen Diagnoseschema ICD-10 werden chronische Schmerzen, die nicht
rein organmedizinisch erklärbar sind, unter dem Diagnosecode F 45.4 Anhaltende
Somatoforme Schmerzstörung angeführt
und definiert als:
anhaltend:
Dauer seit mindestens einem halben Jahr;
somatoform:
die Schmerzen schauen aus, als wären sie rein organisch bedingt, sie
lassen sich jedoch nicht bzw. nicht ausschließlich organisch erklären;
Schmerzstörung:
der Schmerz selbst ist zur Krankheit geworden.
Die
anhaltende somatoforme Schmerzstörung ist folgendermaßen
charakterisierbar:
Die Betroffenen
leiden primär an einem andauernden, schweren und quälenden Schmerz, der seit
mindestens einem halben Jahr an den meisten Tagen auftritt.
Der Schmerz ist
durch physiologische (biologische) Prozesse oder eine körperliche Störung
nicht vollständig erklärbar (organische Ursachen erklären jedenfalls nicht
das Schmerzausmaß).
Der Schmerz
tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Problemen
auf. Die Konflikte und Probleme sind so schwerwiegend, dass sie als
ursächliche Einflüsse gelten oder die organischen Beschwerden zumindest
verstärken.
Der Schmerz
steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und des Erlebens und führt zu einer
großen persönlichen Zuwendung oder medizinischen Betreuung.
Seit 2009 wird in
Deutschland wegen der Problematik dieser Diagnose zwischen
zwei Arten von
Schmerzstörungen (F45.4) unterschieden:
anhaltende somatoforme Schmerzstörung,
d.h. ohne erhebliche körperliche Schmerzursachen (Diagnosecode F45.40),
chronische Schmerzstörung mit
somatischen und psychischen Faktoren
(Diagnosecode F45.41), d.h. körperlich bedingte Schmerzen in Verbindung mit
psychischen Problemen und psychosozialen Belastungen (Partnerschaft,
Familie, Beruf u.a.).
Somatoforme Schmerzsyndrome sind weniger durch typische Symptommuster charakterisiert als vielmehr durch eine bestimmte Erlebnisverarbeitung körperlicher Vorgänge sowie durch ein ungünstiges Krankheitsverhalten der Betroffenen. Die Störung chronifiziert, wenn keine Behandlung im Sinne des biopsychosozialen Krankheitsverständnisses erfolgt, weshalb möglichst rasch nach der organmedizinischen Abklärung eine Intervention im Rahmen eines multiprofessionellen Behandlungsansatzes erfolgen sollte. Die Betroffenen haben sich oft jahrelang mangels besseren Wissens ausschließlich an einem organmedizinischen Erklärungsmodell orientiert, das anfangs oft auch von ihren behandelnden Ärzten durch bestimmte Diagnosen und Therapieversuche unterstützt wurde, weshalb sie weiterhin rein organmedizinische Hilfestellungen erwarten.
Bei der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung muss zwischen den auslösenden emotionalen und psychosozialen Stressfaktoren und den erst sekundär durch den Krankheitsverlauf entstandenen psychischen Problemen unterschieden werden.
Schmerzstörungen treten oft auch zusammen
mit anderen
psychischen Störungen auf (Depressionen, Angststörungen,
Schlafstörungen). Depressive haben ein viermal größeres Risiko für Nacken- und
Rückenbeschwerden; bereits bestehende Schmerzen werden durch eine Depression
verstärkt.
Bei einer Schmerzstörung ergeben sich typische
Folgeprobleme: Fernbleiben von der Arbeit bzw. Schule, lange
Krankenstandszeiten, Arbeitslosigkeit, Frühpensionierung, übermäßiger
Medikamentenkonsum, Missbrauch von Beruhigungs- oder Schmerzmitteln, häufige
Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen, sozialer Rückzug, Partnerprobleme,
Einschränkungen der Freizeitaktivitäten bis hin zur völligen Inaktivität,
Verminderung jeder körperlichen Betätigung, Beeinträchtigung der Feinmotorik,
depressive Zustände, hohe Kosten durch schul- oder alternativmedizinische
Maßnahmen.
Bei einer
Somatisierungsstörung (F45.0) bestehen oft ebenfalls chronische Schmerzen in
verschiedenen Organbereichen, daneben aber auch noch zahlreiche vegetative
Beschwerden in verschiedenen Organbereichen (Herz-Kreislauf, Magen-Darm,
Urogenitaltrakt u.a.), die nicht rein organmedizinisch erklärbar sind.
Schmerzen durch Muskelverspannung
Die meisten Kopf- und Rückenschmerzen haben keine
ernsthafte organische Ursache. Nur 10 % aller Rückenschmerzen haben eine
eindeutige organische Ursache, nur bei 3 % ist eine Bandscheibenoperation
angezeigt. Die Ursachen liegen meist in den Lebensumständen und in einem
schädlichen Lebensstil, sodass Änderungen nötig sind.
Viele Schmerzen und auch andere
körperliche Beschwerden beruhen oft auf
chronischer Muskelverspannung:
reflexhafte
Anspannung bei akuten Schmerzen,
Fehlbelastung
als Folge chronischer Schmerzen (Ungleichgewicht der Muskulatur),
Fehlhaltungen
des modernen Lebens (langes Sitzen ohne Bewegung),
monotone
berufliche Tätigkeiten ohne Bewegung (z.B. PC-Monitor-Arbeit),
körperliche
Überlastung (übermäßige körperliche Betätigung),
seelische
Überlastung (Stress in Partnerschaft, Familie und Beruf),
starke Gefühle
(Wut, Ärger, Hass, Trauer, Enttäuschung u.a.).
Eine dauerhaft angespannte Muskulatur führt zu
chronischen Entzündungsreaktionen. Die Dauerverspannung der Muskulatur bewirkt
einen verminderten Blutfluss in den betroffenen Muskeln und in der Folge eine
Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff sowie – noch schlimmer – einen
mangelnden Abtransport der Stoffwechselprodukte. Diese „Vergiftung“ der Muskeln
löst Schmerzen aus, weil die entsprechenden Schmerzfühler aktiviert werden.
Die
Muskelverspannung kann abgebaut werden durch aktive Methoden (gezielte
Bewegungsübungen und Aktivitäten) sowie durch bestimmte Entspannungstechniken
(vor allem die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson: kurzzeitige
Anspannung und Entspannung der Muskeln verschiedener Körperregionen, wodurch es
zu einem Ermüdungs- und damit Entspannungseffekt kommt).
Chronische
Schmerzen und chronischer Stress führen wechselseitig zu einer immer stärkeren
Aufschaukelung des
Schmerz-Verspannungs-Befindens-Teufelskreislaufs: Schlechtes Befinden
(Depression, Angst, Wut, Ärger, Gereiztheit u.a.) führt zu muskulärer Anspannung
– Anspannung führt zu Schmerzen – Schmerzen verstärken die Anspannung –
verstärkte Anspannung und Schmerzen verschlechtern das Befinden –
Befindensverschlechterung führt zu mehr Anspannung und Schmerzen. Durch Angst
wird dieser Teufelskreis zusätzlich verstärkt: Die Angst vor Schmerz löst allein
bereits Muskelanspannung und Vermeidungsreaktionen aus. Vermeidung verstärkt die
Schmerzen, weil übermäßige Schonung alles nur noch schlimmer macht.
Stress und
Gefühle (Angst, Ärger, depressive Stimmung) aktivieren das vegetative
Nervensystem: Es kommt zur Erhöhung von Muskelanspannung, Puls, Blutdruck,
Atemfrequenz und vermehrter Freisetzung von Energiereserven. Lang dauernder
Stress bewirkt eine Verringerung der körpereigenen Opiate (Endorphine), die das
Schmerzerleben dämpfen und die Stimmung positiv beeinflussen. Unkontrollierbare
Schmerzen bewirken Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit bis zu einer
erheblichen Depression. Eine Depression wiederum schwächt das Immunsystem und
senkt die Schmerzschwelle, sodass Schmerzen noch stärker wahrgenommen werden.
Depressive sind nicht wehleidiger, sondern schmerzempfindlicher als andere
Menschen.
Der
beschriebene Verspannungsmechanismus ist bei Spannungskopfschmerzen und
Rückenschmerzen gleichermaßen wirksam. Bestimmte Menschen neigen konstitutionell
stärker als andere dazu, bei Stress und emotionalen Problemen mit einer
Verspannung der Muskulatur zu reagieren. In therapeutischer Hinsicht ist es
zuerst wichtig, die chronische Dauerverspannung überhaupt wieder wahrzunehmen
und ein besseres Gespür für die chronisch verspannte Muskulatur zu gewinnen, an
die sich die Betroffenen bereits gewöhnt haben, um diese dann durch Techniken
von bewusster Anspannung mit anschließender Entspannung (Progressive
Muskelentspannung) effektiv abzubauen.
Teufelskreis-Modell bei chronischen Schmerzen
Belastungen und
Gefühle - Muskelverspannungen - Verengung der Blutgefäße mit verminderter
Durchblutung - Unterversorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen sowie
unzureichender Abtransport der Stoffwechselprodukte -
Das Schmerzgedächtnis als Basis chronischer Schmerzen
Akute Schmerzen
sind ein biologisch sinnvolles Warnsignal wie Fieber, Schwindel oder Übelkeit.
Sie werden durch äußere Ursachen (z.B. Verletzung) oder innere Prozesse (z.B.
Entzündung, Verspannung, Tumor) ausgelöst und sind zeitlich begrenzt und örtlich
umschrieben. Sie werden von einer Stressreaktion begleitet (Anstieg von Puls und
Blutdruck, Schwitzen, Muskelanspannung), beanspruchen unsere ganze
Aufmerksamkeit zur Beseitigung der Bedrohung und erfordern zur rascheren
Gesundung eine Schonung des Körpers. Der auslösende Schmerzreiz und die Reaktion
des Menschen stehen in engem Zusammenhang. Akute Schmerzen sind der häufigste
Grund für den Arztbesuch.
Chronische Schmerzen
(Schmerzdauer länger als 3-6 Monate) haben keine Schutzfunktion mehr, sie sind
weniger scharf umschrieben, häufig dumpf und oft von wechselnder Intensität. Sie
führen zu zahlreichen frustrierenden Arztbesuchen und vielfältigen
Behandlungsversuchen ohne anhaltende Besserung. Sie werden durch Schonung und
Aktivitätsverminderung verschlimmert statt gelindert. Es besteht kein enger
Zusammenhang mehr zwischen einer äußeren bzw. inneren Ursache und dem erlebten
Schmerzgeschehen. Der Schmerz ist nicht mehr Symptom für eine mögliche
Krankheit, sondern ist selbst zur Krankheit – zur
Schmerzstörung – geworden. Derartige
Schmerzen ohne körperliche Ursachen bzw. nach Beseitigung der organischen
Ursachen werden wegen der damit verbundenen Hilflosigkeit oft als quälender
erlebt als rein organisch bedingte Schmerzen. Sie sind wirklich da und nicht
eingebildet!
Chronische Schmerzen werden verursacht durch Veränderungen auf drei Ebenen, die als Schmerzgedächtnis bezeichnet werden:
Veränderungen der Schmerzwahrnehmung im jeweiligen Körperbereich: verstärkte Schmerzsensibilität;
Veränderungen der Schmerzverarbeitung im Rückenmark: Schmerzreize werden verstärkt weitergeleitet;
Veränderte Schmerzverarbeitung im Gehirn: Schmerzreize werden noch stärker wahrgenommen als sie sind.
Das Konzept des Schmerzgedächtnisses bietet eine
Erklärung dafür, wie Schmerzen nach dem Abklingen des akuten Schmerzgeschehens
chronifizieren können. Als
„Schmerzgedächtnis“ bezeichnet man alle Schmerzspuren im Nervensystem (im
Rückenmark und im Gehirn), auch wenn damit keine kognitiven Gedächtnisinhalte
verbunden sind.
Der
Weg vom Schmerzreiz zum Gehirn
verläuft grundsätzlich folgendermaßen: Äußere und innere Schmerzreize werden von
Schmerzsinneszellen (Schmerzrezeptoren) in Haut, Muskeln, Gelenken und inneren Organen
aufgenommen und über Nervenbahnen zuerst zum Rückenmark und von dort zum Gehirn
weitergeleitet. In der Haut und in den meisten Organen befinden sich
Schmerzfühler, die Schmerz verursachende Reize aus der Umwelt oder aus dem
Körperinneren in Nervenimpulse umwandeln und zum Rückenmark weiterleiten, wo sie
verarbeitet werden, und zwar entweder gehemmt (d.h. nicht weitergeleitet) werden
oder auf weitere Nervenfasern umgeschaltet und an die schmerzverarbeitenden
Zentren im Gehirn weitergeleitet werden. Die Schmerzrezeptoren sprechen auf
verschiedene Reize an, z.B. Druck, Kälte, Hitze, aber auch auf Botenstoffe, die
bei Entzündungsreaktionen freigesetzt werden. Bei Schmerzpatienten aktivieren
bestimmte Botenstoffe (Entzündungsmediatoren) so genannte „stumme“
Schmerzrezeptoren, die bei Gesunden überhaupt nicht reagieren. Neben der
erhöhten Schmerzempfindlichkeit der ursprünglich betroffenen Körperstelle werden
zunehmend auch umliegende Regionen schmerzempfindlicher (Generalisierung).
Bei
chronischen Schmerzen werden durch den
ständigen Einstrom von Schmerzimpulsen jene Nerven im Rückenmark verändert, die
die Schmerzimpulse zum Gehirn weiterleiten. In den Nervenzellen des Rückenmarks
entscheidet es sich, ob es zur Schmerzchronifizierung kommt. Im Laufe der Zeit
werden schon bei schwachen Reizen (z.B. Berührung, Wärme, Dehnung) oder ohne
jeglichen Reiz Schmerzsignale an das Gehirn weitergeleitet. Im Gehirn sind
mindestens zehn Regionen an der Verarbeitung der Schmerzimpulse beteiligt, denn
neben der Erfassung der Intensität erfolgt auch eine Bewertung und Verknüpfung
mit Gefühlen, Erinnerungen und Erwartungen. Aus dem akuten Schmerz wird im Laufe
der Zeit ein chronischer Schmerz, wenn dem Gehirn Schmerzen signalisiert werden,
obwohl die eigentliche Ursache längst beseitigt ist. Die beteiligten Nerven sind
empfindlicher geworden und verarbeiten selbst leichte Reize als Schmerz oder
geben auch Schmerzimpulse ohne eine Ursache weiter.
Die Grundlage
für das Schmerzgedächtnis ist die Lernfähigkeit des Gehirns. Chronische
Schmerzen sind erlernt! In diesem Sinn werden chronische Schmerzpatienten zu
chronischen Angstpatienten, weil sie aufgrund der Erfahrung von schlimmen
Schmerzen diese zu fürchten beginnen und daher bestimmte Bewegungen nicht mehr
ausführen und dann eine schädliche Schonhaltung entwickeln, die ebenso schlecht
ist wie die früher oft gegebene Überforderung.
Neben den
beiden Prozessen der erhöhten Ansprechbarkeit für Schmerzreize auf der
Körperoberfläche und der veränderten Weiterleitung von Schmerzimpulsen im
Rückenmark laufen bei chronischen Schmerzen vor allem veränderte Prozesse im
Gehirn ab. Die Sinnesreize aus der Körperoberfläche breiten sich im Gehirn sogar
hinsichtlich der Verarbeitungsregionen überdimensional aus: Die Region, die z.B.
für Schmerzsignale aus dem verspannten Rücken zuständig ist, breitet sich auf
Areale aus, die ursprünglich für Schmerzreize aus den Beinen verantwortlich ist,
sodass die Betroffenen über die veränderte Verarbeitung im Gehirn eine
Ausweitung ihrer Schmerzen im Körper erleben.
Die
Schmerzsensibilisierung wird verstärkt durch den Umstand, dass bei chronischen
Schmerzen die natürliche
Schmerzhemmung
vom Gehirn aus vermindert ist. Die Weiterleitung von Informationen im
schmerzverarbeitenden System ist nämlich keine Einbahnstraße. Vom Gehirn aus
erfolgt auch eine Beeinflussung der Schmerzleitung im Rückenmark. Vom Gehirn aus
wirken verschiedene Substanzen hemmend auf die Schmerzweiterleitung im
Rückenmark (d.h. schmerzlindernd) bzw. schmerzmodulierend im Gehirn: die
Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin (deswegen werden Antidepressiva wie
Cymbalta verschrieben), Dopamin (deswegen wirkt jede positive
Erregung/Stimulierung schmerzlindernd) und körpereigene Opioide (Endorphine),
die z.B. bei Marathonläufern zur Schmerzlinderung ausgeschüttet werden. Auch das
Dauerstresshormon Cortisol wirkt schmerzlindernd, was zum Durchhalten biologisch
durchaus sinnvoll ist (das wird als Kortison bestimmten Schmerzpatienten
verschrieben).
Chronische Schmerzen und Schmerzgedächtnis lassen sich beeinflussen
Das
Schmerzgedächtnis (das man bei akuten
Schmerzen durch starke Mittel verhindern sollte) kann man gegenwärtig ebenso
wenig löschen wie die Erinnerung an schlimme Ereignisse im früheren Leben. Man
kann jedoch mit dem Körper neue Erfahrungen machen, sodass neue Verknüpfungen
erfolgen, wodurch die negativen Erinnerungen im Gehirn zwar nicht gelöscht, aber
gleichsam „überschrieben“ und mit positiven Erfahrungen verknüpft werden. Man
nennt dies „Re-Learning“: neue Lernerfahrungen ermöglichen eine Änderung des
Schmerzgedächtnisses. Durch ein
Schmerzbewältigungstraining – oft auch in Verbindung mit Schmerzmitteln
und/oder Antidepressiva – sind neue Lernerfahrungen möglich, die das
Schmerzgedächtnis positiv beeinflussen, d.h. das Schmerzgedächtnis ist
veränderbar.
Chronische
Schmerzpatienten mit früher akuten Schmerzen wurden in der Vergangenheit oft
falsch behandelt: im Laufe der Zeit immer stärkere Schmerzmedikamente (statt zu
Beginn, d.h. während der akuten Schmerzen, Verordnung der stärksten
Schmerzmittel, um die Ausprägung des Schmerzgedächtnisses zu verhindern),
darüber hinaus vor allem Verordnung von viel Ruhe, Schonung und Entspannung.
Dies führt erst recht zur Schmerzverstärkung.
Heutzutage
setzt man in der Therapie chronischer Schmerzen immer mehr auf Sport und jede
Form von körperlicher Aktivität (natürlich ohne Überforderung) und aktiviert
damit die natürliche Schmerzhemmung bei Bewegung. Entspannungstechniken helfen
eher bei rein psychisch/psychosomatisch bedingten Muskelverspannungen.
Beispiele der
normalen Schmerzhemmung:
In Stress- und Gefahrensituationen empfinden wir weniger Schmerz, um das
Funktionieren und Überleben sicherzustellen. Fußballspieler können trotz
erheblicher verletzungsbedingter Schmerzen (sogar bei Knochenbrüchen) bis zum
Schluss mitspielen, erst danach setzen unerträgliche Schmerzen ein. In
lebensbedrohlichen Situationen (im Krieg oder auf der Flucht) können wir laufen,
um unser Leben zu retten, weil die Schmerzempfindung vermindert ist durch das
körpereigene Opioidsystem, das durch Stress aktiviert wird. Selbst den
Schmerzreiz, den unsere Hand im heißen Wasser wahrnimmt, können wir nach kurzer
Zeit ertragen lernen, obwohl das Wasser in dieser kurzen Zeit gar nicht so
schnell abgekühlt ist.
Physiotherapeutisch angeleitete Schmerzbewältigungstherapie macht sich genau
diese Erfahrungen zunutze: Die Gewöhnung an zuerst leichtere und später stärkere
Schmerzreize bei bestimmten Bewegungen führt zum Tolerieren und Akzeptieren und
damit zur Schmerzlinderung und in der Folge davon zu mehr körperlicher
Aktivität.
Das
Therapieziel bei chronischen Schmerzen
ist nicht die vollständige Schmerzbeseitigung (was wünschenswert wäre), sondern
eine wesentliche Schmerzlinderung mit der Folge von mehr Lebensqualität und
besserer beruflicher und sozialer Funktionsfähigkeit. Schmerzpatienten müssen
lernen, aktiv gegen ihren Schmerz vorzugehen, ohne Passivität und totale
Vermeidung. Schmerzpatienten müssen mehr von dem tun, was Ihnen Spaß macht/Spaß
gemacht hat.
Die
Verminderung psychosozialer
Belastungsfaktoren in Familie, Partnerschaft und Beruf dient ebenfalls der
Schmerzreduktion, weil die damit einhergehende chronische Muskelverspannung
vermindert wird, die durch starke Gefühle wie Angst, Ärger, Wut, Hilflosigkeit
und Traurigkeit aufrechterhalten wird.
Die
angstbesetzte Erinnerung an den Schmerz ist auch ohne Schmerzimpuls aus dem
Körper vorhanden. Angst vor Schmerzen führt zu einem
Angst-Vermeidungsverhalten, das die
körperlichen und sozialen Aktivitäten immer mehr einschränkt, was zu vermehrten
Schmerzen und schließlich auch zu Depressionen führt, die wiederum die
Schmerzschwelle senken und damit die Schmerzen verstärken. Schmerzen plus
Depression führen zu völliger Inaktivität von früher oft körperlich und
sportlich sehr aktiven Menschen und bewirken einen Mangel an Fitness (so
genannte körperliche Dekonditionierung), bis hin zum völligen körperlichen
Verfall.
Eine
Depression verändert sowohl die
Verarbeitung von Schmerzimpulsen als auch das Schmerzempfinden. Dies hängt damit
zusammen, dass für die Verarbeitung von Emotionen im Gehirn zum Teil die
gleichen Regionen und die gleichen Botenstoffe (vor allem die Neurotransmitter
Serotonin und Noradrenalin) zuständig sind wie für die Verarbeitung von
körperlichem Schmerz. Eine Depression senkt die Schmerzschwelle, d.h. erhöht die
Schmerzsensibilität, und erschwert die Schmerzverarbeitung. Die Beseitigung der
Depression mit allen Mitteln (Psychopharmokotherapie und Psychotherapie)
erleichtert daher die Schmerzbewältigung. Ohne Depression geht es vielen bereits
besser.
Achtsamkeitstherapie – das Konzept zur Behandlung chronischer Schmerzstörungen
Die so genannte Achtsamkeitstherapie hat sich weltweit durchgesetzt als die therapeutische Strategie im Umgang mit chronischen Schmerzen, sie wird in allen psychosomatischen Kliniken erfolgreich eingesetzt. Im Englischen spricht man von „Mindfulness-Based Stress Reduction“ (MBSR) – entwickelt vom Verhaltensmediziner John Kabat-Zinn auf der Basis eines „säkularisierten Buddhismus“ in den 1980er-Jahren in den USA.
Zentrale These:
Schmerzen sind leider normaler Bestandteil des Lebens. Zum unerträglichen
Leiden
werden Schmerzen erst durch den Umstand,
dass wir ständig vergeblich dagegen ankämpfen und sie unbedingt vermeiden
möchten. Das Therapieziel ist nicht die direkte Reduktion der Schmerzen, sondern
des Leidens darunter, das diese unnötig schlimmer macht. Akzeptanz und Verzicht
auf Kontrolle der Schmerzen unterbrechen das symptomverstärkende Unterdrückungs-
und Vermeidungsverhalten und ermöglichen neue Erfahrungen mit dem eigenen
Körper.
Achtsamkeit entwickeln
heißt, im gegenwärtigen Moment, im Augenblick bleiben, wahrnehmen und
akzeptieren, was gerade ist, ohne ständige ängstliche Bewertung und
Interpretation des Erlebten als Bedrohung, was gleich passieren könnte.
Erinnerungen an negative Erfahrungen mit dem Körper und bildhafte Vorstellungen
von Gefahr und Schmerz werden durchaus ohne ständige Ablenkungsstrategien
zugelassen, aber sie werden als das gesehen, was sie sind: erlebte Vergangenheit
und sicherlich mögliche Zukunft, doch in der Gegenwart besteht die Chance, neue
Erfahrungen mit dem Körper zu machen. Das ist letztlich auch der Ansatz bei
jeder Form von Angstbewältigungstherapie, z.B. bei Panikattacken oder bei
Schwindel – Motto: Bleiben Sie im Augenblick, bei dem was gerade
jetzt ist!
Zehn Schritte zur besseren
Schmerzbewältigung. Welche zwei Punkte sind für Sie gegenwärtig besonders
hilfreich?
1. Nutzen Sie die Möglichkeiten der Medikamente (So
viel wie notwendig, aber nicht mehr als nötig)
Antidepressiva:
sie beeinflussen die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin und
ermöglichen eine bessere Schmerzbewältigung.
Entspannungsmittel:
Sirdalud, Atarax (nicht abhängig machendes Beruhigungsmittel).
Antikonvulsiva (Antiepileptika): Lyrica
(Gabapentin), Neurontin u.a.
2. Nutzen Sie weiterhin konventionelle
nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen (Verspannungen lindern)
Massage – Wärme – Bäder –
Strom – Unterwassertherapie u.a. Bei chronischen Schmerzen wirken
muskelentspannende Methoden
sowie
Wärme wohltuend und durchblutungsfördernd. Was sollten Sie daher mehr tun als
bisher bzw. weiterhin tun?
3. Pflegen Sie dosierte körperliche Aktivitäten und tun
Sie Ihrem Körper etwas Gutes (Bewegung macht fitter)
Übermäßige Schonung verschlimmert Ihr Allgemeinbefinden,
schwächt Ihre körperliche Kondition und führt zum Muskelabbau.
Dosierte Aktivität und
Ausdauersport wirken sich positiv auf Schmerzen aus. Ungesund sind Überforderung
und Unterforderung!
Welche positiven Erfahrungen können Sie mit Ihrem Körper
trotz allem noch machen? Was tut Ihnen gut? Was freut Sie noch?
Sie sollten sich nicht dafür bestrafen, dass es Ihnen
körperlich schlecht geht, indem Sie auf alles Schöne im Leben verzichten.
Neue, wohltuende Erfahrungen mit Ihrem Körper geben
Ihnen wieder mehr Kraft und Energie, Ihr Schicksal leichter zu bewältigen.
4. Nehmen Sie Schmerzen/Symptome an und führen Sie ein
sinnerfülltes Leben (Was macht Ihr Leben wertvoll?)
Nehmen Sie Ihre Schmerzen und Symptome zwar wahr,
stellen Sie diese aber nicht zu sehr in den Mittelpunkt. Kämpfen Sie nicht
ständig gegen Ihre Schmerzen und sonstigen Symptome, weil dies viel Energie
bindet, sondern nehmen Sie diese zumindest vorläufig an. Machen Sie sich
bewusst, was Ihnen trotz aller Beschwerden wichtig und wertvoll ist. Tun Sie
mehr von dem, was für Sie gut ist und Ihr Leben sinnvoll macht. Welche Werte und
Ziele sind für Sie auch weiterhin wichtig? Was macht z.B. den heutigen Tag für
Sie lebenswert?
5.
Leben Sie achtsam (Bleiben Sie mit Ihrer
ganzen Aufmerksamkeit bei dem, was Sie im Moment gerade tun)
Bei psychischen bzw. psychosomatischen Problemen leben
Sie geistig zu viel in der Vergangenheit (Sie denken ständig nur an die
negativen Erfahrungen Ihres Lebens) oder Sie sind mental dauernd in der Zukunft
(Sie fürchten ängstlich, was alles passieren könnte).
Achtsamkeit bedeutet dagegen, mit allen Sinnen ganz in
der Gegenwart, im Hier und Jetzt mit dem beschäftigt zu sein, was Sie gerade tun
und erleben; Sie verweilen also ganz im Augenblick. Achtsamkeit ermöglicht auf
sinnlicher Ebene Genießen und auf geistiger Ebene volle Konzentration auf das,
was Ihnen wichtig ist. Sich von Schmerzen und belastenden Symptomen nur
abzulenken ist zu wenig. Worauf möchten Sie sich mit Ihrer ganzen Aufmerksamkeit
und Leidenschaft konzentrieren, worin können Sie ganz aufgehen?
6. Erlernen Sie Entspannungstechniken und mentale
Strategien (z.B. Fantasiereisen)
Für viele Schmerzpatienten sind zumindest anfangs aktive
Entspannungsmethoden (progressive Muskelentspannung, Qi Gong) leichter erlernbar
als „passive“ (autogenes Training, Entspannungs-CDs mit Musik oder Text).
Mentale Strategien (Fantasiereisen, positive Vorstellungsbilder) lenken den
Geist auf positive Vorstellungsinhalte. Entspannung bewirkt jedoch nicht die
jeweilige Technik an sich, sondern die volle Konzentration auf das, was Sie
gerade tun. Daher können auch zahlreiche Hobbys und Sport sehr entspannend sein.
7.
Überprüfen und ändern Sie Ihre überfordernden
und krank machenden Denkmuster (Wie stressen Sie sich?)
Denken kann Stress erzeugen: „Ich muss immer funktionieren“, "„Ich bin nur etwas
wert, wenn ich etwas leiste bzw. für die anderen mein Bestes gebe“, „Ich darf
keine Fehler begehen“, „Ich bin ein hoffnungsloser Fall“, „So wie jetzt mag ich
mich überhaupt nicht“. Ungünstige Denkmuster (Perfektionismus, depressives
Grübeln, Versagensängste) verstärken Schmerzen und andere Körpersymptome.
8. Lernen Sie, Ihre Gefühle besser wahrzunehmen und
damit umzugehen (Gefühle zulassen und nicht verdrängen)
„Negative“ Gefühle (Angst, Wut, Ärger, Traurigkeit,
Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühle, „ohnmächtige Wut“) verstärken Ihre
körperliche Anspannung und Ihre Schmerzen. Lernen Sie Ihre Gefühle besser
wahrzunehmen und zu bewältigen. Diffuse Gefühle in Worte fassen zu lernen, um
sie anschließend anderen mitteilen zu können, ist ein zentraler Schritt zur
besseren Bewältigung.
„Emotion“ heißt „von innen heraus bewegen“. Gefühle
möchten uns also zu etwas bewegen. Was wollen Ihnen Ihre Gefühle mitteilen?
9. Klären Sie Ihre Lebenssituation in Partnerschaft,
Familie und Beruf (soziale Stressfaktoren bewältigen)
Welche Stressfaktoren in Partnerschaft, Familie und
Beruf gibt es, die Ihre muskuläre Verspannung erhöhen und Ihre seelische
Befindlichkeit verschlechtern? Lernen Sie, besser mit diesen Belastungen
zurechtzukommen. Krank machend ist nicht der Stress an sich, sondern der
subjektiv unkontrollierbare Stress, der z.B. mit Wut/Ärger einerseits und
Ohnmacht/Hilflosigkeit andererseits einhergeht.
10.
Suchen Sie soziale Unterstützung und
soziale Aktivitäten (Freundeskreis aufbauen bzw. aktivieren)
Drei Schmerztypen: Welcher Schmerztyp sind Sie?
Überforderer/Durchhalter
Vermeider
Bewältiger
Überforderer/Durchhalter
entwickeln
übermäßige Härte gegen sich selbst
beißen die
Zähne zusammen und machen weiter wie immer, wenn es schmerzt
überschreiten
ihre Grenzen und erleben, dass die Schmerzen bestehen bleiben, womöglich
schlimmer werden
Vermeider
hoffen
übermäßig auf Hilfe durch den Arzt und entsprechende Medikamente
sind bei
Schmerzen zu vorsichtig, vermindern alle Aktivitäten und schonen sich
erleben, dass
die Schmerzen trotzdem nicht nachlassen, was sie beunruhigt
Bewältiger
haben einen
guten Umgang mit Schmerzen
messen
körperlichen Beschwerden keine übermäßige Bedeutung bei
machen alles so
normal wie möglich weiter
wissen, dass
alltägliche Aktivitäten keinen Wirbelsäulenschaden verursachen
Überforderer
hören nicht auf die Signale ihres Körpers und sollten Schwächen zulassen.
Analyse und Änderung negativer
Denkmuster bei Schmerzen
„Ich bin ein
hoffnungsloser Fall.“
„Mir kann
sowieso keiner helfen.“
„Wie soll es
nur in Zukunft weitergehen!“
„Wann hört
dieser Schmerz endlich auf!“
„Die
Schmerzen machen mich fertig.“
„Ich bin dem
Schmerz hilflos ausgeliefert.“
„Damit werde
ich nicht fertig.“
„Ich muss
mich mehr zusammenreißen.“
„Die anderen
werden mich nie verstehen.“
„Diese
Schmerzen machen mich zum Versager.“
„Ich bin
nichts mehr wert, seit ich wegen der Schmerzen nichts mehr leisten kann.“
„Ich kann mich nicht freuen, solange ich gleichzeitig
auch leide.“
„Wenn ich
nicht mehr ganz gesund werde, freut mich das Leben nicht mehr.“
„Wenn ich
weniger Schmerzen hätte, könnte ich alles besser genießen.“
„Solange ich
leide, werde ich mich hassen.“
„Ich kann meinen Körper nicht lieben, solange er mir
Schmerzen bereitet.“
„Lass’ es dir nicht zu gut gehen, denn es wird
ohnehin bald wieder schlechter.“
„Es muss mir
zuerst ganz gut gehen, bevor ich das Leben wieder genießen kann.“
„Meine
Schmerzen sind so etwas wie eine Strafe für mein falsches Leben.“
Viele Schmerzpatienten waren früher sehr
leistungsorientiert und hatten vor ihrer Erkrankung oft folgende Denkmuster
(ähnlich wie viele depressive Patienten):
„Das
Wichtigste im Leben ist die Leistung.“
„Ich muss
immer funktionieren.“
„Ich bin nur
etwas wert, wenn ich etwas leiste.“
„Ich bin nur
etwas wert, wenn ich für die anderen mein Bestes gebe.“
„Ich darf keine Fehler begehen. Jetzt bei meinen Schmerzen schon gar nicht.“
Aufgaben
Identifizieren Sie jene Denkmuster, die Ihnen die Schmerzbewältigung erschweren.
Welche
ungünstigen Denkmuster stammen aus früheren Zeiten (Elternhaus, Schule,
Partnerschaft, Beruf)? Welche haben Sie erst seit den Schmerzen entwickelt?
Welchen
Stellenwert hatte Leistung und Funktionieren in Ihrem bisherigen Leben?
Wie sehr war
Ihr Selbstwertgefühl früher auf Ihrer Leistungsfähigkeit aufgebaut?
Entwickeln
Sie hilfreiche Denkmuster! Wie könnten diese beispielsweise lauten?
Psychische Faktoren als Ursachen
und Folgen von Schmerzen
Die folgende
Aufgabenstellung soll Ihnen ein besseres Verständnis für die
Körper-Seele-Zusammenhänge bei Schmerzstörungen vermitteln. Einerseits bestimmen
unsere Gedanken (z.B. „Ich fühle mich minderwertig“) und Gefühle (z.B. „Ich bin
wütend“) unsere körperliche Befindlichkeit, andererseits führt unser
körperlicher Zustand (z.B. große Schmerzen) zu bestimmten Gedanken (z.B. „Alles
ist sinnlos“) und Gefühlen (z.B. „Ich habe zu nichts Lust“). Bei
Schmerzstörungen begründet dies den sich aufschaukelnden Teufelskreis von
Schmerzen und Gefühlen, z.B. große Traurigkeit und Enttäuschung – vermehrte
Schmerzen – verstärkte Depression – noch mehr Schmerzen.
Beschreiben Sie in der
linken Spalte möglichst differenziert Ihre Gedanken und Gefühle, die Ihre
körperliche Anspannung bis hin zu Schmerzen verstärken, und führen Sie in der
rechten Spalte jene Gedanken und Gefühle an, die sich Ihrer Meinung nach
eindeutig erst als Ergebnis Ihrer Schmerzen entwickelt haben. Arbeiten Sie
danach den zentralen Teufelskreis heraus, der Ihre Schmerzen immer mehr
verstärkt.
Zwei Beispiele sollen
Ihnen die Aufgabenstellung näher erläutern.
Gedanken und Gefühle
als Auslöser von Schmerzen |
Gedanken und Gefühle
als Folge von Schmerzen |
Ich bin sehr
traurig über mein bisheriges Leben. Das macht mich innerlich so
angespannt, dass meine Schmerzen zunehmen. |
Meine starken
Schmerzen machen mich öfter so traurig, dass ich am liebsten gar nicht
mehr leben möchte. |
Vier zentrale Säulen des Selbstwertgefühls – Zusammenhänge mit
chronischen Schmerzen
Unser Selbstwertgefühl wird durch das Erfolgserleben in
vier zentralen Bereichen bestimmt:
Leistung
(Ausbildung, Beruf, Wissen, kognitive Fähigkeiten und spezielle Fertigkeiten),
Sozialbeziehungen
(Familie, Freunde, Bekannte, soziale Fähigkeiten und Erlebnisse),
körperliche
Aspekte (Erscheinungsbild und körperliche
Fähigkeiten),
emotionales Erleben
(momentane Gefühle und Stimmungen, überdauernde emotionale Grundstimmung).
Solange diese vier Säulen des Selbstwertgefühls stabil
sind, fühlen wir uns wohl und sicher. Wenn sie jedoch brüchig und instabil
werden durch verschiedene Ereignisse, wie etwa körperliche und/oder psychische
Erkrankungen, familiäre und/oder berufliche Probleme, geraten wir in eine
schwere Krise: Was macht unser Selbstwertgefühl aus, wenn wir nicht mehr genug
Halt und Energie finden durch die Bereiche Beruf/Ausbildung,
Familie/Partnerschaft, körperliche Aktivität und emotionale Stabilität?
Wir müssen nach neuen Quellen des Selbstwertgefühls
suchen, wenn die alten nicht mehr so viel Kraft geben wie früher.
Viele Menschen, die im Laufe ihres Lebens zu
Depressionen, Schmerzen und diversen psychosomatischen Störungen neigen, waren
früher sehr leistungsorientiert.
Das Selbstwertgefühl war stabilisiert durch vier
zentrale Überzeugungen:
„Ich bin etwas wert,
weil ich etwas leiste (in Beruf und Ausbildung).“
„Ich bin etwas wert,
weil ich für andere etwas wert und damit wichtig bin.“
„Ich bin etwas wert,
weil ich körperlich etwas schaffe, das mir gut tut (z.B. im Sport und bei
Aktivitäten).“
„Ich bin etwas wert,
weil ich guter Stimmung bin und das tue und erlebe, was mein Leben erfüllt.“
Als Folge von chronischen Schmerzen, belastenden
körperlichen Symptomen, Depressionen und Ängsten sind viele der früheren
Aktivitäten nicht mehr so möglich wie bisher. Es bedarf einer Umorientierung mit
neuer Lebens- und Berufsplanung, manchmal auch neuer familiärer Ausrichtung.
Wie sehr ist Ihr Selbstwertgefühl abhängig von Ihrer
Leistungsfähigkeit im Beruf?
Wie sehr ist es daher gegenwärtig beeinträchtigt?
Wie sehr ist Ihr Selbstwertgefühl abhängig von Ihrer
Fürsorge-Fähigkeit für andere?
Wie sehr ist es daher gegenwärtig beeinträchtigt?
Wie sehr ist Ihr Selbstwertgefühl abhängig von Ihrer
körperlichen Funktionsfähigkeit?
Wie sehr ist es daher gegenwärtig beeinträchtigt?
Welchen sonstigen Faktoren (Werte, Ziele, Tätigkeiten,
Erlebnisse) sollten zukünftig Ihr Selbstwertgefühl aufbauen und stärken?
Informationen über
medikamentöse Schmerztherapie
Das
Stufenschema
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – ursprünglich auf die Behandlung von
Patienten mit Tumorschmerzen beschränkt – wird heute als Grundlage der
medikamentösen Schmerztherapie ganz allgemein eingesetzt und hat sich in der
alltäglichen Schmerzpraxis bewährt. Je nach Intensität, Qualität und
Lokalisation der Schmerzen werden
4 Stufen der Therapie
unterschieden, wobei immer die nächsthöhere Stufe angezeigt ist, wenn die
erforderliche Wirkung nicht ausreicht.
Zur Verhinderung einer Abhängigkeit werden in der Schmerztherapie die schwach
wirksamen Opioide (Stufe 2) und die stark wirksamen Opioide (Stufe 3) in
Retard-Form eingesetzt, d.h. mit verzögerter (langsamer und gleichmäßiger)
Wirksamkeit, um den bei schneller Wirksamkeit gegebenen „Kick“ zu vermeiden, der
zur Abhängigkeit führt. Schmerzpatienten, die Opioide benötigen, sollten daher
unbedingt ein lang wirksames Retard-Mittel verwenden. Neben den Substanzen sind
in Klammer die österreichischen Handelsnamen erwähnt.
Stufe 1 |
Nicht-Opioidanalgetika + unterstützende Maßnahmen + Ko-Medikation Stufe 1 umfasst alle Schmerzmittel
(Analgetika), die keine Opioide enthalten und zur Behandlung leichterer
Schmerzzustände geeignet sind, z.B. Acetylsalicylsäure (Aspirin),
Diclofenac (Voltaren), Paracetamol (Mexalen), Dexibuprofen (Seractil),
Ibuprofen (Brufen), Naproxen (Proxen), Ketoprofen (Profenid), Metamizol
(Novalgin), Mefenaminsäure (Parkemed), Meloxicam (Movalis), Celecoxib
(Celebrex), Lornoxicam (Xefo), Phenylbutazon (Ambene).
Regeln: nur
Normaldosierung, keine Kombination mit einem zweiten Mittel aus
derselben Gruppe, bei unzureichender Wirksamkeit ist eine Kombination
mit Opioid-Analgetika möglich.
Diese Mittel, die verschiedene
chemische Substanzgruppen umfassen, machen nicht abhängig, es besteht
jedoch eine Missbrauchsgefahr. „Übergebrauch“ besteht bei mehr als
6-monatiger Einnahme an mehr als 15 Tagen pro Monat. Dies kann bei
Kopfschmerzen zu analgetikainduzierten Kopfschmerzen führen. Bei Langzeiteinnahme von NSAR
(saure antiphlogistische, antipyretische Analgetika: fiebersenkende,
entzündungshemmende und schmerzlindernde Mittel), zu denen die meisten
verschriebenen Schmerzmittel (Aspirin, Voltaren, Seractil, Brufen,
Proxen, Profenid, Parkemend, Movalis, Xefo, Ambene u.a.) zählen, besteht
die Gefahr schwerer Schädigungen des Magen-Darm-Traktes und der Nieren.
Zur besseren Verträglichkeit wird ein „Magenschoner“ verschrieben. |
Stufe 2 |
Schwache Opioidanalgetika + Nicht-Opioidanalgetika + unterstützende
Maßnahmen + Ko-Medikation (Ko-Analgetika) Stufe 2 umfasst alle Schmerzmittel,
die schwach dosierte Opioide enthalten und zur Behandlung mittelstarker
Schmerzen geeignet sind, z.B.
Tramadol (Tramal),
Dihydrocodein retard (Codidol), Codein (TUSSIMAG
Codein). Die unangenehmsten Nebenwirkungen sind eine unerwünschte geistige Dämpfung
mit verminderter Aufmerksamkeitsleistung und eine so genannte cerebrale
Übelkeit (die Substanzen wirken auf das Übelkeitszentrum im Kopf, nicht
auf den Magen). |
Stufe 3 |
Starke Opioidanalgetika + Nicht-Opioidanalgetika + unterstützende
Maßnahmen + Ko-Medikation (Ko-Analgetika) Stufe 3 umfasst alle stark
wirksamen Opioide, die zur Behandlung unerträglicher Schmerzen
eingesetzt werden. Der bekannteste Wirkstoff ist Morphin. Morphin (Morapid, Vendal), Morphin
retard (Mundidol), Oxycodon (OxyContin), Hydromorphon (Hydal), Fentanyl
(Durogesic-Pflaster), Buphrenorphin (Temgesic). Fentanyl ist 1000mal stärker als
Morphin; verabreicht als Pflaster, wirkt es 72 Stunden lang, d.h. das
Pflaster muss nur alle 3 Tage gewechselt werden. Starke Wirkstoffe kann
man auch viel niedriger dosieren, jedenfalls so hoch, dass die Schmerzen
wirksam beseitigt werden. |
Stufe 4 |
Invasive Therapie: anästhesiologische Eingriffe
(sämtliche Nervenblockaden), mit und ohne Katheder, Operationen u.a.;
häufige Methode: Schmerzpumpe |
muskelentspannende Medikamente:
Tizanidin
(Sirdalud), Tetrazepam
(Myolastan: enthält auch Valium!)
Antidepressiva:
Amitriptylin (Saroten), Duloxetin (Cymbalta),
Venlafaxin (Efectin), Trazodon
(Trittico)
Antikonvulsiva (Antiepileptika):
Pregabalin (Lyrica), Gabapentin (Neurontin), Carbamazepin (Tegretol)
Kortisonpräparate u.a.