Depersonalisationsstörung - Derealisationsstörung - dissoziative Störung
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Dr. Hans Morschitzky
Klinischer Psychologe, Psychotherapeut
Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie
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Tel.: 0043 732 778601 E-Mail: morschitzky@aon.at
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Depersonalisation - Angst machendes Fremdheitsgefühl sich selbst gegenüber
Derealisation - Angst machendes Fremdheitsgefühl der Umwelt gegenüber
Einführung
Die folgenden Informationen zur Depersonalisations- und Derealisationsstörung haben laut positiven Rückmeldungen im Rahmen von Online-Beratungen schon vielen Menschen geholfen.
Es handelt sich dabei um die umfangreichsten Informationen im Internet. Die langjährige Beschäftigung mit dieser Thematik hat sich aus der jahrzehntelangen Behandlung von Menschen mit Angst- und Panikstörungen ergeben, aber auch aus der Erfahrung mit Personen mit Substanzkonsum, vor allem von Cannabis.
Durch zwei Jahrzehnte Tätigkeit in der Psychiatrie weiß ich, was eine drogeninduzierte Psychose ist, zu der leider bestimmte Cannabis-Konsumenten neigen, aber auch, was keine ist, sondern eine Depersonalisations-Derealisationsstörung bei Menschen nach Drogenkonsum.
Die Betroffenen sollen mithilfe dieser Informationen lernen, sich ohne Psychotherapie bzw. bereits im Rahmen einer kürzeren Psychotherapie besser zu verstehen und zu ändern.
Der Grund, warum ich diese Informationen über die Depersonalisations-Derealisationsstörung in das Internet gestellt habe, liegt darin, dass ich in den letzten Jahren zahlreiche Angst- und Panikpatienten erlebt habe, die fest davon überzeugt waren, wegen dieser Zustände bald "verrückt" zu werden.
Während bei einer Depersonalisationsstörung die Betroffenen völlig unberechtigt fürchten, bald "gespalten", d.h. verrückt zu werden, fürchten viele Menschen mit einer Derealisationsstörung irrtümlich, sie könnten unter optischen und akustischen Halluzinationen leiden und auf diese Weise bereits geisteskrank sein.
Depersonalisation und Derealisation sind oft neben zahlreichen akut und heftig auftretenden körperlichen Symptomen mögliche psychische/kognitive Symptome einer Panikattacke und stellen den Hauptgrund dar, warum Menschen mit Panikstörung häufig die Angst haben, „durchzudrehen und verrückt zu werden“, wenn die Depersonalisations-Derealisationserfahrung im Rahmen einer Panikattacke auftritt.
Die Depersonalisationserfahrung kann in sehr belastender Weise auftreten im Sinne eines geteilten Selbst: mit einem beobachtenden und einem teilnehmenden Teil - als "Out-of-Body-Experience" (außerkörperliche Erfahrung).
Das macht vielen Betroffenen große Angst, sie könnten bald "gespalten" im Sinne von schizophren werden, was völlig unbegründet ist.
Die Angst, wegen der erlebten Zustände bald in die Psychiatrie eingeliefert zu werden, ist völlig unbegründet - außer man begibt sich selbst dorthin, und zwar zur Abklärung, ob wirklich keine Gefahr besteht, bald den Verstand zu verlieren.
In verschiedenen Variationen wird den Betroffenen auf dieser Seite immer wieder dasselbe erklärt:
Eine Depersonalisations- und Derealisationsstörung ist eine Störung im Bereich der Gefühle und nicht im Bereich des Denkens.
Die Betroffenen leiden unter einer massiven Affektphobie, d.h. unter der Angst vor ihren Gefühlen, die sie schwer wahrnehmen, erleben, angemessen kontrollieren und ausdrücken können, und nicht unter kognitiven Störungen.
Die meisten psychischen Störungen, wie etwa Angststörungen, Zwangsstörungen, Depressionen, Essstörungen, Suchterkrankungen u.a., gelten heutzutage als Störungen der Affektregulation.
Auf Personen mit Depersonalisations-Derealisationsstörung trifft dies ganz besonders zu.
Übrigens: Über Gefühle reden bedeutet noch lange nicht, alle spontan auftretenden Affekte auch tatsächlich wahrnehmen und erleben zu können.
Die Gefühle der Betroffenen sind oft abgespalten ("dissoziiert", isoliert) oder in körperlichen Symptomen gebunden im Sinne der sogenannten Somatisierung.
Aus diesem Grund wird die Depersonalisations-Derealisationsstörung in den USA (DSM-5) und in einigen Jahren auch bei uns (nach dem neuen ICD-11) zu den dissoziativen Störungen gezählt.Der Mechanismus der Abspaltung (Dissoziation) von Emotionen ist kein willentlich gesteuerter/steuerbarer Vorgang, das heißt keine willkürliche Entscheidung, sich mit bestimmten belastenden bzw. störenden Emotionen nicht auseinandersetzen zu wollen, sondern erfolgt spontan, unbewusst und unwillkürlich.
Die Betroffenen wirken nach außen hin oft völlig normal und unauffällig, weil sie ihr sichtbares Verhalten durchaus sehr gut steuern und damit ihre soziale, berufliche, schulische und sonstige Funktionsfähigkeit relativ gut aufrechterhalten können, sie spüren sich jedoch innerlich nicht richtig "zusammengesetzt", als Folge der emotionalen Abspaltungsvorgänge.
Außenstehende, selbst in Form der engsten Angehörigen, können die Betroffenen oft nicht verstehen, wenn diese regelmäßig oder phasenweise über ihr inneres Befinden klagen.
Ein Verständnis vonseiten der sozialen Umwelt ist schon deswegen schwer möglich, weil viele Betroffene nicht einmal selbst ausreichend erklären können, was mit ihnen los ist.
Es stimmt sicher nicht, dass die Betroffenen keine Gefühle haben. Der Zustand einer absoluten Gefühllosigkeit ist vielmehr bei einer schweren depressiven Episode in Form einer inneren Erstarrung gegeben und nicht bei einer Depersonalisations-Derealisationsstörung.
Zahlreiche Betroffene sind sogar eher sensible Menschen, die ihre Gefühle jedoch unterdrücken, weil sie damit nicht umgehen können.
Wie zahlreiche Menschen mit Schmerzen und somatoformen Störungen sind die Betroffenen ständig mit sich und ihrem ungenügenden inneren Erleben beschäftigt und leiden sehr unter ihrer Unfähigkeit, dies ändern zu können.
Diese ausführlichen Informationen für Betroffene und deren Angehörige bzw. Bekannte sollen daher die Kommunikation über die inneren Vorgänge der Betroffenen erleichtern und ein besseres Verständnis als Voraussetzung für eine symptomspezifische Psychotherapie darstellen.
Das gibt Hoffnung: Nach dem Top-Experten Prof. Dr. Michal aus Mainz ist es auch nach jahrzehntelangem Verlauf möglich, eine Depersonalisations-Derealisationsstörung ohne Medikamente, allein mithilfe einer Psychotherapie, vollständig zu überwinden und ein erfülltes und glückliches Leben zu führen.
Geschichte der Depersonalisations-Derealisationsstörung
Die Depersonalisations-Derealisationsstörung war bei Fachleuten und medizinischen Laien lange Zeit überhaupt nicht bekannt, wurde später oft missverstanden als Ausdruck einer Depression oder gar Schizophrenie, wurde dann auf ein zentrales Symptom einer anderen Störung wie einer Angststörung oder posttraumatischen Belastungsstörung eingeengt, statt es auch als häufiges eigenständiges Zustandsbild zu betrachten.
Das Krankheitsbild der Depersonalisations-Derealisationsstörung wurde erstmals im 19. Jahrhundert von zwei deutschen Ärzten (Albert Zeller und Wilhelm Griesinger) beschrieben.
Der Begriff "Depersonalisation" wurde 1898 vom französischen Psychiater Ludovic Dugas in die Medizin eingeführt.
Die Symptomatik wurde bereits 1914 vom österreichischen Psychiater und Psychoanalytiker Paul Schilder in seinem Buch "Selbstbewusstsein und Persönlichkeitsbewußtsein: eine psychoanalytische Studie" sehr treffend als durchgreifende Veränderung der Wahrnehmung der eigenen Person und der Außenwelt beschrieben: Die Betroffenen erleben sich als Zuschauer ihres Tuns und Handelns, während die Außenwelt ihren Realitätscharakter verliert.
Paul Schilder schrieb schon vor einem Jahrhundert: "Den Depersonalisierten erscheint die Welt fremd, eigentümlich, unheimlich, wie traumhaft. Die Gegenstände erscheinen manchmal sonderbar verkleinert, manchmal flach. Klänge kommen aus der Ferne ... Das Gefühlsleben zeigt gleichfalls schwere Störungen. Die Patienten klagen, sie könnten weder Lust noch Unlust empfinden, ... und ihre Klagen gipfeln darin, sie seien sich selbst fremd geworden."
Seit der Zeit um 1900 werden übereinstimmend drei zentrale Symptombereiche beschrieben: emotionale Abgelöstheit und verändertes Körpererleben als Beziehungsstörung sich selbst gegenüber (Depersonalisation) und verändertes Umwelterleben als Beziehungsstörung der Umwelt gegenüber (Derealisation).
Die Störung wird erst in der letzten Zeit, vor allem in England (von Dr. Mauricio Sierra-Siegert u.a.), intensiv wissenschaftlich erforscht hinsichtlich der neurobiologischen Grundlagen und der psychologischen Komponenten.
Das Depersonalisations- und Derealisationssyndrom nach dem ICD-10
Im internationalen Diagnoseschema ICD-10 wird die Depersonalisations-Derealisationsstörung unter F48 "andere neurotische Störungen" angeführt: F48.1 Depersonalisations- und Derealisationssyndrom.
Im ICD-10, das derzeit im Krankenkassensystem verbindlich ist, wird dieses Syndrom folgendermaßen beschrieben (laut blauem Hogrefe-Buch):
"Eine Störung, bei der die Patienten beklagen, dass ihre geistige Aktivität, ihr Körper oder ihre Umgebung sich in ihrer Qualität verändert haben, und unwirklich, wie in weiter Ferne oder automatisiert erlebt werden.
Sie können das Gefühl haben, nicht länger ihr eigenes Denken, ihre eigenen Vorstellungen oder Erinnerungen zu erleben;
dass ihre Bewegungen und ihr Verhalten irgendwie nicht ihre eigenen seien;
dass ihr Körper leblos, losgelöst oder sonst anormal sei;
dass die Umgebung ohne Farbe und das Leben künstlich oder wie auf einer Bühne erscheint, auf der Menschen erfundene Rollen spielen.
In einigen Fällen fühlen sich die Betroffenen, als ob sie sich mit Abstand selbst zuschauen, oder als ob sie tot seien.
Am häufigsten ist bei diesen unterschiedlichen Phänomenen die Klage über den Gefühlsverlust.
Die Zahl der Menschen, die diese Störungen in reiner oder isolierter Form erleben, ist klein. (Anmerkung: Diese Feststellung ist durch die neuere Forschung längst überholt).
Häufiger finden sich Depersonalisations- und Derealisationsphänomene bei depressiven Erkrankungen, phobischen Störungen und Zwangsstörungen.
Elemente dieses Syndroms können auch bei geistig gesunden Menschen bei Müdigkeit, sensorischer Depravation, Intoxikation mit Halluzinogenen oder als hypnagoges/hypnopompes Phänomen auftreten.
Das Depersonalisations-/Derealisationssyndrom ist phänomenologisch auch den sogenannten 'todesnahen Erfahrungen' in Momenten extremer Lebensgefahr ähnlich."
Die Depersonalisations-Derealisationsstörung nach dem neuen ICD-11
Das ICD-11 - das ist das neue internationale Diagnoseschema, das Ende Mai 2019 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf beschlossen wurde - zählt dieselben Phänomene als Depersonalisationsstörung-Derealisationsstörung zur Gruppe der dissoziativen Störungen.
Unter dem Code 6B66 Depersonalization-derealization disorder wird die Störung folgendermaßen beschrieben:
Die Depersonalisations-Derealisations-Störung ist gekennzeichnet durch
anhaltende oder wiederkehrende Erfahrungen von Depersonalisation,
Derealisation oder beidem.
Depersonalisation ist dadurch gekennzeichnet, dass das
Selbst als fremd oder unwirklich empfunden wird oder dass man sich von
seinen Gedanken, Gefühlen, Empfindungen, seinem Körper oder seinen
Handlungen losgelöst fühlt oder so tut, als wäre man ein Beobachter von
außen.
Derealisation ist dadurch gekennzeichnet, dass man andere
Personen, Objekte oder die Welt als fremd oder unwirklich (z. B. traumhaft,
weit entfernt, nebelig, leblos, farblos oder visuell verzerrt) erlebt oder
sich von seiner Umgebung losgelöst fühlt.
Bei Depersonalisations- oder Derealisationserfahrungen bleibt die
Realitätsprüfung intakt.
Die Depersonalisations- oder Derealisationserfahrungen treten nicht
ausschließlich im Rahmen einer anderen dissoziativen Störung auf und lassen
sich nicht besser durch eine andere psychische, verhaltensbezogene oder
neurologische Entwicklungsstörung erklären.
Die Depersonalisations- oder Derealisationserfahrungen sind nicht auf die
direkten Auswirkungen einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale
Nervensystem zurückzuführen, auch nicht auf Entzugserscheinungen, und sind
nicht auf eine Erkrankung des Nervensystems oder ein Kopftrauma
zurückzuführen.
Die Symptome führen zu erheblichem Leid oder Beeinträchtigungen in
persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen
wichtigen Funktionsbereichen.
Die Depersonalisations-Derealisationsstörung nach dem amerikanischen psychiatrischen Diagnoseschema DSM-5
Depersonalisationsstörung
Die Depersonalisationsstörung wird nach dem DMS-5 (siehe das Hogrefe-Buch von 2015) folgendermaßen definiert:
Erfahrungen der Unwirklichkeit, des Losgelöstseins oder des Sich-Erlebens als außenstehender Beobachter bezüglich eigener Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen des Körpers oder Handlungen (z.B. Wahrnehmungsveränderungen. gestörtes Zeitempfinden, unwirkliches oder abwesendes Selbst, emotionales und/oder körperliches Abgestumpftsein).
Die Realitätsprüfung bleibt dabei - im Gegensatz zur Schizophrenie - intakt. Es besteht ein Gefühl der Unwirklichkeit, des Losgelöstseins oder Fremdseins gegenüber dem eigenen Selbst oder Teilen des Selbst.
Die Betroffenen können sich von ihrem ganzen Dasein losgelöst fühlen ("Ich bin niemand", "Ich habe kein Selbst"). Sie können sich subjektiv losgelöst fühlen von Teilen des Selbst, einschließlich der Gefühle ("Ich weiß, ich habe Gefühle, aber ich spüre sie nicht"), der Gedanken ("Meine Gedanken fühlen sich nicht wie meine eigenen an", "Der Kopf ist wie mit Watte gefüllt"), des ganzen Körpers oder Teilen des Körpers oder Wahrnehmungen (z.B Berührungen, Hunger, Durst, Libido).
Es kann auch ein Gefühl des reduzierten Handlungsempfindens auftreten (z.B. sich roboterhaft fühlen, wie ein Automat; mangelnde Kontrolle über das eigene Sprechen und die Bewegungen).
Derealisationsstörung
Die Derealisationsstörung besteht laut DSM-5 aus Erfahrungen der Unwirklichkeit und des Losgelöstseins bezüglich der Umgebung: Personen oder Gegenstände werden als unreal, wie im Traum, wie im Nebel, wie in einer Blase, wie hinter einem Schleier oder einer Glasscheibe, leblos oder optisch verzerrt erlebt. Die Umgebung kann als unecht, farblos oder leblos erlebt werden.
Derealisation wird gewöhnlich begleitet von subjektiven Wahrnehmungsverzerrungen wie Verschwommenheit, gesteigerter Schärfe, erweitertem oder eingeschränktem Gesichtsfeld, Zweidimensionalität oder Flachheit, übersteigerter Dreidimensionalität oder veränderter Größe oder Distanz von Objekten.
Akustische Veränderungen können ebenso auftreten, wobei Stimmen oder Töne gedämpfter oder lauter sind.
Als krankheitswertig gilt die Depersonalisations-Derealisationsstörung nach dem DSM-5 aufgrund des Vorliegens eines klinisch bedeutsamen Leidenszustandes oder von Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Eine Depersonalisations-Derealisationsstörung liegt nach dem DSM-5 nur dann vor, wenn die Symptomatik weder durch Substanzen (Drogen, Medikamente) bzw. eine körperliche Erkrankung bedingt ist noch besser erklärt werden kann durch eine andere psychische Störung, wie etwa eine Panikstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, Depression u.a.
Das DSM-5 ordnet die Depersonalisations-Derealisationsstörung den dissoziativen Störungen zu, was insofern berechtigt erscheint, als es sich dabei um Abspaltungsvorgänge (Dissoziation) handelt.
Negative, belastende und unerträgliche Gefühle werden durch Abspaltung zu bewältigen versucht, die wahrgenommene Gefühllosigkeit wird in der Folge als Entfremdung gegenüber sich selbst erlebt.
Allgemeine Beschreibung der Depersonalisations-Derealisationsstörung
Depersonalisation und Derealisation sind grundsätzlich gesehen völlig normale menschliche Reaktionsweisen wie Angst, Wut, Fieber oder Schmerz und treten oft auf in Phasen von Ermüdung, Schlaflosigkeit, körperlicher Erkrankung, Alkohol- bzw. Drogenkonsum, starken Belastungs- oder Schockzuständen.
Die Betrofffenen fühlen sich benommen, benebelt, verwirrt, überwältigt, gleichsam außerhalb ihres Körpers, wie eine äußere Hülle ohne Innenleben, sich bewegend wie ein Roboter, "neben sich stehend", "wie betrunken", "wie hinter einem Schleier oder wie im dichten Nebel, abgetrennt von der Umwelt", "wie hinter einer Glaswand", "wie in einer unwirklichen Traumwelt".
Der bekannte Spruch "Zwick mich, damit ich mich spüre" ist für die Betroffenen traurige Realität. Die Betroffenen haben deswegen jedoch keine Borderline-Persönlichkeitsstörung, bei der auch zahlreiche andere Kriterien erfüllt sein müssen.
Bei einer Depersonalisations-Derealisationsstörung ist das Erleben nicht nur in Bezug auf die Gegenwart, sondern auch bezüglich die Vergangenheit gestört.
Das Gedächtnis in Bezug auf lebhaft-visuelle, emotional betonte Erlebnisinhalte aus der Lebensgeschichte ist gestört.
Die Betroffenen können sich zwar an alles früher Erlebte erinnern, es kommt ihnen jedoch so vor, als ob viele Geschehnisse sehr weit zurückliegen und kaum etwas mit ihnen zu tun haben würden.
Die Zeitwahrnehmung ist oft ebenfalls verändert: Entweder vergeht die Zeit zu schnell oder zu langsam.
Die Erfahrung von Depersonalisation und Derealisation kann für Sekunden, Minuten, Tage, Wochen oder Jahre vorhanden sein:
kurzfristig im Rahmen einer Panikattacke oder anderen akuten Angstreaktionen, etwa bei Phobien als Ausdruck der plötzlichen emotionalen und körperlichen Überwältigung,
längerfristig im Rahmen einer Posttraumatischen Belastungsstörung, Generalisierten Angststörung, Zwangsstörung oder Depression.
Krankheitswertig wird die Symptomatik erst dann, wenn die Betroffenen stark darunter leiden und in ihrer schulischen, beruflichen, partnerschaftlichen, familiären oder privaten Funktionsfähigkeit erheblich eingeschränkt sind.
Viele Betroffene neigen zu permanenter Selbstbeobachtung, wie etwa viele Menschen mit einer Somatoformen Störung ihre körperlichen Beschwerden ständig in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellen.
Weil sie sich nicht normal spüren können, neigen zahlreiche Betroffene auf kognitiver Ebene zum ständigen Grübeln, ob sie selbst oder die Welt wirklich vorhanden sind, sowie auf physischer Ebene zum anhaltenden Kontrollieren ihres Körpers, wie etwa Zwangskranke und Hypochonder, die dies allerdings aus völlig anderen Gründen tun (weil sie glauben, sie könnten sterben oder andere Menschen lebensgefährlich bedrohen).
Die geradezu zwanghafte Selbstbeobachtung der psychischen und körperlichen Befindlichkeit löst zwar eine Depersonalisations-Derealisationsstörung nicht aus, verstärkt sie im Laufe der Zeit jedoch immer mehr in krankheitswertiger Weise.
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" lautet das Motto, das aufgrund des ungenügenden Selbst- und Umwelterlebens bei Krankheitswertigkeit das ganze Leben bestimmen kann.
Eine Depersonalisations-Derealisationsstörung als rein psychische Störung ist nur dann gegeben, wenn körperliche Erkrankungen ausgeschlossen sind, wie etwa Temporallappenepilepsie, Gehirntumor, organische Schlafstörungen (z.B. Schlafapnoe) oder Substanzmissbrauch (z.B. chronischer Cannabiskonsum).
Die Depersonalisations-Derealisationsstörung stellte zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben für einen kurzen Zeitraum eine durchaus normale Schutzfunktion vor emotionaler Überflutung zum Zweck des schulischen, beruflichen, sozialen und persönlichen Funktionierens dar, und zwar mithilfe des Mechanismus der Dissoziation, das heißt der Abspaltung von sehr unangenehmen Gefühlen wie Angst, Ärger, Wut, Traurigkeit und Enttäuschung.
Erst durch die Chronifizierung aufgrund falscher Erklärungs-, Bewältigungs- und Behandlungsversuche entstand daraus eine psychische Störung.
Aus einem ursprünglich durchaus normalen Problemlösungsversuch, der kurzfristig helfen sollte und oft auch vorübergehend helfen konnte, ist schließlich langfristig ein erhebliches psychiatrisches Problem geworden.
Das "Wegstecken" von unliebsamen und subjektiv unkontrollierbaren Gefühlen rächt sich dann in Form einer Depersonalisations-Deralisationsstörung.
Bei den Gefühlen der Unwirklichkeit besteht entweder ein Angst machendes Fremdheitserleben gegenüber sich selbst (Depersonalisation) oder gegenüber der Umwelt (Derealisation).
Die Betroffenen erleben eine massive Verunsicherung und einen starken Vertrauensverlust in die Umwelt bzw. in die Selbstwahrnehmung.
Beide Zustände treten nach früheren Auffassungen selten allein auf, sondern meistens in Verbindung mit anderen psychischen Störungen (posttraumatische Belastungsstörung, Phobien, Panikstörung, Depression, Zwangsstörung).
Es handelt sich dabei nach neuesten Erkenntnissen oft um eigenständige Krankheitsbilder und nicht bloß um Begleitsymptome anderer psychischer Störungen wie Angststörungen und Depressionen.
Ähnliche Zustände finden sich auch bei Gesunden im Zustand der Müdigkeit, sinnlichen Wahrnehmungsbehinderung, Meditation oder Veränderung durch Drogen oder Trance (hypnotischer Zustand).
Die Zustände sind oft ähnlich den todesnahen Erfahrungen in Momenten extremer Lebensgefahr oder den Erlebnissen von Menschen mit Nahtoderfahrung.
Bei einer Depersonalisationsstörung machen die Betroffenen die angstvolle Erfahrung einer Veränderung ihrer geistigen Aktivität, ihrer Gefühle oder ihres Körpers.
Es besteht das Gefühl des Losgelöstseins, der Entfremdung zum eigenen Selbst und des „Daneben-Stehens“.
Es herrscht der Eindruck vor, nicht ganz da zu sein und nicht mehr das eigene Denken, die eigenen Vorstellungen oder Erinnerungen zu erleben.
Die betroffene Person empfindet sich so, als wäre sie ein außenstehender Beobachter der eigenen geistigen Prozesse, des eigenen Körpers oder einzelner Körperteile.
Sensorische Unempfindlichkeit, Mangel an emotionalen Reaktionen und das Gefühl, das eigene Handeln einschließlich der Sprache nicht völlig beherrschen zu können, werden oft beklagt.
Bewegungen und Verhaltensweisen werden irgendwie nicht mehr als die eigenen erlebt. Man kann sich wie ein Roboter fühlen, völlig unmenschlich, ohne Emotionen.
Der Körper erscheint leblos, losgelöst oder sonst anormal.
Das Leben wirkt künstlich, wie in einem Traum, in einem Film oder auf einer Bühne, wo man eine Rolle spielt.
Die Betroffenen beklagen den Verlust ihrer Gefühle. Dieser charakteristische Gefühlsverlust wird oft verwechselt mit einer Depression, wenngleich diese ebenfalls gegeben sein kann.
Bei einer Depersonalisation werden die Gefühle abgespalten zum Schutz vor einer leidvollen Gefühlsüberflutung.
Bei der Depersonalisationsstörung bleibt die Realitätsprüfung intakt, weshalb die häufige Befürchtung, an Schizophrenie zu erkranken, völlig unbegründet ist.
Dahinter stehen einerseits starke Stresssituationen, die im Rahmen des Lebenskontexts völlig verständlich sind, andererseits Erklärungsversuche, dass mit dem Geist etwas nicht stimmen könne, wenn man schon körperlich "nichts" habe.
Depersonalisation und Derealisation treten oft zusammen auf und werden oft bewirkt durch massive psychosoziale Belastungssituationen in bzw. seit der Kindheit, vor allem aber auch durch massiven, oft lang andauernden Stress vielfältiger Art in der letzten Zeit sowie in der unmittelbaren Gegenwart.
Eine Depersonalisationsstörung als eigenständige Störung liegt nur dann vor, wenn die beschriebenen Zustände nicht ausschließlich im Rahmen einer Angststörung, einer Depression oder einer anderen Störung auftreten.
Bei einer Derealisationsstörung besteht das Gefühl des gestörten Umwelterlebens. Objekte, Menschen oder die gesamte Umgebung werden als fremd, unvertraut, unwirklich, roboterhaft, fern, künstlich, zu klein oder zu groß, farblos oder leblos erlebt.
Derealisation geht gewöhnlich einher mit subjektiven Wahrnehmungsverzerrungen wie Verschwommenheit, gesteigerter Schärfe, erweitertem oder eingeschränktem Gesichtsfeld, Zweidimensionalität oder Flachheit, übersteigerter Dreidimensionalität oder veränderter Größe oder Distanz von Objekten (klein oder groß).
Die veränderte Wahrnehmung der Umwelt macht den Betroffenen Angst, sie könnten bald unter schizophrenen Halluzinationen leiden, was völlig unbegründet ist.
Neben psychischen Störungen kann auch der Konsum von illegalen Drogen eine Rolle spielen, wie etwa Ecstasy oder Cannabis.
Bei manchen Betroffenen kann die Symptomatik auch Folge einer körperlichen Erkrankung sein.
Menschen mit einer Depersonalisationsstörung fühlen sich wie von ihrem Selbst abgelöst und erleben sich in quälender Weise als distanzierte Beobachter ihrer eigenen Handlungen, ganz ohne Gefühle.
Die Betroffenen neigen dazu, sich ständig zwanghaft selbst zu beobachten und zu testen, ob sie noch normal sind.
Sie können zwar einerseits lachen und weinen und wirken dadurch nach außen hin oft völlig unauffällig, fühlen sich aber andererseits am Erlebten emotional gleichzeitig völlig unbeteiligt.
So spüren sie etwa nicht mehr ihre früher oft sehr intensiven Gefühle ihrem Partner und ihren Kindern gegenüber, was sehr belastend ist.
Viele Betroffene leiden unter dem Umstand, von der sozialen Umwelt nicht verstanden zu werden, und fühlen sich dadurch oft auch sozial isoliert.
Sie beklagen häufig auch ohne erhebliche Depression anhaltende Sinnlosigkeitsgefühle, wenn das Leben und Erleben immer so weitergehen würde.
Trotz oft erfolgreicher beruflicher Tätigkeit und normaler Funktionsfähigkeit in der Familie fühlen sich die Betroffenen sehr unwohl in ihrer Haut und völlig unzufrieden mit ihrem Leben, weshalb sie von Fachleuten nicht selten völlig unberechtigt als schwer depressiv beurteilt werden.
Häufigkeit und Verlauf der Depersonalisations-Derealisationsstörung
1- 2 Prozent der Deutschen und US-Amerikaner leiden unter einer krankheitswertigen Depersonalisations-Derealisationsstörung. Fast zehn Prozent fühlen sich dadurch zumindest etwas beeinträchtigt.
Laut repräsentativen Erhebungen erlebten in Deutschland knapp 28 Prozent der Erwachsenen innerhalb der letzten sechs Monate zumindest ein Symptom von Depersonalisation bzw. Derealisation.
47 Prozent der 12-18-jährigen Schüler waren durch derartige Symptome zumindest einmal belastet, 12 Prozent waren dadurch erheblich belastet.
Mehr als die Hälfte der Erwachsenen erlebt im Laufe des Lebens eine kurzfristige Depersonalisation, zumeist nach einer schweren psychosozialen Belastung, nach einer massiven körperlichen Überforderung wie einer Bergtour oder nach einem Schlafentzug.
Eine vorübergehende Depersonalisation zeigt sich bei etwa einem Drittel der Personen, die einer lebensbedrohlichen Gefahr ausgesetzt waren, sowie bei fast 40% der Patienten, die wegen einer psychischen Störung stationär behandelt werden.
Depersonalisation ist eine häufige Erfahrung, auch wenn es jedem einzelnen Betroffenen so vorkommen mag, als könnte man dieses Erleben keinem Menschen durch Beschreibung verständlich machen.
Trotz der Häufigkeit wird die Diagnose einer Depersonalisations-Derealisationsstörung relativ selten gestellt, verglichen mit anderen psychischen Störungen wie Anorexia nervosa oder Zwangsstörungen mit ähnlicher Häufigkeit.
Nach Angaben des Top-Experten Prof. Dr. Matthias Michal aus Mainz wurde die Diagnose einer Depersonalisations-Derealisationsstörung in der Vergangenheit vermutlich nur bei einem Einzigen aller Betroffenen gestellt, bei den anderen 99 Prozent wurde die Diagnose entweder übersehen oder falsch gestellt, etwa als Angststörung, Depression oder Verdacht auf Schizophrenie.
Eine Depersonalisations-Derealisationsstörung tritt oft schon im Jugendalter auf, bei 95 Prozent vor dem 25. Lebensjahr. Ein Störungsbeginn nach dem 40. Lebensjahr ist eher selten.
Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen, während bei Angsstörungen und Depressionen die Frauen um das Zwei- bis Dreifache überwiegen.
Bei der einen Häfte der Betroffenen beginnt die Symptomatik plötzlich (mit genauer Erinnerung daran), bei der anderen Hälfte eher schleichend.
Bei Betroffenen ohne offensichtlich erkennbaren Auslöser der Störung stellen sich - ähnlich wie bei vielen Menschen mit spontan und unerwartet auftretenden Panikattacken - im Laufe der Psychotherapie doch ganz bestimmte psychosoziale Belastungsfaktoren als zeitnahe Auslösungsfaktoren heraus.
In Verbindung mit anderen psychischen Störungen tritt die Symptomatik plötzlich auf im Rahmen von Panikattacken, akuten Ängsten und Phobien, schleichend dagegen bei anderen psychischen Störungen wie Depressionen, Zwangsstörungen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen.
Panikattacken mit daraus folgender ausgeprägter Depersonalisations-Derealitätsstörung entstehen oft auf dem Hintergrund von gelegentlichem oder chronischem Konsum von Cannabis.
Eine heftige "Panikattacke" mit starker Depersonalisations- und Derealisationserfahrung stellt sich nicht selten als Cannabisintoxikation heraus, vor allem wenn sie am Morgen danach auftritt, ähnlich wie eine "Panikattacke" oft am Tag nach starkem Alkoholkonsum auftritt.
Nach Prof. Dr. Michal bestehen aufgrund seiner Erfahrung mit einer goßen Gruppe von Betroffenen bei einem Drittel abgrenzbare Episoden, d.h. sie leiden wiederholt darunter, mit symptomfreien Intervallen. Ein weiteres Drittel erlebt nach anfangs episodischem Verlauf einen anhaltenden chronischen Verlauf. Beim restlichen Drittel verlauft die Störung seit dem Anfang kontinuierlich. Empirisch fundierte Verlaufsuntersuchungen fehlen bislang.
Abgrenzungen gegenüber anderen psychischen Störungen
Der Unterschied zwischen Depersonalisation und Depression lässt sich am besten und schnellsten so erklären:
Schwer depressive Menschen haben tatsächlich keine Gefühle mehr, sie können oft nicht einmal mehr weinen, sie sind innerlich emotional völlig erstarrt; es geht ihnen oft schon besser, wenn sie wieder weinen können, während Außenstehende gerade dies als typisch depressiv ansehen.
Menschen mit einer Depersonalisationsstörung haben starke Gefühle, haben diese jedoch im Sinne einer Schutzreaktion völlig abgespalten ("verdrängt"), damit sie davon nicht schmerzhaft überflutet werden.
Oft erst als Folge der Depersonalisations- und Derealisationsstörung entwickeln zahlreiche Betroffene auch noch eine Depression oder eine Angststörung.
Der Unterschied zwischen Depersonalisation und Schizophrenie lässt sich etwas pointiert so beschreiben:
Personen mit einer Depersonalisationsstörung befürchten, bald verrückt zu werden, ohne dass eine derartige Gefahr besteht, Menschen mit einer akuten Schizophrenie sind tatsächlich schwer geisteskrank, ohne dies aufgrund der Art ihrer Erkrankung überhaupt wahrnehmen zu können.
Schizophrene führen das veränderte Wahrnehmen und Erleben auf äußere Einflüsse und fremde, unkontrollierbare Mächte zurück, wie etwa Gott, Teufel, Strahlen aus dem Weltall, ausländische Geheimdienste. Schizophrene leiden oft unter einem unkorrigierbaren Wahn. "Verrückt" seien nicht sie selbst, sondern höchstens die anderen, die z.B. nicht wissen wollten, welche Mächte die Welt bestimmen.
Menschen mit einer Depersonalisations-Derealisationsstörung erleben alles so, als ob sie selbst und die Welt verändert seien, aber sie wissen sehr genau, dass sie die gleiche Person sind und bleiben und die Welt nicht wirklich verändert ist.
Sie wissen vom Verstand her, dass sie sie selbst sind, sie fühlen sich aber von ihrem Wahrnehmen und Erleben her überhaupt nicht so.
Meiner Erfahrung nach fällt es vielen Menschen mit einer Depersonalisations-Derealisationsstörung sehr schwer, die zentralen Symptome einer Schizophrenie im Internet oder sonst irgendwo nachzulesen, aus Angst, es könnten einige davon bereits zutreffend sein.
Es ist eine heilsame mentale Konfrontation, sich mit dem, was man fürchtet, ganz konkret auseinanderzusetzen, um zu erkennen, dass man mit Sicherheit nicht davon betroffen ist.
Leider sind die Unterschiede zwischen Depersonalisation/Derealisation und Schizophrenie nicht einmal allen Fachleuten bekannt.
Manche Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten äußern laut Prof. Dr. Michal den Verdacht auf eine beginnende Schzophrenie und bestätigen damit sowie durch eine daraus folgende falsche Behandlung die unberechtigten Befürchtungen der Betroffenen.
Zusammenfassende Darstellung der Depersonalisations-Derealisationsstörung
Zusammenfassend gesehen bestehen bei Menschen mit einer Depersonalisations-Depersonalisationsstörung folgende Kernsymptome:
Emotionale Taubheit: Gefühl der Gefühllosigkeit selbst bei Ereignissen, die gewöhnlich starke angenehme oder sehr unangenehme Emotionen auslösen (Empfinden, keine bzw. nur "flache" oder unwirkliche Gefühle zu haben).
Veränderungen des Körpererlebens: Der ganze Körper oder Teile des Körpers wirken verändert (leichter, schwerer, größer, kleiner, leblos, nicht dazugehörig, roboterhaft, leblos), sogar das eigene Spiegelbild oder die eigene Stimme können fremd wirken.
Veränderungen der visuellen Wahrnehmung: Das Gefühl, "neben sich zu stehen", geht mit einer veränderten Wahrnehmung der Umwelt einher (alles erscheint so weit weg oder unwirklich).
Veränderungen der sonstigen Wahrnehmungsvorgänge: Möglich sind auch Veränderungen der auditiven, taktilen, gustatorischen und zeitlichen Wahrnehmung.
Gefühl des Kontrollverlusts über die eigenen Bewegungen oder die mentalen Prozesse: Die Betroffenen können ihre Bewegungen und Denkprozesse zwar nach außen hin unauffällig ausführen, haben jedoch innerlich das Gefühl, ihre Bewegungen und Gedanken nicht von sich aus richtig steuern zu können, als würden die körperlichen und geistigen Tätigkeiten ohne bewusstes, absichtsvollen Denken und Handeln erfolgen, als wäre man ferngesteuert.
Veränderung von Gedächtnisprozessen: Erinnerungen können blass, fremdartig, nur unvollständig präsent, übermäßig lange zurückliegend und nicht ausreichend verbal mitteilbar erlebt werden.
Erhöhte Selbstbeobachtung: Als Folge des subjektiv veränderten Erlebens der eigenen Person und der Umwelt besteht eine überhöhte Selbstaufmerksamkeit, die geradezu zwanghaft ausgeprägt sein kann.
Wie alle anderen psychischen Erkrankungen lässt sich eine Depersonalisations-Derealisationsstörung am besten auf der Basis eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells verstehen.
Genetische, psychische und soziale Faktoren können dabei eine mehr oder weniger große Rolle spielen.
Diese Sichtweise soll im Folgenden näher dargelegt werden.
Neurobiologische Erklärungsmodelle der Depersonalisations-Derealisationsstörung
Die genetische Komponente kann in einer erhöhten Angstlichkeit und Sensibilität bestehen.
Neurobiologische Erkenntnisse bringen zunehmend Licht in das Dunkel der Symptomatik und weisen darauf hin, dass die sehr belastend erlebten psychischen und körperlichen Zustände durch ganz bestimmte Vorgänge im Gehirn gesteuert werden.
Die Phänomene bei einer Depersonalisationsstörung sind keine Einbildungen; sie lassen sich mithilfe der neuesten Methoden zur Untersuchung der Gehirnaktivitäten eindeutig belegen.
Mithilfe von Gehirnscans konnte festgestellt werden, dass bei Betroffenen die Furchtzenren im Gehirn schlicht abschalten, wenn sie sich an das Furcht auslösende Ereignis erinnern.
Die Betroffenen zeigen weniger bzw. weniger starke Reaktionen auf emotionale Reize in den Gefühlszentren des limbischen Systems, namentlich der Amygdala (Mandelkern), als andere Personen, bedingt durch eine Überkontrolle vonseiten des präfrontalen Kortex (eines Teils des Stirnhirns), der das Verhalten und Erleben des Menschen steuert.
Auch das vegetative Nervensystem der Betroffenen reagiert als Folge davon schwächer auf furchteinflößende Reize als bei gesunden Menschen.
Neurobiologische Befunde weisen darauf hin, dass bei den Betroffenen die emotionalen Zentren im limbischen System, namentlich im Mandelkern (Amygdala) und in der Inselrinde (Insula), vom ventralen präfrontalen Cortex, einem Teil des Stirnhirns (Frontalhirns), stark gehemmt werden.
Auf diese Weise wird das intensive Erleben von Gefühlen verhindert und eine subjektiv unkontrollierbare Emotionsüberflutung vermieden.
Starke Angstgefühle - aber auch andere Gefühle wie Ärger, Wut, Traurigkeit oder Enttäuschung - werden durch eine Depersonalisation weitgehend ausgeschaltet, um funktionieren zu können.
Dies geschieht unbewusst und völlig automatisch dadurch, dass bestimmte Bereiche des Präfrontalen Kortex, deren Aufgabe u.a. die Kontrolle von Emotionen ist, überaktiv werden.
Die erwähnten Regionen im Frontalhirn (Stirnhirn) senden hemmende Signale an die Emotionszentren des Gehirns, vor allem an die vordere Inselrinde und die Amygdala.
Als Folge davon fühlen sich die Betroffenen abgestumpft und gleichgültig, ohne emotional betontes Erleben der eigenen Person und der Umwelt, wie gefühls- und seelenlose Roboter.
Bei "normalen" Menschen lösen selbst kleine Dinge und Erlebnisse eine Gefühlsantwort aus, als Ausdruck dafür, wie sie sich fühlen, was sie tun und vermeiden sollen.
Bleibt diese Gefühlsreaktion aus, erscheinen die eigene Person und die Welt völlig fremd und unwirklich, ohne persönlichen Bezug.
Man kann nach Prof. Dr. Matthias Michal eine Depersonalisations- und Derealisationsstörung als das Gegenteil einer akuten Kampf-Flucht-Reaktion zur Sicherung von Leib und Leben verstehen, die durch die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausgelöst wird.
Anstelle einer ständigen vorschnellen Angstaktivierung, als ginge es immer wieder von Neuem um das physische und psychische Überleben, zeigen die Betroffenen aufgrund des Abwehrmechanismus der Depersonalisation keinerlei emotionale Reaktion mehr auf die äußere und innere Realität, auch nicht auf bildhafte Erinnerungen oder Vorstellungen und den damit verbundenen Emotionen.
Eine Depersonalisation und eine Derealisation sind also typische Reaktionen auf große Angst und starke Furcht; sie treten daher oft auch während einer massiven Angstüberflutung im Rahmen einer Panikattacke auf.
Der kurzfristige Vorteil von Depersonalisation ist das emotionslose Funktionieren in Angst- und Stresssituationen, der langfristige Nachteil der damit verbundene fehlende Zugang zu allen anderen Emotionen.
Der Psychiater, Top-Experte und Erforscher der Depersonalisations-Derealisationsstörung Dr. Mauricio Sierra-Siegert aus London ist aufgrund seiner Befunde davon überzeugt, dass die Depersonalisations-Derealisationsstörung auf einem neurobiologischen Schutzmechanismus des Gehirns beruht.
Seiner Auffassung nach stellt eine Depersonalisation das Gegenstück zur Kampf-oder-Flucht-Reaktion in Gefahrensituationen dar.
Weil Kampf- oder Fluchtreaktionen in subjektiven Bedrohungssituationen nicht möglich sind, schaltet das Gehirn in den Autopilot-Modus um und bewirkt dadurch ein automatisches Funktionen, ohne dass der Körper durch Angstgefühle gehemmt und gelähmt wird.
Fazit: Eine Depersonalisations-Derealisationsstörung entsteht dann, wenn der an sich nützliche Schutzmechanismus des automatischen emotionslosen Funktionierens in Krisen- und Belastungssituationen des Lebens zum Dauerzustand wird.
Nach neuesten Erkenntnissen werden die sehr belastenden Fremdheitsgefühle in Bezug auf den eigenen Körper durch Bereiche im vorderen Scheitellappen des Gehirns bewirkt.
Eine Region namens Gyrus Angularis ist dafür zuständig abzugleichen, inwiefern unsere Handlungen mit unseren Intentionen übereinstmmen.
Wenn unsere Handlungen anders ablaufen als geplant, alarmiert uns der Gyrus Angularis. Menschen mit einer Depersonalisationsstörung befinden sich demnach im Zustand eines Daueralarms.
Das könnte eine Erklärung dadür darstellen, dass die Betroffenen das Gefühl haben, keine Kontrolle über ihre Handlungen zu haben.
Psychosoziale Ursachen und Auslöser der Depersonalisatons-Derealisationsstörung
Die sozialen Ursachen bzw. Auslöser können vielfältig sein:
Körperliche bzw. sexuelle Traumatisierungen sind - im Gegensatz zu anderen dissoziativen bzw. posttraumatischen Störungen - keinesfalls typisch, emotionaler Missbrauch kommt dagegen eher vor (z.B. permanente Kränkung und Herabwürdigung).
Häufig bestand nach außen hin eine durchaus "normale", aber eher oberflächliche, wenig warm-herzliche Eltern-Kind-Beziehung, d.h. keine wirklich sichere Bindung gemäß der Bindungstheorie. Die Kinder und Jugendlichen haben im Umgang mit den Eltern nicht gelernt, ihre Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Die meisten Betroffenen berichteten, dass die Eltern-Kind-Beziehung in der Kindheit von wenig echter und intensiver Emotionalität geprägt gewesen sei.
Manchmal mussten die Betroffenen auch von klein auf stark sein, oft sogar emotional stärker als die Eltern (bekannt als Parentifizierung, etwa in Form einer Partnerersatzrolle oder als Stabilisator einer brüchigen Partnerschaft der Eltern).
Manchmal mussten die Betroffenen seit der Kindheit im Sinne einer Überforderung immer bestmögliche Leistungen erbringen, sodass sie es gelernt haben, nur dadurch persönliche Bestätigung und soziale Anerkennung erreichen zu können.
Die psychischen Ursachen und Auslöser können nach dem Ratgeber von Prof. Dr. Matthias Michal noch vielfältiger sein:
Persönlichkeitseigenschaften. Viele Betroffene sind eher scheu, schüchtern, unsicher, ängstlich, rasch überfordert, vor allem sehr feinfühlig und sensibel; sie sind eher introvertiert und wollen sich alles mit sich selbst ausmachen. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken.
Verhaltenstherapeutische Erklärung. Es besteht ein Teufelskreis aus katastrophisierender Bewertung der ursprünglich normalen und harmlosen Symptome (vor allem schizophren oder gehirnkrank zu werden oder bereits zu sein) und damit verbundener schädlicher Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle als einziger Methode, auf keinen Fall die mentale Kontrolle zu verlieren oder sozial unangenehm aufzufallen (was einen angstbedingten sozialen Rückzug auslösen kann).
Tiefenpsychologische Erklärung (auch in die Verhaltenstherapie integrierbar). Es dominiert die Flucht und Vermeidung in Bezug auf das volle emotionale Erleben der eigenen Person und der Wirklichkeit, nach dem Motto: "Distanzierte Selbstbeobachtung vermindert und vermindert die Gefühlsintensität aller Wahrnehmungen."
Intrapsychische und interaktionelle Ambivalenz. Menschen mit einer Depersonalisations-Derealisationsstörung befinden sich in einem starken Zwiespalt: Die Betroffenen haben ein hohes Bedürfnis nach Nähe, Bindung und Geborgenheit, sie haben jedoch gleichzeitig Angst davor, weil sie dadurch verletzt werden könnten, wenn sie enttäuscht, zurückgestoßen, nicht anerkannt, nicht geliebt oder gar verlassen werden könnten. Aufgrund Ihres Vermeidungsverhaltens trotz hohem Bedürfnis nach Zuwendung können Sie genau das nicht bekommen, wonach sie sich sehen: Liebe, Anerkennung und Verständnis. Sie schämen sich auch wegen ihrer Art und neigen schon auch deswegen zum inneren und äußeren Rückzug.
Der primär tiefenpsychologisch orientierte Psychiater Prof. Dr. Michal bringt auf den Punkt, was auch ich als Verhaltenstherapeut bei zahlreichen Betroffenen erlebt habe.
Die Depersonalisations-Derealisationsstörung mit dem zentralen Muster, nicht "ganz da zu sein", stellt bei vielen Betroffenen unter dem Aspekt der Beziehungsgestaltung einen Kompromiss zwischen dem starkem Wunsch nach Nähe bzw. Verbundenheit und der großen Angst vor Zurückweisung bzw. Nicht-Geliebt-Werden dar.
NIchts empfinden zu können, ist der beste Schutz vor Enttäuschung - obwohl die Sehnsucht nach emotional betontem Erleben und Geliebtwerden riesengroß ist.
Psychopharmakotherapie bei der Depersonalisations-Derealisationsstörung
Es gibt keine medizinische Behandlungsmöglichkeit durch symptomspezifische Psychopharmaka, wenngleich meist bestimmte Antidepressiva (sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer SSRI) eingesetzt werden.
Die Behandlung mit Antidepressiva oder gar Neuroleptika (das sind Medikamente primär zur Behandlung von Psychosen) kann viele Betroffene noch stärker als bisher von ihren Emotionen distanzieren und die Symptomatik dadurch sogar verschlimmern statt verbessern.
Eine Neuroleptika-Verordnung verstärkt bei zahlreichen Betroffenen zudem die unberechtigte Angst, sie könnten doch noch verrückt werden, weil sie dementsprechende Medikamente einnehmen sollen.
Neuroleptika mit den typischen Nebenwirkungen wie Bewegungsstörungen, Gewichtszunahme und Libidoverlust können das Gefühl der Gestörtheit und Entfremdung im Umgang mit dem eigenen Körper erheblich verstärken.
Die Symptome einer Depersonalisations-Derealisationsstörung sind keine Vorzeichen einer beginnenden Schizophrenie und erfordern daher auch keine antipsychotische Behandlung, wie diese von zahlreichen Psychiatern vorgenommen wird.
Psychotherapie bei der Depersonalisations-Derealisationsstörung
Eine störungsspezifische Psychotherapie bei erfahrenen, kompetenten Fachleuten kann sehr hilfreich sein, ohne jede Psychopharmakotherapie, wenngleich diese oft von psychiatrischen Fachärzten als unbedingt notwendig angesehen wird.
Die nachweisbar wirksamste Behandlungsmöglichkeit besteht in einer symptomspezifischen Psychotherapie, wie dies in der Kognitiven Verhaltenstherapie erfolgt, aber auch in einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie.
Sehr wirksam ist die emotionsfokussierte Psychotherapie nach Leslie Greenberg. Doch auch andere Psychotherapiemethoden können hilfreich sein.
Alle Fachleute und Psychotherapiemethoden sind sich einig:
Erforderlich ist eine primär emotionszentrierte Psychotherapie, wie diese mittlerweile auch in der Verhaltenstherapie erfolgt, die nicht mehr so wie früher primär verhaltensorientiert oder ausschließlich kognitiv ausgerichtet ist.
Sehr hilfreich ist vor allem auch eine Achtsamkeitstherapie, die in jede der bekannten Psychotherapiemethoden eingebaut werden kann.
Von zentraler Bedeutung für die durchaus mögliche vollständige Heilung ist ein Gefühlswahrnehmungs- und -bewältigungstraining.
Der erfolgreiche Zugang zu den eigenen Emotionen ist der entscheidende Faktor bei der Bewältigung einer Depersonalisations-Derealisationsstörung.
Die Betroffenen müssen im Rahmen einer Psychotherapie lernen, ihre Gefühle wahrzunehmen, zu verarbeiten und nach außen hin auszudrücken, statt sie aus Angst vor Konflikten, Kritik, Zurückweisung und Enttäuschung zu unterdrücken und "wegzustecken".
Die Betroffenen müssen vor allem auch lernen, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen und zu verwirklichen und die Eigenverantwortung für ihr persönliches Wohlergehen wahrzunehmen, statt sich scheinbar selbstlos und bedürfnislos nach den anderen zu richten.
Auf diese Weise erleben sie sich im Laufe der Zeit auch wieder als richtig "zusammengesetzt" und völlig normal.
Bei einem Teil der Betroffenen ist bereits eine Kurzzeitpsychotherapie ausreichend.
Personen mit einer langdauernden ("chronischen") Depersonalisations-Derealisationsstörung benötigen dagegen oft eine Psychotherapie über einen weitaus längeren Zeitraum.
Die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen hat also niemals eine körperliche oder sexuelle Traumatisierung erlebt, sodass bei ihnen auch keine Traumatherapie angezeigt erscheint.
Bei diesen Personengruppen sowie auch bei zahlreichen anderen Personen lässt sich ganz deutlich die Funktion der Abspaltung von Emotionen aufzeigen.
Das totale "Wegstecken" von Emotionen dient der Erhaltung der Funktionsfähigkeit im Leben, allerdings um einen sehr hohen Preis: Erinnerungen an schmerzhafte und angstmachende Erfahrungen in der Vergangenheit können dadurch zwar vermieden werden, im Laufe der Zeit werden auf diese Weise jedoch immer mehr Emotionen überhaupt nicht mehr zugelassen und bewusst erlebt.
Das kann bis zur völligen "emotionalen Taubheit" als Gegenreaktion zur unkontrollierbaren Angstüberflutung führen.
Das Buch über Depersonalisation und Realisation von Prof. Dr. Michal bietet neben allgemeinverständlichen Erklärungen der Störung auch umfassende Selbsthilfeanleitungen zu deren bestmöglicher Bewältigung - neben der dringenden Empfehlung einer Psychotherapie. Vor allem auch aus diesem Grund empfehle ich Ihnen dieses wertvolle Buch.
Im Folgenden biete ich Ihnen Hilfestellungen zum besseren Umgang mit Gefühlen an, basierend auf meinem Buch "Angst und Sorgen die Macht nehmen. Selbsthilfe bei Generalisierter Angststörung".
Vielleicht können Ihnen diese Ausführungen etwas helfen, auch wenn sie sich primär an Menschen mit Generalisierter Angststörung wenden.
Menschen mit Angststörungen aller Art werden von ihren Ängsten und Befürchtungen massiv überflutet und können damit nicht umgehen, sodass sie diese am liebsten "wegstecken" möchten.
Menschen mit einer Depersonalisations-Derealisationsstörung haben genau das geschafft: Die Gefühle sind weg, sodass man sich jetzt unwirklich und wie ein Roboter fühlt.
Die Betroffenen müssen lernen, ihre Gefühle wahrzunehmen, zu erleben, zu verarbeiten und auszudrücken, ohne dass sie durch eine nicht regulierbare Gefühlsüberflutung in eine manifeste Angststörung kippen.
Trainieren Sie
Ihre Emotionsregulation und lernen Sie Gefühle wahrnehmen, erleben und
steuern
Die meisten psychischen Erkrankungen sind Ausdruck von Störungen in der Emotionsregulation.
Wenn Defizite in der Verarbeitung von Emotionen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung vieler psychischer Probleme eine derart große Rolle spielen, dann stellen umgekehrt Verbesserungen der allgemeinen Emotionsregulationskompetenz einen wichtigen Beitrag zur psychischen Gesundheit dar.
Das empfehlenswerte deutsche Programm
Training Emotionaler Kompetenzen (TEK)
von Matthias Berking beschreibt und
lehrt sieben Kompetenzen im Umgang mit Gefühlen:
die eigenen Gefühle bewusst wahrnehmen können,
die eigenen Gefühle erkennen und benennen können,
die Ursachen des aktuellen Befindens erkennen
können,
sich selbst in belastenden Situationen innerlich
emotional unterstützen können,
die eigenen Gefühle positiv beeinflussen können,
negative Gefühle bei Bedarf akzeptieren und
aushalten können,
sich mit emotional belastenden Situationen
konfrontieren können.
Sieben
Basiskompetenzen werden nacheinander eingeübt; sie werden im Folgenden
im Sinne einer Selbsthilfe-Anleitung beschrieben:
Muskelentspannung. Lernen Sie die bewährte Methode der Progressiven
Muskelentspannung nach Jacobson und verkürzen Sie diese später auf
einige wenige Übungen.
Atementspannung. Atmen Sie so lange und ruhig aus, bis keine Luft mehr herauskommt, und entspannen Sie dabei gleichzeitig auch Ihre Muskeln. Ausatmen geht immer mit Loslassen einher.
Bewertungsfreie Wahrnehmung. Nehmen Sie Ihre Gefühle (z.B. Angst
oder Ärger) und die damit verbundenen Körperempfindungen im Sinne der
Achtsamkeit einfach nur wahr. Benennen Sie sie, ohne sie zu bewerten
oder darauf zu reagieren.
Akzeptanz und
Toleranz gegenüber den eigenen Gefühlen. Lassen Sie Ihre Gefühle zu,
ohne sie zu kontrollieren. Gefühle zu unterdrücken, kostet Sie nur viel
Kraft. Sie müssen ein Gefühl wie Angst zuerst einmal annehmen lernen, um
es später ändern zu können.
Effektive
Selbstunterstützung in emotional belastenden Situationen.
Unterstützen, ermutigen und ermuntern Sie sich selbst in liebevoller,
wertschätzender Weise, während Sie sich in eine emotional belastende
Situation begeben (zuerst in der Vorstellung und dann in der Realität).
Loben Sie sich dann für jeden kleinen Erfolg.
Analyse
emotionaler Reaktionen. Erkennen Sie, was das jeweilige Gefühl
ausgelöst hat (z.B. welche Situation, welche Denkmuster). Sekundäre
Emotionen können die eigentlichen, primären, also die ersten,
unmittelbar auf eine Situation erfolgenden Gefühle verdecken (z.B.
Schuldgefühle den ursprünglichen Ärger). Die eigene emotionale Reaktion
zu verstehen, erleichtert die Entwicklung von effektiven
Bewältigungsstrategien.
Regulation emotionaler Reaktionen. Verändern Sie im Bedarfsfall Ihre emotionale Reaktion auf eine bestimmte Situation. Was ist Ihr realistisches Zielgefühl für die momentane Situation, das heißt: Wie würden Sie gerne in einer bestimmten Situation emotional reagieren? Mithilfe welcher Schritte können Sie dieses Gefühl am besten erreichen?
Transformieren Sie krankmachende in gesunde Emotionen wie in der
Emotionsfokussierten Therapie (EFT)
Sekundäre und primäre maladaptive Emotionen durch primäre adaptive Emotionen überwinden
Im Gegensatz zur traditionellen Kognitiven Verhaltenstherapie möchte die Emotionsfokussierte Therapie (EFT) nach Leslie Greenberg weder Ihre Denkmuster ändern, damit Sie Ihre Gefühle leichter bewältigen können, noch Sie dazu anleiten, Ihre unangenehmen Gefühle besser auszuhalten, bis Sie durch Habituation (Gewöhnung) besser mit ihnen umgehen können.
Im Mittelpunkt steht auch nicht die Beseitigung von Defiziten in der Verarbeitung von Emotionen durch ein entsprechendes emotionales Kompetenztraining, wenngleich durchaus auch mithilfe von Emotionstagebüchern, strukturierten Wahrnehmungsübungen oder Modelllernen (die Therapeutin als Modell) daran gearbeitet wird.
Es geht auch nicht bloß um die bessere Akzeptanz Ihrer Gefühle, wie dies in der Achtsamkeitstherapie gelehrt und geübt wird, sondern vielmehr um eine intensive Arbeit mit ihnen.
Menschen mit Angststörungen und anderen psychischen Störungen wie einer Depersonalisations-Derealisationsstörung sollen lernen, ihre emotionalen Reaktionen, die durch bestimmte emotionale Schemata (z.B. Bedrohung) aus der Vergangenheit gesteuert werden, bewusst wahrzunehmen und in der Folge davon flexibel zu nutzen sowie schädliche (maladaptive) Emotionen durch angemessenere (adaptivere) emotionale Reaktionen zu verändern (zu transformieren).
In der Emotionsfokussierten Therapie wird zwischen primären und sekundären Emotionen unterschieden.
Primäre Emotionen sind unsere ersten, unmittelbaren und zugleich
sehr tiefgehenden Reaktionen auf bestimmte Situationen. Primäre Emotionen
können adaptiv oder maladaptiv sein.
Primäre adaptive Emotionen sind angemessene emotionale Reaktionen auf ein bestimmtes Ereignis, weil sie momentane Bedürfnisse zum Ausdruck bringen, wie etwa Ärger bei Nichterfüllung wichtiger Wünsche und Anliegen in der Partnerschaft, Trauer über den Tod einer geliebten Person oder berechtigte Angst vor einer physischen Bedrohung.
Typische primäre adaptive Emotionen angenehmer („positiver“) Art sind: Freude, Zuneigung, Liebe, Zuversicht, Interesse, Neugierde, Begeisterungsfähigkeit, Dankbarkeit, Mitgefühl mit sich selbst und anderen, Gefühle von Glück oder Stolz. Typische primäre adaptive Emotionen unangenehmer („negativer“), jedoch lebenswichtiger Art sind: Angst, Furcht, Traurigkeit, Ärger, Wut und Ekel.
Adaptive Emotionen führen zu angemessenen (adaptiven)
Reaktionen und Handlungen (z.B. seine Ziele engagiert verfolgen oder sich
anderen gegenüber behaupten).
Primäre maladaptive Emotionen sind dagegen in der Gegenwart völlig unangemessene Reaktionen, weil sie letztlich emotionale Reaktionen auf Situationen in der Vergangenheit darstellen, die damals zwar durchaus angemessen waren, in der aktuellen Situation jedoch überzogen oder überhaupt nicht passend sind.
Ein typisches Beispiel dafür ist folgende spontane emotionale Reaktion im Rahmen der Partnerschaft: Die in der Kindheit ganz normale (primäre adaptive) Emotion von Angst angesichts von Ungeborgenheit und Schutzlosigkeit tritt angesichts eines harmlosen Streits mit dem Partner plötzlich wieder auf, nach dem Motto: „Ich fühle mich in meiner Partnerschaft so unverstanden und verlassen wie in meiner Kindheit.“
Ein weiteres Beispiel ist typisch für den Bereich der
Arbeitswelt: Ein Arbeitnehmer erlebt die sachbezogene Kritik vonseiten
seines Vorgesetzten fast in derselben belastenden Weise wie die
entwürdigende Kritik vonseiten seines unbarmherzigen Vaters in der Kindheit.
Sekundäre Emotionen sind nachträgliche emotionale Reaktionen auf primäre (adaptive und maladaptive) Emotionen. Sie stellen einen Schutz vor diesen schmerzhaften oder bedrohlichen Emotionen dar.
Typische Beispiele dafür sind: die sekundäre Angst vor
dem Wiedererleben der primären Todesangst angesichts einer heftigen
Panikattacke oder die sekundäre Angst vor dem Wiedererleben jener
realitätsbezogenen Verlustangst, wie sie in der Kindheit bestanden hatte,
anlässlich eines relativ harmlosen Partnerkonflikts.
Wegen der sehr belastenden sekundären Emotionen, die mit zahlreichen körperlichen Symptomen einhergehen, suchen viele Menschen mit einer Generalisierten Angststörung zuerst den Hausarzt auf und gehen oft erst danach zu einer Psychotherapeutin.
In der Psychotherapie werden im Laufe der Zeit die oft noch schmerzvolleren (primären maladaptiven) Emotionen sukzessive freigelegt und bearbeitet.
Sie werden gezielt aktiviert und in primäre adaptive Emotionen transformiert, wie etwa in realitätsbezogene Angst und Furcht, konstruktive Wut, angemessene Traurigkeit, Zuversicht, Hoffnung oder Neugierde, die es den Betroffenen ermöglichen, im Interesse ihrer Grundbedürfnisse, Werte und Ziele handlungsfähig zu werden bzw. zu bleiben.
Es gilt das Motto: „Gefühle kann man nur durch Gefühle
ändern.“
Die Betroffenen, die sich durch die im Mittelpunkt ihres Erlebens stehenden sekundären Emotionen von Angst und Erschöpfung sehr belastet fühlen, müssen einen Zugang zu den dahinterliegenden primären, noch viel schmerzhafteren Emotionen aus der Zeit der Kindheit finden, um diese angemessen bewältigen zu lernen und dadurch deren unangemessenes Wiederauftreten in späteren Lebensphasen zu verhindern.
Erst danach können sie ein Leben mit weniger Ängsten
und Sorgen führen – auf der Basis ihrer zentralen Werte und Grundbedürfnisse.
Die Emotionsfokussierte Therapie möchte Menschen mit
Angststörungen und anderen psychischen Störungen helfen, ihre durch
bestimmte emotionale Schemata (z.B. Bedrohung) gesteuerten emotionalen
Reaktionen bewusst wahrzunehmen und flexibel zu nutzen und schädliche
(maladaptive) Emotionen mithilfe von angemesseneren (adaptiveren)
emotionalen Reaktionen zu verändern (zu transformieren).
Sechs Prinzipien der Emotionsverarbeitung
In der Emotionsfokussierten
Therapie gibt es sechs Prinzipien der
emotionalen Verarbeitung bzw. Veränderung:
Bewusstheit und Wahrnehmung.
Es geht darum, die eigenen Gefühle und die damit verbundenen
körperlichen Empfindungen ganz bewusst wahrzunehmen und so zu
akzeptieren, wie sie sind. Gefühle zeigen uns und anderen, was uns
wichtig ist. Auf diese Weise erhalten wir Zugang zu unseren
Grundbedürfnissen und Handlungsimpulsen.
Ausdruck.
Die Gefühle sollen in Form von Worten oder Handlungen ausgedrückt
werden. Dabei geht es nicht um ein Abreagieren aufgestauter Impulse,
sondern – erleichtert durch einen besseren Zugang zu den primären
adaptiven Emotionen – um entsprechende Mitteilungen an andere Menschen
sowie um neue Erfahrungen in sozialen Kontakten.
Regulation.
Es geht dabei nicht primär um die bewusste Kontrolle von Emotionen,
vielmehr sorgt allein schon das sprachliche Benennen für eine stärkere
Aktivität des Frontalhirns, speziell des präfrontalen Kortex, wodurch
die Tätigkeit unserer emotionalen Zentren, speziell des Mandelkerns
(Amygdala) im limbischen System, gedämpft wird.
Reflexion.
Die Bewusstmachung der unbewusst ablaufenden emotionalen Prozesse gibt
uns Aufschluss darüber, welche Bedeutung bestimmte Erlebnisse, Personen
und Situationen für uns haben und welche Bedürfnisse, Werte und Ziele in
uns bestehen, um in Anschluss daran Wege zu deren Realisierung zu
finden.
Transformation. Das wichtigste Prinzip der emotionalen Veränderung
besagt, dass Emotionen nur mit Emotionen verändern werden können, indem
belastende (primäre maladaptive sowie sekundäre) Emotionen in gesunde
(primäre adaptive) Emotionen transformiert werden. Primäre maladaptive
Emotionen, etwa hochkommende Gefühle von Traurigkeit oder Angst aus der
Zeit der Kindheit, werden durch primäre adaptive Emotionen überlagert
und dadurch aufgehoben, wie etwa durch Interesse oder Freude an den
gegenwärtigen Aktivitäten und Erlebnissen.
Korrigierende interpersonelle Erfahrungen. Das bewusste Erleben von primären adaptiven Emotionen und der Zugang zu den dahinterliegenden Grundbedürfnissen tragen dazu bei, dass sich die Betroffenen in ihren sozialen Beziehungen wohler fühlen als bisher.
Der Prozess der therapeutischen Veränderung
Eine erfolgreiche
Emotionsfokussierte Therapie umfasst fünf Schritte:
Wahrnehmung
der sekundären Emotionen. Die Patientin nimmt zuerst einmal alle
ihre Beschwerden wahr, das heißt ihre momentan vorhandenen Ängste,
Sorgenprozesse, Gefühle von Frustration und Hoffnungslosigkeit sowie
ihre körperlichen Missempfindungen, geistigen Leistungsdefizite und
sozialen Beziehungsprobleme, also alle gegenwärtig bestehenden
emotionalen, körperlichen und sozialen Belastungen, deretwegen sie die
psychotherapeutische Behandlung machen will. Die belastenden Ängste, die
die Patientin als Behandlungsgrund vorbringt, sind zumeist
sekundäre Ängste – ein
Begriff, mit dem sie zu Beginn der Psychotherapie oft noch nichts
anfangen kann.
Wahrnehmung
der primären maladaptiven Emotionen. Sie nimmt dann ihre primären
maladaptiven Emotionen wahr, mit denen sie vor dem Hintergrund ihrer
Lebensgeschichte auf momentan gegebene, schwierige Situationen oder
Beziehungskonstellationen reagiert, vor allem
Scham (sich als schlechter
oder gar wertloser Mensch fühlen),
Angst (sich schwach, hilflos und ohne Schutz fühlen) und
Traurigkeit (sich einsam,
abgelehnt oder ausgeschlossen fühlen).
Wahrnehmung
der Grundbedürfnisse. Die Patientin nimmt danach ihre
Grundbedürfnisse wahr, die hinter ihren primären maladaptiven Emotionen
liegen und hier in ihrer Bedrohtheit zum Ausdruck kommen. Es geht dabei
vor allem um die Bedürfnisse nach Bindung, Liebe, Sicherheit und
Geborgenheit oder nach Anerkennung und Bestätigung.
Wahrnehmung
der primären adaptiven Emotionen. Sie erlebt danach ihre primären
adaptiven Emotionen, die eigentlich in der problematischen Situation
unterschwellig vorhanden waren, aber von den sekundären und den primären
maladaptiven Emotionen verdeckt wurden. Sie gewinnt aus diesen primären
adaptiven Emotionen die Kraft, um ihre Bedürfnisse verwirklichen zu
können. Sie zeigt z.B. Ärger in selbstbehauptender Weise (anstatt sich
zu schämen), Traurigkeit (anstelle von ständigen irrationalen Ängsten)
und Selbstmitgefühl (anstelle von ständiger Selbstabwertung).
Neues
Selbstbild. Als Folge dieses Prozesses gewinnt die Patientin ein
neues Bild von sich und ihrer sozialen Umwelt.
Der Weg zur heilsamen Veränderung nimmt also seinen Ausgang bei den im
Vordergrund des Erlebens stehenden sekundären Emotionen, er führt dann zu
den primären maladaptiven Emotionen, hinter denen sukzessive die bedrohten
Grundbedürfnisse erkannt werden, sodass die Patientinnen und Patienten einen
besseren Zugang zu ihren primären adaptiven Emotionen gewinnen und in der
Folge davon ein gesundes Selbstbild und eine bessere soziale
Beziehungsfähigkeit entwickeln können.
Dies ist meine langjährige Erfahrung als Psychotherapeut mit Schwerpunkt auf der Behandlung von Angststörungen: Menschen mit Angststörungen und anderen psychischen Störungen ist oft gar nicht bewusst, dass viele ihrer Ängste eigentlich sekundäre Ängste sind.
Wenn der Gegenstand ihrer Ängste, etwa Krankheit, Versagen, Verlust oder Enttäuschung, bereits Wirklichkeit wäre, würden sie diese Erwartungsängste gar nicht mehr haben, denn dann wäre das, was sie fürchten, ja schon gegenwärtig und die Angst davor überflüssig.
Stattdessen würden sie dann ihre
primären adaptiven Emotionen
wahrnehmen können: das Gefühl von
Traurigkeit aufgrund von Einsamkeit, Nicht-geliebt-Werden und
Verlassensein oder das Gefühl von
realer Angst und akuter Bedrohung, weil sie im gegenwärtigen Lebensumfeld
von wichtigen Beziehungspersonen keinen Schutz bekommen und keine
ausreichende Unterstützung erfahren.
Vielen Personen mit Angststörungen und anderen psychischen Störungen fehlen angemessene Bewältigungsstrategien, mit primären maladaptiven Emotionen aus der Vergangenheit umzugehen, die oft mit traumatisierenden Lebenserfahrungen zusammenhängen.
Emotional gefärbte Erinnerungen und „alte“ Gefühle aus der Vergangenheit kann man nicht einfach vergessen; sie werden durch bestimmte Situationen in der Gegenwart immer wieder aktiviert und kommen dann in Form von primären maladaptiven Gefühlen wieder hoch.
Die Betroffenen können jedoch lernen, sie durch primäre adaptive Gefühle zu ersetzen oder zumindest zu überlagern, gleichsam zu überschreiben wie eine Computerfestplatte.
Sie können z.B. heilsamen
Ärger entwickeln über das, was sie
in der Vergangenheit als Angst oder Scham gefühlt haben, oder
Traurigkeit über das, was sie in der Vergangenheit nicht erfahren
haben, nämlich Wertschätzung und Zuneigung. Auf diese Weise können sie ein
Gefühl von Sicherheit oder Selbstakzeptanz entwickeln.
Die Konzepte der Emotionsfokussierten Therapie drücken mit Fachbegriffen genau das aus, was ich meinen Patientinnen und Patienten mit Angststörungen in meiner psychotherapeutischen Arbeit schon seit vielen Jahren auf diese Weise versuche nahezubringen:
Menschen mit Ängsten leben zu wenig in der Gegenwart und vernachlässigen jeden Tag in folgenschwerer Weise ihre momentanen Wünsche und Bedürfnisse.
Sie leben mental ständig in der Vergangenheit, innerlich beschäftigt mit nicht abgeschlossenen „alten Geschichten“ oder mental ständig in der Zukunft, in der ähnlich schlimme Situationen und Ereignisse wie in der Vergangenheit auftreten könnten.
Andere wiederum befürchten bei einem bislang sehr zufriedenstellenden Leben, dass durch einen schlimmen Schicksalsschlag alles zerstört werden könnte, was sie bisher erreicht haben, ohne dass sie in der Gegenwart konkret etwas gegen derartige unwahrscheinliche, aber nicht völlig ausschließbare Katastrophen unternehmen können.
Voller Angst und Sorge, dass in der Zukunft etwas
Schlimmes passieren könnte, verpassen sie die Chancen des Tages, und dies
Monat für Monat und Jahr für Jahr!
Innerer Dialog – im
Gespräch mit dem ängstlichen Selbst
In der Emotionsfokussierten Psychotherapie erfolgt die Angst-und-Sorgen-Bewältigung mithilfe des Zwei-Stühle-Dialogs.
Das Sorgen-Selbst, da heißt der ständige innere Sorgenmacher, und das andere, gesunde Selbst nehmen jeweils auf einem Stuhl Platz und führen einen Dialog miteinander.
Die Betroffenen übernehmen
also, wie bei einem Rollenspiel, einen Anteil ihrer Persönlichkeit und
sprechen aus dieser Perspektive mit dem anderen Teil von sich selbst, der
auf dem zweiten Stuhl sitzt. Sie wechseln dabei jeweils den Stuhl, um sich
dadurch in jede Rolle möglichst intensiv hineinversetzen zu können.
Führen Sie im Rahmen Ihrer
Selbstbehandlung in ähnlicher Weise einen schriftlichen Dialog zwischen
diesen beiden Teilen Ihrer Person, Ihrem Sorgen-Selbst und Ihrem gesunden
Selbst, oder nehmen Sie diesen Dialog mithilfe der Sprachmemofunktion Ihres
Handys auf und hören Sie ihn später mehrfach an:
Nehmen Sie zuerst die Position Ihres Sorgen-Selbst ein, das Sie als Ihren ständigen inneren Sorgenmacher, aber auch als Ihr wohlmeinendes Beschützer-Selbst bezeichnen können, das Sie vor Katastrophen warnen will.
Beginnen Sie den Dialog aus der Perspektive des Sorgen-Selbst und sagen Sie Sätze wie: „Du bist für alles verantwortlich, kannst mit den Folgen nicht umgehen und wirst an allem schuld sein.“
Seien Sie bei der Äußerung Ihrer Ängste und „Was wäre, wenn…?“-Sorgen und Warnungen so konkret und spezifisch wie möglich, damit die gefürchteten Situationen in sehr lebendiger Form vor Ihr inneres Auge treten können und Sie alle Ihre Emotionen deutlich wahrnehmen können.
Handelt es sich dabei um realistische Sorgen oder eher um Befürchtungen ohne Realitätscharakter?
Sind es Warnungen, die für die gegenwärtige Situation
angemessen sind, oder handelt es sich um Ängste, die aus schmerzhaften
Erfahrungen aus der Vergangenheit stammen, die Sie zukünftig keinesfalls
mehr wiedererleben möchten, also um primäre maladaptive Emotionen?
Nehmen Sie anschließend die Position Ihres anderen Selbst, des normalen, gesunden Persönlichkeitsanteils, ein.
Lassen Sie in dieser Rolle alles ohne Vermeidungs- und Unterdrückungsstrategien auf sich einwirken, was das Sorgen-Selbst als Beschützer-Selbst und Angst-Macher Ihnen an Warnungen und Mahnungen vor Augen führt.
Nehmen Sie alle dabei auftretenden schmerzhaften Emotionen und körperlichen Empfindungen, bis hin zu belastenden Symptomen wie Herzrasen, Schwitzen, Schwindel oder Beklemmungsgefühlen, so intensiv wie möglich wahr, ohne dagegen anzukämpfen oder Zukunftsfantasien zu entwickeln, was im schlimmsten Fall passieren könnte.
Welche positiven primären adaptiven Emotionen, wie etwa Neugierde, Interesse, Liebe oder Freude, könnten Ihnen bei der Überwindung Ihrer Ängste und Sorgen helfen?
Auf welche Ressourcen, Stärken und Fähigkeiten können Sie in der Position Ihres gesunden Selbst zurückgreifen, um den Befürchtungen Ihres Sorgen-Selbst etwas entgegenzusetzen?
Welche Erfolgserlebnisse in der Vergangenheit könnten Ihre Zuversicht stärken, mit aufkommenden Ängsten und Sorgen einigermaßen gut zurechtzukommen?
Wenn keine dieser Strategien ausreichend hilfreich ist, haben Sie die Grenzen einer Selbstbehandlung erreicht.
Sie sollten sich dann unbedingt an eine erfahrene
Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten wenden.
Die Arbeit mit Ihrem inneren Sorgenmacher („Dir wird etwas Schreckliches passieren“) ist von zentraler Bedeutung.
Betrachten Sie Ihr Sorgen-Selbst als verantwortungsbewussten Angst-Macher und wohlmeinendes Beschützer-Selbst: Ihr besorgter Teil ist die Stimme Ihrer Ängste und Sorgen, die Ihnen jeweils das Schlimmste vor Augen führt, Sie an die negativsten Erlebnisse in der Vergangenheit erinnert und Sie vor den größtmöglichen Katastrophen in der Zukunft warnt, weil es Sie davor bewahren will.
Es tritt als wohlmeinender Beschützer Ihrer Person auf
und möchte nur das Beste für Sie und andere, um Ihnen das zu ersparen, was
Sie in der Vergangenheit schmerzhaft erlebt haben und keinesfalls
wiedererleben möchten.
Der innere Dialog zwischen Ihrem Sorgen-Selbst und Ihrem anderen, gesunden Selbst hilft Ihnen auch zu erkennen: Sie selbst (als Sorgen-Selbst) sind der Auslöser dafür, dass Sie sich fürchten; es ist nicht einfach nur der unkontrollierbare Prozess des ständigen Sich-Sorgen-Machens, dem Sie ausgeliefert sind und der in Form einer mysteriösen psychischen Störung namens Generalisierte Angststörung sichtbar wird.
Sie meinen es eigentlich gut mit sich selbst und
anderen, auch wenn es in der Folge davon zu belastenden chronischen Ängsten
und Sorgen kommt.
Die Emotionsfokussierte Therapie bietet Ihnen eine sehr hilfreiche Sichtweise und Perspektive an: Ihr innerer Sorgenmacher muss sich nicht ändern; er darf weiterhin kritisch und ängstlich-besorgt bleiben.
Es kommt vielmehr darauf an, dass Sie in der Rolle
Ihres gesunden Selbst stärker werden und zu einem selbstbewussten
Verhandlungspartner werden, der sich dem inneren Sorgenmacher gegenüber gut
behaupten kann.
Bedürfnisdialog – im Gespräch mit dem gesunden Selbst und seinen Grundbedürfnissen
Bei diesem Dialog geht es zum einen darum herauszufinden, was eigentlich Ihre Grundbedürfnisse sind.
Zum anderen geht es darum zu
schauen, was Sie tun können, um die Erfüllung Ihrer Grundbedürfnisse in
bestmöglichem Ausmaß zu erreichen.
Sie wissen nicht, was Ihre Grundbedürfnisse sind? Das kann ich als Psychotherapeut sehr gut verstehen.
Ihre krankheitswertigen Ängste und Sorgen drehen sich nämlich stets darum, was Sie bedroht und was Sie verlieren könnten.
Blicken Sie doch einmal dahinter: Welche unerfüllten Wünsche und bedrohten Grundbedürfnisse sind hinter Ihren ständigen ängstlichen Befürchtungen und „Was wäre, wenn …?“-Sorgen verborgen?
Erst wenn Sie diese Grundbedürfnisse erkannt haben,
können Sie mithilfe Ihrer positiven primären adaptiven Emotionen – etwa
Freude, Liebe, Interesse, Neugierde und Zuversicht – daran arbeiten, die
bestmögliche Lebensqualität zu erreichen.
Viele Menschen mit Angststörungen und anderen psychischen Störngen können oft gar nicht positiv formulieren, welche Ziele sie auf der Basis ihrer zentralen Lebenswerte und fundamentalen Grundbedürfnisse eigentlich im Leben erreichen möchten, weil sie andauernd in den Kampf gegen ihre Ängste und Sorgen verstrickt sind.
Geht es auch Ihnen so? Dann besinnen Sie doch einmal
darauf, was Ihnen im Leben wirklich wichtig ist und was Sie versäumt und
nicht erlebt hätten, wenn Sie morgen sterben müssten.
Aus meiner Sicht fehlt vielen Patientinnen und Patienten mit Angststörungen und anderen psychischen Störungen die ganz normale Angst, dass sie im Leben zu kurz kommen könnten, wenn sie so weitermachen wie bisher.
Angst in diesem Sinne ist eine primäre adaptive Emotion, die uns zum Handeln antreibt, um nicht die Chancen in der Gegenwart bzw. nächsten Zukunft zu verpassen.
Halten Sie sich an das Motto: „Lebe jeden Tag so, als
ob er dein letzter wäre“ – und das alle Tage des weiteren Lebens!
Sprechen Sie nun in Gestalt des gesunden Selbst mit Ihrem Sorgen-Selbst über Ihre Grundbedürfnisse und sagen Sie ihm, was Sie brauchen, damit es Ihnen besser gehen kann.
Formulieren Sie Ihre Wünsche und Ziele so klar und deutlich, dass nicht einmal Ihr Sorgen-Selbst etwas dagegen einwenden kann, etwa so:
„Ich werde zukünftig viel unternehmen, vermehrt meinen Hobbys
nachgehen und neue Erfahrungen machen, um mehr Freude im Leben zu haben. Ich
werde spontaner sein und nicht alles aus Angst vor Fehlern oder Versagen
rigide planen. Ich werde auf regelmäßige Entspannung achten und mir Zeiten
der inneren Ruhe gönnen, um dem Alltagsstress nicht mehr so ausgeliefert zu
sein wie bisher. Ich werde meinen Ärger und meine Enttäuschung meiner
Familie und meinen Freunden gegenüber angemessen zum Ausdruck bringen,
anstatt in konfliktvermeidender Weise zu schweigen, wenn es um meine
berechtigten Anliegen geht. Ich werde mich von überzogenen Erwartungen in
Partnerschaft, Familie und Beruf besser abgrenzen, auch wenn die anderen
dann von mir enttäuscht sein könnten. Ich wünsche mir von meiner Familie
mehr Zuwendung und Anerkennung, anstatt ohne besonderen Dank immer nur
funktionieren zu müssen. Ich wünsche mir von meinem Mann mehr Zärtlichkeit
und nicht bloß Sex. Ich wünsche mir von meiner Psychotherapeutin, dass sie
mich ernst nimmt, auf meine Bedürfnisse eingeht und mich zwar fordert, aber
nicht überfordert.“
Beruhigungsdialog – Coaching des
Sorgen-Selbst durch das gesunde Selbst
Beim Dialog zwischen Ihrem
Sorgen-Selbst und Ihrem gesunden Selbst geht es vor allem auch darum, dass
Sie angesichts Ihrer ständigen Ängste und Sorgen lernen,
sich selbst zu beruhigen.
Sagen Sie in Gestalt Ihres gesunden Selbst klar und deutlich zu Ihrem Sorgen-Selbst, dass Sie in der Lage sind, angemessen auf sich aufzupassen, trotz möglicher Gefahren.
Coachen Sie in der Rolle Ihres gesunden Selbst Ihr Sorgen-Selbst so, wie Sie eine andere Person mental aufbauen und ermutigen würden, etwa in folgender Weise:
„Es ist schon okay, wenn du aufgrund deiner schwierigen Lebensgeschichte vorschnell ängstlich und besorgt reagierst. Ich nehme dich weiterhin ernst als weise Ratgeberin und Beschützerin vor möglichen Gefahren. Ich werde so gut wie möglich auf uns beide aufpassen, damit uns nichts Schlimmes passiert. In Zukunft will ich jedoch mutig und entschlossen handeln, um alle Chancen zu nutzen, damit wir beide mehr vom Leben haben als bisher. Du kannst mir vertrauen, dass ich das Beste für uns beide will. Wir sind ein gutes Team: Deine Ängste und Sorgen und meine Fähigkeiten und meine Zuversicht ergänzen sich gegenseitig und begleiten auf gute Weise all unseren Aktivitäten.“
Zitierte Fremdliteratur:
Greenberg, L. S.
(2016). Emotionsfokussierte Therapie. 2. Auflage.
München, Basel: Ernst Reinhardt.
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