Beruhigungsmittel - Benzodiazepine
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Dr. Hans Morschitzky
Klinischer, Psychologe, Psychotherapeut
Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie
A-4040 Linz, Hauptstraße 77
Tel.: 0043 732 778601 E-Mail: morschitzky@aon.at
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Tranquilizer
in der Angstbehandlung
Der
Psychiater Faust stellt in seinem Psychopharmaka-Führer
„Medikament
und Psyche“ fest:
„Beruhigungsmittel
sind die am häufigsten verlangten und verordneten Psychopharmaka. Das war so,
das ist so, das wird vermutlich noch einige Zeit so bleiben. Überforderung,
Anspannung, Stress, innere Unruhe, Nervosität, Angstzustände und Einschlafstörungen
sind die häufigsten Befindensschwankungen an der Grenze zur seelischen Störung.
Sie münden über die psychosozialen Folgen (Partnerschaft, Familie, Beruf) in
einen Teufelskreis, der irgendwann einmal medikamentös unterbrochen werden
soll, weil die nichtmedikamentöse Eigeninitiative zu wünschen übrig läßt
und Arzneimittel einen schnelleren und scheinbar problemloseren
Behandlungserfolg garantieren.“
Faust
weist auf die Grenzen der Beruhigungsmittel bei seelischen Konflikten hin:
„Eine
medikamentöse Konfliktlösung ist durch Tranquilizer in der Regel nicht möglich.
Zwar werden die anstehenden Probleme ggf. ‚entaktualisiert’ und dadurch
leichter bearbeitbar bzw. überstehbar. Doch dies setzt eine konsequente
Eigenleistung voraus: Aussprache, Korrekturversuche (Partnerschaft, Beruf
usw.), Entspannungsverfahren lernen, Genußgifte einschränken, regelmäßige
körperliche Aktivität usw. Nur so läßt sich auf Dauer die Krise überwinden
und die Gefahr eindämmen, immer wieder zu einer ‚medikamentösen Krücke’
Zuflucht nehmen zu müssen, bis man hängenbleibt.“
Benzodiazepine
können bei Angststörungen kurzfristig sinnvoll sein:
Bei
kritischer Beurteilung ist der Einsatz von Tranquilizern nur dort gezielt und
hilfreich, wo Angstpatienten ihre Angstsituationen nur sehr selten aufsuchen
bzw. aufsuchen müssen, wenn sie nicht bestimmte Nachteile in Kauf nehmen
wollen, oder wo eine akute Erregung besteht. Beispiele für den
kurzfristigen
Tranquilizereinsatz sind:
Anstelle eines routinemäßigen Einsatzes von Benzodiazepinen wegen Überanspannung, Stress usw. sollte eine spezifische Behandlung aufgrund einer genauen Analyse bzw. Diagnose des jeweiligen Beschwerdekomplexes erfolgen.
Gesunde Personen
mit lebenssituativen Belastungen sollten nur in bestimmten wohlüberlegten Fällen
Tranquilizer erhalten. Die psychosoziale Belastung hält in der Regel länger
an, als Beruhigungsmittel wegen der Gefahr der Abhängigkeit eingenommen
werden können. Entscheidend ist hier die Unterstützung durch ärztliche oder
psychotherapeutische Gespräche.
Wo eine regelmäßige Wiederholung der angstmachenden Situationen ohne gleichzeitige Erlernung von Bewältigungsstrategien zu erwarten ist, sind die ärztlichen Empfehlungen, Tranquilizer „nur bei Bedarf“ zu nehmen, nichts als leere Worte.
Ohne Zuversicht hinsichtlich der Bewältigbarkeit der Ängste
werden Benzodiazepine immer mehr auch vorbeugend eingenommen, um Angst- und
Panikzustände zu verhindern. Bei einer generalisierten Angststörung sind
Benzodiazepine als einzige Behandlungsmittel wegen der Abhängigkeitsgefahr
unbedingt zu vermeiden.
Bei Bedarf sollen Benzodiazepine anfangs in der Akutphase je nach Halbwertszeit 1-3 mal täglich in der jeweils niedrigstmöglichen Dosis verordnet werden. Bei unzureichender Linderung der Beschwerden kann die Dosis innerhalb der ersten Behandlungswoche gesteigert werden.
Die Medikation ist immer individuell zu bestimmen und in den Kontext einer umfassenden Arzt-Patient-Beziehung zu stellen. Bei Besserung der Symptome wird eine allmähliche Dosisreduktion versucht, diese kann auch in Form einer Intervallbehandlung (Einnahme bei Bedarf) stattfinden.
Eine wiederholte Überprüfung der weiteren Notwendigkeit der ursprünglich etablierten Dosishöhe erfolgt durch vorsichtiges Reduzieren und schließlich probeweises Absetzen.
Tranquilizer sollten nach einigen Wochen ausschleichend
abgesetzt werden, um unangenehme Effekte zu vermeiden.
Patienten
mit früherem oder aktuellem Alkohol- bzw. Drogenmissbrauch sollten keine
Benzodiazepine erhalten, sondern Antidepressiva mit angstdämpfendem Effekt.
In bestimmten Fällen können auch Beta-Blocker oder pflanzliche Mittel
hilfreich sein.
Laux
erstellte bereits 1995 in der Fachzeitschrift
„Nervenarzt“
folgende Richtlinien und Empfehlungen für den Einsatz von Benzodiazepinen:
„Als
Grundlage für eine adäquate Therapie mit Benzodiazepinen ist das Vorliegen
einer klaren Indikation anzusehen... Die Behandlung muß eingebettet sein in
eine ‚psychologische Basisberatung/-behandlung’. Lassen sich
psychodynamische Faktoren für die Entstehung oder Aufrechterhaltung der
vorliegenden Störung eruieren, sollte der Patient einer psychotherapeutischen
Behandlung zugeführt werden. In vielen Fällen hat sich die Kombination einer
(intermittierenden) Pharmakotherapie mit (kognitiver) Verhaltenstherapie bewährt.
Benzodiazepine sollten initial niedrig, aber ausreichend dosiert werden, Ziel
ist eine kurzfristige Verordnung (z.B. Überbrückung der Wirklatenz von
Antidepressiva). Bei Patienten mit intermittierend auftretenden, situativ
bedingten Symptomen sollte primär eine diskontinuierliche Therapie im Sinne
einer Bedarfsmedikation erfolgen. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass nur ein
Benzodiazepin verordnet wird (nicht gleichzeitig ‚Tagestranquilizer’ und
Benzodiazepinhypnotikum; Benzodiazepine zusätzlich in Kombinationspräparaten;
Parallelverordnungen durch Simultankonsultationen). Benzodiazepine bedürfen
wie alle Psychopharmaka einer persönlichen Verordnung durch den Arzt,
insbesondere bei Wiederholungsrezepturen...
Benzodiazepine
sollten in der Regel nicht länger als 4 Wochen - nach der Empfehlung der FDA
nicht länger als 4 Monate - kontinuierlich verordnet werden. Allerdings kann
für einige Patienten mit chronischen Angsterkrankungen eine
Langzeitbehandlung mit Benzodiazepinen indiziert sein. Dies impliziert aber,
dass eine engmaschige ärztliche Führung mit regelmäßigen Absetzversuchen
und Initiierung anderer Therapien durchgeführt wird.
Klinische Erfahrungen der zurückliegenden Jahre haben gezeigt, dass das Absetzen, die Dosisreduktion von Benzodiazepinen sehr langsam vorgenommen werden muß. Als Richtlinie kann gelten, maximal ca. ¼ der Tagesdosis pro Woche zu reduzieren. Offenbar sind insbesondere Patienten mit Panikerkrankungen sensibel für die Dosisreduktion...
Langzeitbehandlungen
mit Benzodiazepinen sollten nach Möglichkeit vermieden werden und auf
schwere, chronische Störungen beschränkt bleiben, die ohne Medikamente nicht
hinreichend gebessert werden können. Regelmäßig muß deren Notwendigkeit
durch langsame Absetzversuche überprüft werden. Als Alternative zu einer
Benzodiazepinlangzeitbehandlung gilt im allgemeinen die
Medikamentenfreiheit.“
Laux
u.a. beschreiben in ihrem allgemeinverständlichen Buch
„Psychopharmaka.
Ein Leitfaden“ die Möglichkeiten und Gefahren der
Tranquilizereinnahme folgendermaßen:
„Tranquilizer
bieten die Möglichkeit, psychovegetative Krisen, den ‚psychovegetativen Störkreis’
zu durchbrechen (hierbei verstärkt Angst psychovegetative und
psychosomatische Störungen, welche ihrerseits zu neuen Ängsten führen).
Auch zur Dämpfung überschießender Emotionen sind sie gut geeignet.
Pathologische Ängste, die adäquates Konfliktverhalten blockieren, können
somit gemindert und der Weg zu einer Psychotherapie - falls erforderlich -
kann geebnet werden. Der behandelte Patient empfindet rasch eine spürbare
Erleichterung von vorher oft sehr quälenden Symptomen. Dies kann jedoch
Gefahren in sich bergen: Tranquilizer können so bei manchen Patienten dazu führen,
dass sie sich der Auseinandersetzung mit ihren Problemen nicht mehr stellen
oder dass sie die Seele ‚wie in einer temperierten Glasglocke’ vor dem
Alltagsstress medikamentös abschirmen. Beruhigungsmittel dürfen deshalb
niemals das ärztliche Gespräch ersetzen; bei allen Patienten, die
Benzodiazepine erhalten, ist es von vornherein notwendig, einen
Gesamtbehandlungsplan zu erstellen, in welchem der Medikamente verordnende
Arzt nicht als ‚bloßer Lebenserleichterer’ fungieren darf.
Bei einem akuten und kurzfristigen Einsatz ist die Wirksamkeit, gute Verträglichkeit und Sicherheit von Benzodiazepinen unbestritten. Bei länger anhaltenden Angstzuständen sind jedoch andere medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten anzustreben.
Als medikamentöse Alternativen
stehen zur Verfügung:
selektive
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI),
Beta-Rezeptoren-Blocker
(Inderal®, Dociton®) bei situationsbedingten Ängsten.
Studien zur Tranquilizerwirksamkeit haben folgendes ergeben:
Von
Ärzten, die einer Abhängigkeit von Tranquilizern vorbeugen möchten, wird häufig
die Substanz Oxazepam (Praxiten®,
Adumbran®) verschrieben, weil dieses Mittel wegen seiner
pharmakologischen Eigenschaften ein geringeres Abhängigkeitsrisiko und eine kürzere
Halbwertszeit aufweist, gleichzeitig aber dennoch angstdämpfend wirkt. Bei
ununterbrochener Einnahme (länger als 6 Wochen) und hoher Dosis (über 50 mg
pro Tag) besteht jedoch auch hier eine erhöhte Abhängigkeitsgefahr.
Alprazolam
(Xanor®, Xanax®, Tafil®) - Bei Panikstörungen
am wirksamsten?
Alprazolam
(Präparate Xanor® in Österreich, Xanax® und Tafil®
in Deutschland ist ein sogenannter hochpotenter Tranquilizer, gilt allgemein als
der wirksamste Tranquilizer bei Panikstörungen und wirkt weder dämpfend noch
muskelentspannend.
Oft
erfolgt die Verschreibung einer Tablette von 0,5 mg 3 mal täglich, bei
schwerer Panikstörung von 1 mg 3 mal täglich. Die Halbwertszeit beträgt
12-15 Stunden. Ein zu 50% aktiver Metabolit hat eine Halbwertszeit von 11-15
Stunden.
In
den USA wurde Alprazolam als einziges Benzodiazepinpräparat mit der
Indikation für Panikstörungen zugelassen. In Deutschland wurde für Alprazolam
eine spezielle Zulassung für Panikstörungen und deren längerfristige
Verschreibung mit folgenden Auflagen erteilt:
Die
Wirkungsweise von Alprazolam lässt sich folgendermaßen erklären:
„Unter
der Dosierung von 2-6 mg, und in wenigen Fällen auch bis 10 mg bessert sich
die Paniksymptomatik häufig innerhalb von wenigen Tagen. Als therapeutischer
Wirkmechanismus wird dabei die Bildung des
GABA-Benzodiazepin-Rezeptorkomplexes mit einer Verstärkung der
inhibitorischen Neurotransmission angenommen. Dadurch wird jedoch die körpereigene
Produktion der GABA gedrosselt. Die Kenntnis dieses psychophysiologischen
Vorganges ist deswegen von Wichtigkeit, da das Absetzen des Benzodiazepins nur
in langsamen Schritten (über mehrere Wochen) erfolgen sollte, da ansonsten
schwerwiegende Absetzerscheinungen auftreten, die meistens zu einer
Fortsetzung der Benzodiazepinmedikation führen. Neben Alprazolam liegen auch
Untersuchungen über andere Benzodiazepine wie Diazepam, Oxazepam bzw.
Lorazepam vor, die jeweils eine günstige Wirkung bei Angststörungen erkennen
lassen. Da Alprazolam jedoch keine sedierende bzw. muskelrelaxierende Wirkung
hat, ist es den anderen Medikamenten wegen der geringeren Nebenwirkungen und
daraus folgenden besseren Compliance vorzuziehen.“
Deutsche
Experten beschreiben die Vor- und Nachteile von Alprazolam und anderen
Benzodiazepinen bei der Behandlung von Panikstörungen:
„Mit
den Benzodiazepinen Alprazolam, Clonazepam und Lorazepam ist eine Therapie der
Panikattacken möglich. Für Alprazolam ist in groß angelegten Studien der
Wirksamkeitsnachweis bei Panikattacken erbracht worden ... Alprazolam soll
auch das Vermeidungsverhalten reduzieren ... Der Wirkungseintritt ist
schneller und die Compliance aufgrund des geringer ausgeprägten
Nebenwirkungsprofiles besser als bei einem trizyklischen Antidepressivum, z.B.
Imipramin ... Es sind allerdings recht hohe Dosen notwendig, um einen
antipanischen Effekt zu erzielen, z.B. für Alprazolam durchschnittlich 6 mg
... Kurze Halbwertszeiten von Alprazolam können zur Zunahme der Angst
zwischen den Einnahmezeiten führen und damit zu einer unkontrollierten
Dosissteigerung. Dies wurde für Clonazepam mit seiner langen Halbwertszeit
nicht berichtet. Mehrere Faktoren sind als Risiken der oft langjährigen
Einnahme durch die Patienten und die Verschreibungspraxis des Arztes
anzusehen: auf der einen Seite die akute Wirksamkeit und gute Verträglichkeit
..., auf der anderen Seite aber auch Benzodiazepin-rebound- und Entzugsphänomene
und Rückfälle nach Absetzen ... Wegen der damit bestehenden doppelten
Problematik bei Beendigung einer Benzodiazepinbehandlung ist es in vielen Fällen
nicht möglich, die Benzodiazepine über einen Zeitraum von 4 Wochen
abzusetzen ... Oft ist nach langfristiger Gabe ein langsames, schrittweises
Absetzen über mehrere Monate notwendig ... Das Absetzen von Benzodiazepinen
kann durch zusätzliche Gabe von Carbamazepin erleichtert werden ... Als Folge
von Benzodiazepinabhängigkeit und chronischer Intoxikation drohen den
Patienten u.a. psychomotorische Störungen, paradoxe Reaktionen, Vergeßlichkeit,
psychische Leistungsminderung, dysphorische Verstimmungszustände und muskuläre
Schwäche ...“
Zur Einnahme von Alprazolam ist zusammenfassend festzustellen:
An
Menschen mit der Gefahr einer unkontrollierten Einnahme von Alprazolam oder ähnlichen
Benzodiazepinen ergehen folgende Warnungen und Empfehlungen:
Das ICD-10 unterscheidet folgende
Störungen durch Substanzkonsum:
Schädlicher
Gebrauch (Substanzmissbrauch):
ein Konsummuster psychotroper Substanzen, das zu einer Gesundheitsschädigung
führt, entweder in Form einer körperlichen Störung (z.B. Hepatitis) oder
einer psychischen Störung (z.B. depressive Episode).
Abhängigkeitssyndrom
(Substanzabhängigkeit).
Gleichzeitiges Vorhandensein von mindestens drei der folgenden
ICD-10-Kriterien während des letzten Jahres:
überrmächtiger Wunsch, Substanzen oder Alkohol zu konsumieren,
verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Konsums,
Substanzgebrauch zur Milderung von Entzugssymptomen,
körperliches Entzugssyndrom.
Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums,
anhaltender Substanz- oder Alkoholkonsum trotz Nachweises schädlicher Folgen (körperlich, psychisch, sozial).
Man
unterscheidet zwei Arten von Abhängigkeit:
Die Einnahme von Benzodiazepinen kann folgende negative Auswirkungen haben:
Ohne Überdosierung oder Abhängigkeit sind die Nebenwirkungen bei Tranquilizern vergleichsweise gering. Bei älteren Menschen treten Nebenwirkungen etwa viermal häufiger auf als bei jüngeren.
Folgende Nebenwirkungen sind möglich:
Psychisch/psychosozial:
Körperlich:
Bei
Langzeiteinnahme
(regelmäßig über mehr als 4 Monate) muss mit folgenden Zuständen und
Beschwerden gerechnet werden:
Psychisch/psychosozial:
Körperlich:
Tranquilizer verkürzen zwar die Einschlafzeit, verlängern die Gesamtschlafdauer und vermindern das nächtliche Wachliegen, reduzieren jedoch stark den Tiefschlafanteil (Deltaschlafanteil) und bei hoher Dosis auch den Anteil des REM-Schlafs, d.h. sie unterdrücken die Traumphasen.
Tiefschlaf und REM-Schlaf stellen die
erholsamsten Schlafphasen dar, so dass man sich morgens oft trotz schlafanstoßender
Wirkung der Benzodiazepine nicht erholt, sondern wie gerädert fühlt. Nach
dem Absetzen erfolgt insbesondere bei Benzodiazepinen mit kurzer Halbwertszeit
eine Rebound-Schlafstörung mit der Gefahr einer Niedrigdosisabhängigkeit.
Die negativen Auswirkungen der
Benzodiazepinschlafmittel (Hypnotika) auf das Schlafverhalten werden in der
Bevölkerung noch immer zuwenig beachtet. Viele Angstpatienten geraten gerade
wegen einer Schlafstörung als Folge der ständigen Anspannung in eine
Schlafmittelabhängigkeit.
Angstpatienten
mit Schlafstörung,
die Benzodiazepine gewohnheitsmäßig als Einschlafhilfe verwenden, stellen in
der klinischen Praxis eine der schwierigsten Patientengruppen dar. Einschlafstörungen
sind Abschaltstörungen, die die
psychische und körperliche Regeneration beeinträchtigen.
Viele
Angstpatienten hätten ohne Schlafstörung wesentlich mehr Kraft, die vielfältigen
Ängste am Tag durch eigenständige Konfrontation zu überwinden. Eine
Entzugsbehandlung und eine Beseitigung der Schlafstörung sind vorrangige
Behandlungsziele.
Überdosierungen
sind auch bei gleichbleibend niedriger Dosierung möglich, weil viele
Benzodiazepine nur langsam ausgeschieden werden. Im Extremfall können
Vergiftungserscheinungen auftreten.
Bei einer Überdosierung sind folgende Symptome typisch:
Im Wirkprofil der Benzodiazepine zeigen die einzelnen Wirkkomponenten eine unterschiedlich schnelle Toleranzentwicklung.
Während die dämpfende Komponente schon nach
wenigen Tagen spürbar abnehmen kann, die muskelentspannende und krampflösende
Wirkung nach Wochen bis wenigen Monaten deutlich nachlässt, ist die angstlösende
Komponente meist noch nach Monaten nachweisbar. Doch auch sie führt allmählich
zu einer Toleranzentwicklung, so dass eine Dosissteigerung nötig ist.
Während
verschiedene Angstpatienten wohl auch von einer Langzeittherapie mit
Benzodiazepinen profitieren, sprechen einige Studien dafür, dass
Therapieeffekte nicht über ein halbes Jahr gegeben sind. Nach spätestens 4
Monaten bleiben die angstlösenden Effekte aus, es treten dann oft
gegenteilige bzw. unerwünschte Effekte auf.
Im Hinblick auf die Toleranzentwicklung ist es sinnlos, verschiedene Benzodiazepinpräparate zu kombinieren oder auf ein „stärker wirksames“ Benzodiazepin umzusteigen.
Klinisch bedeutsam ist
auch, dass die auffälligen EEG-Veränderungen bei Langzeiteinnahme kaum oder
gar nicht abnehmen, sondern dass sie bei einer Dosissteigerung noch ausgeprägter
werden. Wenn schon, dann sollte stets nur ein Benzodiazepin eingenommen
werden. Anderenfalls treten nur verstärkte Nebenwirkungen ohne bessere
Wirksamkeit auf.
Benzodiazepine machen abhängig:
in
jeder Anwendungsform (Tabletten, Bruchrillentabletten, Dragees, Zäpfchen,
Tropfen, Injektionsflüssigkeit für intramuskuläre oder intravenöse Gabe),
auch
in Kombinationspräparaten als Beimischung zu Antidepressiva, Schmerzmitteln,
herzstützenden und krampflösenden Mitteln u.a.
Die
körperliche
Abhängigkeit (Toleranzentwicklung) entsteht durch die Induktion
abbauender Enzyme in der Leber und durch die Anpassung der Gehirnzellen an die
Substanz. Die Toleranzentwicklung beruht auf der Anpassung der Rezeptoren im
Sinne einer Gegensteuerung sowohl hinsichtlich der Bindungsaktivität als auch
hinsichtlich der Funktion der Benzodiazepin-GABAA-Rezeptoren.
Beim Benzodiazepinentzug macht sich die Abwesenheit der Substanz an den Benzodiazepinbindungsstellen ebenso bemerkbar wie die infolge des chronischen Substanzgebrauchs erhöhte Anzahl der Rezeptoren (regelmäßige Benzodiazepineinnahme erhöht die Zahl der Benzodiazepinrezeptoren).
Das
Abhängigkeitsrisiko
steigt durch folgende Faktoren:
Früher
galt die
Toleranzentwicklung
(Gewöhnung: Dosissteigerung zur Erreichung der gleichen Wirkung) als
unbedingtes Definitionsmerkmal für eine Medikamentenabhängigkeit.
Seit
einigen Jahren wird auch das Phänomen der
Niedrigdosisabhängigkeit stärker beachtet.
Tranquilizer
und Schlafmittel können auch abhängig machen, ohne dass die Dosis stetig erhöht
werden muss. Die Betroffenen
bleiben bei einer relativ niedrigen Dosierung, ohne dass sie selbst oder die
Umwelt die bereits eingetretene Abhängigkeit erkennen.
Die
größte Gruppe mit einer derartigen Abhängigkeit sind Menschen über 50
Jahre, insbesondere Frauen, die ein Benzodiazepin zum Einschlafen verwenden.
Die eingetretene Abhängigkeit ist durch einen Absetzversuch leicht zu überprüfen.
Der ein- bis zweiwöchige Verzicht auf das Beruhigungsmittel führt innerhalb
von 1-2 Tagen bzw. erst nach 3-6 Tagen (je nach Substanz) zu
Entzugserscheinungen.
Eine
US-Studie unterscheidet vier Typen von Benzodiazepinabhängige:
Bei
der Mehrzahl der Benzodiazepinabhängigen wurden bereits vor der Abhängigkeitsentwicklung
bestimmte Krankheiten vorhanden:
Die
psychische
Abhängigkeit von
einer Substanz entsteht durch ihre verhaltensverstärkende
Wirkung auf das so genannte Belohnungssystem
im Gehirn. Es handelt sich dabei um das
mesolimbische Suchtsystem im Zentralnervensystem, das aus folgenden
Gehirnbereichen besteht: Area tegmentalis ventralis, medialer Vorderhirnbügel,
Nucleus accumbens und zugehörige Teile der Rinde des Vorderhirns (sogenannter präfrontaler Kortex).
Das
mesolimbische Belohnungssystem
hat eine physiologische Funktion bei der positiven, affektiven Färbung
von Belohnungen und kann durch viele Suchtstoffe aktiviert werden. Suchtmittel
aktivieren oder intensivieren je nach Substanz unterschiedlich stark (am stärksten
Kokain und Amphetamine) im Gehirn vorhandene neuronale Schaltkreise, die Gefühle
wie Lust und Belohnung erzeugen.
Das
mesolimbische System bewirkt die positiven (abhängigkeiterzeugenden)
Wirkungen von Suchtstoffen, nicht jedoch die Entzugserscheinungen. Dabei haben
die dopaminergen und endorphinergen Neurone eine große Bedeutung, die durch
die verschiedenen Suchtstoffe in unterschiedlichem Ausmaß aktiviert werden.
Entzugssymptome
im eigentlichen Sinne schließen das Auftreten von neuen Symptomen ein, die
noch keinen integralen Bestandteil des ursprünglichen Beschwerdebildes
darstellen. Entzugserscheinungen entwickeln sich 1-4 Halbwertszeiten nach dem
plötzlichen Absetzen von Benzodiazepinen, d.h. sie treten innerhalb einiger
Tage nach abruptem Abbruch der Benzodiazepinmedikation auf und sind im
Extremfall erst nach 2-3 Monaten restlos beseitigt. Die Entzugssymptome setzen
gewöhnlich am 2. oder 3. Tag nach dem Absetzen ein, erreichen am Ende der
ersten Woche ihren Höhepunkt und sind gewöhnlich nach frühestens 3-4 Wochen
beseitigt.
Die
Entzugssymptome sind lästig bzw. unangenehm und beeinträchtigen die
allgemeine Stimmung und Leistungsfähigkeit. Das Risiko eines Entzugssyndroms
hängt von der eingenommenen Dosis, der Dauer der Einnahme, vom Typ des Präparats,
vor allem bei relativ kurzer Halbwertszeit, von der Abruptheit des
Absetzvorgangs, aber auch von Persönlichkeitsfaktoren ab. Die Entzugssymptome
werden mehr durch die Länge der Einnahmedauer als durch die Dosishöhe
bestimmt.
Die
Entzugssymptome
können in fünf Gruppen eingeteilt werden:
Die häufigsten Entzugssymptome sind Einschlafstörungen, Angst- und Unruhezustände. Die Entzugserscheinungen bei Benzodiazepinen kann man nach dem Ausmaß folgendermaßen kategorisieren:
Im
einzelnen lassen sich folgende Entzugserscheinungen
anführen, die von Person zu Person unterschiedlich sein können:
Psychisch/psychosozial:
Körperlich:
Die gleichzeitige Alkohol- und Tranquilizereinnahme kann folgende Symptome bewirken:
Bei
Einnahme von
Tranquilizerschlafmitteln
(insbesondere von lang wirkenden Benzodiazepinen) kann sich schon relativ
geringer abendlicher Alkoholgenus bis in den folgenden Tag hinein auswirken.
Alkohol und Benzodiazepinschlafmittel bewirken keinen natürlichen und
erholsamen Schlaf, sondern einen flachen und unruhigen Schlaf und einen
Hang-over-Effekt am nächsten Tag. Sie verändern die so genannte
Schlafarchitektur:
leichte Reduzierung der erholsamen Traum-(REM-)Phasen, starke Beeinträchtigung
der Tiefschlafstadien. Man erreicht wohl eine schnell einsetzende
und (etwas reduziert auch) traumaktive, jedoch unnatürliche und belastende
„Miniatur-Narkose“.
Die
Kombination
von Tranquilizern und zentral dämpfenden Psychopharmaka
(Hypnotika/Barbiturate,
Neuroleptika, Antihistaminika) bewirkt eine verstärkte Sedierung. Alkohol
kann aber auch die erwünschte Wirkung bestimmter Psychopharmaka abschwächen
(z.B. von trizyklischen Antidepressiva oder bestimmten Neuroleptika).
Die
langzeitige
Einnahme von Tranquilizern bzw. Tranquilizerschlafmitteln führt zu
einer starken Dämpfung (besonders auch am Morgen), die nur durch Kaffee,
Coca-Cola, Red Bull, Nikotin, Kokain und verschiedene
Psychostimulanzien
(koffeinhältige Präparate und legal nicht mehr erhältliche Amphetamine) überwunden
werden kann.
Es
entsteht ein
Dämpfungs-Aktivierungs-Dämpfungs-Kreislauf:
immer stärkere Sedierung erfordert eine immer stärkere Stimulierung, um überhaupt
noch zeitweise leistungsfähig sein zu können. Die erreichte Stimulierung
kann abends nur durch eine starke Dämpfung beseitigt werden, die am nächsten
Morgen wiederum durch starke Aufputschmittel überwunden werden muss.
Buspiron
wirkt stark auf das serotonerge
System und nur mäßig (im Gegensatz zu früheren Auffassungen) auf
das dopaminerge System. Während bei den Benzodiazepinen die angstlindernde
Wirkung mit der Bindung an GABAA-Rezeptoren zusammenhängt, beruht
die Wirkung von Buspiron darauf, dass diese Substanz als bisher einziges
Anxiolytikum selektiv an eine bestimmte Untergruppe der Serotoninrezeptoren
bindet.
Buspiron
bindet spezifisch an den 5-HT1A-Rezeptor, der sowohl prä- als auch
postsynaptisch vorkommt. Buspiron wirkt am 5-HT1A-Rezeptor als
partieller
Agonist. Durch die gezielte Wirkung am 5-HT1A-Rezeptor bleiben
auch bei starker Anxiolyse Müdigkeit und Störungen der Konzentration und
Reaktion aus. Buspiron ist auch noch bei weiteren Interaktionen zentralnervöser
Neurotransmitter beteiligt.
Als
Vorzug von Buspiron gilt die angstlösende Wirkung ohne die für
Benzodiazepine typischen Nebenwirkungen. Es besteht keine Sedierung (auch
nicht in höherer Dosis), keine Müdigkeit, keine schlafanstoßende Wirkung,
keine Muskelentspannung, keine psychomotorische Beeinträchtigung, keine
Euphorisierung, keine Alkoholpotenzierung, keine Kreuztoleranz mit
Benzodiazepinen (beim Umstieg von Benzodiazepinen treten Entzugserscheinungen
auf), keine Abhängigkeitsgefahr, keine Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung,
keine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen, kein Rebound-Effekt nach kürzerer
oder längerer Einnahme.
Im
Vergleich zu Benzodiazepinen treten bei Buspiron weniger
Nebenwirkungen
auf: Sedierung, Benommenheit, Schwindelgefühle, Kopfschmerzen, Übelkeit,
Durchfall, Magenschmerzen, Erregung, Nervosität.
Laut
Studien ist der angstlösende Effekt gegenüber Benzodiazepinen geringer
ausgeprägt. Es ist mit einem verzögerten Wirkungseintritt zu rechnen (nach
1-2 Wochen).
Der
maximale Therapieeffekt wird erst nach 3-6 Wochen kontinuierlicher Einnahme
erreicht. Die verordnete Tagesdosis beträgt 3 mal 5 mg bzw. 3 mal 10 mg, die
Eliminationshalbwertszeit liegt bei 2,5 Stunden.
Mit
Benzodiazepinen vorbehandelte Patienten profitierten laut Studien wenig von
einer Behandlung mit Buspiron (Benzodiazepinentzugseffekt ohne Kompensation),
während Personen, die vorher nie Benzodiazepine erhielten, von Buspiron nach
vierwöchiger Behandlung genauso viel profitierten wie andere von
Diazepam
(Valium®).
Die
meisten Studien wurden bei generalisierten Angststörungen durchgeführt.
Buspiron gilt als das Mittel der ersten Wahl bei generalisierten Angststörungen,
bei chronischen Angstzuständen und bei Ängsten älterer Personen.
Aufgrund der gleichzeitig antidepressiven Eigenschaft bewährt sich Buspiron auch bei Menschen mit kombinierten Angst- und Depressionssymptomen. Bei Panikstörungen ergaben sich keine überzeugenden Behandlungsergebnisse.
Opipramol
(InsidonLyrica®
(Pregabalin)®) ist ein den trizyklischen Antidepressiva nahestehender
Tranquilizer ohne Abhängigkeitspotential und wird gerne als „leichtes
Medikament“ verschrieben. Klinisch hat die Substanz neben
beruhigend-entspannenden und angstlösenden Wirkeigenschaften eine leicht
antidepressive, stimmungsaufhellende Wirkung.
Im
Vergleich zu Benzodiazepintranquilizern fehlt ein muskelentspannender sowie
ein direkter hypnotischer (schlafanstoßender) Effekt. Ähnlich wie bei
Antidepressiva ist der Wirkungseintritt nicht so rasch wie bei
Benzodiazepinen. Die thymoleptische Wirkung von Opipramol dürfte auf einem
selektiven Dopaminantagonismus beruhen.
Die
Verordnung beträgt 50-100 mg pro Tag (meist abendliche Einnahme). Die
Eliminationshalbwertszeit beträgt 6-9 Stunden.
Die
häufigsten Nebenwirkungen
von Opipramol sind mild cholinerge Symptome: Müdigkeit, Schwindel,
Kopfschmerzen, Appetitmangel, Unruhe, Hautrötung, Verstopfung,
Mundtrockenheit, Übelkeit, Verschwommensehen.
Pregabalin (Lyrica®) als Antiepilektikum hat seit Jahren auch die Zulassung für die Generalisierte Angststörung sowie auch zur Behandlung chronischer Schmerzen.
Neuroleptika
Neuroleptika,
insbesondere hochpotente Neuroleptika, sind die wirksamen Medikamente zur
Behandlung von schizophrenen Psychosen.
Niedrig
potente Neuroleptika
oder
hochpotente Neuroleptika in niedriger Dosierung
stellen bei
missbrauchgefährdeten Personen eine Alternative zu Tranquilizern dar, da sie
dämpfend wirken und nicht abhängig machen.
Wegen der auch in niedriger Dosis größeren Nebenwirkungen (z.B. Parkinson-Syndrom) als bei Tranquilizern und wegen der bei einer Langzeittherapie nicht ausschließbaren negativen Folgen (Spätdyskinesien) sind Neuroleptika bei Angstpatienten sehr umstritten.
Gerade bei Menschen mit Panikstörungen, die oft einen recht
empfindlichen Körper haben, wird durch Neuroleptika unnötigerweise ein
Komplikationsrisiko eingegangen und ein generelles Misstrauen gegenüber
Medikamenten provoziert.
Neuroleptika
besitzen keine unmittelbar angstlösende Wirkung.
Angstgetönte motorische Unruhezustände können durch dämpfende Neuroleptika
zwar rasch gemildert werden, die subjektiv erlebbare angstlösende Wirkung
bleibt jedoch erheblich hinter derjenigen von Benzodiazepinen oder
Antidepressiva zurück, während das Risiko von Nebenwirkungen größer ist.
Die klassischen Neuroleptika wirken auf das dopaminerge System ein und blockieren einen bestimmten Subtyp der postsynaptischen Dopaminrezeptoren (Dopamin2-Rezeptoren). Sie üben dadurch eine antipsychotische Wirkung aus.
Eine gestörte
Regulation des Dopaminsystems in bestimmten Hirnregionen korreliert mit
Schizophrenie, ohne dass dieser Umstand die Ursache der Krankheit darstellt,
d.h. es besteht kein kausaler, sondern nur ein korrelativer Zusammenhang.
Die
Arzneimittelkommission
der Deutschen Ärzteschaft rät vom Neuroleptikaeinsatz bei Angst- und
Spannungszuständen ab. Wegen der möglichen Langzeitfolgen sollten
Neuroleptika jedenfalls nicht länger als zwei Monate eingenommen werden.
Eine
neuroleptische Langzeitbehandlung bei Angstpatienten ist entschieden
abzulehnen. Ein derartiges Vorgehen erfolgte häufig anstelle einer
Benzodiazepin-Langzeitbehandlung mit der damit verbundenen Abhängigkeitsgefahr,
ist jedoch durch die gute Wirksamkeit der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer hinfällig
geworden.
Im
kritischen Medikamentenratgeber
„Bittere
Pillen“ wird festgestellt:
„Weil
nicht ausgeschlossen werden kann, dass als Spätfolgen unheilbare Dyskinesien
(Zittern, Unruhe, Wippen, Grimassieren) auftreten können, ist die Verwendung
von Neuroleptika auch in niedriger Dosierung (wie z.B. in Imap 1,5) als
Beruhigungsmittel sehr umstritten und wird vielfach abgelehnt.“
In
dem Standardwerk
„Psychiatrische
Pharmakotherapie“ von Benkert und Hippius liest man dazu:
„Eine
Tranquilizerwirkung wird für
zahlreiche Neuroleptika in niedriger Dosierung beschrieben. Nicht selten
werden sie als Alternative zu den Benzodiazepinen empfohlen; aber auch bei
niedrigdosierten Neuroleptika können extrapyramidalmotorische Störungen bis
hin zu Spätdyskinesien und andere Nebenwirkungen wie Blutzellschäden
auftreten. Falls bei Patienten mit Angststörungen eine
Benzodiazepinmedikation wegen eines Abhängigkeitsrisikos nicht verordnet
werden kann, sind zunächst Antidepressiva die Mittel der ersten Wahl...“
Neuroleptika
werden bei Angststörungen auf folgende Umstände eingeschränkt:
„Bei
Angststörungen sollte dann auf Neuroleptika
zurückgegriffen werden, wenn ein Verdacht auf Alkoholabhängigkeit oder
Polytoxikomanie besteht und sich Antidepressiva als wirkungslos bei dieser
speziellen Indikation gezeigt haben. Auch bei älteren, ängstlich-agitierten
Patienten werden Neuroleptika häufiger angewendet, weil Benzodiazepine bei
geriatrischen
Patienten zu paradoxen Wirkungen führen können...“
Laux
äußert sich zum Neuroleptikaeinsatz bei Angststörungen folgendermaßen:
„In der Behandlung von somatoformen Störungen besitzt im deutschen Sprachraum die häufig als parenterales Depot applizierte Gabe von niedrig dosierten bzw. schwach potenten Neuroleptika einen hohen Stellenwert ... In kontrollierten Vergleichsstudien zeigte sich, dass Fluspirilen, Chlorprothixen, Fluphenazin und Thioridazin Benzodiazepinen wirkungsäquivalent sein können ... Aufgrund der höheren Toxizität der Neuroleptika und insbesondere dem Risiko des Auftretens extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen (Dystonien, Spätdyskinesien) ... muß bezweifelt werden, ob die Verordnung von Neuroleptika ... anstelle von Benzodiazepinen auch unter dem Aspekt des Abususpotentials die bessere Alternative darstellt.“
Wittchen
warnt in seinem Ratgeber
„Wenn
Angst krank macht“:
„Vorsicht
bei Neuroleptika. Sie haben in der Therapie von Angsterkrankungen nichts zu
suchen.“
Die
in Deutschland weit verbreitete
Neuroleptanxiolyse
ist wegen der Nebenwirkungen (Parkinsonoid, Spätdyskinesien) und wegen des
Vorhandenseins besserer Möglichkeiten (SSRI) obsolet sei.
Für die Behandlung von
Angstpatienten mit niedrigpotenten Neuroleptika gibt es keine wissenschaftlich
hinreichend abgesicherte Grundlage. Dies hängt wohl damit zusammen, dass in
den USA Neuroleptika bei Angststörungen kaum verschrieben werden. Von den
Menschen mit Panikstörung berichteten in den USA nur 2%, in der BRD dagegen
29%, Neuroleptika erhalten zu haben.
Viele
Ärzte in Österreich verschreiben gerne das Präparat
Deanxit®,
das eine Mischung aus dem Neuroleptikum Flupentixol und dem
Antidepressivum Melitracen darstellt.
In der BRD gibt es das Präparat Longopax®, das aus dem Antidepressivum Amitriptylin und dem Neuroleptikum Perphenazin besteht. Auch hier stellen die modernen SSRI die bessere Alternative dar.
Häufige
Neuroleptika nach Potenz
Neuroleptische
Potenz |
Chemische
Bezeichnung |
Handelsname |
Niedrigpotente Neuroleptika |
Chlorprothixen |
Truxal®
(D/Ö), Truxaletten® (Ö)
Taractan®
(D) |
|
Levomepromazin |
Nozinan®
(Ö), Neurocil® (D) |
|
Melperon |
Buronil®
(Ö), Eunerpan® (D) |
|
Prothipendyl |
Dominal®
(D/Ö) |
|
Thioridazin |
Melleril®
(D/Ö), Melleretten® (D/Ö) |
|
|
|
Mittelpotente Neuroleptika |
Perazin |
Taxilan®
(D) |
|
Sulpirid |
Dogmatil®
(D/Ö), Meresa® (D/Ö)
Arminol®
(D) |
|
Triflupomazin |
Psyquil®
(D/Ö) |
|
Zuclopenthixol |
Cisordinol®
(Ö), Ciatyl-Z® (D) |
|
|
|
Hochpotente
Neuroleptika
|
Flupentixol |
Fluanxol®
(D/Ö) |
(bei
Angstpatienten |
Fluphenazin |
Dapotum®
(D/Ö), Lyogen® (D)
Omca®
(D) |
|
Fluspirilen |
Imap®
(D) (niedrige Dosis: Imap® 1,5) |
|
Haloperidol |
Haldol®
(D/Ö) |
|
Perphenazin |
Decentan®
(D/Ö) |
|
Pimozid |
Orap®
(D/Ö), Antalon® (D) |
|
Risperidon |
Risperdal®
(D/Ö) |
Niedrigpotente Neuroleptika bzw. hochpotente Neuroleptika mit niedriger Dosierung haben oft keine starken Nebenwirkungen. Am ehesten zeigen sich folgende Symptome: kloßige Zunge, Pelzigkeits- oder Spannungsgefühl an Lippen und Wangen, Druck auf den Augen, veränderte Wahrnehmung der eigenen Stimme bis hin zu leichten Sprachstörungen („schleifende Aussprache“), gelegentlich sogar Zahn-, Rücken- und Muskelschmerzen.
Wenn Symptome auftreten, die vor der Einnahme des
Neuroleptikums nicht vorhanden waren, sollte der Arzt aufgesucht werden, da
diese auf einer Überdosierung beruhen könnten. Diese Symptome sind nicht gefährlich,
aber sehr angstmachend, so dass das Vertrauen in eine Pharmakotherapie leidet.
Niedrigpotente Neuroleptika in höherer Dosis können viel mehr Nebenwirkungen aufweisen als hochpotente Neuroleptika in niedriger Dosierung. Hochpotente Neuroleptika sind „reiner“, d.h. sie wirken primär nur auf Dopamin2-Rezeptoren im nigro-striatalen System ein, was den antipsychotischen Effekt, jedoch auch die ausgeprägten extrapyramidalen Nebenwirkungen verursacht.
Niedrigpotentente Neuroleptika
wirken auf zahlreiche Rezeptorsysteme ein. Sie haben vor allem starke
Auswirkungen auf das vegetative System, was bei Angstpatienten mit
Risikofaktoren zu beachten ist. Niedrigpotente Neuroleptika haben eine stark
sedierende und affektiv entspannende Wirkung (Blockade der Histamin H1-
und der adrenergen alpha1-Rezeptoren).
Viele
Neuroleptika blockieren neben den Dopamin2-Rezeptoren auch die
Azetylcholin-, Serotonin-, Histamin- und Noradrenalin-Rezeptoren und haben
folgende typische Nebenwirkungen, die personspezifisch unterschiedlich stark
ausgeprägt sind:
1. Beeinträchtigung der Motorik (sogenannte extrapyramidal-motorische Symptome):
Frühdyskinesien (Bewegungsstörungen): spontan auftretende, unwillkürliche, willentlich nicht beeinflussbare Muskelbewegungen wie z.B. Bewegungsstörungen bzw. Verkrampfungen der Augen (Blickkrämpfe), der Gesichtsmuskulatur, der Lippen- und Mundregion, des Unterkiefers, der Zungen- und Schlundmuskulatur, der Halsmuskulatur, der Arme, Hände und Finger (unförmig-steife Bewegungen), der Beine und Füße (z.B. Sitz-, Steh- und Gehunruhe), des Schultergürtels und der Hüfte sowie des Rumpfes und des Rückens. Diese an sich harmlosen, jedoch sehr beunruhigenden, beeinträchtigenden und plötzlich auftretenden Nebenwirkungen können durch das Gegenmittel Biperiden (Akineton®) sofort beseitigt werden.
Parkinson-Syndrom
(Parkinsonoid):
Einschränkung der motorischen Beweglichkeit mit Verlust der Mitbewegungen
(Steifigkeit), kleinschrittiger Gang, Erhöhung der Muskelspannung, Tremor
(Zittern), Speichelfluss, Salbengesicht.
2. Vegetative Störungen:
Die cholinerge Blockade bewirkt Mundtrockenheit, Verschwommensehen, Harnverhalten, Verstopfung, Ejakulationsstörungen, Störung der Körpertemperatur, Erhöhung des Augeninnendrucks.
Die
alpha-adrenerge
Blockade bewirkt einen vermehrten Speichelfluss (Hypersalivation),
Hypotonie mit Pulsbeschleunigung, Herzrhythmusstörungen, Schwitzen,
Erektionsstörungen.
Die
histaminerge
Blockade bewirkt Appetitsteigerung und Gewichtszunahme.
3.
Psychische
Beeinträchtigung:
ständige Müdigkeit, innere Unruhe, Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit,
psychomotorische Verlangsamung, Libidoverlust.
Die irreversiblen Spätdyskinesien (unwillkürliche Bewegungen der Zungen-, Mund- und Gesichtsmuskulatur, Grimassieren, bizarre Körperbewegungsstörungen u.a.) treten nach jahrelanger Neuroleptikaverabreichung an Schizophrene bei 15% der männlichen und 30% der weiblichen Patienten auf.
Wegen der Gefahr von derartigen bleibenden Beeinträchtigungen wird eine Langzeitbehandlung von Angst- und Zwangspatienten mit Neuroleptika allgemein abgelehnt.
Eine längere Neuroleptikaeinnahme kann auch eine
pharmakogene
Depression bewirken.
Seit
Jahren werden nebenwirkungsärmere sogenannte atypische
Neuroleptika wie Seroquel eingesetzt, die nicht auf einer Dopamin-Rezeptorblockade
beruhen.