Dr. Hans Morschitzky

Klinischer Psychologe, Psychotherapeut

Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie

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Chronische Schmerzen: Schmerzstörung

Chronische Schmerzstörung (F45.4)

Schmerzen sind Warnsymptome und mögliche Hinweise auf eine körperliche Erkrankung. Bei einer Schmerzstörung wird dagegen der Schmerz vom Symptom zum Problem: Die Schmerzen verlieren ihre Warnfunktion und verselbstständigen sich zu einer eigenständigen Krankheit. Im internationalen Diagnoseschema ICD-10 werden chronische Schmerzen, die nicht rein organmedizinisch erklärbar sind, unter dem Diagnosecode F 45.4 Anhaltende Somatoforme Schmerzstörung angeführt und definiert als:

Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung ist folgendermaßen charakterisierbar:

Seit 2009 wird in Deutschland wegen der Problematik dieser Diagnose zwischen zwei Arten von Schmerzstörungen (F45.4) unterschieden:

 

Somatoforme Schmerzsyndrome sind weniger durch typische Symptommuster charakterisiert als vielmehr durch eine bestimmte Erlebnisverarbeitung körperlicher Vorgänge sowie durch ein ungünstiges Krankheitsverhalten der Betroffenen. Die Störung chronifiziert, wenn keine Behandlung im Sinne des biopsychosozialen Krankheitsverständnisses erfolgt, weshalb möglichst rasch nach der organmedizinischen Abklärung eine Intervention im Rahmen eines multiprofessionellen Behandlungsansatzes erfolgen sollte. Die Betroffenen haben sich oft jahrelang mangels besseren Wissens ausschließlich an einem organmedizinischen Erklärungsmodell orientiert, das anfangs oft auch von ihren behandelnden Ärzten durch bestimmte Diagnosen und Therapieversuche unterstützt wurde, weshalb sie weiterhin rein organmedizinische Hilfestellungen erwarten.

Bei der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung muss zwischen den auslösenden emotionalen und psychosozialen Stressfaktoren und den erst sekundär durch den Krankheitsverlauf entstandenen psychischen Problemen unterschieden werden.

 

Schmerzstörungen treten oft auch zusammen mit anderen psychischen Störungen auf (Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen). Depressive haben ein viermal größeres Risiko für Nacken- und Rückenbeschwerden; bereits bestehende Schmerzen werden durch eine Depression verstärkt.

Bei einer Schmerzstörung ergeben sich typische Folgeprobleme: Fernbleiben von der Arbeit bzw. Schule, lange Krankenstandszeiten, Arbeitslosigkeit, Frühpensionierung, übermäßiger Medikamentenkonsum, Missbrauch von Beruhigungs- oder Schmerzmitteln, häufige Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen, sozialer Rückzug, Partnerprobleme, Einschränkungen der Freizeitaktivitäten bis hin zur völligen Inaktivität, Verminderung jeder körperlichen Betätigung, Beeinträchtigung der Feinmotorik, depressive Zustände, hohe Kosten durch schul- oder alternativmedizinische Maßnahmen.

Bei einer Somatisierungsstörung (F45.0) bestehen oft ebenfalls chronische Schmerzen in verschiedenen Organbereichen, daneben aber auch noch zahlreiche vegetative Beschwerden in verschiedenen Organbereichen (Herz-Kreislauf, Magen-Darm, Urogenitaltrakt u.a.), die nicht rein organmedizinisch erklärbar sind.

 

Schmerzen durch Muskelverspannung

Die meisten Kopf- und Rückenschmerzen haben keine ernsthafte organische Ursache. Nur 10 % aller Rückenschmerzen haben eine eindeutige organische Ursache, nur bei 3 % ist eine Bandscheibenoperation angezeigt. Die Ursachen liegen meist in den Lebensumständen und in einem schädlichen Lebensstil, sodass Änderungen nötig sind.

Viele Schmerzen und auch andere körperliche Beschwerden beruhen oft auf chronischer Muskelverspannung:

Eine dauerhaft angespannte Muskulatur führt zu chronischen Entzündungsreaktionen. Die Dauerverspannung der Muskulatur bewirkt einen verminderten Blutfluss in den betroffenen Muskeln und in der Folge eine Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff sowie – noch schlimmer – einen mangelnden Abtransport der Stoffwechselprodukte. Diese „Vergiftung“ der Muskeln löst Schmerzen aus, weil die entsprechenden Schmerzfühler aktiviert werden.

Die Muskelverspannung kann abgebaut werden durch aktive Methoden (gezielte Bewegungsübungen und Aktivitäten) sowie durch bestimmte Entspannungstechniken (vor allem die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson: kurzzeitige Anspannung und Entspannung der Muskeln verschiedener Körperregionen, wodurch es zu einem Ermüdungs- und damit Entspannungseffekt kommt).

Chronische Schmerzen und chronischer Stress führen wechselseitig zu einer immer stärkeren Aufschaukelung des Schmerz-Verspannungs-Befindens-Teufelskreislaufs: Schlechtes Befinden (Depression, Angst, Wut, Ärger, Gereiztheit u.a.) führt zu muskulärer Anspannung – Anspannung führt zu Schmerzen – Schmerzen verstärken die Anspannung – verstärkte Anspannung und Schmerzen verschlechtern das Befinden – Befindensverschlechterung führt zu mehr Anspannung und Schmerzen. Durch Angst wird dieser Teufelskreis zusätzlich verstärkt: Die Angst vor Schmerz löst allein bereits Muskelanspannung und Vermeidungsreaktionen aus. Vermeidung verstärkt die Schmerzen, weil übermäßige Schonung alles nur noch schlimmer macht.

Stress und Gefühle (Angst, Ärger, depressive Stimmung) aktivieren das vegetative Nervensystem: Es kommt zur Erhöhung von Muskelanspannung, Puls, Blutdruck, Atemfrequenz und vermehrter Freisetzung von Energiereserven. Lang dauernder Stress bewirkt eine Verringerung der körpereigenen Opiate (Endorphine), die das Schmerzerleben dämpfen und die Stimmung positiv beeinflussen. Unkontrollierbare Schmerzen bewirken Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit bis zu einer erheblichen Depression. Eine Depression wiederum schwächt das Immunsystem und senkt die Schmerzschwelle, sodass Schmerzen noch stärker wahrgenommen werden. Depressive sind nicht wehleidiger, sondern schmerzempfindlicher als andere Menschen.

Der beschriebene Verspannungsmechanismus ist bei Spannungskopfschmerzen und Rückenschmerzen gleichermaßen wirksam. Bestimmte Menschen neigen konstitutionell stärker als andere dazu, bei Stress und emotionalen Problemen mit einer Verspannung der Muskulatur zu reagieren. In therapeutischer Hinsicht ist es zuerst wichtig, die chronische Dauerverspannung überhaupt wieder wahrzunehmen und ein besseres Gespür für die chronisch verspannte Muskulatur zu gewinnen, an die sich die Betroffenen bereits gewöhnt haben, um diese dann durch Techniken von bewusster Anspannung mit anschließender Entspannung (Progressive Muskelentspannung) effektiv abzubauen.

 

Teufelskreis-Modell bei chronischen Schmerzen  

Belastungen und Gefühle - Muskelverspannungen - Verengung der Blutgefäße mit verminderter Durchblutung - Unterversorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen sowie unzureichender Abtransport der Stoffwechselprodukte - Ausschüttung Schmerz auslösender Substanzen - Erregung der Schmerzfühler (Schmerzrezeptoren) - Muskelschmerzen - Schmerzreize als Auslöser von weiterer Muskelverspannung - durch die ständige Ausschüttung Schmerz auslösender Substanzen Senkung der Schmerzschwelle der Schmerzfühler - erhöhte Empfindlichkeit für Schmerzreize - noch rascher einsetzende und stärkere Muskelschmerzen - zunehmende Depressivität - durch die   Depression weitere Senkung der Schmerzschwelle - noch stärkere Schmerzempfindlichkeit

 

Das Schmerzgedächtnis als Basis chronischer Schmerzen  

Akute Schmerzen sind ein biologisch sinnvolles Warnsignal wie Fieber, Schwindel oder Übelkeit. Sie werden durch äußere Ursachen (z.B. Verletzung) oder innere Prozesse (z.B. Entzündung, Verspannung, Tumor) ausgelöst und sind zeitlich begrenzt und örtlich umschrieben. Sie werden von einer Stressreaktion begleitet (Anstieg von Puls und Blutdruck, Schwitzen, Muskelanspannung), beanspruchen unsere ganze Aufmerksamkeit zur Beseitigung der Bedrohung und erfordern zur rascheren Gesundung eine Schonung des Körpers. Der auslösende Schmerzreiz und die Reaktion des Menschen stehen in engem Zusammenhang. Akute Schmerzen sind der häufigste Grund für den Arztbesuch.

Chronische Schmerzen (Schmerzdauer länger als 3-6 Monate) haben keine Schutzfunktion mehr, sie sind weniger scharf umschrieben, häufig dumpf und oft von wechselnder Intensität. Sie führen zu zahlreichen frustrierenden Arztbesuchen und vielfältigen Behandlungsversuchen ohne anhaltende Besserung. Sie werden durch Schonung und Aktivitätsverminderung verschlimmert statt gelindert. Es besteht kein enger Zusammenhang mehr zwischen einer äußeren bzw. inneren Ursache und dem erlebten Schmerzgeschehen. Der Schmerz ist nicht mehr Symptom für eine mögliche Krankheit, sondern ist selbst zur Krankheit – zur Schmerzstörung – geworden. Derartige Schmerzen ohne körperliche Ursachen bzw. nach Beseitigung der organischen Ursachen werden wegen der damit verbundenen Hilflosigkeit oft als quälender erlebt als rein organisch bedingte Schmerzen. Sie sind wirklich da und nicht eingebildet!

Chronische Schmerzen werden verursacht durch Veränderungen auf drei Ebenen, die als Schmerzgedächtnis bezeichnet werden:

  1. Veränderungen der Schmerzwahrnehmung im jeweiligen Körperbereich: verstärkte Schmerzsensibilität;

  2. Veränderungen der Schmerzverarbeitung im Rückenmark: Schmerzreize werden verstärkt weitergeleitet;

  3. Veränderte Schmerzverarbeitung im Gehirn: Schmerzreize werden noch stärker wahrgenommen als sie sind.  

Das Konzept des Schmerzgedächtnisses bietet eine Erklärung dafür, wie Schmerzen nach dem Abklingen des akuten Schmerzgeschehens chronifizieren können. Als „Schmerzgedächtnis“ bezeichnet man alle Schmerzspuren im Nervensystem (im Rückenmark und im Gehirn), auch wenn damit keine kognitiven Gedächtnisinhalte verbunden sind.

Der Weg vom Schmerzreiz zum Gehirn verläuft grundsätzlich folgendermaßen: Äußere und innere Schmerzreize werden von Schmerzsinneszellen (Schmerzrezeptoren) in Haut, Muskeln, Gelenken und inneren Organen aufgenommen und über Nervenbahnen zuerst zum Rückenmark und von dort zum Gehirn weitergeleitet. In der Haut und in den meisten Organen befinden sich Schmerzfühler, die Schmerz verursachende Reize aus der Umwelt oder aus dem Körperinneren in Nervenimpulse umwandeln und zum Rückenmark weiterleiten, wo sie verarbeitet werden, und zwar entweder gehemmt (d.h. nicht weitergeleitet) werden oder auf weitere Nervenfasern umgeschaltet und an die schmerzverarbeitenden Zentren im Gehirn weitergeleitet werden. Die Schmerzrezeptoren sprechen auf verschiedene Reize an, z.B. Druck, Kälte, Hitze, aber auch auf Botenstoffe, die bei Entzündungsreaktionen freigesetzt werden. Bei Schmerzpatienten aktivieren bestimmte Botenstoffe (Entzündungsmediatoren) so genannte „stumme“ Schmerzrezeptoren, die bei Gesunden überhaupt nicht reagieren. Neben der erhöhten Schmerzempfindlichkeit der ursprünglich betroffenen Körperstelle werden zunehmend auch umliegende Regionen schmerzempfindlicher (Generalisierung).

Bei chronischen Schmerzen werden durch den ständigen Einstrom von Schmerzimpulsen jene Nerven im Rückenmark verändert, die die Schmerzimpulse zum Gehirn weiterleiten. In den Nervenzellen des Rückenmarks entscheidet es sich, ob es zur Schmerzchronifizierung kommt. Im Laufe der Zeit werden schon bei schwachen Reizen (z.B. Berührung, Wärme, Dehnung) oder ohne jeglichen Reiz Schmerzsignale an das Gehirn weitergeleitet. Im Gehirn sind mindestens zehn Regionen an der Verarbeitung der Schmerzimpulse beteiligt, denn neben der Erfassung der Intensität erfolgt auch eine Bewertung und Verknüpfung mit Gefühlen, Erinnerungen und Erwartungen. Aus dem akuten Schmerz wird im Laufe der Zeit ein chronischer Schmerz, wenn dem Gehirn Schmerzen signalisiert werden, obwohl die eigentliche Ursache längst beseitigt ist. Die beteiligten Nerven sind empfindlicher geworden und verarbeiten selbst leichte Reize als Schmerz oder geben auch Schmerzimpulse ohne eine Ursache weiter.

Die Grundlage für das Schmerzgedächtnis ist die Lernfähigkeit des Gehirns. Chronische Schmerzen sind erlernt! In diesem Sinn werden chronische Schmerzpatienten zu chronischen Angstpatienten, weil sie aufgrund der Erfahrung von schlimmen Schmerzen diese zu fürchten beginnen und daher bestimmte Bewegungen nicht mehr ausführen und dann eine schädliche Schonhaltung entwickeln, die ebenso schlecht ist wie die früher oft gegebene Überforderung.

Neben den beiden Prozessen der erhöhten Ansprechbarkeit für Schmerzreize auf der Körperoberfläche und der veränderten Weiterleitung von Schmerzimpulsen im Rückenmark laufen bei chronischen Schmerzen vor allem veränderte Prozesse im Gehirn ab. Die Sinnesreize aus der Körperoberfläche breiten sich im Gehirn sogar hinsichtlich der Verarbeitungsregionen überdimensional aus: Die Region, die z.B. für Schmerzsignale aus dem verspannten Rücken zuständig ist, breitet sich auf Areale aus, die ursprünglich für Schmerzreize aus den Beinen verantwortlich ist, sodass die Betroffenen über die veränderte Verarbeitung im Gehirn eine Ausweitung ihrer Schmerzen im Körper erleben.

Die Schmerzsensibilisierung wird verstärkt durch den Umstand, dass bei chronischen Schmerzen die natürliche Schmerzhemmung vom Gehirn aus vermindert ist. Die Weiterleitung von Informationen im schmerzverarbeitenden System ist nämlich keine Einbahnstraße. Vom Gehirn aus erfolgt auch eine Beeinflussung der Schmerzleitung im Rückenmark. Vom Gehirn aus wirken verschiedene Substanzen hemmend auf die Schmerzweiterleitung im Rückenmark (d.h. schmerzlindernd) bzw. schmerzmodulierend im Gehirn: die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin (deswegen werden Antidepressiva wie Cymbalta verschrieben), Dopamin (deswegen wirkt jede positive Erregung/Stimulierung schmerzlindernd) und körpereigene Opioide (Endorphine), die z.B. bei Marathonläufern zur Schmerzlinderung ausgeschüttet werden. Auch das Dauerstresshormon Cortisol wirkt schmerzlindernd, was zum Durchhalten biologisch durchaus sinnvoll ist (das wird als Kortison bestimmten Schmerzpatienten verschrieben).  

 

Chronische Schmerzen und Schmerzgedächtnis lassen sich beeinflussen  

Das Schmerzgedächtnis (das man bei akuten Schmerzen durch starke Mittel verhindern sollte) kann man gegenwärtig ebenso wenig löschen wie die Erinnerung an schlimme Ereignisse im früheren Leben. Man kann jedoch mit dem Körper neue Erfahrungen machen, sodass neue Verknüpfungen erfolgen, wodurch die negativen Erinnerungen im Gehirn zwar nicht gelöscht, aber gleichsam „überschrieben“ und mit positiven Erfahrungen verknüpft werden. Man nennt dies „Re-Learning“: neue Lernerfahrungen ermöglichen eine Änderung des Schmerzgedächtnisses. Durch ein Schmerzbewältigungstraining – oft auch in Verbindung mit Schmerzmitteln und/oder Antidepressiva – sind neue Lernerfahrungen möglich, die das Schmerzgedächtnis positiv beeinflussen, d.h. das Schmerzgedächtnis ist veränderbar.

Chronische Schmerzpatienten mit früher akuten Schmerzen wurden in der Vergangenheit oft falsch behandelt: im Laufe der Zeit immer stärkere Schmerzmedikamente (statt zu Beginn, d.h. während der akuten Schmerzen, Verordnung der stärksten Schmerzmittel, um die Ausprägung des Schmerzgedächtnisses zu verhindern), darüber hinaus vor allem Verordnung von viel Ruhe, Schonung und Entspannung. Dies führt erst recht zur Schmerzverstärkung.

Heutzutage setzt man in der Therapie chronischer Schmerzen immer mehr auf Sport und jede Form von körperlicher Aktivität (natürlich ohne Überforderung) und aktiviert damit die natürliche Schmerzhemmung bei Bewegung. Entspannungstechniken helfen eher bei rein psychisch/psychosomatisch bedingten Muskelverspannungen.

Beispiele der normalen Schmerzhemmung: In Stress- und Gefahrensituationen empfinden wir weniger Schmerz, um das Funktionieren und Überleben sicherzustellen. Fußballspieler können trotz erheblicher verletzungsbedingter Schmerzen (sogar bei Knochenbrüchen) bis zum Schluss mitspielen, erst danach setzen unerträgliche Schmerzen ein. In lebensbedrohlichen Situationen (im Krieg oder auf der Flucht) können wir laufen, um unser Leben zu retten, weil die Schmerzempfindung vermindert ist durch das körpereigene Opioidsystem, das durch Stress aktiviert wird. Selbst den Schmerzreiz, den unsere Hand im heißen Wasser wahrnimmt, können wir nach kurzer Zeit ertragen lernen, obwohl das Wasser in dieser kurzen Zeit gar nicht so schnell abgekühlt ist.

Physiotherapeutisch angeleitete Schmerzbewältigungstherapie macht sich genau diese Erfahrungen zunutze: Die Gewöhnung an zuerst leichtere und später stärkere Schmerzreize bei bestimmten Bewegungen führt zum Tolerieren und Akzeptieren und damit zur Schmerzlinderung und in der Folge davon zu mehr körperlicher Aktivität.  

Das Therapieziel bei chronischen Schmerzen ist nicht die vollständige Schmerzbeseitigung (was wünschenswert wäre), sondern eine wesentliche Schmerzlinderung mit der Folge von mehr Lebensqualität und besserer beruflicher und sozialer Funktionsfähigkeit. Schmerzpatienten müssen lernen, aktiv gegen ihren Schmerz vorzugehen, ohne Passivität und totale Vermeidung. Schmerzpatienten müssen mehr von dem tun, was Ihnen Spaß macht/Spaß gemacht hat.

Die Verminderung psychosozialer Belastungsfaktoren in Familie, Partnerschaft und Beruf dient ebenfalls der Schmerzreduktion, weil die damit einhergehende chronische Muskelverspannung vermindert wird, die durch starke Gefühle wie Angst, Ärger, Wut, Hilflosigkeit und Traurigkeit aufrechterhalten wird.

Die angstbesetzte Erinnerung an den Schmerz ist auch ohne Schmerzimpuls aus dem Körper vorhanden. Angst vor Schmerzen führt zu einem Angst-Vermeidungsverhalten, das die körperlichen und sozialen Aktivitäten immer mehr einschränkt, was zu vermehrten Schmerzen und schließlich auch zu Depressionen führt, die wiederum die Schmerzschwelle senken und damit die Schmerzen verstärken. Schmerzen plus Depression führen zu völliger Inaktivität von früher oft körperlich und sportlich sehr aktiven Menschen und bewirken einen Mangel an Fitness (so genannte körperliche Dekonditionierung), bis hin zum völligen körperlichen Verfall.

Eine Depression verändert sowohl die Verarbeitung von Schmerzimpulsen als auch das Schmerzempfinden. Dies hängt damit zusammen, dass für die Verarbeitung von Emotionen im Gehirn zum Teil die gleichen Regionen und die gleichen Botenstoffe (vor allem die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin) zuständig sind wie für die Verarbeitung von körperlichem Schmerz. Eine Depression senkt die Schmerzschwelle, d.h. erhöht die Schmerzsensibilität, und erschwert die Schmerzverarbeitung. Die Beseitigung der Depression mit allen Mitteln (Psychopharmokotherapie und Psychotherapie) erleichtert daher die Schmerzbewältigung. Ohne Depression geht es vielen bereits besser.

 

Achtsamkeitstherapie – das Konzept zur Behandlung chronischer Schmerzstörungen  

Die so genannte Achtsamkeitstherapie hat sich weltweit durchgesetzt als die therapeutische Strategie im Umgang mit chronischen Schmerzen, sie wird in allen psychosomatischen Kliniken erfolgreich eingesetzt. Im Englischen spricht man von „Mindfulness-Based Stress Reduction“ (MBSR) – entwickelt vom Verhaltensmediziner John Kabat-Zinn auf der Basis eines „säkularisierten Buddhismus“ in den 1980er-Jahren in den USA.

Zentrale These: Schmerzen sind leider normaler Bestandteil des Lebens. Zum unerträglichen Leiden werden Schmerzen erst durch den Umstand, dass wir ständig vergeblich dagegen ankämpfen und sie unbedingt vermeiden möchten. Das Therapieziel ist nicht die direkte Reduktion der Schmerzen, sondern des Leidens darunter, das diese unnötig schlimmer macht. Akzeptanz und Verzicht auf Kontrolle der Schmerzen unterbrechen das symptomverstärkende Unterdrückungs- und Vermeidungsverhalten und ermöglichen neue Erfahrungen mit dem eigenen Körper.

Achtsamkeit entwickeln heißt, im gegenwärtigen Moment, im Augenblick bleiben, wahrnehmen und akzeptieren, was gerade ist, ohne ständige ängstliche Bewertung und Interpretation des Erlebten als Bedrohung, was gleich passieren könnte. Erinnerungen an negative Erfahrungen mit dem Körper und bildhafte Vorstellungen von Gefahr und Schmerz werden durchaus ohne ständige Ablenkungsstrategien zugelassen, aber sie werden als das gesehen, was sie sind: erlebte Vergangenheit und sicherlich mögliche Zukunft, doch in der Gegenwart besteht die Chance, neue Erfahrungen mit dem Körper zu machen. Das ist letztlich auch der Ansatz bei jeder Form von Angstbewältigungstherapie, z.B. bei Panikattacken oder bei Schwindel – Motto: Bleiben Sie im Augenblick, bei dem was gerade jetzt ist!

 

Zehn Schritte zur besseren Schmerzbewältigung. Welche zwei Punkte sind für Sie gegenwärtig besonders hilfreich?

1.  Nutzen Sie die Möglichkeiten der Medikamente (So viel wie notwendig, aber nicht mehr als nötig)  

2.  Nutzen Sie weiterhin konventionelle nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen (Verspannungen lindern)  

Massage – Wärme – Bäder – Strom – Unterwassertherapie u.a. Bei chronischen Schmerzen wirken muskelentspannende Methoden   sowie Wärme wohltuend und durchblutungsfördernd. Was sollten Sie daher mehr tun als bisher bzw. weiterhin tun?

3.  Pflegen Sie dosierte körperliche Aktivitäten und tun Sie Ihrem Körper etwas Gutes (Bewegung macht fitter)  

Übermäßige Schonung verschlimmert Ihr Allgemeinbefinden, schwächt Ihre körperliche Kondition und führt zum Muskelabbau.

Dosierte Aktivität und Ausdauersport wirken sich positiv auf Schmerzen aus. Ungesund sind Überforderung und Unterforderung!

Welche positiven Erfahrungen können Sie mit Ihrem Körper trotz allem noch machen? Was tut Ihnen gut? Was freut Sie noch?

Sie sollten sich nicht dafür bestrafen, dass es Ihnen körperlich schlecht geht, indem Sie auf alles Schöne im Leben verzichten.

Neue, wohltuende Erfahrungen mit Ihrem Körper geben Ihnen wieder mehr Kraft und Energie, Ihr Schicksal leichter zu bewältigen.

4.  Nehmen Sie Schmerzen/Symptome an und führen Sie ein sinnerfülltes Leben (Was macht Ihr Leben wertvoll?)  

Nehmen Sie Ihre Schmerzen und Symptome zwar wahr, stellen Sie diese aber nicht zu sehr in den Mittelpunkt. Kämpfen Sie nicht ständig gegen Ihre Schmerzen und sonstigen Symptome, weil dies viel Energie bindet, sondern nehmen Sie diese zumindest vorläufig an. Machen Sie sich bewusst, was Ihnen trotz aller Beschwerden wichtig und wertvoll ist. Tun Sie mehr von dem, was für Sie gut ist und Ihr Leben sinnvoll macht. Welche Werte und Ziele sind für Sie auch weiterhin wichtig? Was macht z.B. den heutigen Tag für Sie lebenswert?  

5.  Leben Sie achtsam (Bleiben Sie mit Ihrer ganzen Aufmerksamkeit bei dem, was Sie im Moment gerade tun)  

Bei psychischen bzw. psychosomatischen Problemen leben Sie geistig zu viel in der Vergangenheit (Sie denken ständig nur an die negativen Erfahrungen Ihres Lebens) oder Sie sind mental dauernd in der Zukunft (Sie fürchten ängstlich, was alles passieren könnte).

Achtsamkeit bedeutet dagegen, mit allen Sinnen ganz in der Gegenwart, im Hier und Jetzt mit dem beschäftigt zu sein, was Sie gerade tun und erleben; Sie verweilen also ganz im Augenblick. Achtsamkeit ermöglicht auf sinnlicher Ebene Genießen und auf geistiger Ebene volle Konzentration auf das, was Ihnen wichtig ist. Sich von Schmerzen und belastenden Symptomen nur abzulenken ist zu wenig. Worauf möchten Sie sich mit Ihrer ganzen Aufmerksamkeit und Leidenschaft konzentrieren, worin können Sie ganz aufgehen?

6.  Erlernen Sie Entspannungstechniken und mentale Strategien (z.B. Fantasiereisen)  

Für viele Schmerzpatienten sind zumindest anfangs aktive Entspannungsmethoden (progressive Muskelentspannung, Qi Gong) leichter erlernbar als „passive“ (autogenes Training, Entspannungs-CDs mit Musik oder Text). Mentale Strategien (Fantasiereisen, positive Vorstellungsbilder) lenken den Geist auf positive Vorstellungsinhalte. Entspannung bewirkt jedoch nicht die jeweilige Technik an sich, sondern die volle Konzentration auf das, was Sie gerade tun. Daher können auch zahlreiche Hobbys und Sport sehr entspannend sein.

7.  Überprüfen und ändern Sie Ihre überfordernden und krank machenden Denkmuster (Wie stressen Sie sich?)  

Denken kann Stress erzeugen: „Ich muss immer funktionieren“, "„Ich bin nur etwas wert, wenn ich etwas leiste bzw. für die anderen mein Bestes gebe“, „Ich darf keine Fehler begehen“, „Ich bin ein hoffnungsloser Fall“, „So wie jetzt mag ich mich überhaupt nicht“. Ungünstige Denkmuster (Perfektionismus, depressives Grübeln, Versagensängste) verstärken Schmerzen und andere Körpersymptome.

8.  Lernen Sie, Ihre Gefühle besser wahrzunehmen und damit umzugehen (Gefühle zulassen und nicht verdrängen)  

„Negative“ Gefühle (Angst, Wut, Ärger, Traurigkeit, Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühle, „ohnmächtige Wut“) verstärken Ihre körperliche Anspannung und Ihre Schmerzen. Lernen Sie Ihre Gefühle besser wahrzunehmen und zu bewältigen. Diffuse Gefühle in Worte fassen zu lernen, um sie anschließend anderen mitteilen zu können, ist ein zentraler Schritt zur besseren Bewältigung.

„Emotion“ heißt „von innen heraus bewegen“. Gefühle möchten uns also zu etwas bewegen. Was wollen Ihnen Ihre Gefühle mitteilen?

9.  Klären Sie Ihre Lebenssituation in Partnerschaft, Familie und Beruf (soziale Stressfaktoren bewältigen)  

Welche Stressfaktoren in Partnerschaft, Familie und Beruf gibt es, die Ihre muskuläre Verspannung erhöhen und Ihre seelische Befindlichkeit verschlechtern? Lernen Sie, besser mit diesen Belastungen zurechtzukommen. Krank machend ist nicht der Stress an sich, sondern der subjektiv unkontrollierbare Stress, der z.B. mit Wut/Ärger einerseits und Ohnmacht/Hilflosigkeit andererseits einhergeht.

10. Suchen Sie soziale Unterstützung und soziale Aktivitäten (Freundeskreis aufbauen bzw. aktivieren)  

Soziale Unterstützung hat eine stärkende und heilende Wirkung bei vielen chronischen Erkrankungen, so auch bei anhaltenden Schmerzen. Die Anwesenheit von Vertrauenspersonen wirkt auch bei sonst gesunden Menschen schmerzreduzierend, wenn sie eine medizinische Maßnahme benötigen, die mit vorübergehenden Schmerzen einhergeht. Welche sozialen Kontakte tun Ihnen gut, welche sollten Sie aufbauen bzw. mehr pflegen als bisher? Welche sozialen Kontakte können Sie hilfreich nutzen?

 

Drei Schmerztypen: Welcher Schmerztyp sind Sie?

 Fachleute unterscheiden hinsichtlich der Schmerzbewältigung drei Typen:

  1. Überforderer/Durchhalter

  2. Vermeider

  3. Bewältiger

Überforderer/Durchhalter

entwickeln übermäßige Härte gegen sich selbst

beißen die Zähne zusammen und machen weiter wie immer, wenn es schmerzt

überschreiten ihre Grenzen und erleben, dass die Schmerzen bestehen bleiben, womöglich schlimmer werden  

Vermeider

Bewältiger

Überforderer hören nicht auf die Signale ihres Körpers und sollten Schwächen zulassen. Vermeider sollten ihrem Körper mehr zutrauen, um mehr Fitness zu erlangen. Bewältiger trainieren ihren schmerzenden Körper konsequent in richtiger Weise.

 

Analyse und Änderung negativer Denkmuster bei Schmerzen

 Negative Denkmuster begünstigen bei Schmerzpatienten eine depressive Symptomatik, die die vorhandenen Schmerzen unnötigerweise verstärkt. Eine Depression wiederum schwächt die Immunabwehr, senkt die Schmerzschwelle und verstärkt dadurch erst recht die Schmerzsymptomatik. Depressiv machende Denkmuster müssen daher möglichst schnell erkannt und geändert werden. Negative Gedanken bei Schmerz sind z.B.

Viele Schmerzpatienten waren früher sehr leistungsorientiert und hatten vor ihrer Erkrankung oft folgende Denkmuster (ähnlich wie viele depressive Patienten):  

Aufgaben  

Identifizieren Sie jene Denkmuster, die Ihnen die Schmerzbewältigung erschweren.

 

Psychische Faktoren als Ursachen und Folgen von Schmerzen  

Die folgende Aufgabenstellung soll Ihnen ein besseres Verständnis für die Körper-Seele-Zusammenhänge bei Schmerzstörungen vermitteln. Einerseits bestimmen unsere Gedanken (z.B. „Ich fühle mich minderwertig“) und Gefühle (z.B. „Ich bin wütend“) unsere körperliche Befindlichkeit, andererseits führt unser körperlicher Zustand (z.B. große Schmerzen) zu bestimmten Gedanken (z.B. „Alles ist sinnlos“) und Gefühlen (z.B. „Ich habe zu nichts Lust“). Bei Schmerzstörungen begründet dies den sich aufschaukelnden Teufelskreis von Schmerzen und Gefühlen, z.B. große Traurigkeit und Enttäuschung – vermehrte Schmerzen – verstärkte Depression – noch mehr Schmerzen.

Beschreiben Sie in der linken Spalte möglichst differenziert Ihre Gedanken und Gefühle, die Ihre körperliche Anspannung bis hin zu Schmerzen verstärken, und führen Sie in der rechten Spalte jene Gedanken und Gefühle an, die sich Ihrer Meinung nach eindeutig erst als Ergebnis Ihrer Schmerzen entwickelt haben. Arbeiten Sie danach den zentralen Teufelskreis heraus, der Ihre Schmerzen immer mehr verstärkt.

Zwei Beispiele sollen Ihnen die Aufgabenstellung näher erläutern.

 

Gedanken und Gefühle

als Auslöser von Schmerzen

Gedanken und Gefühle

als Folge von Schmerzen

Ich bin sehr traurig über mein bisheriges Leben. Das macht mich innerlich so angespannt, dass meine Schmerzen zunehmen.

Meine starken Schmerzen machen mich öfter so traurig, dass ich am liebsten gar nicht mehr leben möchte.

 

Vier zentrale Säulen des Selbstwertgefühls – Zusammenhänge mit chronischen Schmerzen  

Unser Selbstwertgefühl wird durch das Erfolgserleben in vier zentralen Bereichen bestimmt:

  1. Leistung (Ausbildung, Beruf, Wissen, kognitive Fähigkeiten und spezielle Fertigkeiten),

  2. Sozialbeziehungen (Familie, Freunde, Bekannte, soziale Fähigkeiten und Erlebnisse),

  3. körperliche Aspekte (Erscheinungsbild und körperliche Fähigkeiten),

  4. emotionales Erleben (momentane Gefühle und Stimmungen, überdauernde emotionale Grundstimmung).

Solange diese vier Säulen des Selbstwertgefühls stabil sind, fühlen wir uns wohl und sicher. Wenn sie jedoch brüchig und instabil werden durch verschiedene Ereignisse, wie etwa körperliche und/oder psychische Erkrankungen, familiäre und/oder berufliche Probleme, geraten wir in eine schwere Krise: Was macht unser Selbstwertgefühl aus, wenn wir nicht mehr genug Halt und Energie finden durch die Bereiche Beruf/Ausbildung, Familie/Partnerschaft, körperliche Aktivität und emotionale Stabilität?

Wir müssen nach neuen Quellen des Selbstwertgefühls suchen, wenn die alten nicht mehr so viel Kraft geben wie früher.  

Viele Menschen, die im Laufe ihres Lebens zu Depressionen, Schmerzen und diversen psychosomatischen Störungen neigen, waren früher sehr leistungsorientiert.  

Das Selbstwertgefühl war stabilisiert durch vier zentrale Überzeugungen:

  1. „Ich bin etwas wert, weil ich etwas leiste (in Beruf und Ausbildung).“

  2. „Ich bin etwas wert, weil ich für andere etwas wert und damit wichtig bin.“

  3. „Ich bin etwas wert, weil ich körperlich etwas schaffe, das mir gut tut (z.B. im Sport und bei Aktivitäten).“

  4. „Ich bin etwas wert, weil ich guter Stimmung bin und das tue und erlebe, was mein Leben erfüllt.“

 

Als Folge von chronischen Schmerzen, belastenden körperlichen Symptomen, Depressionen und Ängsten sind viele der früheren Aktivitäten nicht mehr so möglich wie bisher. Es bedarf einer Umorientierung mit neuer Lebens- und Berufsplanung, manchmal auch neuer familiärer Ausrichtung.

Wie sehr ist Ihr Selbstwertgefühl abhängig von Ihrer Leistungsfähigkeit im Beruf?

Wie sehr ist es daher gegenwärtig beeinträchtigt?  

Wie sehr ist Ihr Selbstwertgefühl abhängig von Ihrer Fürsorge-Fähigkeit für andere?

Wie sehr ist es daher gegenwärtig beeinträchtigt?  

Wie sehr ist Ihr Selbstwertgefühl abhängig von Ihrer körperlichen Funktionsfähigkeit?

Wie sehr ist es daher gegenwärtig beeinträchtigt?  

Welchen sonstigen Faktoren (Werte, Ziele, Tätigkeiten, Erlebnisse) sollten zukünftig Ihr Selbstwertgefühl aufbauen und stärken?

 

Informationen über medikamentöse Schmerztherapie

Das Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – ursprünglich auf die Behandlung von Patienten mit Tumorschmerzen beschränkt – wird heute als Grundlage der medikamentösen Schmerztherapie ganz allgemein eingesetzt und hat sich in der alltäglichen Schmerzpraxis bewährt. Je nach Intensität, Qualität und Lokalisation der Schmerzen werden 4 Stufen der Therapie unterschieden, wobei immer die nächsthöhere Stufe angezeigt ist, wenn die erforderliche Wirkung nicht ausreicht.

Zur Verhinderung einer Abhängigkeit werden in der Schmerztherapie die schwach wirksamen Opioide (Stufe 2) und die stark wirksamen Opioide (Stufe 3) in Retard-Form eingesetzt, d.h. mit verzögerter (langsamer und gleichmäßiger) Wirksamkeit, um den bei schneller Wirksamkeit gegebenen „Kick“ zu vermeiden, der zur Abhängigkeit führt. Schmerzpatienten, die Opioide benötigen, sollten daher unbedingt ein lang wirksames Retard-Mittel verwenden. Neben den Substanzen sind in Klammer die österreichischen Handelsnamen erwähnt.  

Stufe 1

Nicht-Opioidanalgetika + unterstützende Maßnahmen + Ko-Medikation

Stufe 1 umfasst alle Schmerzmittel (Analgetika), die keine Opioide enthalten und zur Behandlung leichterer Schmerzzustände geeignet sind, z.B.

Acetylsalicylsäure (Aspirin), Diclofenac (Voltaren), Paracetamol (Mexalen), Dexibuprofen (Seractil), Ibuprofen (Brufen), Naproxen (Proxen), Ketoprofen (Profenid), Metamizol (Novalgin), Mefenaminsäure (Parkemed), Meloxicam (Movalis), Celecoxib (Celebrex), Lornoxicam (Xefo),

Phenylbutazon (Ambene).  

Regeln: nur Normaldosierung, keine Kombination mit einem zweiten Mittel aus derselben Gruppe, bei unzureichender Wirksamkeit ist eine Kombination mit Opioid-Analgetika möglich.

Diese Mittel, die verschiedene chemische Substanzgruppen umfassen, machen nicht abhängig, es besteht jedoch eine Missbrauchsgefahr. „Übergebrauch“ besteht bei mehr als 6-monatiger Einnahme an mehr als 15 Tagen pro Monat. Dies kann bei Kopfschmerzen zu analgetikainduzierten Kopfschmerzen führen.

Bei Langzeiteinnahme von NSAR (saure antiphlogistische, antipyretische Analgetika: fiebersenkende, entzündungshemmende und schmerzlindernde Mittel), zu denen die meisten verschriebenen Schmerzmittel (Aspirin, Voltaren, Seractil, Brufen, Proxen, Profenid, Parkemend, Movalis, Xefo, Ambene u.a.) zählen, besteht die Gefahr schwerer Schädigungen des Magen-Darm-Traktes und der Nieren. Zur besseren Verträglichkeit wird ein „Magenschoner“ verschrieben.

 

Stufe 2

Schwache Opioidanalgetika + Nicht-Opioidanalgetika + unterstützende Maßnahmen + Ko-Medikation (Ko-Analgetika)

Stufe 2 umfasst alle Schmerzmittel, die schwach dosierte Opioide enthalten und zur Behandlung mittelstarker Schmerzen geeignet sind, z.B. Tramadol (Tramal), Dihydrocodein retard (Codidol), Codein (TUSSIMAG Codein).

Die unangenehmsten Nebenwirkungen sind eine unerwünschte geistige Dämpfung mit verminderter Aufmerksamkeitsleistung und eine so genannte cerebrale Übelkeit (die Substanzen wirken auf das Übelkeitszentrum im Kopf, nicht auf den Magen).

 

Stufe 3

Starke Opioidanalgetika + Nicht-Opioidanalgetika + unterstützende Maßnahmen + Ko-Medikation (Ko-Analgetika)

Stufe 3 umfasst alle stark wirksamen Opioide, die zur Behandlung unerträglicher Schmerzen eingesetzt werden. Der bekannteste Wirkstoff ist Morphin.

Morphin (Morapid, Vendal), Morphin retard (Mundidol), Oxycodon (OxyContin), Hydromorphon (Hydal), Fentanyl (Durogesic-Pflaster), Buphrenorphin (Temgesic).

Fentanyl ist 1000mal stärker als Morphin; verabreicht als Pflaster, wirkt es 72 Stunden lang, d.h. das Pflaster muss nur alle 3 Tage gewechselt werden. Starke Wirkstoffe kann man auch viel niedriger dosieren, jedenfalls so hoch, dass die Schmerzen wirksam beseitigt werden.

 

Stufe 4

Invasive Therapie: anästhesiologische Eingriffe (sämtliche Nervenblockaden), mit und ohne Katheder, Operationen u.a.; häufige Methode: Schmerzpumpe

 

 „Ko-Medikation“ bezeichnet die zusätzliche Schmerztherapie durch Nicht-Analgetika: