Dr. Hans Morschitzky
Klinischer Psychologe, Psychotherapeut
Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie
A-4040 Linz, Hauptstraße 77
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Herzphobie - Herzneurose - Herzangst
Somatoforme autonome Funktionsstörung
Ein 43-jähriger Mann
kommt in Psychotherapie, weil er in den Medien mehrfach auf den Begriff der
Panikattacken gestoßen sei. Er wünsche eine Verhaltenstherapie, weil er durch
die Berichte den Eindruck gewonnen habe, dass ihm dadurch rasch geholfen werden
könne. Nach vielen stationären und ambulanten Untersuchungen im Laufe von Jahren
war keine körperliche Ursache gefunden worden. Er habe dieselbe Symptomatik zwar
schon seit mindestens 15 Jahren, doch habe man ihm bisher immer gesagt, er habe
eine Herzphobie. Ein Arzt habe gesagt, da könne man gar nicht viel machen, damit
müsse er einfach leben lernen, denn sterben könne man immer, auch wenn man
völlig gesund sei. Ein anderer Arzt habe ihn schon vor Jahren darauf
hingewiesen, dass er eine Herzneurose habe und deswegen eine Psychoanalyse
benötige, doch dazu habe er weder Geld noch Zeit noch Geduld. Bei genauer
Verhaltensanalyse ergibt sich der Eindruck, dass der Patient nicht unter
Panikattacken leidet, sondern mehrfach unangenehme Herzsensationen erlebt hat,
anfangs einmal starke Herzschmerzen und Herzstiche mit einer Ausstrahlung der
Schmerzen in den linken Arm, sodass er geglaubt habe, einen Herzinfarkt zu
bekommen, seit Jahren jedoch sei er primär geprägt durch die Erwartungsangst,
ebenfalls so früh sterben müssen wie sein Vater, der mit 51 Jahren einem
Herzinfarkt erlegen sei. Er sei überzeugt, keine 50 Jahre alt zu werden, weil in
der Linie seines Vaters mehrere männliche Verwandte einen Bluthochdruck gehabt
hätten und dann frühzeitig gestorben seien. Er kontrolliere zu seiner Beruhigung
oft – jedenfalls mehr, als seiner Gattin lieb sei – den Blutdruck und den Puls
und habe auch schon bei mehreren Kardiologen überprüfen lassen, wie
leistungsfähig sein Herz sei. Der Patient scheint anfangs an einer kürzeren
Psychotherapie wenig interessiert zu sein und will nur wissen, was er
tatsächlich habe. Verschiedene Diagnosen stehen zur Auswahl: Panikstörung,
somatoforme autonome Funktionsstörung des kardiovaskulären Systems,
undifferenzierte Somatisierungsstörung, hypochondrische Störung. Die eine
(„Panikstörung“) ist nach dem ICD-10 falsch, die andere („somatoforme autonome
Funktionsstörung des kardiovaskulären Systems“) zwar dem ICD-10 entsprechend,
jedoch in der Wissenschaft umstritten, eine weitere („hypochondrische Störung“)
zwar zutreffend, für den Patienten jedoch diskriminierend, die nächste
(„undifferenzierte Somatisierungsstörung“) zwar dem DSM-IV entsprechend, für den
Patienten jedoch so ungewohnt, weil nie gehört, dass sie nicht in Frage kommt.
Wir einigen uns auf
den Umstand, dass er eine Gesundheitsangststörung habe, wie man diese Störung
vielleicht einmal nennen werde, denn er habe Angst seine Gesundheit und sein
Leben zu verlieren. Der Patient ist zufrieden, weil er eine Diagnose erhält, die
er akzeptieren kann. Jetzt steht wenigstens die Diagnose fest, obwohl das
Problem durch ein anderes Wort nicht kleiner geworden ist. Der Patient möchte
doch eine Psychotherapie, aber nur eine ganz kurze. Er wolle endlich das Gefühl
der Todesbedrohung von seinem gesunden Herzen wegbekommen. Andere Probleme gebe
es keine. Seine Frau stehe zu ihm, auf sie könne er sich immer verlassen, die
Kinder seien „brav“, die Arbeit sei zwar stressig, aber jedenfalls sei er froh,
dass er überhaupt noch eine habe, denn andere, aus Kostengründen gekündigte
ältere Kollegen wären froh darüber. Eigentlich habe er gehofft, ich könnte ihm
beibringen, positiv zu denken, denn er schaffe dies angesichts seiner
unangenehmen Herzsensation nicht. Nach kurzer Enttäuschung über die
ausbleibenden „Wundertechniken“ der Verhaltenstherapie überlegt er, welche der
zwei Übungen er nächste Stunde wählen will: Übung 1: mit geschlossenen Augen 10
Minuten lang sich vorstellen, dass das Herz immer schneller rast, bis es
plötzlich zu schlagen aufhört oder Übung 2: Bei geschlossenen Augen eine halbe
Stunde lang sich intensiv vorstellen, worüber er im Falle des plötzlichen Todes
am meisten traurig wäre. Am Ende der zweiten Stunde weiß der Patient durch Übung
2, was er alles fürchtet, abgesehen von seinem Herzen, und kommt alleine damit
zurecht.
Die somatoforme autonome Funktionsstörung des kardiovaskulären Systems (F45.30) umfasst im Wesentlichen die Symptomatik der Herzphobie, aber auch andere funktionelle, psychogen bedingte Störungen des Herzens und des Blutdrucks. Als dazugehörige Begriffe gelten laut ICD-10: Herzneurose, neurozirkulatorische Asthenie, Da-Costa-Syndrom.
Im Mittelpunkt
stehen anfallsartig auftretende Herzschmerzen („Herzattacken“) bzw. herzbezogene
Ängste in Verbindung mit funktionellen Herzbeschwerden oder vereinzelten
Panikattacken. Funktionelle Fehlsteuerungen des Herz-Kreislaufsystems drücken
oft eine Aktivierung durch Emotionen und Stress ohne körperliche Betätigung aus.
Nach den
diagnostischen Kriterien des ICD-10, wonach eine Phobie eine spezifische Angst
vor einem externen Reiz darstellt, ist die Bezeichnung „Herzphobie“ ein
veralteter Begriff und stellt nach Hiller (persönliche Information) eine
Variante der „hypochondrischen Störung“ dar.
Dies trifft nach seiner Auffassung auch auf zahlreiche andere Phänomene aus dem
Bereich der somatoformen autonomen Funktionsstörungen zu. Im Falle von
gleichzeitig auftretenden Panikattacken kann zusätzlich auch eine Panikstörung
(F41.0) diagnostiziert werden.
Im
amerikansichen psychiatrischen Diagnoseschema DSM-IV, das die Diagnose der
somatoformen autonomen Funktionsstörung gar nicht kennt, wird die Herzphobie als
eine Variante der Panikstörung angesehen.
Unter Psychoanalytikern ist der Begriff der Herzneurose mit
bestimmten Erklärungsmodellen verbreitet, zunehmend wird jedoch der Begriff der
Herzphobie verwendet.
Eine Herzphobie lässt sich durch folgende Merkmale charakterisieren:
Anfallsartig auftretende Symptome wie bei einer Panikattacke, jedoch mit dem Schwerpunkt auf Herzsensationen: Tachykardie (bis zu 160 Herzschläge pro Minute), plötzliche Blutdrucksteigerung (bis zu 210/110 mm Hg), unregelmäßiger Herzschlag (Extrasystolen), Brennen und Hitzegefühle an der Herzspitze, Stiche, Schmerzen oder Ziehen im (linken) Brustbereich (oft als „Herzschmerzen“ erlebt).
Andere körperliche Symptome: Schwitzen, Hitze- oder Kältegefühle, Hyperventilationsneigung, Atemnot, Beklemmungs- und Erstickungsgefühle, Schwindelgefühle, Körpermissempfindungen (Parästhesien), Übelkeit, Gesichtsröte.
Panikartiges Todes- und Vernichtungsgefühl, bedingt durch die Symptome, die als Anzeichen einer Herzerkrankung gewertet werden.
Ständige ängstliche Konzentration auf
das Herz
aus Sorge, an einer bisher nicht erkannten Herzkrankheit zu leiden, obwohl
zahlreiche Untersuchungen keinen organischen Befund erbracht haben. Viele
Patienten (50–75 %) leiden auch nach der kardiologischen
Ausschlussdiagnostik unter intensiven Herzbeschwerden, davon können nur
weniger als die Hälfte (39 %) glauben, dass sie herzgesund sind.
Vertrauensverlust in die automatische Herzfunktion, sodass übertriebene Kontrollen erfolgen (häufiges Fühlen und Zählen des Pulses und Messen des Blutdrucks). Die ständige Konzentration auf das Herz führt zu einem abnormen Herzbewusstsein und verstärkt die Herzangst bei jeder Sensation. Allein die angespannte, erhöhte selektive Aufmerksamkeit auf die Herztätigkeit bewirkt bereits eine leichte Herzfrequenzsteigerung.
Ausgeprägte Schonhaltung, um das Herz nicht zu sehr zu belasten, was mit einem starken Vermeidungsverhalten einhergeht und zu körperlicher Dekonditionierung führt. Emotionale Erregung (z.B. Ärger, Wut, Enttäuschung) und normale Belastungen wie Stiegensteigen, Gartenarbeit, sportliche Betätigung, Geschlechtsverkehr mit der Partnerin, Schwangerschaft trotz Kinderwunsch usw. werden wegen der befürchteten Überlastung des Herzens oft vermieden. Viele Herzphobiker schonen sich mehr, als selbst Patienten nach einem Herzinfarkt zur Schonung geraten wird.
Ständiges Kreisen um medizinische
Sicherheitsmaßnahmen
(Aufenthalt in der Nähe von medizinischen Einrichtungen, Information über
ärztliche Notdienstregelungen).
Anklammern an die engsten
Familienmitglieder,
vor allem an den Partner, der oft Sicherheit und unbedingte Geborgenheit in
einem Leben vermitteln soll, das häufig von frühen Verlusterlebnissen
geprägt ist. Herzphobiker neigen zu symbiotischen Beziehungsmustern und
erleben jede Verunsicherung in der Partnerbeziehung mit starken Ängsten. Nur
die ständige Anwesenheit des Partners wirkt beruhigend. Besonders bedeutsame
Angehörige müssen ständig verfügbar sein.
Chronifizierung.
Ohne spezifische
Behandlung weisen im mehrjährigen Verlauf über 50 % der Betroffenen
anhaltende körperliche und psychische Symptome auf, lassen deswegen immer
wieder neue Untersuchungen durchführen und nehmen sogar Herzmedikamente ein.
Es kommt oft zu Beeinträchtigungen im Alltag und im Beruf.
Manche
Fachleute unterscheiden nach der Art und der Intensität der herzbezogenen Ängste
drei Gruppen von Herzphobikern:
Herztod-Hypochonder. Sie erleben keine Angstdurchbrüche, sondern leiden unter der subjektiven Gewissheit, einen Herztod zu erleiden. Die Mitteilung, dass das Herz gesund ist, wirkt nicht beruhigend. Wegen der Angst vor einem Herztod werden häufige Herzuntersuchungen gewünscht.
Herz-Hypochonder.
Sie sorgen sich ständig um ihr Herz.
Menschen mit einer Herzphobie stellen eine relativ große Patientengruppe dar:
10–25 % aller Patienten einer Allgemeinarztpraxis klagen über funktionelle Herzbeschwerden („Herzklopfen“, Schmerzen in der Herzgegend).
Bei 20–25 % von 16332
Patienten der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden ergab sich von der
Symptomatik her der Verdacht auf eine Herzneurose.
Nach amerikanischen
Studien sind bis zu 50 % der Patienten mit Brustschmerzen und negativem
Koronarangiogramm Panikpatienten („Herztod-Phobiker“).
Neben der Herzphobie sind folgende funktionelle kardiovaskuläre Symptome zu erwähnen, die durch emotionale Faktoren bewirkt werden (psychogene Synkopen sind dagegen laut ICD-10 als „F48.8 sonstige neurotische Störungen“ zu kodieren):
Hypertone Regulationsstörung (Situationshypertonie). Durch psychische Faktoren kann der Blutdruck immer wieder erhöht sein, im Rahmen einer 24-Stunden-Blutdruckmessung findet sich jedoch ein normales Blutdruckprofil mit einem Tagesmittel unter 140 mm Hg.
Funktionelle Herzrhythmusstörung. Durch das vegetative Nervensystem bzw. durch die Katecholamine kann die normale Automatik des Sinusknotens so verändert werden, dass Symptome wie Herzklopfen, Herzstolpern, Herzjagen, Herzrasen, Pulsation bis zum Hals und Aussetzen des Pulses auftreten. Die beiden wichtigsten Funktionsstörungen sind Störungen der Herzfrequenz (Tachykardie: mehr als 100 Schläge/Minute, Bradykardie: weniger als 60 Schläge/Minute) und unregelmäßiger Herzschlag (supraventrikuläre Arrhythmie).
Sympathikovasaler Anfall. Eine psychisch bedingte Unruhe und Anspannung (Stress, Wut, Ärger, Schlafmangel usw.) führt plötzlich zu Tachykardie (120–160 Herzschläge/Minute) und Bluthochdruck (Werte bis 200/110 mm Hg), häufig in Verbindung mit Hyperventilationsneigung, Schweißausbruch und Todesangst.
Vagovasale Synkope (Ohnmacht).
Eine Synkope (Synonyma: Ohnmacht,
Faint, vagovasales Syndrom, vagovasaler Anfall) ist ein orthostatischer
Kollaps mit einem kurz andauernden Bewusstseinsverlust oder einer
Bewusstseinstrübung in Verbindung mit Schwindelgefühlen und einem
Erschöpfungsgefühl,
der nicht von
einer Herzfrequenzsteigerung kompensiert wird.
Die Ursachen
sind Aufregung, Angst, Schreck, Hitze oder langes Stehen ohne Bewegung.
Bei einer Synkope sinken
Blutdruck und Herzfrequenz in einer Weise ab (Blutdruck zwischen 60 und 55
mm Hg), dass die Gehirndurchblutung vermindert und eine kurzfristige
Bewusstlosigkeit bewirkt wird. Blässe, Schweißausbruch, Schwindelgefühle und
unregelmäßige Atmung können erste Anzeichen dieser Entwicklung sein. Im
Rahmen einer Schreckreaktion kommt es zu einer Fluchtbereitschaft mit einer
Mehrdurchblutung der Muskulatur, wobei jedoch der Fluchtreflex zentral
gehemmt wird, sodass das Blut in der Muskulatur verbleibt und der
verminderte Rückstrom des Blutes zum Herzen eine Abnahme des
Herzzeitvolumens und eine Mangeldurchblutung bewirkt. Bei der
Chronifizierung einer körperbezogenen Symptomatik besteht häufig aufgrund
ständiger Verspannungen (z.B. im Schulter-Nacken-Bereich) eine unangenehme
Schwindelsymptomatik, die von vielen Betroffenen im Lichte früherer
Erfahrungen als Kreislaufschwindel interpretiert wird, obwohl seit langem
ein normaler Blutdruck oder ein medikamentös stabilisierter Blutdruck (bei
Hypertonie) besteht. Derartige verspannungsbedingte Schwindelzustände sind
als Koordinationsstörung des Körpers zu verstehen (gesteuert vom obersten
Koordinationssystem im Hirnstamm) und haben nichts mit Blutdruckproblemen zu
tun.