Dr. Hans Morschitzky
Klinischer und Gesundheitspsychologe
Psychotherapeut
Verhaltenstherapie und Systemische Familientherapie
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Der
Placeboeffekt von Medikamenten
Bei Psychopharmaka sind auch psychologische Faktoren bedeutsam, die unter dem Begriff „Placebo“ bekannt sind. Das Wort Placebo kommt aus dem Lateinischen und heißt „Ich werde gefallen“. Der Arzt möchte dem Wunsch des Patienten nach einem Medikament gefällig sein und verabreicht ein Scheinmedikament, weil er glaubt, dass der Betroffene in Hinblick auf die vorgebrachten Beschwerden kein echtes Medikament benötige. Verschiedene Patienten fühlen sich mit ihren Klagen vom Arzt erst dann ernst genommen, wenn sie ein Medikament erhalten, sodass der Arzt „zum Gefallen“ ein Scheinmedikament verschreibt, um diese Patienten nicht zu verlieren.
Placebos sind Leerpräparate mit harmlosen Stoffen (Stärke, Milchzucker oder Kochsalzlösung), die durch den Glauben des Patienten an eine Wirkung tatsächlich Wirkeffekte zeigen, obwohl pharmakologisch keine gegeben sind.
Pseudoplacebos sind Scheinmedikamente in dem Sinn, dass sie zwar bestimmte Stoffe (Vitamine, Metalle, Pflanzenextrakte usw.) enthalten, die jedoch nicht die behauptete Wirkung ausüben können. Nach einer anonymen Befragung verschreiben 54% der deutschen Ärzte regelmäßig Pseudoplacebos, d.h. Präparate wie Vitaminpillen, die zwar keinen pharmakologischen Effekt haben, dem Patienten jedoch das Gefühl geben, dass seine Beschwerden behandelt werden.
Der
Placeboeffekt bei der medikamentösen Behandlung verschiedener
Krankheiten
Im Rahmen der klinischen Erprobung neuer Medikamente werden Placeboeffekte vor allem als Störgrößen betrachtet, weil sie sich mit den spezifischen Wirkungen der untersuchten Substanz vermischen und eine zuverlässige Beurteilung des Versuchspräparats erschweren. Bei Medikamentenstudien werden Placebos als Leerpräparate bei Kontrollgruppen verwendet, um die Wirksamkeit einer bestimmten neuen Substanz („Verum“ genannt) in der Versuchsgruppe zu erweisen.
Neue Medikamente werden in Doppelblindstudien getestet, wo weder behandelnde Ärzte noch Patienten wissen, wer die Wirksubstanz und wer das identisch aussehende Placebo erhält. Am Ende einer Studie werden die Therapieerfolge bei der Arzneimittelgruppe und der Placebogruppe miteinander verglichen. Das neue Medikament ist um so besser, je größer die Unterschiede zwischen beiden Gruppen sind. Als spezifischer Medikamenteneffekt wird die Differenz zwischen den unter dem Versuchspräparat auftretenden Veränderungen und jenen unter der Placeboverabreichung angesehen.
Bei derartigen Medikamentenstudien wird auch von den Pharmafirmen anerkannt, dass bei einer Placebogruppe eine Symptomreduktion gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe eintritt. Der Effekt des neuen Medikaments muss nur größer sein als der Placeboeffekt.
Im Abschlussbericht zu einer Medikamentenstudie heißt es z.B.: „Das Medikament bewirkte in der Behandlungsgruppe bei 60% der Patienten eine signifikante Symptomreduktion, während dies in der Placebogruppe nur bei 35% der Fall war.“
Placebowirkungen treten auch bei vielen Menschen mit organischen Störungen auf. Medikamente für Asthma und Herpes, die heutzutage als wirkungslos erkannt sind, führten in den 60er Jahren in den USA bei knapp 70% von etwa 7000 Patienten zu Besserungen (40% ausgezeichnete Resultate, 30% zumindest gute Erfolge).
Die psychologisch bedingte Wirksamkeit von Placebos bedeutet nicht, dass bestimmte Symptome (z.B. Schmerzen) deshalb rein psychisch bewirkt waren, sie zeigen nur den zumindest kurzfristig schmerzlindernden Effekt psychischer Faktoren an.
Die Placeboeffekte sind bei den
verschiedensten Störungen erstaunlich hoch:
„Für die Placebobehandlungen bei verschiedenen körperlichen und psychischen Krankheiten sowie Symptomen wurde eine durchschnittliche Placeboreagibilität von 35 bis 42% errechnet (Netter et al. 1986) ... Die größten Effekte wurden bei Erkältungen, Magen-Darm-Störungen, Rheuma, multipler Sklerose, bei Angina pectoris, Neurosen und Psychosen erzielt. Asthmapatienten regierten in 35% der Fälle auf die orale Gabe von Placebos mit einer Reduktion ihrer Asthmabeschwerden und in 53% auf die Placeboinjektion ... Kopfschmerzpatienten reagierten je nach Studie in 46 bis 96% auf Placebo, Migränekopfschmerz besserte sich bei den Kranken zwischen 20 und 58%. In 11 Doppelblindstudien von 1959 bis 1974 an 908 Patienten mit vergleichbarer Schmerzintensität gaben 36% der Untersuchten unter Placebo eine Verminderung der Beschwerden um mehr als die Hälfte an ... Auch andere Schmerzen mit gesichertem morphologischen Substrat (Tumor, Operationswunde, Wehen) konnten durch eine Placebobehandlung gebessert werden, wobei die Belastung von Patienten mit Stress die Wirksamkeit der Placebos erhöhte (10mal so wirksam ...).“
Placebos wirken am besten bei Symptomen oder Störungen, die zeitlichen Schwankungen unterliegen, z.B. bei endogenen Depressionen, Angststörungen und chronischen Schmerzen. Bei der Verabreichung von Placebos als Schmerzmittel oder als Psychopharmaka (z.B. als Beruhigungsmittel) erlebten bis zu 70% der Patienten eine lindernde Wirkung. 40% gaben sogar Nebenwirkungen an.
Nach einer 1998 veröffentlichten amerikanischen Depressionsstudie über 50 Wochen macht es bei jenen Patienten, die so früh auf eine antidepressive Therapie angesprochen hatten, dass ein Placeboeffekt angenommen werden muss, keinen Unterschied, ob sie in der Langzeittherapie ein Placebo oder ein SSRI-Antidepressivum erhielten.
Eine Placeboreaktion ist wahrscheinlicher, wenn die Behandlung auf eine Funktion des Zentralnervensystems gerichtet ist, wie dies bei psychischen Störungen der Fall ist. Das Vorhandensein von Angst dürfte überhaupt die beste Voraussetzung für eine Placebowirkung sein, auch bei organisch bedingten Störungen. Die Angstspannung wird durch die suggestiven Effekte rund um die Placebobehandlung reduziert.
Patienten ohne Angst reagieren auf Placebos schlechter. Bei experimentellen Schmerzstudien mit künstlich erzeugten Schmerzen ließ sich die im Vergleich zu klinischen Studien geringere Placeboerfolgsquote (3-10% vs. 35%) durch die fehlenden Angstzustände der Studienteilnehmer erklären.
Medikamentenstudien im Bereich der Angst- und Depressionsbehandlung ergaben durchschnittlich bei 25-40% der Patienten der Placebogruppe eine scheinbare pharmakologische Wirkung im Sinne des Verums, verglichen mit Kontrollgruppen ohne jede medikamentöse Behandlung. Der Placeboeffekt bei Zwangsstörungen war in früheren Studien mit 5-6% erstaunlich gering und ist in neueren Studien deutlich angestiegen. Dies hängt vermutlich mit der Aufnahme leichter beeinträchtigter Patienten in den neueren Studien zusammen, die sich durch unspezifische Therapieeffekte besserten.
Bei verschiedenen Studien mit Panikpatienten ergaben sich Placeboeffekte von 26% bis über 50%. Dies ist um so auffälliger, als die Teilnehmer an Medikamentenstudien vorher über die Möglichkeit der Zuordnung zu einer Placebogruppe informiert werden müssen.
Bei Panikpatienten zeigte sich ein deutlicher Rückgang der Häufigkeit und des Schweregrades von Panikattacken insbesondere in den ersten Wochen der Placeboeinnahme. Der kurzfristige Placeboeffekt einer völligen Symptombeseitigung hielt jedoch oft nicht länger als 8 Wochen an, dann setzten wiederum vermehrt stärkere Panikattacken ein. Die Hälfte der Patienten mit schwerer Panikstörung bei gleichzeitiger Agoraphobie brach die „Behandlung“ vorzeitig wegen Wirkungslosigkeit ab, einige Betroffene auch wegen vermeintlicher Nebenwirkungen der Placeboverabreichung. Die Placebowirkung ist bei situativen Panikattacken besser als bei spontan auftretenden Panikattacken. Bei Menschen mit generalisierter Angststörung wurden in den ersten Behandlungswochen ebenfalls hohe Placeboeffekte festgestellt. Bei Menschen mit Phobien traten positive Effekte erst nach mehrwöchiger Placeboeinnahme auf.
Eine 1997 veröffentlichte, in 11 Ländern durchgeführte Studie mit der Substanz Paroxetin (Seroxat) weist auf deutliche, bis zu einem Jahr anhaltende Placeboeffekte bei Panikpatienten hin (ein Teil der Placebo-Gruppenteilnehmer stieg allerdings aus der Studie aus).
Kontrollierte Untersuchungen zeigen auf, dass die Unterschiede der Therapieeffekte von Benzodiazepinen im Vergleich zu Placebo häufig kaum eine Signifikanz am Ende der Studiendauer erreichen, wenngleich anfangs eine Besserung unter Benzodiazepinen bzw. die Überlegenheit gegenüber Placebo sichtbar war.
Studien haben ergeben, dass Patienten und Ärzte in Doppelblindstudien mit hoher Wahrscheinlichkeit erraten können, ob der Patient eine aktive Substanz oder ein Placebo erhält. Bei einer niederländischen Doppelblindstudie zur Behandlung von Panikstörungen mit Fluvoxamin errieten 80% der Patienten und der Therapeuten in der Behandlungsgruppe, dass die wirksame Substanz und kein Placebo verabreicht wurde. Dieser Umstand hatte jedoch keine Auswirkungen auf den Therapieerfolg.
Placebos können ähnliche und ebenso
lang anhaltende Verhaltensänderungen hervorrufen wie pharmakologisch aktive
Substanzen. 30-60% der Wirkung aller Medikamente und aller therapeutischen Maßnahmen
sind auf den Placeboeffekt zurückzuführen, d.h. auf die positiven Erwartungen
von Arzt bzw. Therapeut und Patient. Placeboeffekte sind auch bei
Psychotherapien wirksam, was durchaus positiv zu bewerten ist. Deutsche
Psychiater schreiben über Placeboeffekte:
„Ein Plazebo-Effekt konnte auch beim Vergleich von Plazebopatienten einer Doppelblindstudie mit einer ‚no pills’ Gruppe nachgewiesen werden ... Allerdings wird die ‚Blindheit’ pharmakologischer Studien immer wieder in Frage gestellt, da ja erfahrene Ärzte, aber auch die Patienten anhand der Nebenwirkungen vermuten können, ob es sich bei dem Medikament um Verum oder Plazebo handelt ... Andererseits werden in einer Medikamentenstudie tatsächlich vorhandene Verum/Plazebo-Unterschiede nicht selten dadurch verwischt, dass durch die Zuwendung, die die Patienten bei einer aufwendigen Studie erhalten, Plazebo- und Verumpatienten gleichermaßen einer unspezifischen Psychotherapie unterliegen... Das Ausfüllen von Angstskalen dürfte einen ähnlichen Effekt haben wie eine kognitive Therapie: Der Patient lernt, welche Symptome zu der Angsterkrankung gehören. Untersuchungen, die von der pharmazeutischen Industrie gesponsert werden, unterliegen einem weiteren Problem, dem ‚publication bias’. Studien, in denen sich das Prüfmedikament nicht besser oder gar schlechter wirksam als Plazebo zeigte, werden seltener veröffentlicht ...“
Wirkmechanismen
von Placebos
Die Wirkung von Placebos beruht
auf einer „Heilung durch Glauben“ (Benson). Ein
Placeboeffekt ist auch bei einer vermeintlichen Alkoholeinnahme mit dem Ziel der
Angstdämpfung nachweisbar. Männer, die der Meinung waren, Alkohol konsumiert
zu haben, zeigten weniger Angst als Personen, die glaubten, nüchtern zu sein.
Im einzelnen lassen sich Placeboeffekte durch folgende Faktoren erklären:
Persönlichkeitsvariablen des Patienten,
experimentelle Einflussfaktoren,
situative Einflussfaktoren (Persönlichkeitsvariablen des Arztes,
Art der Arzt-Patient-Beziehung, Art des Behandlungsmilieus).
Persönlichkeitsvariablen
des Patienten
Als persönlichkeitsrelevante Faktoren des Patienten für eine Placebowirkung gelten Alter, Geschlecht, Lebensgewohnheiten, Vorerfahrung mit bestimmten Medikamenten, bestimmte situative Bedingungen (z.B. Empfänglichkeit aufgrund aussichtsloser Behandlungssituation) und verschiedene Persönlichkeitsfaktoren (Suggestibilität, Erwartung, Hoffnung). Je stärker die Schmerzen und der Leidensdruck sind, um so größer ist der Placeboeffekt.
Placebos stellen nicht einfach nur Täuschungsversuche des Patienten dar. Placebowirkungen beruhen auf den Selbstheilungskräften des Menschen. Dies sollte den Betroffenen nach einiger Zeit der Einnahme auch bewusst gemacht werden. Aus therapeutischen Gründen ist eine intensive Erforschung der Placebophänomene angezeigt.
Gauler und Weihrauch beschreiben die Placebowirkfaktoren
folgendermaßen:
„Die Placeboreaktion ... wird durch Linderung der Angstzustände und mentale Suggestion erklärt ... Man glaubt, dass ängstliche Patienten der Suggestion leichter zugänglich sind. Shapiro behauptete sogar, dass Patienten ohne Angst generell schlechter auf Placebos reagieren ... Subjektiv stark empfundene Hilfsbedürftigkeit erhöht ebenfalls die Reaktionsfähigkeit auf Placebos. Besonders empfänglich sind psychomotorisch Kranke mit begleitenden Angst- und Depressionszuständen aufgrund ihrer Verunsicherung, ihres fehlenden Selbstvertrauens und ihres Entscheidungsfähigkeitsverlustes ... Immer wieder hat sich gezeigt, dass eine Medizin dann am besten wirkt, wenn die Not am stärksten empfunden wird. Hierbei wird gerne von Stressfaktoren gesprochen, die durch Krankheitssymptome wie Fieber, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schmerzen, sowie das damit verbundene ‚psychische Elend’ in Form von Angst, Depression, Verstimmung, geringer Selbstachtung und fehlender sozialer Unterstützung (Krankenrolle) ausgelöst werden. In einem solchen emotional-aktivierten Zustand ist der Patient beeinflußbar und reagiert deshalb besser auf Placebos. Der universellen Wirksamkeit des Placebos entspricht auch die Vorstellung, dass die Stresswirkung die gemeinsame Grundlage aller Adaptationsreaktionen des menschlichen Körpers ist ... Cleghorn et al. konnten bei Patienten nach subkutaner Kochsalzinjektion eine Stimulierung der Nebennierenrinde feststellen ... Durch Placebogabe kann also eine positive Stressreaktion im Sinne einer Nebennierenrinden-Stimulation (NNR) ausgelöst werden. Beecher wies darauf hin, dass angstvolle Patienten häufig Störungen der Nebennierenrinde (aktiviertes adrenerges System) aufweisen und möglicherweise deshalb besser auf Placebos reagieren.“
Experimentelle
Einflussfaktoren
Bestimmte experimentelle Einflussfaktoren verstärken aufgrund der Erkenntnisse der Placeboforschung den Effekt von Placebos:
Verabreichungsform. Injektionen und Infusionen wirken stärker als oral verabreichte Kapseln oder Tabletten, Placebosalben besser als Placebotabletten.
Aussehen (Form und Farbe). Blaue Tabletten werden als eher sedierend, rote oder pinkfarbene als eher stimulierend erlebt. Weiße Tabletten stehen am unteren Ende der Wirksamkeitsskala, farbige Pillen suggerieren spezifischere Wirkungsweisen. Grüne Placebos helfen besonders bei Angstzuständen, blaue mehr bei Erregungszuständen, gelbe mehr bei Depressionen, rote bei jeder Art von Schmerzen und Entzündungen. Während früher viele Medikamente weiß und rund waren, wird heutzutage von den Pharmafirmen auf die optische Gefälligkeit geachtet.
Größe. Sehr kleine und sehr große Tabletten sind wirksamer als normal große.
Geschmack. Präparate mit Geschmackszusätzen werden als wirkungsvoller beschrieben. Ein unangenehmer Geschmack wirkt stärker als ein angenehmer.
Dosis. Hohe Dosierungen wirken stärker als niedrige.
Erfahrene Psychiater wissen,
dass dieselbe chemische Substanz, von verschiedenen Firmen unter anderen
Handelsbezeichnungen vertrieben, in den Augen der unerfahrenen Patienten je nach
verordnetem Präparat unterschiedliche Wirkung haben kann. Patienten glauben
gerne an die Wirksamkeit eines Medikaments mit dem gleichen Handelsnamen, das
ihnen selbst oder Bekannten schon einmal geholfen hat.
Situative
Einflussfaktoren (Arzt-Patient-Beziehung)
Verhaltensweisen und Persönlichkeit des behandelnden Arztes sowie die damit verbundene Arzt-Patient-Beziehung bestimmen entscheidend die Placebowirkung:
Die Instruktionen oder Suggestionen des Arztes hinsichtlich eines bestimmten Medikaments, Erklärungen zur geplanten Therapie sowie die Voraussage über Wirkung und Nebenwirkung des verabreichten Medikaments beeinflussen die Wahrnehmung und Erwartung des Patienten. Ein Placebo, das einmal als Beruhigungsmittel und einmal als Stimulans angekündigt wurde, hatte unterschiedliche psychische und physiologische Wirkungen. Das als „Stimulans“ verabreichte Placebo bewirkte eine deutliche Erhöhung der Herzfrequenz innerhalb eines Zweistundenzeitraumes, das als „Tranquilizer“ beschriebene Placebo führte nach zwei Stunden zu einer Verringerung des Herzschlags.
Die Gerichtetheit und Präzision von Instruktionen (z.B. genau 5 Tropfen eines Saftes nehmen) verstärkt die Wirkungserwartung, weil implizit ein Zusammenhang zwischen Menge und Wirkung vermittelt wird.
Bestimmte Persönlichkeitsvariablen des Arztes (positive bzw.
negative Einstellung zum Medikament, für den Patienten Vertrauen erweckende
Haltung usw.) unterstützen die Erfolgserwartung des Patienten und damit auch
den Effekt der Medikamentenwirkung. Der Glaube des Arztes in die Wirksamkeit der
Medikation verstärkt den Wirkeffekt beim Patienten. Nach Placebostudien genesen
die Patienten skeptischer Ärzte viel seltener als die Patienten von Ärzten,
die sich begeistert über das „Medikament“ äußern, wirken Placebos, die
von einem Primararzt verabreicht werden, besser als solche, die von einer
Krankenschwester gegeben werden, lösen junge, engagierte und optimistische Ärzte
größere Wirkungen aus als routinierte Ärzte, die sich wenig Zeit für den
Patienten nehmen. Doppelblindstudien mit Arzneimitteln bestätigen die besseren
Effekte bei jungen, begeisterten Ärzten, die ihren Optimismus auf die oft
verzweifelten Patienten übertragen können. Ärzte, die eine neue
Behandlungsmethode einführen, erreichen oft bessere Behandlungseffekte als Ärzte,
die später dieselbe Methode anwenden. Dies erklärt neben anderen Faktoren wie
Selektionseffekten auch, warum Medikamente bei den Wirksamkeitsstudien oft
besser wirken als bei der späteren klinischen Routineanwendung. Behandelnde Ärzte,
denen vermittelt wurde, dass ein Placebopräparat ähnlich wie Morphin wirke,
erreichten größere Effekte bei ihren Patienten, als wenn ihnen erklärt wurde,
dass es sich um Aspirin handle. Nach der Aufklärung über das Placebopräparat
fiel die Wirkung beim Patienten um die Hälfte ab. Die (ethisch notwendige) Ankündigung,
dass bei einem bestimmten Medikament möglicherweise genau umschriebene
Nebenwirkungen auftreten können, führt bei bestimmten Patienten (z.B. bei
Menschen mit Angst- und Panikstörungen) tatsächlich zu einer größerer
Auftrittswahrscheinlichkeit. Der Placeboeffekt kann bis zu 100% des
Behandlungserfolgs ausmachen, wenn sich der Patient vom Arzt verstanden und
angenommen fühlt.
Placebopräparate wirken sogar dann, wenn Arzt und Patient von Beginn an wissen, dass ein Placebo verabreicht wird. Dies lässt sich durch langjährige Konditionierung erklären. Jedes im Laufe des Lebens eingenommene Kopfwehmittel verstärkt die Assoziation zwischen der weißen Pille und dem Gefühl der Besserung.
Medikamente im Rahmen einer Studie wirken oft besser als bei der späteren Routineanwendung. Dies hängt damit zusammen, dass die Ärzte bei einer Studie mit den Patienten aufgrund der häufigen und ausführlichen Befragungen intensiver in Kontakt treten müssen, als dies in der Alltagspraxis der Fall ist. Der Umstand, im Mittelpunkt einer Studie zu stehen und damit eine besondere Aufmerksamkeit zu genießen, hat eine positive Wirkung, die in der Sozialpsychologie seit den 20er Jahren als „Hawthorne-Effekt“ bekannt ist. Das Bewusstsein, an der wissenschaftlichen Prüfung eines Medikaments teilzunehmen, kann auch dazu führen, dass die Patienten dem Arzt durch ihr positives Verhalten unbewusst zum erwünschten Studienergebnis verhelfen möchten.
Bei einer internationalen Studie der Weltgesundheitsorganisation über den Effekt der medikamentösen Behandlung bei Panikstörungen mit Alprazolam (Xanor®, Xanax®, Tafil®) und Imipramin (Tofranil®) ergab sich der Befund, dass dieselben Medikamente bei Patienten in der Dritten Welt eine viel bessere Wirkung aufwiesen als in der westlichen Welt. Aufgrund der Art der Studie mussten sich die Ärzte mehr mit ihren Patienten beschäftigen, als dies in der Dritten Welt ansonsten üblich ist. Neben den Medikamenten wirkte der vermehrte Arzt-Patient-Kontakt zusätzlich heilsam.
Bei verschiedenen Studien zur medikamentösen Behandlung von Panikstörungen wurde ein deutlicher Placeboeffekt nachgewiesen. Wenn für viele Menschen allein die Nähe zur Medizin und zu Ärzten bereits symptomlindernd wirkt, muss dieser Effekt auch in Placebogruppen angenommen werden.
Die verschiedenen Erklärungskonzepte
zur Wirksamkeit von Placebopräparaten lassen sich nach Deter folgendermaßen
zusammenfassen:
„Die Placebowirkungen zur Schmerzreduktion könnte durch eine zentral vermittelte Endorphinfreisetzung zustandekommen (Netter et al. 1986).
Viele der Placebowirkungen auf das Vegetativum sind den Körpereffekten nach Entspannungstechniken vergleichbar. Durch eine Fremd- bzw. Autosuggestion lassen sich entsprechende psychische und körperliche Veränderungen hervorrufen.
Ein dritter Erklärungsansatz auf lerntheoretischer Grundlage bezieht sich auf Patienten, bei denen eine Verumtherapie gewirkt hat und bei denen nun eine Wirkungserwartung gegenüber der Placebotherapie besteht. Hierbei gilt das früher wirksame Pharmazeutikum als unkonditionierter Stimulus, das Aussehen und die Applikationsart des Präparates, der Ort der Einnahme und das Pflegepersonal als neutraler Stimulus, der in der Lage ist, die frühere positive Wirkung des unkonditionierten Stimulus nun seinerseits hervorzurufen ...
Nach einem attributionstheoretischen Modell könnte der Patient zufällige Änderungen des körperlichen und psychischen Befindens auf das Placebo beziehen und ihm die Ursachen für die Veränderungen zuschreiben.“
Der Placeboeffekt ist ein unspezifischer Behandlungseffekt, der bei jeder medizinischen und psychotherapeutischen Behandlung wirksam ist. Er stellt eine unbewusste Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Menschen dar und ist keineswegs bloß Einbildung, sondern hat durchaus klar und objektiv messbare körperliche Gesundungseffekte. Die genaue Wirksamkeit von Placebos beruht auf den komplizierten Zusammenhängen zwischen Psyche, Nerven- und Immunsystem. Mögliche Wirkmechanismen sind Konditionierung, Entwicklung einer Erwartungshaltung und Freisetzung endogener Überträgersubstanzen einschließlich der Endorphine (körpereigene Peptide mit morphinähnlicher Wirkung) und der adrenalinähnlichen Katecholamine.
Die Wirksamkeit von Placebos bei körperlichen Störungen kann nicht bloß durch Einbildung und Erfolgserwartung erklärt werden. Vielmehr ist bereits seit längerem nachgewiesen, dass zumindest bei bestimmten Schmerzpatienten der Glaube an die schmerzdämpfenden Effekte des Placebos zur Ausschüttung endogener analgetisch wirkender Stoffe führt. Es handelt sich dabei um die vermehrte Ausschüttung von Endorphinen, d.h. körpereigenen Opiaten zur Schmerzdämpfung. Endorphine als körpereigene Agonisten binden an denselben Rezeptoren des schmerzdämpfenden Systems (Opioidrezeptoren) wie Analgetika. Endorphine hemmen dadurch die Ausschüttung schmerzimpulsvermittelnder Neurotransmitter. Die freigesetzten Endorphine blockieren die vom Hinterhorn des Spinalmarks eintreffenden Schmerzimpulse.
Die durch das Placebo bewirkte Schmerzdämpfung nimmt nach einiger Zeit ab, d.h. es setzt eine Toleranz ein, die durch eine Dosissteigerung überwunden werden muss - ein typischer Suchtmechanismus. Bei plötzlichem Absetzen des Placebos können sogar Entzugserscheinungen auftreten. Der analgetische Effekt des Placebos lässt sich zumindest bei einem Teil der Patienten durch einen Opiatantagonisten (z.B. Nalaxon mit dem Präparat Narcanti®) aufheben. Der Umstand, dass die Schmerzdämpfung bei einem Teil der Patienten trotz der Blockierung der Endorphinrezeptoren anhält, weist darauf hin, dass Placebos noch über andere schmerzhemmende Systeme wirken müssen, die andere Neurotransmitter freisetzen.
Nebenwirkungen
von Placebos
Bei Placebos können schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten. Placebonebenwirkungen sind oft krankheits- oder präparatespezifisch:
Schwindel bei psychiatrischen Störungen,
Kopfschmerzen bei Bluthochdruck-Patienten und Angina-pectoris-Patienten,
Magen-Darm-Beschwerden bei Ulkuspatienten.
Viele Placebonebenwirkungen sind eher subjektive Zustände, die nur schwer objektivierbar sind. Nach Placeboverabreichungen werden in 10-30% der Fälle folgende Nebenwirkungen berichtet: Mundtrockenheit, Übelkeit, Brechreiz, Schwindelgefühl, Benommenheit, Ohnmachtsneigung, Müdigkeit, Schweregefühl, Schwächegefühl, Schläfrigkeit, Schlaflosigkeit, Erregung, Angstzustände, Kopfschmerzen, Tinnitus, Sehstörungen, Schweißausbruch, Juckreiz, Appetitlosigkeit, Verstopfung, Bauchschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Verwirrung.
Die unerwünschten Nebenwirkungen von Placebos nehmen bei Dosissteigerung zu. Oft treten auch objektiv überprüfbare, mitunter sogar schwerwiegende Placebonebenwirkungen auf: Herzrasen, Blutdruckänderungen, Kollaps, Wärme- und Kältezustände, Fieber, Mundtrockenheit, Durst, Durchfall, Erbrechen, Harnverhalten, Menstruationsstörungen, Zittern, Hautausschläge, Depression, Halluzinationen, Allergien, Haarausfall, Cholesterinspiegel-Änderungen usw. 30% einer Gruppe von Krebspatienten, die unter dem Anschein eines neuen Chemotherapeutikums mit einem Placebo behandelt wurden, litten unter Übelkeit und Haarausfall.
Nebenwirkungen lassen sich sogar in Abhängigkeit von der Placeboreaktionsbereitschaft feststellen. Bei Personen, die gut auf Placebos ansprechen, zeigen sich Nebenwirkungen hauptsächlich im Zentralnervensystem (Dämpfung, Schwindel, Denkstörungen), bei Personen, die eher schlecht auf Placebos ansprechen, treten Nebenwirkungen vor allem im Magen-Darm-Bereich auf.
Viele Placebonebenwirkungen entsprechen den erwarteten Nebenwirkungen des neuen Medikaments, sodass unter den Studienteilnehmern Lernprozesse (Modellernen) angenommen werden müssen.
Die Nebenwirkungen von Placebos werden im Rahmen der jeweiligen Studien anhand von Fragebögen in gleicher Weise erhoben wie bei den untersuchten Medikamenten. Die Art und Häufigkeit der Nebenwirkungen von Placebos (aber auch von Verumpräparaten) ist dabei stark von der Art der Erfassung abhängig. Das Vorlegen einer Liste mit 25 möglichen Nebenwirkungen führt dazu, dass selbst die meisten gesunden Menschen einige Symptome ankreuzen werden.
Vorhandene Missempfindungen und Beschwerden werden oft dem Placebomittel zugeschrieben. Mehrere Studien an insgesamt über 4000 Personen ergaben, dass der Großteil der Beschwerden, die als Nebenwirkungen des Placebos angegeben wurden, schon vor der Behandlung vorhanden waren, dann aber auf das Placebopräparat attribuiert wurden. Echte Placebonebenwirkungen lassen sich nur durch Vergleichsstudien mit Placebo- und unbehandelten Kontrollgruppen ermitteln. Aufgrund des Aufwands fehlen letztere oft sogar bei umfangreichen Studien. Die echten Placebonebenwirkungen können jedoch nur aus der Differenz des Effekts des Placebos und des Effekts der unbehandelten Kontrollgruppe ermittelt werden.