Dr. Hans Morschitzky

Klinischer und Gesundheitspsychologe

Psychotherapeut

Verhaltenstherapie und Systemische Familientherapie

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Pflanzliche Mittel (Phytopharmaka) bei Angststörungen

  

Verschiedene pflanzliche Mittel (Phytopharmaka) gelten in der Volksmedizin als beruhigend, angstdämpfend, entspannend und schlaffördernd. Es handelt sich um folgende Pflanzen: Baldrian, Hopfen, Melisse, Johanniskraut, Passionsblume, Orangenblüte und Lavendel. Kava-Kava ist seit 2002 wegen möglicher Leberschäden EU-weit verboten.

Im Folgenden werden die relevanten Phytopharmaka näher dargestellt:

Baldrian wird in der Volksmedizin bei Angstzuständen, Nervosität und Schlafstörungen eingesetzt und enthält über 100 Bestandteile. Die wirksamen Inhaltsstoffe sind unbekannt. Die Gesamtwirkung von Baldrian beruht auf synthetisch völlig unterschiedlichen Wirkstoffen. Baldrian bewirkt eine erhöhte GABA-Konzentration im synaptischen Spalt durch eine erhöhte GABA-Ausschüttung und eine gleichzeitige Hemmung der Wiederaufnahme, was Angst und Anspannung dämpft. Baldrian wirkt nicht nur auf die GABAA-Rezeptoren ein, sondern auch auf die Adenosin-rezeptoren (Adenosin ist ein schlaffördernder Wirkstoff, der tagsüber im Gehirn angereichert und in der Nacht abgebaut wird). Dies erklärt die sedativen und schlaffördernden Effekte. Als Nebenwirkungen können sehr selten Kopfschmerzen oder Übelkeit auftreten. Hang-over-Phänomene am Morgen, Überdosierungseffekte oder Abhängigkeitseffekte sind unbekannt. Baldrian macht selbst in hohen Dosen nicht müde, sondern lindert Angst und die damit verbundenen körperlichen Begleiterscheinungen. Die sedativ-hypnotischen Wirkungen von Baldrian werden durch Hopfen verstärkt, weshalb Kombinationspräparate den Monopräparaten in der Wirksamkeit überlegen sind. Das Baldrian-Hopfen-Präparat Hova® (Ö) bzw. Hovaletten® N (D) enthält 200,2 mg Trockenextrakt aus der europäischen Baldrianwurzel und 45,5 mg Trockenextrakt aus Hopfenzapfen. Das Präparat hat einen beruhigenden, muskelentspannenden und krampflösenden Effekt und führt zu keiner Beeinträchtigung am nächsten Tag. Bei Schlafstörungen sollten 2-3 Tabletten eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen eingenommen werden, bei Unruhe, Nervosität und Angstzuständen 2-3 Tabletten pro Tag. 1-2 Wochen „Anlaufzeit“ sind abzuwarten. Laut neueren Erkenntnissen sind 600-900 mg Baldrian-Trockenextrakt pro Tag erforderlich. Die Wirksamkeit bei Angststörungen ist nicht überzeugend belegt.

 

Hopfen wird als Beruhigungsmittel bei Unruhe, Angst- und Spannungszuständen sowie nervösen Schlafstörungen verwendet. Die wirksamen Inhaltsstoffe wurden noch nicht gefunden. Der während der Lagerung aus Humulon und Lupulon entstehende Alkohol Methylbutenol ist als einer der wirksamsten Inhaltsstoffe anzusehen, möglicherweise erfolgt auch nach der oralen Aufnahme im Körper eine entsprechende Umwandlung aus Lupulon. Methylbutenol zeigte im Tierversuch eine deutlich sedative Wirkung. Hochklassige Wirksamkeitsstudien beim Menschen fehlen. Methylbutenol ist eine äußerst flüchtige Substanz und daher in Extrakten nicht mehr vorhanden. In Kombinationspräparaten (Hopfen mit Baldrian und/oder Melisse) kommt die sedierende Wirkung des Hopfens dagegen besser zur Geltung.

 

Melisse wirkt beruhigend und wird bei nervös bedingten Einschlafstörungen, zur Appetitanregung und bei psychosomatischen Beschwerden (Herz, Magen-Darm-Trakt) angewandt. Die Wirksamkeitsnachweise sind allgemein unbefriedigend.

 

Lavendel wirkt schwach beruhigend. Die Wirksamkeit ist noch wenig erforscht.

 

Orangenblüten werden zwar in der Volksmedizin als Beruhigungsmittel eingesetzt, eine wissenschaftliche Bestätigung der Wirkung liegt jedoch nicht vor.  

 

Passionsblumenkraut wird gegen nervöse Unruhe, psychosomatische Störungen, Einschlafschwierigkeiten und Angst eingesetzt. Die Wirkung ist nicht erwiesen.


Johanniskraut-(Hypericum)-Extrakte
sind laut vielen Studien wirksam bei leichten und mittelschweren Depressionen, in Bezug auf Angststörungen fehlen überzeugende Wirksamkeitsbelege. Aus der Wirksamkeit bei leichten und mittelschweren Depressionen kann ohne seriöse Studien keinesfalls die Wirksamkeit bei Angststörungen abgeleitet werden. Die bisherigen Befunde sind enttäuschend: Johanniskraut hat  leider keine bedeutsame angstlösende Wirkung. Die Tagesdosis sollte jedenfalls mindestens 900 mg Johanniskrautextrakt betragen. Wechselwirkungen mit vielen anderen Medikamenten sind zu bedenken. Der Wirkmechanismus beruht auf der Wiederaufnahmehemmung von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin, GABA und Glutamat bei gleichzeitiger Steigerung der Sekretion von GABA, Aspartat und Glutamat, der Hauptmechanismus besteht wohl in der Modulation von Ionenkanälen. Wegen der Möglichkeit folgenschwerer Auswirkungen bei Einnahme anderer Medikamente (z.B. Pille) werden Johanniskraut-Präparate heutzutage viel kritischer beurteilt als früher.  


Kava-Kava
als nachweislich bei Angststörungen wirksamstes pflanzliches Mittel wurde wegen möglicher Leberschäden EU-weit verboten.

 

Wirkungsspektrum pflanzlicher Präparate laut Volksmedizin

 

Pflanzliche Substanz

Verwendete Teile

Wirkung

Anwendung

Baldrian

Wurzel

beruhigend, schlaffördernd

Angstzustände, Nervosität, Schlafstörungen

Hopfen

Zapfen

beruhigend, schlaffördernd

Unruhe, Angstzustände, Nervosität, Schlafstörung

Melisse

Blätter

beruhigend

Einschlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden

Johanniskraut

Kraut

mild antidepressiv

depressive Verstimmung, nervöse Angst und Unruhe,

psychovegetative Störungen

Passionsblume

Kraut

beruhigend, krampflösend

nervöse Unruhe

Lavendel

Kraut

beruhigend

Unruhe, Einschlafstörung

Kava-Kava (seit 2002 verboten)

Wurzelstock

Angst lösend, beruhigend, entspannend

nervöse Angst-, Spannungs- und Unruhezustände

 

Phytopharmaka werden seit längerem in wissenschaftlichen Studien mithilfe standardisierter Extrakte ähnlich wie Psychopharmaka geprüft. Die Standardisierung (und damit auch die wissenschaftliche Überprüfbarkeit) ist jedoch nicht immer leicht, denn angesichts der Fülle der enthaltenen Substanzen sind bei den meisten Heilpflanzen die eigentlichen Wirksubstanzen oft noch nicht ausreichend bekannt.

In der seriösen Cochrane-Datenbank wurden die vorhandenen Studien zur Behandlung von Patienten mit Angststörungen mithilfe von Phytopharmaka zusammengefasst – mit dem ernüchternden Ergebnis, dass Baldrian bei Panikpatienten und Passionsblumenkraut bei Patienten mit Angststörungen keinesfalls überzeugend wirksam sind.

Die zahlreichen Kombinationspräparate (bestehend aus 2-3 Extrakten von Baldrian, Passionsblumenkraut, Melisse oder Johanniskraut) sind allein schon wegen ihrer jeweils zu geringen Extraktmenge unzulänglich bei der Behandlung krankhafter Ängste.