Antidepressiva bei Angststörungen, Depressionen und Zwangsstörungen

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Dr. Hans Morschitzky

Klinischer Psychologe, Psychotherapeut

Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie

A-4040 Linz, Hauptstraße 77     

Tel.: 0043 732 778601  E-Mail: morschitzky@aon.at

    

 

 

Antidepressiva - Informationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte

Als Klinischer Psychologe und Psychotherapeut bin ich für den Bereich der Psychopharmaka nicht zuständig und gebe daher keine Auskünfte zu entsprechenden Anfragen. Ich habe es jedoch im Sinne eines Wissenschaftsjournalismus unternommen, allen Interessierten die wichtigsten Informationen zur Verfügung zu stellen.

Als Nicht-Fachmann vermittle ich auf dieser Seite allen interessierten Nicht-Fachleuten die umfangreichsten Informationen über Antidepressiva, die im Internet zu finden sind, zumindest unter Berücksichtigung der Inhalte von allen Links weiter unten.

Meine Position bezüglich Antidepressiva lässt sich aufgrund der jahrzehntelangen stationären und ambulanten Erfahrung mit Patientinnen und Patienten, die wegen einer Angststörung oder einer depressiven Episode über einen kürzeren oder längeren Zeitraum Antidepressiva eingenommen haben, aufgrund der Lektüre zahlreicher Artikel und Bücher über Psychopharmaka sowie auch aufgrund persönlicher Erfahrungen mit Medikamenten zu einem anderen Krankheitsbereich in folgenden Punkten zusammenfassen:

  1. Bei Menschen mit schweren Depressionen und ausgeprägten Angststörungen kann ein Antidepressivum hilfreich sein, ohne dass es deswegen unbedingt notwendig sein muss. Bisher hieß es oft: Antidepressiva helfen aufgrund der biochemischen Wirkweise laut Studien einem Viertel, bei sehr wohlwollender Beurteilung einem Drittel bis zur Hälfte der Depressiven, und zwar eher den schwer Depressiven. Selbst weniger kritische Fachleute geben zu: Rund zwei Drittel aller Personen mit einer Depression sprechen auf den ersten Behandlungsversuch mit einem Antidepressium nicht an, bei einem Drittel bleibt auch ein zweiter Behandlungsversuch mit einem anderen Antidepressium ohne ausreichenden Erfolg, weshalb dann ein atypisches Neuroleptikum (Antipsychotikum) wie Quetiapin (Seroquel) eingesetzt wird. Bei leichter bis mittelgradiger depressiver Episode sind Placebos, Psychotherapie, Sport und soziotherapeutische Maßnahmen genauso erfolgreich  wie Antidepressiva. Dies wird auch von den deutschen Leitlinien zur Behandlung einer unipolaren Depression so gesehen. Laut neuesten Erkenntnissen ist die mangelnde biochemische Wirksamkeit von Antidepressiva noch ausgepräger als bisher angenommen. Eine umfangreiche Untersuchung aus dem Jahr 2022 der US-Gesundheitsbehörde FDA belegt: Antidepressiva wirkten nur bei rund 15 % der behandelten Patienten erheblich besser als Placebo, bei 85 % war dies nicht der Fall. Es bestehen laut FDA zum Teil erhebliche anhaltende Nebenwirkungen wie Kreislaufprobleme, innere Unruhe oder Störungen der Sexualität. Bedenklich ist auch die zumindest bei bestimmten Personen und bestimmten Antidepressiva erhebliche Gewichtszunahme, die das Selbstwertgefühl beeinträchtigt und die Bereitschaft zur gesundheitlich nötigen körperlichen Aktivität mindert. Laut einer neuen Studie bewirkten Antidepressiva selbst bei Personen mit einer schweren Depression nur bei 15 % eine deutliche Besserung. Der Preis der Wirksamkeit des Antidepressivums wird oft auch durch eine belastende emotionale Abstumpfung - auch bei Gesunden nach Antidepressiva-Einnahme - erkauft, das heißt, viele Betroffene können nicht mehr intensive Freude, ganz normale Trauer, tiefe Betroffenheit, großen Ärger und starkes sexuelles Lustempfinden spüren. Laut einer Metaanalyse (zusammenfassende Auswertung vieler Studien) ist Psychotherapie bei Depressionen genauso wirksam wie Antidepressiva, langfristig gesehen sogar wirksamer. Eine umfangreiche Studie erschüttert sogar die bisherige Annahme, dass bei einer schweren depressiven Episode unbedingt Antidepressiva zur Befindlichkeitsverbesserung eingesetzt werden müssen: Psychotherapie war bei schwer depressiven Personen genauso erfolgreich wie Antidepressiva, die höchsten und stabilsten Erfolgsraten wurden bei schwer Depressiven laut einer aktuellen Metastudie jedoch durch die Kombination von Psychopharmakotherapie und Psychotherapie erreicht. Unabhängig von den jeweils aktuellen Forschungsbefunden ist festzuhalten: Das Recht auf Gesundheit und Selbstbestimmung der Betroffenen impliziert die autonome Entscheidung für oder gegen eine Behandlung mit Antidepressiva - auch die freie Entscheidung für oder gegen eine Psychotherapie.

  2. Bei Antidepressiva beträgt der Placeboeffekt mindestens 50 %, nach neueren Studien sogar 70-80 % - ja nach Metaanalyse (Zusammenfassung aller Studien) und der Interpretation der kritischen Autoren. Ein Wirksamkeitsausmaß von Antidepressiva bei der Hälfte oder gar bei zwei Dritteln der Betroffenen, wie dies oft behauptet wird, hängt mit dem Placeboeffekt und nicht mit der chemischen Substanz zusammen. Laut einer Studie ist seit Jahrzehnten erwiesen: Die Wirkung von Antidepressiva beruht zu 51 % auf Placebo, ähnlich wie Schulmediziner die Wirkung der Homöopathie erklären. Es ist vielfach belegt (sogar bei starken Schmerzen): Placebos bewirken aufgrund der großen Hoffnung auf Heilung oder Besserung positive Veränderungen im Gehirn und im Körper (Ausschüttung von Dopamin, Endorphinen und Endocannabinoiden). Weitere 24 % der Besserung beruhen auf Spontanremissionen (Abklingen ohne Behandlung bzw. durch günstige Lebensumstände). Gerade Depressionen verlaufen oft zyklisch, d.h. verschwinden oft auch ohne jede Behandlung, zumindest nach mehreren Monaten. Nur die restlichen 25 % beruhen auf dem Effekt der Antidepressiva: Eine depressive Episode klingt dadurch rascher ab als sonst. Die meisten Studien zur Wirksamkeit von Antidepressiva wurden von Pharmafirmen und nicht von staatlichen Stellen oder unabhängigen Forschungsinstitutionen unternommen. Seit Anfang der 2000er-Jahre werden in den USA aufgrund der Auflagen der FDA auch jene Studien veröffentlicht, die keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen Antidepressiva und Placebo erbracht haben. Nach neueren Erkenntnissen ist die Wirkdifferenz zwischen Antidepressivum und Placebo relativ gering. Der Placebo-Effekt betrug in den Antidepressiva-Gruppen rund 68 %. Anders formuliert: Unspezifische Effekte machen bis zu 80% der Wirksamkeit von Antidepressiva aus. Die Patienten in der Placebo-Gruppe erreichen  mindestens 65-70 % der Erfolge wie die Patienten in der Medikamenten-Gruppe, bei Berücksichtung der wegen Unwirksamkeit nicht veröffentlichten Studien schmilzen die 30% Vorteil für die Antidepressiva-Gruppe drastisch zusammen und werden sich geschätzt "in einem Bereich von maximal 0-20 % Vorteil einpendeln". Die jeweils behauptete Wirksamkeit ist daher verfälscht durch die verständlichen Interessen der Pharmafirmen, auch wenn sie von seriösen psychiatrischen Experten durchgeführt wurden. Die behauptete höhere Wirksamkeit von Antidepressiva hängt damit zusammen, dass früher jene Studien gar nicht veröffentlicht wurden, die keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen dem Antidepressivum und dem Placebo nachweisen konnten.

  3. Die Einnahme eines Antidepressivums ist auch angesichts möglicher Placeboeffekte durchaus sinnvoll, wenn Selbsthilfe, Psychotherapie, Phytopharmakotherapie (pflanzliche Mittel), alternativmedizinische Behandlungen, regelmäßiger Sport, soziale Unterstützung und Veränderungen der Lebensumstände nicht oder nicht ausreichend geholfen haben, ein Leben ohne erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität und der schulischen, beruflichen, partnerschaftlichen, familiären und privaten Funktionsfähigkeit zu führen. Was viele Menschen nicht wissen: Auch bei chronischen Schmerzen ergibt sich durch die vermeintliche Einnahme eines opiathältigen Schmerzmittels ein Placeboeffekt von 50 Prozent. Positive und negative Erwartungen im Sinne des Placebo- und Nocebo-Effekts sind völlig normale Phänome in der gesamten Medizin und sollen entsprechend heilsam genutzt bzw. berücksichtigt werden. Meine jahrzehntelange klinische Erfahrung bestätigt: Bestimmte Menschen mit Angststörungen - zumindest bei gleichzeitiger erheblicher depressiver Symptomatik als Folge der Angststörung - können durch eine längerzeitige (mehrmonatige) Einnahme eines Antidepressivums handlungsfähiger und psychotherapiefähiger werden, vor allem dann, wenn sie sich die nötige Selbstwirksamkeit nicht ohne Medimamente zuschreiben können. Ob das eingenommene Antidepressivum tatsächlich wirksam ist, weiß man allerdings erst nach einem fachlich richtigen Behandlungsversuch. Der Verzicht auf Antidepressiva oder andere Psychopharmaka bzw. deren Absetzen ist am ehesten dann angezeigt, wenn andere Methoden wie Psychotherapie anhaltend wirksam sind - und das entscheiden letztlich die Betroffenen und nicht deren ärztliche oder psychotherapeutische Behandler! Wer von Antidepressiva eine Wirksamkeit erwartet, wird sie aufgrund des Placeboeffekts auch eher erleben als kritische Personen. Das ist ähnlich wie in der Psychotherapie: Wer sich davon eine Wirksamkeit erwartet, wird auch eher davon profitieren als skeptische Personen. Wer völlig gegen Antidepressiva eingestellt ist und sie trotzdem nehmen soll, wird aufgrund des Noceboeffekts eher unerträgliche Nebenwirkungen ohne ausbleibende Wirkung erleben als erwartungsvoll eingestellte Personen. 

  4. Eine laut Studien bessere Wirksamkeit von Antidepressiva gegenüber Placebo bedeutet keineswegs, dass Antidepressiva eine erhebliche klinische Besserung der depressiven Symptomatik oder gar eine Erhöhung der Lebensqualität bewirken. Die Wirksamkeit von Antidepressiva wurde in der Vergangenheit oft überschätzt, was zu einer vorschnellen Verordnung führte. Bei Studien mit großen Gruppen von Teilnehmern ergibt sich relativ rasch eine signifikant höhere Wirksamkeit von Antidepressiva gegenüber Placebo. Zwischen Antidepressiva- und Placebogruppe besteht durchschnittlich nur eine Punktedifferenz von 2 (gemessen mithilfe der Hamilton-Depressions-Skala), was keinen klinisch bedeutsamen Unterschied ausmacht. Eine tatsächliche klinisch relevante Besserung der depressiven Symptomatik ist erst dann gegeben, wenn die Differenz zwischen Antidepressiva- und Placebo-Gruppe 7 Punkte beträgt (Beurteilung mithilfe der Hamilton-Depressions-Skala). Allein die Verbesserung des Schlafs kann bis zu 6 Punkten weniger ausmachen, ohne dass sonstige Verbesserungen eintreten müssen. Darüber hinaus weist eine neuere Studie darauf hin, dass weniger Punkte bei der Depressionsskala noch keineswegs eine erhebliche und anhaltende Besserung der Lebensqualität darstellen muss. Eine Reduktion der depressiven Symptomatik bedeutet nicht unbedingt eine höhere Lebenszufriedenheit und eine bessere Funktionsfähigkeit in bestimmten Lebensbereichen. Laut der bislang umfangreichsten Metastudie waren alle 21 überprüften Antidepressiva signifikant besser wirksam als Placebo, jedoch nur in sehr geringem Umfang. Die Mehrzahl der Studien umfasst gewöhnlich nur einen Beobachtungszeitraum von 6-12 Wochen, sodass Langzeiteffekte der Antidepressiva nicht bzw. nicht ausreichend belegt sind. Ein Drittel der Personen mit einer depressiven Episode haben trotz regelmäßiger Einnahme der verordneten Antidepressiva innerhalb eines Jahres einen Rückfall, d.h. ein Antidepressivum bewahrt nicht vor einem Rückfall nach vorübergehender Besserung. Dies ist oft auch die Begründung, warum die Betroffenen die Antidepressiva mindestens zwei Jahre oder länger einnehmen sollen - mit der Folge, dass verschiedeme Betroffene bei langjähriger Einnahme eines Antidepressivums nachweislich langfristig depressiver werden werden als Personen ohne Antidepressiva-Einnahme und später aufgrund der Umbauprozesse im Gehirn massive Entzugssymptome beim Absetzen bekommen. Auch das ist vielfach unbekannt: Antidepressiva senken laut Studien leider nicht die Suizidalitätsrate, verglichen mit Personen, die ohne Antidepressiva suizidal geworden sind, laut manchen Studien waren Suizidgedanken in der Antidepressiva-Gruppe sogar höher als in der Placebo-Gruppe.

  5. Antidepressiva wirken besser bzw. schlechter bei bestimmten psychosozialen Umständen und Studienbedingungen. Sie zeigen bessere Effekte bei Menschen aus gehobenen sozialen Schichten im Vergleich zu Personen aus unteren sozialen Schichten. Sie wirken besser, wenn gleichzeitig keine hohen psychosozialen Belastungsfaktoren gegeben sind bzw. wenn hilfreiche soziale Unterstützungsfaktoren vorhanden sind. Sie wirken besser, wenn gleichzeitig geistig und körperlich anregende Umweltbedingungen vorhanden sind. Sie wirken besser in Studien in einschlägigen Kliniken, bei denen nur Personen mit einer Depression ohne weitere psychiatrische Diagnosen teilnehmen dürfen, als im niedergelassenen Bereich, wo depressive Personen oft auch noch andere psychische Störungen wie Angststörungen oder Substanzmissbrauch aufweisen. Sie wirken besser, wenn die behandelnden Ärzte selbst von der Wirksamkeit überzeugt sind. Sie wirken besser, wenn die Betroffenen aufgrund der Studienbedingungen viel mehr Kontakt zu medizinischen Experten haben als dies sonst möglich wäre, etwa in Entwicklungsländern. Sie wirken besser in Studien mit einer Placebo-Vergleichgruppe, wenn alle Studienteilnehmer ausführlich über die typischen Nebenwirkungen informiert werden, weil Personen mit der Antidepressiva-Einnahme aufgrund der anfänglichen Nebenwirkungen eine stärkere Erwartung und Hoffnung auf eine spätere Befindlichkeitsverbessserung entwickeln als Personen ohne Nebenwirkungen, weil diese dann annehmen, sie seien in der Placebogruppe. Sie wirken auch besser in Studien mit zwei Antidepressiva-Vergleichsgruppen, weil alle Versuchspersonen von vornherein die Erwartung und Hoffnung auf ein wirksames Medikament haben und nicht fürchten müssen, in der Placebogruppe zu sein. Sie wirken im Vergleich zu Placebos im Laufe der Jahrzehnte immer weniger gut, einerseits aufgrund der Studienbedingungen (intensivere Arztkontakte, häufigere Protokollbögen, längere Studiendauer), andererseits - im Gegensatz zu früher - aufgrund des Einschlusses von mehr Personen mit einer nur leichten oder mittleren depressiven Episode. Bei Studien mit einer Dauer von mehr als drei Monaten ist aufgrund des Selbstheilungseffekts bei depressiven Störungen (depressive Episoden dauern gewöhnlich 2-6 Monate und klingen dann meistens von alleine wieder ab, im Gegensatz zu Angststörungen bereits von vornherein ein hoher Placeboeffekt zu erwarten. Allein die Vormerkung für eine Studienteilnahme auf der Warteliste führt bereits zu einem Placeboeffekt von 25 Prozent. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist bei Kindern und Jugendlichen nur Fluoxetin wirksamer als Placebo, während alle anderen Antidepressiva nicht effektiver sind als Placebo. 

  6. Antidepressiva sind zumindest bei Menschen mit Angststörungen ohne erhebliche Depression nicht die Mittel der ersten Wahl, sondern höchstens nur vorübergehend bis zur Aufnahme bzw. Wirksamkeit der Psychotherapie. Was selbst vielen Fachleuten unbekannt Ist: Laut bildgebender Diagnostik (PET) besteht im limbischen System mit dem Mandelkern, d. h. in jenem Bereich, der etwas vereinfacht und überspitzt als das Zentrum der Gefühle angesehen wird (natürlich zusammen mit anderen Gehirnarealen), bei Menschen mit Depressionen ein Zuwenig an Serotonin (weshalb SSRI vermutlich dort und nicht im synaptischen Spalt ihre Hauptwirkung zeigen), bei Menschen mit Panikstörung und Generalisierter Angststörung dagegen ein Zuviel von Serotonin, sodass SSRI bei vielen Betroffenen eine Übererregung und keine Angstberuhigung bewirken. Nach der neuesten bildgegebenden Diagnostik weisen laut Prof. Dr. Tom Bschor auch Menschen mit einer Depression zu viel und nicht zu wenig Seroton im Mandelkern auf. Als Verhaltenstherapeut bin ich von meiner Methode überzeugt, selbst wenn dabei ebenfalls ein großer Teil der Wirksamkeit auf Placebo im Sinne der Aktivierung der Selbstheilungskräfte als Folge einer emotional unterstützenden Beziehung zum Therapeuten beruht, noch dazu, wo ich mein Vorgehen als sehr integrativ verstehe, unter Berücksichtigung systemischer, humanistischer und tiefenpsychologischer Aspekte. Ich empfehle den Beginn einer Kurzzeittherapie ohne gleichzeitige Einnahme eines Antidepressivums, da auch dieses oft drei bis vier Wochen oder sogar zwei Monate bis zur vollen Wirksamkeit benötigt. Wenn allerdings die Psychotherapie allein über einen bestimmten Zeitraum hinweg keine ausreichende und anhaltende Besserung garantieren kann, zumindest im Sinne der Berufsfähigkeit ohne längere Krankenstände, halte ich es für eine psychotherapeutische Überheblichkeit, weiterhin grundsätzlich gegen eine psychopharmakologische Behandlung aufzutreten. 

  7. Die sogenannte Monoamin-Mangel-Hypothese als Ursache der Depression (Mangel an Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt) gilt aus verschiedenen Gründen als falsch und widerlegt. Die Monoamin-Hypothese wird der Komplexität von Depressionen nicht gerecht. Eine kurze Information zur mittlerweile widerlegten Serotoninmangel-Hypothese der Depression: Die Informationsweiterleitung innerhalb eines Nervs erfolgt elektrisch und von Nerv zu Nerv biochemisch. Die Kommunikation zwischen den Nervenzellen erfolgt über bestimmte Neurotransmitter (Botenstoffe) wie Serotonin. Einen empfangenen Reiz leitet die Nervenzelle also mithilfe eines Neurotransmitters in den synaptischen Spalt. Der Neurotransmitter, etwa Serotonin, dockt sich an die Rezeptoren der gegenüberliegenden Zelle (Empfängerzelle) an. Das Antidepressivum (SSRI) verhindert die an sich normale Wiederaufnahme (Rückaufnahme) des Neurotransmitters in den ersten Nerv, wodurch der entsprechende Botenstoff länger im synaptischen Spalt verbleiben und die Empfängerzelle über einen längeren Zeitraum erregen kann. Dasselbe Wirkprinzip erfolgt auch bei Antidepressiva, die stärker auf eine erhöhte Wirksamkeit des Botenstoffs Noradrenalin ausgerichtet sind. Die Antidepressiva Venlafaxin (Trevilor retard, Efectin ER) und Duloxetin (Cymbalta) erhöhen den Serotonin- und den Noradrenalinspiegel im synaptischen Spalt und werden selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) genannt. Serotonin soll angstlösend und stimmungsstabilisierend und Noradrenalin, ein Stresshormon, antriebssteigernd wirken. SNRI werden Menschen mit einer depressiven Episode mittelschwer bis schwer verschrieben. Eine Erhöhung dieser Substanzen im synaptischen Spalt allein vermindert keine Depression, weil sie gar nicht durch eine Minderung derselben bedingt ist. Das Problem bei vielen Menschen, die bei Einnahme von SSRI keinen verminderten Serotoninspiegel haben: Es kommt zur Übererregung des Nervensystems, mit allen damit verbundenen negativen Folgen ("Serotoninsyndrom").

  8. Die Wirkung von Antidepressiva aus der Gruppe der sogenannten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI - Serotonin-Reuptake-Inhibitor), namentlich Escitalopram (Cipralex), Citalopram (Seropram), Sertralin (Zoloft, Gladem), Paroxat (Seroxat), Fluoxetin (Fluctin, Fluctine) u.a., beruht auf einem ganz bestimmten Prinzip: Es kommt dadurch bereits nach einer Stunde zur Erhöhung des Botenstoffs Serotonin im synaptischen Spalt zwischen den Nervenzellen. Die Wirksamkeit des Antidepressivums setzt aber erst nach 2-4 Wochen ein, weshalb mehr Serotonin im synaptischen Spalt nicht die Ursache für eine eingetretene Depressionsminderung sein kann, sondern komplexere, bisher unbekannte Vorgänge im Gehirn dafür verantwortlich sein müssen.  Es besteht nach neuesten Erkenntnissen eine verminderte "synaptische Plastizität" des Gehirns, die durch Antidepressiva vermutlich verbessert wird. Zusammenfassende Ausführungen und neuere Studien aus Helsinki und Wien belegen: SSRI erhöhen die Neuroplastizität im Gehirn und damit die Lernfähigkeit, indem sie die Entwicklung neuer Verbindungsstellen im Gehirn (Synapsen) bewirken. In Deutschland und den USA wurden noch weitere Wirkmechanismen gefunden: Im Rahmen von Stress und Entzündungsreaktionen kommt es zur Freisetzung bestimmter Fettsäuren, wodurch die Entstehung depressiver Erkrankungen begünstigt wird. Bestimmte neuere, derzeit untersuchte Substanzen zur Behandlung von Depressionen sollen die schädlichen Stressformen und die erhöhte Depressionsgefahr vermindern. Ständiger emotionaler Stress bewirkt eine erhöhte Alarmbereitschaft des Körpers, wodurch das Immunsystem dauerhaft aktiviert wird, sodass es zu Entzündungsprozessen kommt, die schließlich eine Depression begünstigen können. Eine weitere neuere Erkenntnis: Entzündungen im Magen-Darm-Bereich können über die Darm-Hirn-Achse auch depressiogene Entzündungen in bestimmten Regionen des Gehirns auslösen. Bestimmte noch nicht ausreichend erforschte Störungen des Immunsystems aufgrund von einschneidenden frühkindlichen Belastungen, psychosozialem Dauerstress und starken anhaltenden emotionalen Belastungen als Ursache von Depressionen lassen sich nicht bzw. nicht ausreichend mit SSRI oder SNRI behandeln, sondern nur durch völlig andere Substanzen, nach denen intensiv gesucht wird. Möglicherweise spielen bei rund einem Drittel der depressiven Patient*innen Entzündungsprozesse eine bedeutsame Rolle. In Deutschland wurde daher in einer umfangreichen Studie das Antibiotikum Minocyclin zur Behandlung von bisher therapieresistenten Depressionen erprobt - mit dem Effekt, dass diese Substanz nicht besser wirkte als Placebo. Ähnlich plausibel war bereits vor 25 Jahren die Annahme, dass Depressionen, die durch ein Übermaß an Cortisol-Ausschüttung verursacht werden, durch eine Unterbrechung der Stresshormonachse erfolgreich behandelt werden könnten, d.h. durch eine Hemmung der bei Depressiven überstimulierten Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse, was sich in Vorstudien als nicht zielführend herausgestellt hat, sodass es gar nicht zur Entwicklung eines speziellen Medikaments gekommen ist. Das trizyklische Antidepressivum Tianeptin (Tianeurax, Stablon), das einzige Antidepressivum, das im Gegensatz zu den SSRI die Serotonin-Wiederaufnahme aus dem synaptischen Spalt nicht hemmt, sondern verstärkt, könnte genau aufgrund der Unterbrechung der Stresshormonachse wirksam sein und depressiven Menschen über eine Verbesserung der Neuroplastizität des Gehirns helfen, bei denen die SSRI nicht wirken. Tianeptin fördert auch laut deutschen Experten die Neuroplastizität der Gehirns. Die Neuroplastizität kann durch Antidepressiva zwar verbessert werden, am wirkungsvollsten jedoch dann, wenn gleichzeitig auch die Umweltfaktoren verändert und das Verhaltensweisen der Betroffenen stimuliert werden, wie ein bedeutsamer englischer Artikel aufzeigt - was bedeutet, dass bei vielen Betroffenen die Neuroplastizität des Gehirns auch ohne Antidepressiva verbessert werden kann.

  9. Wenn Antidepressiva tatsächlich auf pharmakologischer Basis in positiver Weise wirken, beeinflussen sie auf medizinisch völlig ungeklärte Weise die Befindlichkeit der Betroffenen, ohne dass sie deswegen kausal wirken. Es gilt das Black-Box-Modell: Es passiert durch Antidepressiva etwas, aber keiner weiß genau, was und warum, abgesehen vom höheren Serotonin- und Noradrenalin-Spiegel im synaptischen Spalt zwischen den Nervenzellen und der neuerdings von verschiedenen Fachleuten behaupteten erhöhten Neuroplastizität des Gehirns. Es ist längst erwiesen: Depressionen und Angststörungen lassen sich trotz ständig wiederholter gegenteiliger Behauptungen nicht durch einen Mangel an Serotonin und/oder Noradrenalin erklären und entsprechend kausal behandeln, ähnlich wie dies etwa durch Insulin bei Diabetes mellitus Typ I erfolgt, sonst könnten nicht auch völlig anders wirkende Medikamente in bestimmten Fällen hilfreich sein. Die gängige Behauptung vom Serotoninmangel depressiver Menschen ist ein Märchen - eine Erfindung der Pharmaindustrie! Selbst in den aktuellen deutschen Leitlinien zur Behandlung von Depressionen heißt es: "Über die Mechanismen, durch welche die Wirkung der Antidepressiva zustande kommt, besteht weiterhin Unklarheit. Daher ist es bis heute nicht möglich, verlässlich vorauszusagen, ob und wann ein bestimmter Patient auf ein bestimmtes Antidepressivum ansprechen wird." Bei vielen Menschen mit Angststörungen sind die bekannten Tranquilizer die wirksamsten Mittel, doch leider machen sie bei längerer (mehrmonatiger) regelmäßiger Einnahme abhängig. Wegen der biologischen Ungeklärtheit psychischer Störungen und auch wegen der Unmöglichkeit der Wirksamkeitsüberprüfung von Psychopharmaka durch eindeutige medizinische Kriterien (Blutbild-Untersuchung, nachweisbare relevante Veränderungen im Gehirn durch bildgebende Diagnostik) anstelle von subjektiven Verhaltenseinschätzungen der Betroffenen durch Fachleute (üblicherweise anhand der Hamilton-Depressions-Skala) haben sich alle großen Pharmafirmen von der Entwicklung völlig neuer Antidepressiva zurückgezogen und seit zwei Jahrzehnten nichts entscheidend Neues auf den Markt gebracht, außer im Prinzip gleich wirkende Präparate mit weniger Nebenwirkungen. Selbst der Anreiz zur Entwicklung neuer Präparate zur Beeinflussung des Serotoninspiegels ist gesunken, seit zumindest in Deutschland aufgrund einer Regelung aus dem Jahr 2011 dafür mangels besserer Wirksamkeit als die bisherigen Mittel von den gesetzlichen Krankenkassen nicht der Preis eines Markenpräparats, sondern nur der Preis eines Generikums bezahlt wird. Das Antidepressivum Brintellix (Vortioxetin), das Nachfolgepräparat der Firma Lundbeck für Cipralex (Escitalopram), erhielt wegen eines fehlenden Zusatznutzens im Vergleich zu anderen Antidepressiva nur die Anerkennung als Generikum, weshalb die Firma den Verkauf in Deutschland wegen fehlender Gewinnaussichten eingestellt hat. Brintellix ist in Österreich auf Verschreibung erhältlich, jedoch nicht auf Krankenkassenkosten, in Deutschland muss es aus dem Ausland bestellt werden.

  10. Zwischen der Höhe des Serotoninspiegels im Blut und dem Fehlen bzw. Vorhandensein einer Depression besteht aus grundsätzlichen Überlegungen kein Zusammenhang. Es ist mittlerweile modern geworden, zur Überprüfung der Wirksamkeit der Antidepressiva den Serotoninspiegel im Blut zu messen. Laut Experten ist das als "Scharlatanerie" zu bezeichnen. Das Ergebnis ist keine verlässliche Aussage über den Serotoninspiegel im Gehirn, der nur durch eine Untersuchung der Gehirnflüssigkeit (Liquor) festgestellt werden könnte, was in der klinischen Alltagspraxis gar nicht möglich ist. Derartige Wirksamkeitsstudien erfolgten in der Forschung bereits vor Jahrzehnten, ohne Nachweis eines Zusammenhangs. Viele ehemals depressive Personen haben im gesunden Zustand keineswegs einen höheren Serotoninspiegel. Es besteht ein Paradoxon: Ein Antidepressivum kann wirksam sein trotz niedrigem Serotoninspiegel im Blut und wirkungslos sein trotz hohem Serotoninspiegel im Blut, ganz unabhängig davon, dass die These vom Serotoninmangel als Ursache von Depressionen nicht mehr haltbar ist. Nur das Serotonin aus den Raphe-Kernen des Hirnstamms hat einen Einfluss auf die psychische Befindlichkeit, wenngleich nicht klar ist, über welche Mechanismen. Übrigens: Das meiste Serotonin des Menschen (90 Prozent) befindet sich nicht im Gehirn, sondern im Verdauungstrakt. Wegen der sogenannten Blut-Hirn-Schranke kann Serotonin vom Blut gar nicht in das Gehirn gelangen. Aus diesem Grund ist auch die Einnahme von Serotonin als Nahrungsergänzungsmittel nicht zielführend, weil dies bestenfalls nur den Serotoninspiegel im Blut und nicht im Gehirn erhöhen würde. Man kann Serotonin bzw. eine Vorstufe davon auch nicht durch das Essen zuführen. Bestimmte Nahrungsmittel wie Walnüsse, Bananen oder Sojabohnen erhöhen die Aminosäure Tryptophan im Körper, wodurch die Eigenproduktion von Serotonin im Gehirn angeregt wird.

  11. Ein Antidepressivum sollte zumindest von Menschen mit Angststörungen anfangs nur in der geringstmöglichen Dosis eingenommen werden, um die typischen Nebenwirkungen zu vermeiden oder zu vermindern, und im Laufe der Zeit nur dann gesteigert und über 3-6 Monate eingenommen werden, wenn die subjektiv erlebte Wirkung größer ist als das anhaltende Auftreten von Nebenwirkungen, die die allgemeine Befindlichkeit eher verschlechtern statt verbessern. Wenn jedoch über einen mehrjährigen Zeitraum ein Antidepressivum eingenommen wurde, sollte dieses auch nach erfolgreicher Psychotherapie nur sehr langsam abgesetzt werden, weil bei Langzeiteinnahme nicht nur Absetzeffekte über einige Tage, sondern nach neuesten Erkenntnissen auch Entzugserscheinungen über Wochen und Monate auftreten können, die die anhaltende Wirksamkeit der Psychotherapie gefährden könnten. Die Langzeiteinnahme von Antidepressiva führt zu Umbauprozessen im Gehirn, bei Absetzen der Antidepressiva muss dem Gehirn über einen längeren Zeitraum die Gelegenheit gegeben werden, sich wieder neu zu organisieren und ohne Hilfsmittel von außen zurechtzukommen.

  12. Die monatelange Einnahme eines nach 2-3 Wochen nicht wirksamen Antidepressivums ist wenig sinnvoll. Es besteht keine Garantie dafür, dass später doch einmal eine antidepressive bzw. angstlösende Wirkung eintreten wird. Im Gegensatz zur bisherigen Empfehlung, ein Antidepressivum bei fehlender Wirksamkeit erst nach 1-2 Monaten durch ein anderes zu ersetzen, weil sich die Wirksamkeit eines Antidepressivums nur langsam entfalte, weisen neueste Studien darauf hin, dass ein Antidepressivum bereits nach zwei Wochen wirkt, anderenfalls sollte eine rasche Umstellung auf ein anderes erfolgen, weil auch später keine ausreichende Wirksamkeit zu erwarten ist. In der Praxis bedeutet dies: Wenn nach 2-3 Wochen Einnahme von Escitalopram und weiteren 2-3 Wochen Einnahme von Sertralin (oder umgekehrt) keine antidepressive Wirkung eintritt, sollte ein anderes Antidepressivum eingesetzt werden, um nach insgesamt 2 Monaten zu wissen, ob jemand überhaupt auf ein Antidepressivum bei tolerierbaren Nebenwirkungen anspricht, statt monatelang Antidepressiva ohne Besserung einzunehmen. Ein derartiger, relativ rascher Wechsel der Antidepressia nach 2-3 Wochen wird von zahlreichen Fachleuten kritisiert, weil die jeweils verordneten Antidepressiva in ihrer Struktur relativ ähnlich sind.

  13. Bei der medikamentösen Behandlung von Angststörungen werden - im Gegensatz zu früher - Tranquilizer wegen der Abhängigkeitsgefahr immer seltener und Antidepressiva immer häufer verschrieben. Dies hängt auch damit zusammen, dass Antidepressiva, weil alle bereits als Generica erhältlich sind, mittlerweile sehr billig sind, ähnlich wie früher die Tranquilizer. Anstelle von Tranquilizern erhalten Menschen mit Angststörungen wegen der dämpfenden Wirkung als Bedarfsmedikament Atarax, ein Antihistaminikum der ersten Generation, das bei weitem nicht so gut, so schnell wirksam und so nebenwirkungsarm ist wie die bei Panikattacken früher routinemäßig meist verschriebenen Benzodiazepine Alprazolam (Tavor, Xanax, Xanor), Bromazepam (Lexotanil) oder Lorazepam (Temesta). Menschen mit Angststörungen und Depressionen ohne Antriebsstörung erhalten heutzutage in der Anfangsbehandlung routinemäßig fast immer eines von zwei Antidepressiva (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, engl. SSRI), obwohl es auch zahlreiche andere gibt: Escitalopram (Cipralex) oder Sertralin (Zoloft, Tresleen). Trotz ähnlicher Wirkung gilt Escitalopram als etwas "schwächer", nebenwirkungsärmer und schneller wirksam und Sertralin als etwas "stärker" wirksam (weil auch etwas antriebssteigernd, bedingt durch einen leichten dopaminergen Effekt, was bei angespannten Menschen mit Angststörungen zu Einnahmebeginn eine erhebliche Unruhe bewirken kann). Wenn diese beiden Medikamente keine oder keine ausreichende Wirkung zeigen, wird zunehmend Duloxetin (als Markenpräparat Cymbalta früher sehr teuer) als Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (engl. SNRI) verschrieben. Sollte auch diese Vorgangsweise keine ausreichende Wirksamkeit zeigen, wird zunehmend ein niedrig dosiertes Neuroleptikum verschrieben, das in hoher Dosis Menschen mit einer Schizophrenie verordnet wird, wie etwa Quetiapin (Seroquel/Quetialan. Menschen mit einer Generalisierten Angststörung erhalten zusätzlich oder alternativ oft das Antikonvulsivum Pregabalin (Lyrica).

  14. Man versucht derzeit, bestimmte Substanzen bzw. bereits auf dem Markt befindliche Medikamente, die zur Behandlung anderer Krankheiten seit langem zugelassen sind, auf ihre Tauglichkeit als Antidepressiva zu testen, um damit Menschen helfen zu können, bei denen die auf dem Markt befindlichen Antidepressiva nicht oder nicht ausreichend wirksam sind. Man hat die Bemühungen aufgegeben, nach der einen wahren neurobiologischen Ursache von Depressionen zu suchen, sondern nutzt unterschiedliche biologische Konzepte, um Menschen mit verschiedenartigen Formen von Depressionen rasch und effizient helfen zu können, z.B. Menschen mit sogenannten "therapieresistenten" Depressionen oder Frauen mit postpartalen (nachgeburtlichen) Depressionen. Nach 60 Jahren Psychopharmakotherapie ergeben sich auf diese Weise seit einigen Jahren erstmals völlig neue Entwicklungen, die unter dem Stichwort "schnell wirkende Antidepressiva" (engl. rapid-acting antidepressants RAADs) zusammengefasst werden können. Neben verschiedenen anderen Substanzklassen werden hier nur kurz drei Gruppen von Substanzen erwähnt: das  Anticholinergikum Scopolamin als Muskarin-Rezeptor-Antagonist, Psychedelika (serotoneg-psychedelische RAADs) wie Psilocybin und LSD und Allgemeinanästhetika (NMDA-Antagonisten bzw. indirekte AMPA-Agonisten, die am Glutamat-System ansetzen) wie das Anästhetikum Ketamin und die von einer Firma weiterentwickelte Substanz Esketamin (Medikament Spravato als Nasenspray in bestimmten Fällen bereits seit 2019 in der EU zugelassen). Bislang zeigt sich eine Wirksamkeit der neuen Substanzen zwar bei bestimmten Personen, bei anderen dagegen überhaupt nicht. Ketamin wirkt zwar innerhalb von 24 Stunden, hält aber nur maximal 2 Wochen an, sodass eine wiederholte Gabe notwendig ist. Nach rund sechs Wochen lässt die Wirkung trotz wiederholter Verabreichung nach, weshalb danach eine Kombination mit einem SSRI oder SNRI erfolgt (die gleichzeitige Einnahme mit Psilocybin kann zu einem Serotonin-Syndrom führen). Es handelt sich bei den neu eingesetzten Substanzen um keine "Wundermittel". Die neuen Substanzen dürfen nur bei Menschen mit therapieresistenter Therapie eingesetzt werden. Die Behandlung mit Ketamin oder Psilocybin ist sehr zeit- und personalaufwendig und erfolgt derzeit nur in Forscheungseinrichtungen. Bei einer Esketamin-Behandlung müssen die Patienten zumindest einmal wöchentlich in eine Klinik kommen. Esketamin wirkte bei therapieresistenten Depressionen zumindest etwas (vor allem mit der Dauer der Behandlung) besser als Quetiapin. Zur Wirksamkeitsverbesserung erfolgt immer auch eine Kombination mit Psychotherapie. Die Wirksamkeit von Ketamin bei bestimmten Menschen mit "therapieresistenter Depression" widerlegt die Monoaminmangel-Hypothese der Depression, die demnach durchaus auch durch chronische Entzündungsprozesse im Körper bewirkt werden kann. Die Wirksamkeit von Psychedelika belegt darüber hinaus auch den bedeutsamen Einfluss des Glutamatsystems.

  15. Menschen mit Angststörungen und Depressionen wünsche ich bessere Medikamente, wenn Selbsthilfe, Psychotherapie und alle zusätzlichen Maßnahmen wie Sport, Ernährungsumstellung und bessere soziale Unterstützung nicht ausreichen. Die folgenden persönlichen Informationen sollen ausdrücken, dass ich als Psychotherapeut kein grundsätzlicher Tablettengegner bin. Als älterer Mensch mit einem gut eingestellten (vererbten) Diabetes mellitus Typ II (früher "Altersdiabetes" genannt) kann ich - im Gegensatz zu Menschen mit psychischen Störungen - von immer neuen Medikamenten profitieren, wenn Normalgewicht, Ernährungsumstellung und Sport allein für einen optimalen Zuckerwert nicht ausreichen. Half mir früher allein die seit Jahrzehnten bewährte Substanz Metformin, kann ich jetzt zusätzlich zwei neuere, auf anderen Wirkmechanismen beruhende Substanzen nutzen, um denselben guten HbA1c-Wert wie früher zu haben, nämlich Sitagliptin (Januvia 100 mg) und Empagliflozin (Synjardy 12,5 mg/1000 mg), mit den entsprechenden Präparaten in Klammer. In ähnlicher Weise profitieren Menschen mit Bluthochdruck von zahlreichen, völlig unterschiedlich wirkenden Mitteln. Menschen mit Angststörungen und Depressionen nehmen dagegen weiterhin Präparate ein, die seit den späten 1950er-Jahren letztlich nichts anderes tun, als nur den Serotonin- bzw. auch den Noradrenalin-Spiegel im Gehirn zu erhöhen - obwohl dieser gar nicht die Ursache der Depression bzw. Angststörung ist, wie immer mehr Psychiatrie-Professoren offen eingestehen. Der Großteil der Pharmaindustrie hat aufgrund der hohen Entwicklungskosten eines Medikaments aus mangelndem Profit (die Gewinnspanne angesichts der zahlreichen Generika ist zu gering) sowie aus mangelndem wissenschaftlichen Wissen über die wahren neurobiologischen Ursachen von Depressionen die Entwicklung neuer Antidepressiva eingestellt - zum Leidwesen der Betroffenen.

 

Vor meiner umfangreichen Zusammenfassung aller möglichen Informationen über Antidepressiva empfehle ich Ihnen im Folgenden zahlreiche YouTube-Videos und Texte von Fachleuten sowie aus den Medien. Sachinformationen und kritische Stellungnahmen zu Antidepressiva sollen allen Interessierten eine fundierte Meinungsbildung ermöglichen.

Literatur zum Einsatz von Antidepressiva bei Angststörungen und Depressionen

Leitlinien Behandlung von unipolaren Depressionen - Langfassung

Leitlinien Behandlung von unipolaren Depressionen - Kurzfassung

Patientenleitlinien Depressionen

Leitlinien Behandlung von Angststörungen - Langfassung

Leitlinien Angststörungen - Kurzfassung

Patientleitlinien Angststörungen

Empfehlungen österreichischer Experten bei GAS

Arznei-News: Liste der Psychopharmaka

Beltz: Die wichtigsten Psychopharmaka

Springer: Psychopharmaka-Übersicht

Gesundheit.de: Antidepressiva

Spektrum.de: Die Mär vom Glückshormon

A. Erfurt & G. Sachs: Fachartikel "Wie wirken Anidepressiva?" - Neue Sichtweisen über die Serotonin-Hypothese hinausgehend

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer erhöhen die Neuroplastizität des Gehirns

Buch "Praxishandbuch Depression" (guter Überblick über biologische und psychologische Ursachen und Behandlungsstrategien)

Buch "Antidepressiva: Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte"

Buch "Psychopharmaka: Ratgeber für Patienten und Angehörige"

Buch "Psychopharmaka: Leitfaden für Psychologen und Psychotherapeuten"

Buch "Antidepressiva absetzen"

Buch "Psychopharmaka reduzieren und absetzen: Praxiskonzepte für Profis, Betroffene, Angehörige"

Buch "Unglück auf Rezept. Die Antidepressiva-Lüge und Ihre Folgen"

Buch "Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leiden"

Buch "Neue Antidepressiva. Atypische Neuroleptika"

Buch "Placebo 2.0: Die Macht der Erwartung"

Buch "Psychiatric Drugs": empfehlenswertes allgemein verständliches englisches Buch über Psychopharmaka von J. Moncrieff

Buch "Psychiatric Drugs Explained von D. Healy"

Buch "The Emperor's New Drugs: Exploding the Antidepressant Myth" von Irving Kirsch

ZDF heute: Antidepressiva - Fluch oder Segen?

Psychotherapeutenjournal: Dipl.-Psych. Thorsten Padberg: kritischer Artikel über Antidepressiva

Depression - heute: Psychotherapie bei schweren Depressionen gleich gut wie Antidepressiva

Bei Unwirksamkeit von Antidepressiva rascher Wechsel laut Mainzer Studie

BR24: Bei Depressionen helfen Antidepressiva oft nicht

Warum Antidepressiva oft nicht wirken

Kritik der deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie

Artikel von Prof. Kirsch zum Placeboeffekt bei Antidepressiva

Ärztezeitung: Deutscher Fachkongress im Jahr 2016: Kritisch hinterfragt: Was bringen Psychopharmaka?

Deutschlandfunk-Bericht - 2.4.2017: Die Krise der Psychopharmakotherapie

Deutschlandfunk-Kultur - 2.2.2019: Antidepressiva ähnlich wirksam wie Placebos

Artikel in spektrum.de: Zweifelhafte Stimmungsaufheller

Zeit Online: Wenn Antidepressiva abhängig machen

ipg-magazin: Interview mit Prof. Dr. Tom Bschor

magazin-forum.de: Der Serotonin-Mythos

depression-heute: über Serotonin

Ursachen einer Depression

Depressionen (gute Seite der Fa. Janssen Cilak GmbH)

quarks.de: Sind Antidepressiva wirklich wirksam?

Warum Antidepressiva oft nicht wirken

Studien ohne Wirksamkeitsnachweis oft nicht veröffentlicht

Selektive Publikation von Antidepressiva-Studien erweckt den Eindruck der erhöhten Wirksamkeit

Metaanalyse der FDA in der USA zur mangelnden Wirksamkeit von Antidepressiva

Raus aus der Psychopharmakafalle (Blogger Markus Hüfner)

Kritischer englischer Artikel von Prof. Gøtzsche

Psychiaterin J. Moncrieff: kritischer englischer Artikel über Antidepressiva

Psychiaterin J. Moncrieff: englische Kritik der Serotonin-Hypothese der Depression

Englische Kritik vieler Expert*innen an der Antidepressiva-Kritik von J. Moncrieff

Rethinking psychoparmacotherapy (bedeutsamer englischer Artikel zur Neuroplastizität mt und ohne Antidepressiva)

Empfehlenswerte Videos über Depressionen, Antidepressiva und andere Psychopharmaka

WDR-5-Podcast: Zur Krise der Psychopharmakologie

NDR Gesundheitsmagazin Visite: Abhängigkeit von Antidepressiva

NDR: Antidepressiva: Wirkungen und Nebenwirkungen

NDR: Antidepressiva: Vorsicht beim Absetzen

SRF: Drogen als Medikamente: Wie LSD, Psilocybin und GHB heilen können

SRF: Ketamin gegen Depression: Wenn Antidepressiva nicht wirken

Depressionen bei Männern

Depression Aktuelle Diagnostik und Behandlung (Prof. Dr. Christoph Nissen)

Chronische Depressionen

Bipolare Störungen bei Kindern und Jugendlichen

Bipolar affektive Störungen (Prof. Dr. Peter Brieger)

Therapie der bipolaren Störung (Prof. Dr. Andreas Reif)

Bipolare Störungen: Diagnostik und Behandlung (Prof. Dr. Martin Schäfer)

Clipmedia: Depression und Suizidgedanken (Prof. Dr. Martin Ohlmeier)

Suizid (Prof. Dr. Herald Hopf)

Suizidalität (Dipl.-Psych. Frank Zimmermann)

Antidepressiva - Pharmakologie

Antipsychotika - Pharmakologie

Pharmakologie Depression

Sucht und Depression

Interview mit Prof. Irving Kirsch

Vortrag von Prof. Irving Kirsch

Podcast Prof. Dr. Tom Bschor: Wirbel um Serotonin-Hypothese

Mythos Serotoninmangel Prof. Dr. Thomas Hillemacher

Medikamentöse Behandlung der Depression - aktueller Stand und neue Entwicklungen (Prof. Andreas Reif)

Antidepressiva - einnehmen oder absetzen (Prof. Dr. Tilo Kircher)

Depressionen: Sport und Bewegung gleich effizient wie Antidepressiva

Antidepressiva kaum besser als Placebo? (Dipl.-Psych. E. Burck)

Verursachen Entzündungen Depressionen? (Dipl.-Psych. E. Burck)

Depression (und Angst) durch Ernährungsumstellung loswerden? (Dipl.-Psych. E. Burck)

Wie Darmbakterien Depressionen beeinflussen

Neues zu nicht-medikamentösen Therapien bei Depressionen

Depression. Das Wichtigste über Symptome, Therapie, Ursachen und Prävention  (PsyCuriosity)

Kritik an Antidepressiva (Interview mit Prof. Dr. Müller-Oerlinghausen zu SSRI und Suiziden)

PSSD - negative Langzeitfolgen von Antidepressiva für das sexuelle Erleben

Depressionen überwinden lernen - Prof. Dr. Winfried Rief

Psychische Störungen und Paarbeziehungen am Beispiel der Depression

Placebo - Die Macht von Erwartungen und Implikationen für die Praxis (Prof. Dr. Christiane Hermann)

Wie können Behandlungserwartungen meine Therapie beeinflussen? Placebo / Nocebo-Effekte (Frau Prof. Dr. Bingel)

Podcast: Psychedelika - Hoffnung für therpaieresistente Depressionen

Ketamin-Therapie bei Depressionen (Dr. Scheib)

Können Drogen Depressionen heilen?

Psychedelische Reisen in der Psychotherapie

LSD und Neuroplastizität (Prof. Gregor Hasler)

Dr. Mark Horowitz: The Myth of Low-Serotonin & Antidepressants (kritische englische Präsentation)

Rapid-acting Antidepressants

Dr. Dr. Tobias Weigl: Videos über Depressionen, Antidepressiva, andere Psychopharmaka, Schmerzen und Neurobotenstoffe

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Antidepressiva zur Schmerztherapie - um Migräne, Fibromyalgie und Nervenschmerzen zu lindern

Langzeitdepression und Schmerzen

Unser Schmerzhemmendes System - Einfluss der endogenen Schmerzhemmung auf chronische Schmerzen

Was ist chronischer Schmerz? Schmerzgedächtnis

Chronischer Scherz, Schmerzgedächtnis

Chronisches Erschöpfungssyndrom - Warum bin ich immer müde und erschöpft? Chronic Fatigue Syndrome

Myalgische Enzephalomyelitis

Weniger Stress - Mehr Gesundheit: Meine top 6 Tipps für einen gesunden Umgang mit Stress

Zusammenhänge zwischen Burnout, schlechte Laune, Depression und chronische Schmerzen

Psychologe Dr. Michael Hengartner: Texte und Videos

Rund 90 % der Antidepressiva nicht besser als Placebo

Antidepressiva – nicht besser als Placebos?

scilogs-spektrum-de: Interview mit Dr. Hengartner

Inside brains: Stress mit Depressionen Teil 1 - Michael Hengartner

Inside brains: Stress mit Depressionen Teil 2 - Michael Hengartner

Kritischer englischer Artikel  

Prophylactic effects or withdrawal reaktions?

Evidence-biased Antidepressant Description

Prof. Dr. Gerhard Gründer, Mannheim: Videos über Antidepressiva und Psychopharmakotherapie

Über die Grund

Antidepressiva nehmen und absetzen - Teil 1: Wie wirksam sind Antidepressiva?

Antidepressiva nehmen und absetzen - Teil 2: Wann ist es sinnvoll, Antidepressiva einzunehmen?

Antidepressiva nehmen und absetzen - Teil 3: Es ist gut Antidepressiva über viele Jahre einzunehmen?

Antidepressiva nehmen und absetzen - Teil 4: Was sind negative Folgen einer Langzeittherapie?

Antidepressiva nehmen und absetzen - Teil 5: Wann sollte man eine Therapie mit Antidepressiva beenden?

Videos auf Psychcast: Psychiater Dr. Jan Dreher über viele Psychopharmaka

Top 10 Fehler in der Psychiatrie und Psychotherapie

Drei Typen von Psychiater

Sex und Psychopharmaka

Ehrliche Aufklärung über Antidepressiva

Es müssen nicht immer Antidepressiva sein

Antidepressiva: Die überschätzte Pille

Wirken Antidepressiva oder Was sind eigentlich "aktive Placebos"?

Absetzen von Antidepressiva

Welches Antidepressivum gebe ich wem?

Behandlung der bipolaren Erkrankung

Antidepressiva Äquvalenzdosierungen

Escitalopram und Citalopram

Duloxetin

Velafaxin

Desvenlafaxin

Mirtazapin

Bupropion/Elontril/Wellbutrin

Pregabalin

Lithium

Johanniskraut

Schlafmittel

Benzodiazepine niedrig dosiert

Aufklärung über Neuroleptika

Welche Neuroleptika gebe ich wem?

Abilify/Aripiprazol

Risperidon

Seroquel/Quetiapin

Ketamin bei depressiven Krisen: Hype oder Retter in der Not?

Medikamentenwechselwirkungen

Schmerzen

Der Schmerz und seine Komplizen

Audio: Besuch in der Substitutionsambulanz

Medikamentenspiegel in der Psychiatrie

Vertragen sich meine Psychopharmaka mit Alkohol?

Psychopharmaka und Schwangerschaft

Grundprinzipien des therapeutischen Handelns in psychiatrischen Notfällen

Mit der Atmung das Stressniveau senken und weitere Psych-Tools

Geschichten aus der Psychiatrie

PSSD - Sexuelle Nebenwirkungen bei Psychopharmaka-Einnahme

Psychcast Nr. 6 (u.a. Serotoninmangel ist nicht die Ursache der Depression)

Psychcast News Nr. 8 (u.a. Studie über Entzugssymptome bei Antidepressiva) 

Psychcast News Nr. 9 (u.a. Studie Emotionale Abstumpfung unter Antidepressiva)

Medikamente bei Generalisierter Angststörung

Chronische Schmerzen

Prof. Dr. Stefan Frank: Pharmakologie (viele Videos unter "Der Pharmakologieathlet")

Der "Serotonin-Mythos": Antidepressiva - eine differenzierte und kritische Betrachtung - Teil 1

Der "Serotonin-Mythos": Antidepressiva - eine differenzierte und kritische Betrachtung - Teil 2

Der "Serotonin-Mythos": Antidepressiva - eine differenzierte und kritische Betrachtung - Teil 3

Benzodiazepine - Teil 1

Benzodiazepine - Teil 2

Neuroleptika - Teil 1

Neuroleptika - Teil 2

Das autonome Nervensystem: Sympathikus - Teil 1

Das autonome Nervensystem: Sympathikus - Teil 2

Das autonome Nervensystem: Sympathikus - Teil 3

Das autonome Nervensystem: Sympathikus - Teil 4

Das autonome Nervensystem: Sympathikus - Teil 5

Das autonome Nervensystem: Parasympathikus - Teil 1

Das autonome Nervensystem: Parasympathikus - Teil 2

Das autonome Nervensystem: Parasympathikus - Teil 3

Stresshormon Cortisol - Teil 1

Stresshormon Cortisol - Teil 2

 

Antwort des Psychiaters Prof. Dr. Gerhard Gründer zur Frage: "Gibt es Neuentwicklungen in der medikamentösen Therapie?"

 

"Hier muss man leider kritisch sagen, dass wir seit etwa der Jahrtausendwende einen Mangel an neuen Medikamenten haben. Wir sprechen von der Krise der Psychopharmakologie.

Die neueren Antidepressiva, die selektive Serotonin-Rückaufnahmehemmer, die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahmehemmer sind Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre auf den Markt gekommen.

Die sogenannten atypischen Antipsychotika sind in den 90er Jahren ganz überwiegend auf den Markt gekommen und nach dem Jahr 2000 hat es wenig wirkliche Innovationen gegeben.

Man kann von schrittweisen, kleinen Verbesserungen sprechen, von der Erweiterung des Arzneimittelschatzes, aber dass wir wirklich innovative Wirkmechanismen neu entdeckt hätten, das ist leider nicht der Fall.

Wir stehen im Moment vor der Situation, dass wir einen Mangel an neuen Arzneimitteln haben und darunter leiden nicht nur Therapeuten, sondern auch Patienten, denn vielen unserer Patienten können wir nach wie vor nicht in dem Ausmaß helfen, weder durch psychotherapeutische noch durch pharmakologische Maßnahmen, wie wir uns das wünschen."

 

 

Mein Kommentar dazu, der durch das Video von Prof. Gründer ausführlich begründet wird:

 

Die großen Pharmafirmen haben es in den letzten zwei Jahrzehnten aufgegeben, Unsummen von Geld in die Entwicklung völlig neuer Medikamente zur Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen zu stecken, und zwar aus zwei Gründen:

Im Bereich der Onkologie werden viel mehr Mittel entwickelt und dann auch zu einem höheren Preis zugelassen als in den Bereichen Psychiatrie und Neurologie.

 

Das ist die Wahrheit trotz der intensiven Werbung der Pharmafirmen: Es ist bislang nicht gelungen, wesentlich bessere Psychopharmaka zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen zu entwickeln als in der Vergangenheit.

 

Es ist einfach nicht wahr, dass so komplexe psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen auf einem reinen Mangel an Serotonin bzw. Noradrenalin beruhen.

 

Daher wirken die vorhandenen Mittel bei vielen psychisch kranken Menschen entweder überhaupt nicht oder nur unzureichend. Die sogenannte Serotonin-Hypothese bei Angststörungen und Depressionen hat sich als falsch herausgestellt, was von Dr. Ansarin allgemeinverständlich zusammengefasst wird. 

 

In zahlreichen Medikamentenstudien wirkte das Placebo-Mittel nur geringfügig besser als das neue Mittel, oft zeigte sich in der Placebo-Gruppe mindestens bei der Hälfte der Betroffenen eine ähnliche Wirkung wie beim neuen Antidepressivum.

 

Der größte Kritiker der unkritischen Anwendung von Antidepressiva ist der amerikanische Psychologie-Professor Irving Kirsch, der seine Thesen durch mehrere Studien belegt hat. Andipressiva seien nur bei schweren, nicht anders behandelbaren Depressionen zumindest etwas hilfreich, bei leichter und mittelgradiger depressiver Episode seien Placebos und andere Methoden genauso wirksam.

 

Dazu kommt die kostensparende Strategie der Gesundheitsbehörden in Deutschland (entscheidendes Nutzenbewertungsdossier beim Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA), die es für Pharmafirmen uninteressant macht, neue Präparate zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen auf den Markt zu bringen, solange diese wiederum nichts anderes sind als nur Mittel, die einen ganz bestimmten Botenstoff im Gehirn beeinflussen sollen, der angeblich die monokausale Ursache einer bestimmten psychischen Störung sei.

 

Die Pharmafirmen werden vor der Markteinführung eines Mittels gezwungen nachzuweisen, dass das neue Mittel besser ist als frühere vergleichbare Mittel, um einen höheren Preis rechtfertigen zu können, der die immensen Forschungskosten im Laufe der Zeit wieder einspielen würde. Die Präparate müssen entweder zumindest etwas oder sogar viel besser sein als bisher verordnete Mittel. Das gilt übrigens auch für Präpate außerhalb der Psychiatrie.

 

Sobald nur eine Gleichwertigkeit nachweisbar ist, wird das Präparat nur zum Preis von Generika zugelassen, was Pharmafirmen dazu veranlasst, das Präparat in Deutschland gar nicht auf den Markt zu bringen, weil das Mittel dann bald auch in anderen Ländern zu einem ähnlich niedrigen Preis verkauft werden müsste.

 

Erstaunlicherweise gilt laut einer neuen Meta-Studie als wirksamstes Antidepressivum zur Behandlung von Depression nach wie vor ein tryzyklisches, das heißt bereits sehr altes Mittel, das bereits 1962 auf den Markt gekommen ist, nämlich die Substanz Amitriptylin (Markenpräparate Saroten und Tryptizol sowie verschiedene Generarika).

 

Amitriptylin, das früher auch viele Menschen mit Angst- und Schlafstörungen erhalten haben, wird nur wegen der größeren Nebenwirkungen nicht mehr so oft verschrieben wie früher, und zwar zugunsten von Substanzen, die zwar nebenwirkungsärmer, aber grundsätzlich nicht besser sind.

 

Das hat die bereits erwähnte neue Studie eindeutig bestätigt: Neben Amitriptylin waren die Substanzen Agomelatin, Escitalopram, Mirtazapin, Paroxetin, Venlafaxin und Vortioxetin in der Depressionbehandlung wirksamer als Fluoxetin, Fluvoxamin, Reboxetin und Trazodon.

 

Die Substanz Fluoxetin ist übrigens bekannt als das Markenpräparat Fluctin (in Österreich: Fluctine), das bereits in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre als erstes SSRI in den USA unter dem Namen Prozac auf den Markt gekommen ist. Es ist kein Mittel, das bei Angststörungen als Mittel der ersten Wahl verschrieben werden sollte.

 

Argomelatin (Markenpräparat Valdoxan) ist kein Mittel zur Behandung von Angststörungen, sondern von Depressionen. Vortioxetin (Markenpräparat Brintellix) wurde bereits 2016 von der Herstellung wegen fehlendem Zusatznutzen laut deutschen Gesundheitsbehörden wieder vom Markt genommen.

 

Der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paroxetin (Markenpräpart Seroxat) und der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin (Markenpräparat Efectin) werden von vielen Menschen mit Angststörungen wegen vermehrter Nebenwirkungen (vor allem anhaltende innere Unruhe) nicht so gut vertragen wie Escitalopram.

 

Die erwähnte Studie stellt einen Beleg dafür dar, dass bei Angststörungen als Mittel der ersten Wahl die Substanz Escitalopram (Markenpräparat) auch zukünftig immer häufiger verschrieben werden wird, bei der seit über zwei Jahrzehnten ebenfalls der Patentschutz bereits ausgelaufen ist.   

 

In der Krise der Psychopharmakotherapie liegen zukünftig die erhöhten Chancen der Psychotherapie, die sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte viel innovativer entwickelt hat als die Psychopharmakotherapie.

 

Menschen mit Angststörungen wurden in der Vergangenheit mit zwei Gruppen von Medikamenten behandelt:  

Derzeit erfolgt weltweit eine intensive Suche nach neuen Medikamenten zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen. SSRI werden in Zukunft aufgrund des Zusammenbruchs der Serotonin-Hypothese als Urache für Angststörungen und Depressionen nicht mehr jene Bedeutung haben wie jetzt, weshalb andere andere Psychopharmaka entwickelt werden müssen. 

 

MEINE ZUSAMMENFASSUNG VON WISSENSCHAFTLICHEN ERKENNTNISSEN

Antidepressiva sind oft nicht besser als Placebos 

Das erste (trizyklische) Antidepressivum kam bereits 1957 auf den Markt - sein chemischer Name: Imipramin (Tofranil).

Im Jahr 1962 kam mit Amitripitylin (Saroten) das zweite trizyklische Antidepressivum auf den Markt, das laut aktueller Meta-Studie von Cipriani u.a. aus dem Jahr 2018 weiterhin als das wirksamste (dämpfende) Antidepressivum gilt, allerdings mit erheblichen, medizinisch oft inakzeptablen Nebenwirkungen. Es wird vor allem dann auch heute noch eingesetzt, wenn die neueren Antidepressiva keine bzw. keine ausreichende Wirkung zeigen.

Die ersten Antidepressiva fanden anfangs bei Ärzten, Patienten und Medien keinen besonders positiven Anklang. Die meisten psychisch Kranken erhielten jahrelang weiterhin Tranquilizer oder Neuroleptika.

Der Siegeszug der Antidepressiva setzte in den USA im Jahr 1988 ein - mit dem ersten "modernen" Antidepressivum, einem sogenannten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin-Reuptake-Inhibitor: SSRI). Sein chemischer Name: Fluoxetin (Fluctin in D, Fluctine in Ö, Prozac in den USA).

Mittlerweile befinden sich sechs weitere SSRI auf dem Markt: Fluvoxamin (Fevarin, Floxyfral), Sertralin (Zoloft, Gladem, Tresleen), Paroxetin (Seroxat), Citalopram (Cipramil, Seropram) und Escitalopram (Cipralex), in Österreich und in der Schweiz zusätzlich noch das neuere Vortioxetin (Brintellix), das in Deutschland von der Herstellerfirma Lundbeck wieder vom Markt genommen wurde, weil es mangels besserer Wirksamkeit als andere SSRI von den Krankenkassen nicht zum Preis eines Markenpräparats, sondern nur zum Preis eines Generikums bezahlt würde, in Österreich aber für Selbstzahler erhältlich ist.

Fluvoxamin wurde in der Schweiz bereits 1984 und in Deutschland noch vor Fluoxetin zugelassen, erzielte in Europa aber keine nennenswerte Wirkung.

Citalopram kam 1995 auf den Markt, Sertralin und Paroxetin stehen seit 1996 zur Verfügung.

Vor dem Auslaufen von Citalopram als preisgeschütztes Mittel brachte die Firma Lundbeck das Präparat Escitalopram auf den Markt, dessen Patent seit vielen Jahren ebenfalls bereits ausgelaufen ist. Kritiker werfen der Firma Lundbeck vor, Escitalopram sei keine wesentlich andere Substanz als Citalopram.

Laut Kritikern beruhen bis zu 75 Prozent oder gar bis zu 90 Prozent der Wirksamkeit der Antidepressiva auf der Placebo-Wirkung - auf dem Glauben an die Selbstheilungskraft des Menschen und der positiv erlebten Interaktion mit einem verständnisvollen Arzt.

Der zentrale Aspekt der Arzt-Patient-Interaktion ist die Basis für den Placeboeffekt:

Die Placebo-Wirkung von Medikamenten wird zunehmend erforscht, in Deutschland vor allem von der Psychologie-Professorin Prof. Dr. Bingel und dem Psychologie-Professor Dr. Winfried Rief.

Die Placebo-Rate steigt und sinkt mit der Art der Studienbedingungen und der Art der eingesetzten Antidepressiva-Substanzen.

Bei neueren SSRI-Studien ist die Placebo-Rate oft schon allein deswegen geringer als bei älteren Studien mit trizyklischen Antidepressiva, bei deren Einnahme die Betroffenen aufgrund der vermehrten und stärkeren Nebenwirkungen, über die sie vorher aufgeklärt worden waren, erraten konnten, ob sie ein Antidepressivum oder ein Placebo erhielten.

Unglaublich, aber wahr: Ein Placebo-Präparat wirkt auch dann, wenn die Patienten vorher darüber informiert wurden, dass sie ein Placebo erhalten hatten.

Placebos wirken sogar bei Menschen mit starken bzw. chronischen Schmerzen, weil sie die Selbstheilungskräfte in Form der Ausschüttung körpereigener Opiate aktivieren.

Der Psychologie-Professor Dr. Winfried Rief schreibt in der deutschen Angst-Zeitschrift daz über die geringe Wirksamkeit von Antidepressiva:

"Nicht nur unsere eigenen wissenschaftlichen Analysen, sondern auch die von anderen Arbeitsgruppen bestätigen, dass Patienten in der Placebo-Gruppe mindestens 65-70% der Erfolge erreichen wie Patienten in der Medikamenten-Gruppe. Damit bleiben also zwar nicht so beeindruckende, aber immer noch 30% Überlegenheit des Medikaments. Nun muss aber einschränkend festgehalten werden, dass diese Zahlen nur aus den veröffentlichten Studien stammen. Viele Studien mit negativen oder unklaren Befunden werden nicht publiziert (sog. 'Publication Bias': unerwünschte Studienergebnisse bleiben 'in der Schublade liegen').... Somit schmelzen unsere oben aufgeführten 30% Vorteil für die Medikamente drastisch zusammen und werden sich in einem Bereich von maximal 0-20% Vorteil einpendeln."

Die weltweit aufsehenerregendsten Wirksamkeitsstudien stammen vom amerikanischen Psychologie-Professor Irving Kirsch, der aufgrund der Daten der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA den geringen Nutzen aller Antidepressiva im Vergleich zu Placebos eindrucksvoll belegte - entgegen seinen früheren Auffassungen. Noch 1995 war er fest davon überzeugt, dass Antidepressiva besser seien als Placebos.

Seine früher provokanten, nunmehr auch von vielen Fachleuten bestätigten Thesen in deutscher Übersetzung in der Zeitschrift "Verhaltenstherapie"

"Die vorherrschende Annahme zur Wirkung von Antidepressiva ist, dass diese durch die Behebung eines chemischen Ungleichgewichts, speziell eines Serotoninmangels im Gehirn, zustande kommt. Auswertungen der publizierten und nicht publizierten, d.h. von Pharmaunternehmen zurückgehaltenen Daten zeigen jedoch, dass der meiste (wenn nicht gar komplette) Nutzen durch den Placeboeffekt bewirkt wird. Einige Antidepressiva steigern die Serotoninspiegel, manche senken sie, und andere haben überhaupt keine Auswirkung auf Serotonin. Dennoch zeigen sie alle den gleichen therapeutischen Nutzen. Anstatt die Depression zu behandeln, könnten gängige Antidepressiva eine biologische Vulnerabilität verursachen, die das Risiko einer zukünftigen Depression erhöht. Andere Behandlungsarten (z.B. Psychotherapie und körperliche Betätigung) erzeugen den gleichen Kurzzeitnutzen wie Antidepressiva, zeigen bessere Langzeitwirkung und tun dies ohne die Nebenwirkungen und Gesundheitsrisiken der Medikamente."

Kirsch verglich auch die Wirksamkeit der unterschiedlichen Arten von Antidepressiva - mit folgendem Ergebnis:

"Es macht also keinen Unterschied, welches Medikament verabreicht wird – es kann die Verfügbarkeit von Serotonin erhöhen oder erniedrigen oder auch gar keinen Effekt auf Serotonin haben – der antidepressive Effekt ist der gleiche. Wie aber nennt man Interventionen, deren Effekt unabhängig von ihren chemischen Bestandteilen ist? Ich nenne sie Placebos."

Die erste Studie von Kirsch aus dem Jahr 2002, in der er seine jahrzehntelangen Forschungsbefunde zusammenfasste, kam zum Ergebnis, dass 75 Prozent der Wirkung der Antidepressiva auf dem Placeboeffekt beruhen. Kirsch war damals noch der Meinung, dass die restlichen 25 Prozent auf dem chemischen Effekt der Mittel beruhen würden, was er später aufgrund neuerer Erkenntnisse weit nach unten hin korrigierte.

Kirsch fand schon in seiner ersten Studie keinen Unterschied zwischen älteren (trizyklischen) und neueren (SSRI) Antidepressiva, was durch eine neue Studie anderer Forscher aus dem Jahr 2018 eindrucksvoll bestätigt wurde.

In Reaktion auf die heftige Kritik seiner Studie ersuchte er die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erfolgreich um die Erlaubnis, Einsicht in alle eingereichten Studien der Pharmafirmen nehmen zu dürfen.

Dabei stellte er entsetzt fest, dass die Pharmakonzerne fast die Hälfte der Wirksamkeitsstudien wegen fehlender Unterschiede zwischen Antidepressiva und Placebo nicht veröffentlicht hatten, weshalb ein zu positives Bild über Psychopharmaka in der Öffentlichkeit und vor allem auch bei den behandelnden Psychiatern entstanden war.

Kirsch fiel auf, dass die Wirksamkeit der Antidepressiva bei auftretenden Nebenwirkungen größer war, was letztlich bedeutet, dass die Patienten erraten konnten, ob sie ein Medikament oder ein Placebo erhielten, obwohl dies von den Studienbedingungen her weder ihnen selbst noch den behandelnden Ärzten bekannt war (ein derartiges Studiendesign nennt man "Doppelblindstudien"). Trotz dieses Umstands wirkten Placebos in vielen Studien genau so gut wie Antidepressiva.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte lag bei einer weiteren Studie von Kirsch der Placeboeffekt an der Wirkung der Antidepressiva bei 82 Prozent - zwar noch immer statistisch signifikant, aber bereits ohne ausreichende therapeutische Bedeutsamkeit. 

Kirsch fand auch heraus, dass eine höhere Antidepressiva-Dosis keinen besseren therapeutischen Effekt ergab.

Eine weitere große Studie von Kirsch, wiederum auf der Grundlagen der FDA-Daten, aus dem Jahr 2008 ergab den Befund, dass Patienten mit leichten, mittelgradigen und schweren Depressionen nicht von den Antidepressiva profitieren würden. Nur bei den 10 Prozent der sehr schwer kranken Depressiven zeigte sich eine Besserung. Bei ihnen nahm zwar der Placeboeffekt ab, die sogenannte Effektstärke des eingenommenen Antidepressivums jedoch nicht zu. Ohne starke Nebenwirkungen konnte man dagegen erraten, dass man sich in der Placebogruppe befand, was die Erwartungshaltung der Betroffenen auf Gesundung verminderte. 

Der Placeboeffekt ist zwar bei Medikamentenstudien unerwünscht und soll daher möglichst gering gehalten werden, stellt jedoch ein fundamentales Selbstheilungsprinzip des Menschen dar.

Der Placeboeffekt ist auch bei jeder Psychotherapie wirksam. Zehn Prozent der Psychotherapie-Klienten erleben die ersten Veränderungen bereits vor der ersten Sitzung - was auf dem Entschluss beruht, dass sie etwas ändern und deswegen eine Psychotherapie machen möchten.

Den hilfreichen Placebo-Effekt erlebe ich als Psychotherapeut täglich in meiner Praxis. Viele Patientinnen und Patienten vertrauen auf meine Fähigkeiten, auf meine 31-jährige klinische Erfahrung in der Nervenklinik in Linz, auf mein Wissen durch die Veröffentlichung von 17 Büchern, auf Verhaltenstherapie als anerkannter Methode und vor allem auch auf mich als Person, die sie durch meine Homepage bereits etwas kennengelernt haben, auch wenn sie mich vorher noch nie persönlich gesehen haben.

Antidepressiva sind laut Studien nur bei schweren Depressionen indiziert, nicht jedoch bei leichten oder mittelgradigen, wo neben Psychotherapie auch Sport und soziale Maßnahmen hilfreich sind.

Die größte und teuerste Studie zur Wirksamkeit von Antidepressiva, die unter realistischen Alltagsbedingungen  durchgeführt wurde - die sogenannte STAR-D-Studie - wurde von der amerikanischen Gesundheitsbehörde in den 2000er-Jahren finanziert, d.h. nicht mehr von Gewinn-interessierten Pharmafirmen. 

Es wurden zehn unterschiedliche Wirkstoffe verschiedener Hersteller untersucht und miteinander kombiniert. Das Ziel war die Beurteilung des Behandlungserfolgs nach einem Jahr.

Das Ergebnis nach 3 Monaten Behandlung mit Citalopram, das anfangs bei allen Personen eingesetzt wurde (in späteren Behandlungsphasen konnte ein Wechsel des Antidepressivums vorgenommen werden): In den Placebogruppen erreichten durchschnittlich 37 Prozent der Patienten eine Besserung, in den Behandlungsgruppen dagegen nur 27 %. Wie üblich, erfolgte die Beurteilung auf der Basis der Hamilton-Depressionsskala.

Um die Werte zu verbessern, wurde eine zusätzliche Beurteilungsskala eingesetzt, wodurch sich zumindest bei einem Drittel (33 %) eine Besserung ergab:

"Bei etwa 1/3 der Patienten kann den Ergebnissen zufolge während eines ersten Behandlungsversuchs eine Remission erreicht werden; eine Remission ist mit einer besseren Prognose im Langzeitverlauf assoziiert. Mit zunehmender Anzahl der zum Erreichen einer Remission oder ausreichenden Besserung notwendigen, medikamentösen Therapieversuche sinkt den Ergebnissen nach während eines Behandlungsversuchs die Wahrscheinlichkeit des Erreichens einer akuten Remission und steigt – unabhängig davon, ob letztendlich eine Remission erreicht wird – das Risiko eines Rückfalls, so dass auch nach Erreichen einer Remission eine engmaschige Betreuung erfolgen sollte. Differentialtherapeutische Hinweise dazu, welche Behandlungsstrategie zu welchem Zeitpunkt der Behandlung einer depressiven Episode erfolgversprechender ist, ergeben sich aus den Studienergebnissen nicht. Ob einzelne Behandlungsoptionen zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt der sequentiellen Therapie andere Ergebnisse gezeigt hätten, bleibt offen. Die Identifikation individueller Prädiktoren für ein Ansprechen auf ein bestimmtes antidepressives Therapieverfahren stellt ein weiteres zukünftiges Ziel der STAR*D- Studie dar."

Nach 12 Monaten waren von den 1475 Personen, die im ersten Schritt eine Besserung erlebt hatten, nur noch 108 stabil gebessert, d.h. lediglich 7%, alle anderen erlitten Rückfälle.

Zusammen mit den Therapieabbrechern und den nicht erfolgreich behandelten Personen (diese Personengruppen werden zwecks Verschönerung der Befunde leider oft ausgelassen!) konnten 97 % der depressiven Patienten nicht von der Antidepressiva-Erstbehandlung mit Citalopram profitieren. Mit jeder weiteren Behandlungsstufe sank im Verlauf des einjährigen Beobachtungszeitraums der Anteil jener Personen, die eine Symptomfreiheit erreichten.

Die STAR-D-Studie hat somit herausgefunden, dass selbst der Wechsel des Antidepressivums oder ein zusätzliches Antidepressivum im Laufe der Zeit zu keiner Besserung der depressiven Symptomatik führt.

Die STAR-D-Studie stützt die Behauptung vieler Antidepressiva-Kritiker: Je öfter und je länger depressive Patienten verschiedene Antidepressiva erhalten, desto geringer ist ihre Wirksamkeit im Laufe der Zeit, desto chronischer krank werden sie.

Die Studie hat auch - im Gegensatz zu ihrem ursprünglichen Anspruch - keine Hinweise darauf gefunden, welche Art von Antidepressivum bei einer bestimmten Symptomatik hilfreicher ist.

In den therapeutischen Leitlinien Unipolare Depressionen wird zur Wirksamkeit der Antidepressiva offen eingestanden:

"Detaillierte Untersuchungen haben gezeigt, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen Substanzklassen sowie zwischen den verschiedenen Substanzen und Placebo bezüglich des zeitlichen Verlaufs der Besserung marginal sind, also Antidepressiva nicht zu einer schnelleren Besserung als Placebo führen... Antidepressiva stoßen jedoch den Heilungsprozess bei wesentlich mehr Patienten an als Placebo (zusätzliche 10-30 % bei mittelschweren bis schweren Depressionen)."

Aufgrund des "ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses" werden in den Leitlinien Antidepressiva daher in der Erstbehandlung von leichten depressiven Episoden generell nicht empfohlen. Diese stellen jedoch den Großteil der depressiven Erkrankungen dar, sodass demnach in der klinischen Praxis eine viel zu häufige Verordnung von Antidepressiva erfolgt. Die zu großzügige Antidepressiva-Verschreibung ist wegen der oft möglichen späteren Probleme beim Absetzen sehr kritisch zu betrachten. Die Häufigkeit und das Ausmaß von länger anhaltenden Absetzsymptomen wurde früher oft stark unterschätzt.  

In den deutschen Leitlinien Unipolare Depressionen wird bezüglich der Wirkmechanismen von Antidepressiva Folgendes festgehalten:

"Wirkmechanismen. Über die Mechanismen, durch welche die Wirkung der Antidepressiva zustande kommt, besteht weiterhin Unklarheit. Daher ist es bis heute nicht möglich, verlässlich vorauszusagen, ob und wann ein bestimmter Patient auf ein bestimmtes Antidepressivum ansprechen wird. Es ist also nicht möglich, die Antidepressivabehandlung auf solche Patienten zu beschränken, die auch „tatsächlich“ von der Behandlung profitieren. Insbesondere scheinen Antidepressiva in einer Untergruppe von Patienten einen Heilungsprozess anzustoßen, der ohne Medikamente nicht zustande kommen würde. Ca. zwei Drittel der mit Antidepressiva behandelten Patienten respondieren. Allerdings zeigt sich bei ungefähr der Hälfte dieser Responder nur eine Partialresponse und keine wirkliche Remission."

 

Neuere Antidepressiva (SSRI, SNRI) sind nicht wirksamer als ältere (trizyklische) Antidepressiva

Erstaunlicherweise gilt laut einer neueren, im Jahr 2018 veröffentlichten, sehr aufwändigen Meta-Studie von 21 untersuchten Substanzen als wirksamstes Antidepressivum zur Behandlung von Depressionen nach wie vor ein tryzyklisches Antidepressivum, das heißt eine bereits sehr alte Substanz, die bereits 1962 auf den Markt gekommen ist, nämlich Amitriptylin (Saroten, Tryptizol).  Diese Studie, erstellt von einem internationales Konsortium unter Leitung von Dr. Andrea Cipriani, University of Oxford, gilt als die umfangreichste jemals vorgenommene Beurteilung der Wirksamkeit von 21 Antidepressiva. 

 

Amitriptylin, das früher auch viele Menschen mit Angst- und Schlafstörungen erhalten haben, wird nur wegen der größeren Nebenwirkungen nicht mehr so oft verschrieben wie früher, und zwar zugunsten von Substanzen, die zwar nebenwirkungsärmer, aber nicht grundsätzlich besser sind.

 

Das hat die erwähnte neue Studie in Bezug auf Depressionen ergeben: Nach Amitriptylin waren die Substanzen Mirtazapin, Duloxetin, Venlafaxin, Paroxetin, Fluvoxamin, Escitalopram und Paroxetin geringfügig wirksamer als Fluoxetin, Citalopram, Trazodon und Reboxetin. 

 

Die relevanten Tabellen der Studie können im englischen Originaltext in der Fachzeitschrift The Lancet nachgelesen werden (manche der angeführten Antidepressiva sind im deutschen Sprachraum nicht auf dem Markt).

 

Amitriptrylin, Mirtazapin, Duloxetin, Venlafaxin, Paroxetin und Milnacipran erwiesen sich in der Behandlng von Depressionen als die wirksamsten Präparate.

 

Reboxetin (Edronax) - ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) - war am wenigsten wirksam, was verschiedene Kritiker bestätigt, die dem Präparat bereits früher keine bessere Wirksamkeit als Placebo zugestanden hatten. Mittlerweile ist bekannt, dass zahlreiche Sudien, die eine Unwirksamkeit aufgezeigt hatten, von der Herstellerfirma verschwiegen worden waren. Das Mittel wird daher von den deutschen gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr bezahlt.

 

Fluoxetin (Fluctin in D, Fluctine in Ö) - das erste SSRI-Präparat, das 1988 in den USA unter dem Namen Prozac auf den Markt gekommen ist - ist kein Mittel, das bei Angststörungen als Mittel der ersten Wahl verschrieben werden sollte. 

 

Agomelatin (Valdoxan) ist ein neueres Antidepressivum, das den Botenstoff Melatonin erhöht, wobei die Wirkung unklar ist, denn reines Melatonin wirkt nicht antidepressiv. Es handelt sich dabei grundsätzlich um kein Mittel zur Behandlung von Angststörungen, sondern von Depressionen, doch selbst in diesem Bereich wurden die anfänglich hohen Erwartungen als Alternative zu SSRI und SNRI enttäuscht. Es wird am ehesten bei leichten bis mittleren Depressionen mit ausgeprägten Schlafstörungen eingesetzt und kann auch mit SSRI kombiniert werden.

 

Vortioxetin (Brintellix), ein SSRI-Präparat mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, das erst 2013 auf den Markt gekommen war, wurde bereits 2016 von der Herstellerfirma Lundbeck wegen fehlendem Zusatznutzen laut deutschen Gesundheitsbehörden wieder vom Markt genommen, weil deswegen nur ein niedrigerer Preis zugestanden worden war. Es befindet sich jedoch in Österreich und anderen Ländern weiterhin auf dem Markt.  

 

Nefazodon (Nefadar) - ein dualserotonerges Antidepressivum (DSA)  - wurde 2003 wegen tödlichem Leberversagen in einigen Fällen wieder vom Markt genommen.

 

Bupropion (Elontril in D und Wellbutrin in Ö) - ein Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) - zählt ebenfalls zum unteren Drittel der wirksamen Antidepressiva und wird bei Angststörungen nicht eingesetzt.

 

Fluvoxamin (Fevarin in D und Floxyfral in Ö) gilt laut Meta-Studie als relativ gut wirksam, wird aber in der Praxis wegen häufiger Übelkeit nicht oft verschrieben.

 

Sertralin (Zoloft in D und Tresleen und Gladem in Ö), das neben den Substanzen Escitalopram und Citalopram bei Angststörungen sehr oft verschrieben wird, liegt interessanterweise nur im Mittelfeld bei der Reihung nach der Wirksamkeit der Antidepressiva bei depressiven Personen. 

 

Trazodon (Thombran in D und Trittico in Ö) gilt auch unter Fachleuten als weniger stark antidepressiv wirkend als andere Mittel und wird wegen der dämpfenden Wirkung vor allem zur Beruhigung und zur Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen eingesetzt.

 

Mirtazapin (Remergil in D und Remeron in Ö) - ein NaaSSA - wird bei teilweise ähnlichen Indikationen wie Trazodon eingesetzt, hat jedoch eine stärker antidepressive und auch stärker angstlösende Wirkung.

 

Die geringste Abbruchrate  hatten Agomelatin und Fluoxetin. Lediglich bei diesen beiden Sustanzen war die Abbruchrate signifikant geringer als unter einem Placebo, insgesamt waren es jedoch nur gerigfügig weniger Personen als unter einem Placebo. Personen, die eines der 19 anderen Präparate erhalten hatten, brachen die Behandlung genauso häufig ab wie Personen unter einer Placebobehandlung.

 

Fazit: Viele Patienten haben mithilfe des eingenommenen Antidepressivums keine Besserung verspürt, vielleicht sogar unerträgliche Nebenwirkungen - ein enttäuschendes Ergebnis! Die stärkste Abbruchrate wegen der größeren Nebenwirkungen hatte Clomipramin (Anafranil), auch auch unter Trazodon, Fluvoxamin und Reboxetin erfolgten oft Behandlungsabbrüche.  

 

Der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Paroxetin (Seroxat) und die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Venlafaxin (Trevilor in D und Efectin in Ö) und Duloxetin (Cymbalta) - das teuerste Antidepressivum! - werden von vielen Menschen mit Angststörungen wegen vermehrter Nebenwirkungen (vor allem anhaltende innere Unruhe) nicht so gut vertragen wie von vielen depressiven Personen.

 

Die erwähnte Studie stellt einen Beleg dafür dar, dass bei Angststörungen als Mittel der ersten Wahl zukünftig die Substanz Escitalopram (Cipralex) bei relativ guter Wirksamkeit mit vergleichsweise geringerer Nebenwirkungsrate noch häufiger verschrieben werden wird, als dies bereits derzeit der Fall ist.

 

Die Studienautoren fanden insgesamt nur eine Effektstärke von 0,3 - was als relativ gering gilt, d.h. Antidepressiva sind zwar wirksam, aber nur geringfügig besser als Placebo.

 

Die Autoren empfehlen bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Wirkung und Nebenwirkungen die Substanzen Escitalopram und Sertralin.

 

Bei Escitalopram ist seit vielen Jahren ebenfalls der Patentschutz ausgelaufen, sodass zunehmend das Genericon Escitalopram anstelle des Markenpräparats Cipralex verordnet wird. Escitalopram ist das Nachfolgepräparat von Citalopram (Cipramil in D und Seropram in Ö).

 

Bei Psychopharmaka erlischt der Patentschutz nach 10 Jahren, weshalb alle SSRI außer Vortioxetin, das in Deutschland aufgrund der Entscheidung der Herstellerfirma nicht mehr erhältlich ist, bereits mit zahlreichen Generika auf dem Markt sind. Viele Betroffene wissen ohne genaue Kenntnis dieser Umstände oft gar nicht, welche Substanz sie eigentlich einnnehmen. 

 

 

Neubewertung der Meta-Studie von Cipriani u.a. durch die berühmte Cochrane Collaboration

 

Wissenschaftler der Cochrane Collaboration in Kopenhagen haben in einer Überprüfung der Meta-Studie von Cipriani u.a. belegt, dass viele Wirksamkeitsstudien erhebliche Mängel aufwiesen, was in der ursprünglichen Arbeit nicht ausreichend berücksichtigt worden sei.

Bei einer kritischeren Betrachtung aller 552 Studien ergebe sich laut  den Studienautoren (Dr. Munkhom u.a.) kein Nachweis, dass Antidepressiva wirksamer seien als Placebos. Die durchschnittliche Effektstärke beträgt laut der Meta-Studie von Cipriani und Kollegen nur 0,3 – was nur einen schwacher Effekt darstellt.

Nach den Aussagen von Cipriani seien alle 21 Präparate bei Erwachsenen mit schwerer depressiver Störung wirksamer als Placebo, sodass der Nutzen die aufgetretenen Nebenwirkungen aufwiege - was in der psychiatrischen Fachwelt vorschnell zu einer Euphorie geführt habe.

Laut Neuüberprüfung aller Daten durch die Cochrane Collaboration sei das Kriterium der Doppelverblindung (weder Arzt noch Patient wissen, ob ein Antidepressivum oder ein Placebo verabreicht wird) nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Die Cipriani-Studie habe Studien mit fehlender oder nur geringer Wirksamkeit der eingesetzten Antidepressiva weiters nicht ausreichend berücksichtigt, vor allem auch nicht den Umstand, das StudienteilnehmerInnen von den auftretenden Nebenwirkungen schließen konnten, dass sie ein Antidepressivum und kein Placebo erhalten haben.

Zentrale Aussagen der Studienautoren:

"Der Review ist keine Grundlage für eine endgültige Schlussfolgerung zur Wirksamkeit von Antidepressiva, auch nicht, ob sie wirksamer sind als ein Placebo."

"Es gibt schlichtweg keinen Beweis dafür, dass Depressionen durch ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern verursacht wird."

"Es gibt weltweit keinen einzigen Test, der objektiv messen kann, ob Patienten mit Depressionen tatsächlich irgendeine Störung der Neurotransmitter haben."

"Es herrscht der weitverbreitete Glaube, dass Antidepressiva gegen Depressionen helfen. Denn das wurde uns seit Jahrzehnten eingebläut."

"Um wirklich zuverlässige Aussagen zum Nutzen und Schaden von Antidepressiva zu bekommen, brauchen wir große, unabhängige, langfristige und besser verblindete Studien mit Teilnehmern, die nicht zuvor schon einmal Antidepressiva erhalten haben, und mit Outcomes, die für Patienten wirklich relevant sind." 

 

 

Völlig neue Situation auf dem Psychopharmamarkt in der Gegenwart

 

Mittlerweile ergibt sich auf dem Psychopharmakamarkt eine völlig neue Situation gegenüber früheren Zeiten:

Der Vorstandschef einer großen Pharmafirma spricht die Gründe dafür offen aus:

"Es ist überaus schwierig, zu beweisen, dass ein Depressionsmedikament wirkt, da die Besserungen der Patienten mit subjektiven Einschätzungsfragebögen gemessen werden und nicht mit eindeutigen Bluttests oder anderen biologischen Messwerten, wie bei anderen Krankheiten."

Das ist ein Eingeständnis des Umstands, dass aus der Höhe des Serotonin- und Noradrenalinspiegels im Gehirn nichts ausgesagt werden kann über das Ausmaß einer Depression und deren Besserung durch Antidepressiva. Noch dazu kann man den Serotoninspiegel im Hirn gar nicht messen, sondern nur den im Blut, der nichts aussagt über die Menge im Gehirn.

Sonst hätten sich gerade Pharmafirmen schon längst für objektivere Beurteilungskriterien entschlossen als für die subjektive Beurteilung der Wirksamkeit von Antidepressiva anhand einer Fremdbeurteilungsskala durch Psychiater - üblicherweise die Hamilton-Depressions-Skala mit 17 Fragen mit Punktwerten von 0 bis 4; insgesamt mögliche Punkte: 0-52; leichte Depression: 9-16 Punkte, mittelschwere Depression: 17-24 Punkte, schwere Depression: ab 25 Punkten. 

Hamilton-Depressionsskala:

 

Symptom

Mögliche Punkte

1.

Depressive Stimmung

0-4

2.

Schuldgefühle

0-4

3.

Lebensüberdruss und Suizidgedanken

0-4

4.

Einschlafstörungen

0-2

5.

Durchschlafstörungen

0-2

6.

Früherwachen am Morgen

0-2

7.

Antrieb/Arbeitsfähigkeit

0-4

8.

Konzentrationsschwierigkeiten und Verlangsamung des Denkens

0-4

9.

Unruhe und Erregung

0-4

10.

Innerliche Angst

0-4

11.

Körperliche Angstzeichen

0-4

12.

Appetitlosigkeit

0-2

13.

Schwere- und Schwächegefühl des Körpers

0-2

14.

Sexuelle Störungen

0-2

15.

Krankheitssorgen

0-4

16.

Gewichtsverlust

0-2

17.

Krankheitseinsicht (Nicht-Erkennen, dass die Beschwerden auf eine Depression zurückgehen)

0-2

 

Summe der Punkte

 

Ein häufiger Kritikpunkt am weltweiten Einsatz dieser Skala, die traurigerweise nicht einmal durch eine bessere ersetzbar ist: Bei einer großen Zahl an Studienteilnehmern besteht aus statistischen Gründen bereits ab 2 Punkten in der Hamilton-Depressionsskala ein signifikanter Unterschied zwischen Antidepressiva- und Placebo-Gruppe, woraus von den Studienautoren und den die Studien finanzierenden Pharmafirmen gefolgert wird, dass das verabreichte Medikament einem Placebo überlegen sei. Tatsächlich besteht jedoch erst bei etwa 8 Punkten Unterschied in der Skala ein echter, klinisch relevanter Unterschied, der sich tatsächlich in einer deutlichen Aufhellung der Depression aus der Sicht der Betroffenen und deren Angehörigen zeigt.

Prof. Florian Holsboer, ehemaliger Direktor des Max-Plack-Instituts in München, bezweifelte bereits in den 1980er-Jahren die Neurotransmitter-Mangelhypothese bei Depressionen. Er sah Depressionen in einem erhöhten Cortisolspiegel begründet, der durch einen mangels unzureichendem Feedback-Mechanismus überaktiven Hypothalamus ausgelöst werde, was die Fachwelt und auch mich selbst als medizinischen Laien vor Jahren sehr beeindruckt hatte - und auch heute noch recht plausibel wirkt.

Mittlerweile musste Holsboer jedoch zugeben, dass nicht alle Depressiven einen erhöhten Cortisolspiegel aufweisen. Darüber hinaus musste er akzeptieren, dass eine Pharmafirma, mit der er zusammenarbeitete, wegen Aussichtslosigkeit nicht bereit war, ein bestimmtes Medikament zur Behandlung einer derart verursachten Depression weiterzuentwickeln.

Auch Holsboer stellte, ähnlich wie die Pharmafirmen, fest:

"Diagnosen in der Psychiatrie sind beliebig, weil sie keine objektiven Laborergebnisse enthalten. Man hat kein Röntgenbild, keine Blutwerte, es sind auf verbaler Kommunikation basierende Einschätzungen. Diagnosekriterien ändern sich alle zehn Jahre."

Noch vor der neuesten Antidepressiva-Vergleichsstudie aus dem Jahr 2018 stellte Holsboer bereits 10 Jahre früher im Jahr 2008 fest:

"Trotz jahrzehntelanger Bemühungen ist es weder der akademischen noch der industriellen Forschung gelungen, Medikamente zu entwickeln, die sich von den in den 1950er Jahren entwickelten trizyklischen Antidepressiv (TZA) vom Imipramin-Typ grundsätzlich unterscheiden... Das klinische Profil der neuen Substanzen hat sich nicht entscheidend geändert. Wie bei den Substanzen der ersten Generation der Antidepressiva ist deren Wirklatenz zu lange und die Remissionsrate, d.h. der Anteil der Erkrankten, die unter Therapie nahezu frei von depressiven Symptomen werden, zu gering."

Bei damals sogenannten "endogen Depressiven" fand man bereits im Jahr 1996 in München keine signifikante Erniedrigung des Serotoninspiegels im Liquor (Gehirnflüssigkeit). Die Serotoninkonzentration im Gehirn kann man bereits seit vier Jahrzehnten im Liquor messen.

Mithilfe von Lumbalpunktion wurde auch anderenorts die Zusammensetzung des Liquors bei Gesunden und Depressiven verglichen - ohne bedeutsame Unterschiede, auch nicht durch die Verabreichung von Antidepressiva.

Antidepressiva können den Serotoninspiegel erhöhen, vermindern oder konstant halten - wiederum ohne Auswirkungen auf das Ausmaß der Depression. Verschiedene Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen dem Serotoninspiegel im Gehirn und der klinischen Besserung einer Depression.

Später kam man auf die Idee, bei stark depressiven Personen bestehe ein Mangel an Noradrenalin im Gehirn, was das Wesen der Noradrenalin-Hypothese der Depression ausmacht. Doch auch diese ließ sich nicht bestätigen.

Das ist das Grundproblem bei der Überprüfung der Wirksamkeit von Antidepressiva: Antidepressiva wirken bei Depressionen und Angststörungen nicht wie bestimmte Medikamente bei körperlichen Erkrankungen.

Bei der Gabe von Insulin an Patienten mit Diabetes mellitus Typ I sinkt bei allen Betroffenen sofort dosisabhängig in gleichem Ausmaß der Blutzuckerspiegel, ohne dass ein Placeboeffekt vorhanden ist.

Genau diese Wirkungsweise ist bei Antidepressiva nicht gegeben: Den einen hilft ein bestimmtes Antidepressivum, den anderen dagegen überhaupt nicht. Bei den einen wirkt eine so geringe Dosis, dass dies rein pharmakologisch kaum erklärbar ist; die anderen brauchen zur erlebten Wirksamkeit eine Dosis, die für körperlich sehr sensibel reagierende Personen wegen der starken Nebenwirkungen völlig unaushaltbar ist.

Das Fehlen biologischer Tests ist ein unumstrittenes Faktum unter Experten: Alle Versuche, mithilfe von Laborwerten oder bildgebender Diagnostik (Untersuchungen des Gehirns mit den besten Methoden) das Bestehen oder Verschwinden einer Depression nachzuweisen, sind gescheitert!

Man kann für psychiatrische Diagnosen wie Angststörungen und Depressionen weder eine bestimmte Medikamentendosis als für alle Betroffenen wirksam festlegen noch klar angeben, welches Antidepressivum bei welcher Art der Störung besser oder schlechter ist.

In den deutschen Leitlinien Unipolare Depressionen heißt es zusammenfassend zu Antidepressiva-Vergleichsstudien:

"Zum Vergleich neuerer Antidepressiva miteinander liegen zwei sehr große, systematische Metaanalysen vor. Cipriani et al. ... kommen zu dem Ergebnis, dass Mirtazapin, Escitalopram, Venlafaxin und Sertralin besonders wirksam sind, Mirtazapin und Venlafaxin aber Nachteile bei der Verträglichkeit haben, so dass die Autoren eine vorsichtige Empfehlung für Escitalopram und Sertralin aussprechen, sofern nicht patientenbezogene Gründe für andere Substanzen sprechen. Gartlehner et al. ... hingegen kommen zu dem Ergebnis, das keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen den untersuchten neueren Antidepressiva bestehen und daher kein spezifisches Antidepressivum empfohlen werden kann. Aufgrund dieser Uneinheitlichkeit der Datenlage und Interpretation verzichtet auch diese Leitlinie auf die generelle Empfehlung eines oder weniger spezifischer Antidepressiva, stellt aber im Folgenden weitere wichtige Erkenntnisse aus systematischen Vergleichsuntersuchungen dar. In einer weiteren Metaanalyse wird die Wirksamkeit der SSRI mit anderen Antidepressiva (vornehmlich trizyklische Antidepressiva) im ambulanten Bereich verglichen. Eingeschlossen waren 98 randomisiertkontrollierte Studien mit insgesamt 9 554 Patienten (5 044 unter SSRI und 4 510 unter anderen Antidepressiva). Dabei zeigte sich kein klinisch signifikanter Unterschied hinsichtlich der Wirksamkeit. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der systematischen Analysen der NICE-Leitlinie... In einer anderen großen Metaanalyse wurden 102 Studien mit insgesamt 10 706 Patienten eingeschlossen, in denen die antidepressive Wirksamkeit von SSRI und TZA verglichen wurde. Auch hier ergab sich für die Gesamtgruppe kein Wirksamkeitsunterschied, jedoch zeigte sich, dass TZA bei der Subgruppe der stationär behandelten depressiven Patienten signifikant wirksamer waren..."

 

Die Krise der Psychopharmakotherapie

Darin zeigt sich die Krise der Psychopharmakotherapie: In den letzten 20 Jahren wurden zur Behandlung von Angststörungen und Depressionen letztlich keine besseren Antidepressiva entwickelt als die seit den 1960er-Jahren vorhandenen, älteren trizyklischen Präparate, die allerdings mehr Nebenwirkungen aufweisen, sodass derzeit vorwiegend die neueren Mittel vom Typ der SSRI wegen deren verminderter Nebenwirkungen verschrieben werden.

Bei laut Studien nur gleicher Wirksamkeit wie ältere Antidepressiva erhalten neue Antidepressiva aufgrund kostensparender Maßnahmen der Gesundheitsbehörden in Deutschland nicht die Zulassung als Markenpräparat zu einem höheren Preis, sondern nur zum Preis von Generika, sodass die Herstellerfirmen das neue Mittel in Deutschland oft gar nicht auf den Markt bringen, weil dies negative Auswirkungen auf den Preis in anderen Ländern der EU hätte.

Dieser Umstand kann dazu führen, und zwar in allen Bereichen der Medizin, dass neuere Medikamente von deutschen Pharmafirmen in Deutschland gar nicht erhältlich sind, wohl aber in Österreich und anderswo.

Einer der ersten und schärfsten Kritiker der modernen Antidepressiva in Form von Büchern und Artikeln ist der irische Psychiater David Healy. Er bezeichnete die Serotonin-Hyothese der Depression als blanke Marketingerfindung der pharmazeutischen Industrie. Er deckte deren schlimme Methoden auf und entfachte auch eine breite Diskussion über die geringen Wirkungen und schädlichen Auswirkungen der SSRI.

 

Die Krise der Psychopharmakotherapie zeigt sich vor allem auch in dem Umstand, dass Menschen mit Angststörungen und Depressionen, die mit Tranquilizern und Antidepressiva nicht ausreichend behandelbar sind, zunehmend Präparate aus vier anderen Medikamentengruppen erhalten, die primär für Menschen mit anderen Krankheiten entwickelt wurden:

Entsprechende medikamentöse Verordnungen dieser vier Gruppen von Medikamenten erfolgen mit der Begründung, dass diese aufgrund der klinischen Erfahrung oder gar untermauert durch Forschungsbefunde auch Menschen mit depressiven und Angststörungen helfen können. Sollten diese Mittel tatsächlich wirksam sein, wird einmal mehr deutlich, dass Angststörungen und Antidepressiva nicht durch einen Mangel an Serotonin und Noradrenalin erklärbar sind. 

Als Psychotherapeut mit Ausbildung in Verhaltenstherapie und Systemischer Familientherapie sehe ich in der Krise der Psychopharmakotherapie eine große Chance, Menschen mit psychischen Problemen, vor allem mit Angststörungen und Depressionen, helfen zu können, denen die traditionell eingesetzten Psychopharmaka nicht bzw. nicht ausreichend helfen können - oder die diese oft gar nicht brauchen! Immerhin erleben mehr als 17 % aller Menschen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal eine depressive Episode.

Prof. Gartlehner von der Donau-Universität Krems veröffentlichte im Jahr 2015 gemeinsam mit amerikanischen Kollegen eine Metastudie, die 45 Studien analysierte. Demnach ist bei schweren Depressionen eine Kognitive Verhaltenstherape genauso wirksam wie Antidepressiva.

 

Der forcierte Schwimmtest bei Mäusen - Wie die meisten Antidepressiva bei Untersuchungen an Mäusen entwickelt wurden

Eine Maus beginnt mit Schwimmbewegungen, um ihrer misslichen Lage zu entkommen, wenn sie in ein mit Wasser vehalbgefülltes Glasbecken gebracht wird, und gibt ihre Bemühungen nach einiger Zeit auf und lässt sich im Wasser treiben, wenn sie die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen erkannt hat. Sie reagiert resignativ - eben "depressiv". Der Wechsel vom aktiven Schwimmen zum Sich-Treiben-Lassen stellt den Übergang zur "Depressivität" dar.

Verabreicht man der Maus nun ein Antidepressivum, bleibt sie länger aktiv, d.h. schwimmt sie länger um ihr Leben. Ein Antidepressivum wird demnach umso wirksamer eingeschätzt und daher weiter erforscht, je länger die Maus aktive Schwimmbewegungen ausübt. Doch reicht dieses Tiermodell zur Erklärung einer menschlichen Depression aus?

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Florian Holsboer, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München, erklärte dazu: "Mit der Depression als Krankheitsmodell hat dies nichts zu tun." Und weiter schreibt er dazu: "Die wichtigste Lehre hieraus ist: Tiermodelle dürfen nicht überstrapaziert werden. Das Signal für die Forschung muss aus der Klinik kommen, und die Hypothesen aus der Forschung sollen auf schnellstem Wege am Menschen geprüft werden. Hierzu müssen auf hochspezialisierten klinischen Forschungsstationen Ärzte verschiedener Disziplinen zusammenarbeiten."

 

Wenn schon, dann Antidepressiva richtig einnehmen!

Antidepressiva sind bei der Behandlung von Angststörungen die bedeutsamste medikamentöse Alternative zu Benzodiazepinen.

Sie haben einen Angst und Anspannung lösenden Effekt und machen nach herkömmlicher Auffassung nicht abhängig - was allerdings aufgrund neuerer Erkenntnisse zunehmend bestritten wird.

Antidepressiva können in geringeren oder höheren Dosen 3-12 Monate oder länger als Dauermedikation verwendet werden. Sie sind nicht sporadisch oder punktuell, sondern kontinuierlich einzunehmen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten.  

Antidepressiva wirken erst nach einigen Wochen regelmäßiger Einnahme angstlösend, stimmungsaufhellend bzw. dämpfend. Im stationären Bereich können Infusionen den Wirkungseintritt mitunter beschleunigen.

Während der ersten Wochen treten bei mindestens 25-30% der Patienten Nebenwirkungen auf, die insbesondere Panikpatienten an ihre gefürchteten Symptome erinnern, weshalb die Medikamente nicht selten abgesetzt werden: Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen, Zittern, Herzrasen, Angstgefühle, Unruhe, Nervosität u.a.

Nebenwirkungen treten bei empfindlichen Personen, zu denen viele Panikpatienten gehören, insbesondere auch dann auf, wenn die angestrebte Wirkdosis nicht langsam steigend eingenommen wird.

Eine „einschleichende Medikation“ mit anfangs einer halben Tablette ist unbedingt zu empfehlen, z.B. alle 3-4 Tage Steigerung in Schritten von 5, 10 bzw. 25 mg (je nach SSRI-Medikament). Im weiteren Behandlungsverlauf können medikamentenspezifische Nebenwirkungen auftreten.

Die Nebenwirkungen sind am stärksten bei den trizyklischen Antidepressiva (TZA) und am geringsten bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI).

Zur Verminderung der möglichen Nebenwirkungen (z.B. übermäßige Sedierung) sollten trizyklische Antidepressiva wie Saroten zur Angstbehandlung am besten täglich nur einmal, und zwar abends, eingenommen werden, da sie wegen der relativ langen Halbwertszeit auch am nächsten Tag noch voll wirksam sind.

SSRI, die zwar angstlösend, aber nicht dämpfend wirken, sollten dagegen zur Vermeidung einer gewissen Unruhe und vor allem auch von Einschlafstörungen unbedingt morgens und keinesfalls abends eingenommen werden.

Das spätere Absetzen der Antidepressiva muss langsam-stufenweise erfolgen („ausschleichend“ über mehrere Wochen), um panikähnliche Nebenwirkungen zu vermeiden. Es gibt immer mehr Berichte, dass zahlreiche Betroffene monatelang zum Absetzen benötigen oder dies gar nicht schaffen.

 

Machen Antidepressiva bei Langzeiteinnahme abhängig?

Antidepressiva machen zumindest nach früheren Sichweisen nicht abhängig, daher treten nach traditioneller Auffassung, die zunehmend umstritten ist, keine länger anhaltenden Entzugserscheinungen, sondern angeblich nur Absetzeffekte auf.

Bei plötzlichem Absetzen (z.B. wegen vermeintlicher Unwirksamkeit oder wegen des Beginns einer Psychotherapie) ist mit folgenden sehr unangenehmen Absetzerscheinungen zu rechnen: innere Unruhe und Anspannung, Reizbarkeit, Missgestimmtheit, Angstzustände, vegetative Symptome (z.B. Übelkeit, Magen-Darm-Störungen, Schwindel, Bewegungsstörungen, Schlafstörung).

Paradoxerweise erhöht die mehrjährige Einnahme von Antidepressiva die Rückfallsgefahr, statt diese zu vermindern, wie immer behauptet wird - ein Faktum, auf das Prof. Dr. Winfried Rief in der Angst-Zeitschrift daz hingewiesen hat:

"Auch wenn es nur wenige Studien sind, so sind die Ergebnisse doch extrem beeindruckend: Gerade nach mehrmonatiger oder mehrjähriger Therapie mit Antidepressiva steigt die Rückfallsgefahr beim Absetzen auf z.T. über 80%. Bei Menschen, die eine indizierte psychotherapeutische Behandlung mitgemacht haben, findet sich nach deren Beendigung in der Regel ein geringeres oder gar kein Rückfallrisiko."

Rief weist als Folge der frustrierenden Befunde bezüglich der Wirksamkeit von Antidepressiva auf ein geändertes Verhalten der Pharmaindustrie hin:

"Die Pharma-Industrie hat sich aus der Entwicklung von Psychopharmaka fast vollständig zurückgezogen; (nur) sie kennen aber die wahren Daten der publizierten UND der unpublizierten Studien. Trotzdem: Die Zahl der Verordnungen in der Praxis steigt und steigt ..."

Und weiter schreibt Rief:

"Im Tierversuch gibt es eine Reihe von Studien, die zeigen, dass z.B. Affen oder auch Nager, die vor oder während der Pubertät Psychopharmaka bekommen, als ausgewachsene Tiere nicht weniger, sondern mehr Angst aufweisen, leichter erschreckbar sind, weniger mutig neue Bereiche explorieren, sondern sich stark zurückziehen. In anderen Worten: Die Psychopharmaka haben zwar kurzfristig geholfen, Ängste und depressive Symptome zu unterdrücken, langfristig sind die Tiere jedoch Angst-sensibler geworden."

Ähnliches ist auch bekannt von der Langzeiteinnahme opiathältiger Schmerzmittel: Sie machen langfristig schmerzsensibler!

Es ist also eine Tatsache, die erst seit einigen Jahren bekannt ist: Menschen, die jahrelang durchgehend Antidepressiva eingenommen haben, können diese oft viel schwerer absetzen als jene Personen, die nur eine kürzere Einnahme erlebt haben, und leiden oft auch unter zahlreichen anderen Langzeitfolgen.

Verschiedene Psychiater schlagen bereits vor, dass man beim nicht erfolgreichen Absetzen von Antidepressiva nicht von einem Absetzsyndrom, sondern von einem Entzugssyndrom sprechen sollte. Psychiater wie Prof. Voderholzer geben mittlerweile zu, dass Antidepressiva abhängig machen können.  

Diese Frage muss berechtigt sein: Zeigen sich aufgrund der langen, oft jahrzehntelangen Einnahme der gängigen Antidepressiva bei bestimmten Personen erst jetzt zunehmend jene Langzeitfolgen, die früher auch bei der Langzeiteinnahme von Tranquilizern festgestellt wurden, deren Abhängigkeitspotenzial früher ebenfalls verharmlost wurde und die seinerzeit als durchaus probate Mittel bei Angststörungen und auch Depressionen verschrieben worden waren?

Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, der ehemalige langjährige Vorsitzende der Arneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und frühere Leiter der Forschungsgruppe Klinische Psychopharmakologie an der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität Berlin, schreibt im Vorwort zum Buch "Unglück auf Rezept. Die Anti-Depressiva-Lüge und ihre Folgen", die pharmazeutische Industrie habe den Psychiatern und den Patienten eingeredet, "die Depression sei eine Serotoninmangelkrankeit" und stellt bezüglich der Wirksamkeit und der Auswirkungen von Antidepressiva Folgendes fest:

"Auch die quälenden Symptome beim Absetzen eines längere Zeit eingenommenen Antidepressivums scheinen viele Kollegen nicht geläufig zu sein ... Es werden zu viele Antidepressiva verordnet, und die Verordnung geschieht vermutlich oft nicht nach einer adäquaten Aufklärung des Patienten... Antidepressiva sind keine besonders wirksamen Medikamente, in vielen Fällen sind sie gar nicht indiziert. Da wo sie vielleicht helfen könnten, sollten sie dann aber auch mit der notwendigen Kritik und fachlichen Kompetenz angewandt werden. Antidepressiva sind keine Lollipos."

Der sehr kritische und streitbare dänische Forscher Prof. Dr. Peter Gøtzsche fand bei einer Auswertung der Daten der Sozialversicherungsbehörden in Finnland heraus, dass fünf Jahre später noch immer mehr als die Hälfte derer, die ein SSRI-Antidepressivum eingenommen hatten, von diesem Mittel nicht losgekommen war - aufgrund von Abhängigkeit durch Langzeitgebrauch.

Das britische Arneimittelbewertungsinstitut NICE rät mittlerweile dringend davon ab, bei leichten und mittelschweren Depressionen Antidepressiva zu verordnen.

In Deutschland wird in einer Leitlinie für Ärzte empfohlen, bei einer leichten depressiven Episode kein Antidepressivum zu verschreiben.

Symptome des Absetzsyndroms bei den modernen Antidepressiva

Die negativen Absetzeffekte bei Antidepressiva vom Typ der SSRI gelten mittlerweile bereits als Diagnose nach dem ICD-10 und dem amerikanischen DSM-5.

Folgende Symptome sind typisch: Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, stromschlagartige Empfindungen im Körper bzw. Gehirn, grippeartige Schmerzen, Fieber, Schweißausbrüche, Schüttelfrost, Gleichgewichtsstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Ratlosigkeit und Hyperaktivität, erhöhte Reizbarkeit, Verwirrung, Aggressivität und erhöhte Gewaltneigung (im Extremfall), Panikattacken, dauerhafte Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen, selbstverletzendes Verhalten, Selbstmordgedanken, Selbstmordversuche.

Gerade die Thematik von versuchten oder gar gelungenen Selbsttötungen wird von Pharmafirmen immer wieder zu vertuschen versucht. In den USA und in England wurden im Laufe der Jahre Pharmafirmen bereits zu hohen Geldstrafen verurteilt, was bei uns kaum bekannt ist.

 

Antidepressiva und andere Substanzen bei Angststörungen

Die Zulassung bestimmter Antidepressiva zur Behandlung bestimmter psychischer Störungen hängt von zwei Faktoren ab: Nachweis von deren Wirksamkeit sowie entsprechender Antrag vonseiten der Herstellerfirma.

Große Pharmafirmen haben mehr Geld und bessere Möglichkeiten zur Entwicklung und Wirksamkeitsüberprüfung von Psychopharmaka.

Generalisierte Angststörung (GAS)

Zur Behandlung einer Generalisierten Angststörung sind in Deutschland die Antidepressiva Paroxetin (Seroxat), Escitalopram (Cipralex), Venlafaxin (Trevilor, Efectin) und Duloxetin (Cymbalta) sowie Pregabalin (Lyrica), Opipramol (Insidon) und Buspiron (Buspar) zugelassen, wenngleich auch andere Mittel verschrieben werden, wie etwa Sertralin oder Citalopram.

Pregabalin ist ein Antiepileptikum, das auch zur Behandlung von chronischen Schmerzstörungen zugelassen ist.

Opipramol ist ebenfalls kein Antidepressivum, sondern bindet im Gehirn an sogenannten Sigma-1-Rezeptoren, der vollständige Wirkmechanismus ist jedoch nicht geklärt; es ist auch zur Behandlung von Somatoformen Störngen zugelassen.

Buspiron wirkt vermutlich als partieller Agonist an 5-HT1A-Rezeptoren und als Antagonist an D2-Rezeptoren, wurde bereits 1986 erstmals zur Behandlung einer GAS zugelassen und wird aufgrund von neueren Alternativen immer seltener eingesetzt.

Hydroxyzin (Atarax) als Antihistiminikum der ersten Generation wird ohne spezielle GAS-Indikation, jedoch empfohlen bei allgemeinen Zuständen von Angst, innerer Unruhe und Schlafstörungen oft auch bei GAS als Alternative zu Tanquilizern verschrieben.

Panikstörung

Zur Behandlung einer Panikstörung sind in Deutschland die Substanzen Citalopram, Escitalopram, Paroxetin, Sertralin, Venlafaxin und Clomipramin zugelassen.

Zur Akutbehandlung von Panikattacken werden vor allem die rasch (innerhalb einer halben Stunde) wirksamen Tranquilizer Alprazolam (Tafil in D, Xanor in Ö), Lorazepam (Tavor in D, Temesta in Ö) und Diazepam (Valium) in rasch wirksamer Tropfenform verschrieben, die bei mehrmonatiger regelmäßiger Einnahme gerade wegen der raschen Wirksamkeit schnell abhängig machen. Angst- und Panikstörungen werden durch Tranquilizer nicht geheilt, es werden lediglich die typischen Symptome vorübergehend unterdrückt.

Tranquilizer werden wegen der Gefahr der Abhängigkeit und anderer möglicher Folgen bei Langzeiteinnahme (Demenzerscheinungen) zugunsten von Antidepressiva und niedrig dosierten Neuroleptika im Vergleich zu früher zunehmend seltener verschrieben. 2007 war Lorazepam das zweitmeistverordnete Psychopharmakon in Deuschland.

Soziale Angstgstörung

Zur Behandlung einer Sozialen Angststörung sind in Deutschland die Antidepressiva Escitalopram, Paroxetin, Sertralin, Venlafaxin und Moclobemid zugelassen.

 

Buch "Antidepressiva. Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte" von Psychiatrie-Professor Dr. Tom Bschor - unbedingt kaufen und lesen!!

Im Folgenden werden in eigenen Worten zentrale Aussagen des ausgezeichneten, für Betroffene geschriebenen Buches von Prof. Bschor aus Berlin (unter zusätzlicher Berücksichtigung von Artikeln gemeinsam mit Mitarbeitern) zusammenfassend dargestellt, der auch maßgeblicher Mitautor der therapeutischen Leitlinien bei Depressionen ist:

 

Buch "Antidepressiva absetzen. Anleitung zum personalisierten Begleiten von Absetzproblemen" von Psychiatrie-Professor Giovanna A. Fava - sehr empfehlenswert!

Der renommierte italienische Psychiatrie-Professor Giovanni Andrea Fava veröffentlichte 2021 das weltweit erste Buch über Abhängigkeitssymptome von Antidepressiva, das 2023 auf Deutsch erschienen ist und auch für Nicht-Fachleute relativ gut verständlich ist.

2022 veröffentlichte der renommierte deutsche Psychiatrie-Professor Gerhard Gründer ein ähnliches, primär an Fachleute gerichtetes, sehr fundiertes und detailliertes Buch: "Psychopharmaka absetzen? Warum, wann und wie?" Diese Erkenntnisse sind den meisten in der klinischen Praxis tätigen Psychiater*innen noch immer völlig unbekannt - oder sie werden, wie in der Vergangenheit üblich, entweder überhaupt geleugnet oder als vorübergehende "Absetzsymptome" verharmlost.

Fava entwickelte spezielle diagnostische Kriterien für ein Entzugssyndrom sowie für eine anhaltende Entzugsstörung nach dem Absetzen eines Antidepressiums.

Diagnostische Kriterien für das Entzugssyndrom bei antidepressiven Medikamenten (SSRI und SNRI) (S. 26):

Bei der Reduzierung der Dosis, dem Absetzen oder dem Wechsel eines Antidepressiums tritt ein Entzugssyndrom mit folgenden Kriterien auf:

  1. Es treten mindestens zwei neue Entzugssymptome auf, d.h. Symptome, die vor Beginn oder während der Behandlung nicht aufgetreten sind.

  2. Die Symptome treten innerhalb von 1-10 Tagen nach der Reduzierung, dem Absetzen oder der Umstellung eines Antidepressums auf (je nach der Wirkdauer des jeweiligen Medikaments) und dauern bis zu sechs Wochen an (je nach der Eliminationshalbwertszeit des Medikaments).

  3. Die Symptome bewirken einen klinisch signifikanten Leidensdruck.

  4. Die Symptome sind nicht durch einen allgemeinen medizinischen Zustand bedingt und lassen sich auch nicht besser durch einen andere psychische Störung einen einen Substanzkonsum erklären.

Diagnostische Kriterien für eine anhaltende Entzugsstörung nach dem Absetzen eines Antidepressivums (SSRI und SNRI) (S. 27)

Nach dem Absetzen oder Wechsel eines Antidepressivums tritt eine anhaltende Entzugsstörung mit folgenden Kriterien auf:

  1. Es bestehen mindestens zwei neue Entzugssymptome, die vor dem Beginn oder während der Behandlung nicht aufgetreten sind. Die Dauer der Symptome beträgt mehr als 6 Wochen und/oder das Wiederauftreten der ursprünglichen Symptome erfolgt in größerer Intensität und/oder es treten neue Symptome/Störungen auf, die vorher nicht vorhanden waren.

  2. Die Symptome verursachen einen klinisch bedeutsamen Leidensdruck.

  3. Die Symptome sind nicht durch einen allgemeinen medizinischen Zustand bedingt und lassen sich nicht besser durch eine andere psychische Störung oder einen Substanzkonsum erklären. 

Die Liste der neuen Entzugssymptome nach der Reduzierung oder dem Absetzen von SSRI oder SNRI ist lang (S. 23):

Allgemein: Schwitzen, grippeähnliche Symptome, Kopfschmerzen, Hitzewallung mit Hautrötung (Flush), Schüttelfrost, Müdigkeit, Schwäche, Schmerzen, Unwohlsein, Müdigkeit, Lethargie

Kardiovaskulär: Tachykardie, Schwindel, Benommenheit, Brustschmerzen, Hypertonie, orthostatische Hypotonie, Synkope (Ohnmacht), Dyspnoe (Atemprobleme)

Gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Appetitlosigkeit, Durchfall, Bauchschmerzen/Krämpfe/Aufblähung, weicher Stuhl, Ösophagitis (Speiseröhrenentzündung), vermehrter Stuhlgang

Sensorisch: "Elektroschocks" im ganzen Körper, Tinnitus, verschwommenes Sehen, Sehveränderungen, "Brain Zaps" (Missempfindungen/Gefühl elektrischer Schocks im Kopf), Hyperästhesie (Überempfindlichkeit auf Reize), veränderter Geschmack, Juckreiz, stehende Empfindungen, brummendes Geräusch im Kopf

Neuromuskulär: Parästhesien (Missempfindungen wie Kribbeln, Taubheit oder "Ameisenlaufen"), Myoklonus (kurze, blitzartige Kontraktionen eines Muskels oder einer Muskelgruppe), Tremor (Zittern), Koordinationsprobleme, Taubheit, Steifheit, Myalgie (Muskelschmerzen), Ataxie (Störung der Bewegungskoordination), Muskelkrämpfe, Neuralgien (Nervenschmerzen), Ruckartigkeit, Arthralgien (Gelenksschmerzen), Krämpfe, Hemiplegie (Halbseitenlähmung)

Sexuell: vorzeitige Ejakulation, genitale Überempfindlichkeit

Neurologisch: Krampfanfälle, schlaganfallähnliche Symptome

Kognitiv: Verwirrung, Amnesie, verminderte Konzentration, Desorientierung Lethargie, Schläfrigkeit, Aufmerksamkeitsstörungen, undeutliche Sprache

Affektiv: Angst, Unruhe, Depression, Reizbarkeit, Panik, Derealisation, Depersonalisation, Dysphorie, Stimmungschwankungen, Selbstmordgedanken, Hypomanie, Euphorie, Nervosität, Anspannung

Verhalten: Unruhe, aggressives Verhalten, Impulsivität, Weinkrampfe, Wutausbrüche

Schlaf: Schlaflosigkeit, Albträume, Schlafprobleme, lebhafte Träume, Hypersomnie ("Schlafsucht", Tageschläfrigkeit)

Psychotik: visuelle oder auditive Halluzinationen, Delirium, Katatonie (völlige Körperstarre)

Fava beschreibt die klinische Manifestation des Entzugs folgendermaßen:

  1. Entzugserschgeinungen treten bei allen SSRI und SNRI auf, am stärksten jedoch bei Paroxetin und Velafaxin.

  2. Ein allmähliches Auslaufen der Behandlung kann das Risiko von Enzugssymptomen nicht ausschließen.

  3. Die Entzugssymptome weisen ein breites Spektrum an klinischen Erscheinungen auf.

  4. SSRI und SNRI sollten in die Liste der Arzeimittel aufgenommen werden, die potenziell zu Abhängigkeit und Entzugserscheinungen führen können.

  5. Der Begriff "Absetzsyndrom" verharmlost die durch SSRI und SNRI bewirkten Auffälligkeiten oder sollte durch "Entzugssyndrom" ersetzt werden.

2022 erschien eine umfangreiche Studie, die Entzugssyndrome bei 28 Antidepressiva detailliert belegte.

Fava beschreibt seine Erfahrungen im Umgang mit hartnäckigen Entzugssymptomen beim Absetzen von Antidepressiva und gelangt zu folgenden bedeutsamen Erkenntnissen, die in der klinischen Praxis derzeit meist unbekannt sind bzw. völlig vernachlässigt werden:

  1. Selbst das ganz langsame Absetzen von Antidpressiva, das laut den üblichen psychiatrischen Auffassungen viel leichter möglich sei als bei Benzodiazepin-Abhängigen, gelingt bei vielen Betroffenen trotz bester Bemühungen nicht.

  2. Auch der übliche Wechsel auf das angeblich leichter absetzbare Antidepressivum Fluoxetin (Fluctin) mit seiner langen Halbwertszeit (und damit längeren Wirkdauer) scheint nicht zu gelingen.

  3. Das langsame Absetzen gelingt nicht allein durch die sukzessive Reduktion des Antidepressivums, sondern nur durch den Einsatz eines weiteren Medikaments, nämlich eines Antikonvulsivums, wie dies etwa auch bei Menschen mit schwerer Alkoholabhängigkeit während der Entzugsbehandlung und längere Zeit nach dem Entzug zur Vorbeugung von epileptischen Anfällen verabreicht wird, insbesondere von Gabapentin (Neurontin) und Lamotrigin Lamictal).

  4. Aufgrund des Umstands, dasss die Mehrzahl seiner Patient*innen mit Absetzproblemen unter einer Angststörung leidet, setzt Fava sehr erfolgreich auch das Benzodiazepin Clonazepam (Rivotril) ein, dessen antikonvulsive Wirkung allgemein bekannt ist.

  5. Die Art des Ausschleichens des Antidepressivums erfolgt individuell sehr unterschiedlich, in Abhängigkeit von der Dauer der Einnahme (bei langjähriger Einnahme viel langsamer als sonst), von bisherigen erfolglosen bzw. sehr belastenden Entzugsversuchen, von der Art des Antidepressivums (bei Paroxetin, Venlafaxin u.a. langsamer), von der Art der medizinischen und psychiatrischen Nebenwirkungen, vor allem aber auch vom Wunsch der Betroffenen nach schnellem oder langsamem Ausschleichen. Wichtig ist Umstand, dass anfänglich höhere Dosierungen schneller reduziert werden können, während bei später niedrigeren Dosierungen viel langsamer ausgeschlichen werden muss, um eine langfristig erfolgreiche Entzugsbehandlung zu erreichen.

  6. Fava lehnt in der Phase des Ausschleichens bei starken Entzugserscheinungen die traditionell übliche Rückkehr zum zuvor verwendeten Antidepressivum ebenso ab wie den in der klinischen Praxis oft vorgenommenen Wechsel auf ein anderes Antidepressivum wie Fluoxetin, weil durch ein derartiges Vorgehen die Abhängigkeitsbehandlung nur aufgeschoben wird oder die Symptome dadurch langfristig sogar erschlimmert werden. Er vermeidet also in der Phase des Ausschleichens bei auftretenden Entzugssymptomen den Einsatz von Antidepressiva aller Art, im seltenen Bedarfsfall setzt er ein trizyklisches Antidepressivum wie Clomipramin (Anafranil) in niedriger Dosierung ein. Wichtig ist auch die Beachtung von Wechselwirkungen des eingenommenen Antidepressivums mit Medikamenten bei körperlichen Erkrankungen.

  7. Fava hält bereits während und nach der Zeit des Entzugs eine Kurzzeitpsychotherapie zur Stabilisierung und Verhinderung von Rückfällen für entscheidend, und zwar eine Kombination von Kognitiver Verhaltenstherapie und der von ihm selbst entwickelten Well-Beeing-Therapie.

  8. Fava achtet auf den richtigen Zeitpunkt zum langsamen Absetzen des Antidepressivums. Der Entzug soll zur Vorgeugung von Rückfällen nicht in Phasen von großen körperlichen und psychosozialen Belastungen erfolgen. Weiters soll eine gewisse Stimmungsstabilität garantiert sein.

  9. Bei Personen mit Angststörungen, Zwangsstörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen ohne bisherige evidenzbasierte Psychotherapie sollte vor dem Ausschleichen unbedingt eine symptombezogene Psychotherapie erfolgen, weil die Wahrscheinlichkeit eines frühen Rückfalls nach einem Jahr sonst sehr hoch ist.

  10. Ein halbes Jahr nach dem Absetzen des Antidepressivums und der Psychotherapie ist eine weitere vollständige Untersuchung unerlässlich, um das mögliche Auftreten einer anhaltenden Postentzugsstörung und eines Rückfalls zu beurteilen.

Fava betont die Notwendigkeit von Studien zum bestmöglichen Vorgehen im Rahmen des Ausschleichens eines lange Zeit eingenommenen Antidepressivums.

Fachleuten wird das bereits erwähnte hervorragende Buch zum Absetzen von Antidepressiva und vor allem auch von anderen Psychopharmaka des Psychiaters Prof. Gründer empfohlen.

 

Die verschiedenen Arten von Antidepressiva

Verschiedene Fachleute nehmen im Gehirn mehr als 100 Neurotransmitter an, die mehrheitlich noch gar nicht bekannt und daher auch nicht erforscht sind.

Antidepressiva erhöhen primär die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin, manche auch Dopamin.

Neuroleptika senken zur Behandlung von Schizophrenie den Botenstoff Dopamin im Gehirn.

Tranquilizer wirken zur Beruhigung auf die Gammaaminobuttersäure (GABA) ein.

Daneben sind noch folgende Neurotransmitter bekannt und bereits näher erforscht: Azetylcholin, Histamin, Glyzin, Glutamant, Beta Endorphine, Substanz P und Stickstoffmonoxid.

In Deutschland sind rund 30 verschiedene Wirkstoffe als Antidepressiva zugelassen, die in verschiedene Substanzklassen unterteilt sind.

  1. Trizyklische Antidepressiva: Amitriptylin (Saroten, Tryptizol), Imipramin (Tofranil), Clomipramin (Anafranil), Doxepin (Aponal in D, Sinequan in Ö), Opipramol (Insidon)

  2. MAO-Hemmer: Reversible Monoaminoxidase-A-Hemmer (RIMA): Moclobemid (Aurorix)

  3. SSRI Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer:  Fluoxetin (Fluctin in D, Fluctine in Ö), Fluvoxamin (Fevarin in D, Floxyfral in Ö), Paroxetin (Seroxat), Sertralin (Zoloft in D, Gladem und Tresleen in Ö), Citalopram (Cipramil in D, Seropram in Ö), Escitalopram (Cipralex)

  4. SNRI Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: Venlafaxin (Trevilor in D, Efectin in Ö), Duloxetin (Cymbalta), Milnacipran (Milnaneurax, in D, Ixel in Ö)

  5. Autorezeptor-Blocker: Mirtazapin (Remergil in D, Remeron in Ö)

  6. NARI Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: Reboxetin (Edronax)

  7. SRE Serotonin-Wiederaufnahmeverstärker: Tianeptin (Stablon)

  8. Serotonin-Modulatoren: Trazodon (Thombran in D, Trittico in Ö)

  9. Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI): Bupropion (Elontril in D, Wellbutrin in Ö)

Die verschiedenen Substanzen werden im Folgenden näher beschrieben.

 

Trizyklische Antidepressiva

Bis zu 90% aller depressiven Patienten leiden unter Angstzuständen. Zu ihrer Behandlung wurden früher dämpfende trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin eingesetzt, in den letzten Jahren haben sich jedoch die nebenwirkungsärmeren Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) durchgesetzt, sodass der Einsatz der Trizyklika gegenwärtig immer mehr auf Spezialfälle (z.B. Therapieresistenz unter SSRI) beschränkt ist.

Die Bezeichnung „trizyklisch“ weist auf die drei Kohlenwasserstoff-Ringe in der Struktur dieser Antidepressiva hin.

Alle trizyklischen Antidepressiva erhöhen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im synpatischen Spalt, indem sie die sogenannte Wiederaufnahmepumpe hemmen, die diese Neurotransmitter in die präsynaptischen Nervenendigungen wiederaufnehmen, sodass mehr Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt zur Weiterleitung von Informationen an die nächste Nervenzelle zur Verfügung steht. 

Darüber hinaus blockieren Trizyklika - im Gegensatz zu den SSRI, bei denen dies der Fall sein soll - die Rezeptoren anderer Nervenbotenstoffe, was einerseits zu durchaus erwünschten Wirkungen wie Müdigkeit und Dämpfung einer hohen Erregung führt, andererseits jedoch zu erheblichen unerwünschten Wirkungen. Durch die Auswirkunbgen auf die postsynaptischen Rezeptoren wie die Histamin-H1-Rezeptoren, die adrenergen (alpha1)-Rezeptoren und die cholinergen Rezeptoren kommt es zu relativ starken, in bestimmten Fällen nicht ungefährlichen Nebenwirkungen.

Trizyklika hemmen im Vergleich zu den SSRI relativ stark die Noradrenalin-Wiederaufnahme in den präsynaptischen Rezeptor.

Die Noradrenalinerhöhung in den Synapsen bewirkt eine Stimmungs- und Antriebssteigerung, aber auch eine Verstärkung der blutdruckerhöhenden Noradrenalineffekte sowie Nebenwirkungen wie Herzrasen, Erektions- und Ejakulationsstörungen, Zittern und Vigilanzveränderungen.

Wegen der Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung können in den ersten zwei Wochen Unruhe, Erregung und panikähnliche Zustände auftreten.

Unter den Trizyklika hat Clomipramin (Anafranil) die stärkste Serotonin-Wiederaufnahmehemmung. Die neueren Antidepressiva (SSRI) wirken selektiver und führen zu einer stärkeren Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme.

Von allen trizyklischen Antidepressiva haben die Substanzen Amitriptylin und Doxepin den stärksten sedierenden Effekt, weshalb sie oft zur dämpfenden Behandlung bei Ängsten, Erregtheit und Unruhe eingesetzt werden. Die frühere Annahme, stärker sedierende Substanzen hätten eine bessere angstlösende Wirkung, hat sich nicht bestätigt.

Je nach Art der Angststörung bzw. der Depression werden unterschiedliche Trizyklika verordnet:

  1. Clomipramin (Anafranil). Unter den trizyklischen Antidepressiva hat sich Clomipramin seit Jahrzehnten in der Behandlung von Panik- und Zwangsstörungen bewährt, insbesondere wegen der im Vergleich zu den anderen Trizyklika deutlich höheren Serotonin-Wiederaufnahmehemmung. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 16-60 Stunden, der maximale Plasmaspiegel wird nach 3-4 Stunden erreicht (Retard-Präparat: 5-8 Stunden). Die Tagesdosis beträgt 100-150 mg (zu Beginn 25-75 mg), bei Zwangsstörungen bis zu 300 mg.  

  2. Imipramin (Tofranil). Der amerikanische Psychiater Donald Klein erkannte 1962 die Wirksamkeit von Imipramin in der Behandlung von Panikattacken. Es besteht eine etwa gleich starke Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin. Der antipanische Effekt setzt nach etwa 3-5 Wochen, der antiphobische Effekt nach ca. 2-3 Monaten ein. Laut Studien sollte bei Panikstörungen Imipramin der Vorzug gegenüber Clomipramin gegeben werden. In Vergleichsstudien erreichte Imipramin nach einigen Wochen die gleiche Wirksamkeit wie der Tranquilizer Alprazolam   (D: Tafil, Ö: Xanor, die Nebenwirkungsrate war jedoch höher. Es bestehen dieselben Nebenwirkungen wie bei anderen Trizyklika. Daher empfiehlt sich zu Behandlungsbeginn eine Tagesdosis von 10 oder 25 mg und eine langsame Steigerung (täglich um 10 mg oder alle 2-4 Tage um 25 mg). Die Tagesdosis ist 100-150 mg (bei Zwängen bis 300 mg). In einer Studie bewirkte Imipramin 150 mg/Tag nach 8 Wochen bei Panikpatienten eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks, was bei sensiblen Patienten zu beachten ist. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 11-25 Stunden, der maximale Plasmaspiegel wird nach 2,2 Stunden erreicht.

  3. Amitriptylin (D: Saroten, Amineurin, Syneudon, Ö: Saroten, Tryptizol). Die Substanz wirkt bei Agitiertheit und Unruhe und wird auch bei Generalisierten Angststörungen verschrieben. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 10-28 Stunden, der maximale Plasmaspiegel wird nach 1-5 Stunden erreicht. Die anxiolytisch-sedierende Wirkung tritt daher oft schon nach 1-2 Stunden ein, spätestens nach einer Woche. Wenn dies – wie bei vielen Patienten – nicht der Fall ist, ist auch später keine Wirkung zu erwarten. Die Tagesdosis beträgt je nach Bedarf 50-150 mg (anfangs 3-mal 10 bzw. 25 mg pro Tag), bei höherer Dosis treten meist die typischen Nebenwirkungen der trizyklischen Antidepressiva auf.

  4. Doxepin (D: Sinquan, Mareen, Aponal, Doneurin, Ö: Sinequan). Chemisch dem Amitriptylin ähnlich, wird bei 50-150 mg/Tag eine angstlösende Wirkung erwartet. Nach Vergleichsstudien besteht eine Gleichwertigkeit mit Benzodiazepinen.

  5. Opipramol (Insidon). Das Mittel wirkt beruhigend, stimmungshebend sowie angst- und spannungslösend

Niedrig dosierte Trizyklika (vor allem Amitriptylin und Doxepin) werden öfter bei Generalisierter Angststörung eingesetzt.

Bei Panikstörungen wurde aus der Gruppe der Trizyklika vor allem die Wirkung von Imipramin (Tofranil) belegt.

Bei Spezifischen und Sozialen Phobien ohne Begleitdepression sind trizyklische Antidepressiva nicht indiziert, es liegen daher kaum Studien vor.

Trizyklika müssen mindestens 4-8 Wochen lang eingenommen werden, bevor ihre Wirkung verlässlich beurteilt werden kann.

Laut Studien besteht ohne gleichzeitige Verhaltenstherapie bei Absetzen des Mittels – ähnlich wie bei SSRI – eine hohe Rückfallsgefahr.

Alle trizyklischen Antidepressiva binden mehr oder weniger stark an serotonerge, histaminerge, adrenerge und cholinerge Rezeptoren und weisen dadurch typische Nebenwirkungen auf.

In Abhängigkeit von der jeweiligen Rezeptorblockade finden sich folgende typische Nebenwirkungen:

Trizyklische Antidepressiva können zur Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit, der Reaktionsgeschwindigkeit und des Gedächtnisses führen. Dies hängt einerseits mit den anticholinergen Effekten und andererseits mit dem sedierenden Effekt bestimmter Substanzen wie Amitriptylin und Doxepin zusammen.

Trizyklika können auch das Blutbild ungünstig verändern, sodass regelmäßige Blutbildkontrollen angezeigt sind; sie können allergische Ausschläge, Juckreiz und Ödeme verursachen, haben nicht selten potenziell gefährliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und verstärken die Alkoholwirkung. Trizyklische Antidepressiva haben folgende Vor- und Nachteile:

„Ein Vorteil der Trizyklika gegenüber Benzodiazepinen und Neuroleptika besteht darin, dass sie nicht zu Abhängigkeitsentwicklungen und Spätdyskinesien führen. Gleichwohl müssen mögliche andere unerwünschte Wirkungen bedacht werden. Zu erwähnen sind vor allem Blutzellschädigungen, Leber- und Nierenfunktionsstörungen sowie vor allem vielfältige zentrale und periphere vegetative Begleitwirkungen. Die bisweilen kritiklose Anwendung von Benzodiazepinen und Neuroleptika darf daher nicht durch eine kritiklose Anwendung von Trizyklika bei generalisierten Angststörungen ersetzt werden.“

Autoren wie Laux warnen ebenfalls davor, eine problematische Langzeitbehandlung mit Benzodiazepinen unkritisch durch eine solche mit Antidepressiva oder Neuroleptika zu ersetzen, da auch diese oft unerwünschte Effekte haben können.

Wegen der anticholinergen Nebenwirkungen und der möglicherweise gefährlichen Folgen für das Herz-Kreislauf-System (vor allem bei älteren Menschen, bei Überdosierung und gezielten Selbstmordversuchen, die wegen der kardialen Nebenwirkungen oft tödlich ausgehen können) werden die trizyklischen Antidepressiva bei der Behandlung von Angststörungen zunehmend durch die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) ersetzt.

Sie behalten jedoch in speziellen Fällen weiterhin ihre Bedeutung, z.B. bei erwünschter stärkerer Dämpfung im stationären Rahmen sowie als Einschlafhilfe, da die Serotonin-Wieder-aufnahmehemmer keinen ausreichend sedierenden Effekt haben. Namentlich handelt es sich dabei um die Substanzen Amitriptylin (Saroten) und Doxepin (D: Sinquan, Ö: Sinequan), die jedoch zunehmend durch andere, neuere dämpfende Antidepressiva ersetzt wurden, vor allem Trazodon (D: Thombran, Ö: Trittico) und Mirtazapin (D: Remergil, Ö: Remeron).

Im Gegensatz zu SSRI kann man bei Trizyklika anhand der überprüfbaren Konzentration im Blut (bestimmter Blutspiegel bzw. Dosissteigerung) eine gute bzw. bessere Wirksamkeit nachweisen, falls die Verträglichkeit gegeben ist.

Bei den meisten Präparaten besteht eine Standarddosis von 150 mg pro Tag, eine tägliche Dosis von 100 mg ist jedoch für viele Betroffene verträglicher. Zur Abschwächung von unangenehmen Nebenwirkungen ist eine Startdosis von 25 mg am Tag sinnvoll, die im schrittweise erhöht wird.

 

MAO-Hemmer (Monoaminooxydase-Hemmer)

Monoaminooxidase (MAO) ist ein Enzym, das u.a. Noradrenalin, Serotonin und Dopamin abbaut.

Monoaminooxydase-Hemmer hemmen das Enzym Monoaminooxydase (MAO), insbesondere den Typ MAO-A, der die Neurotransmitter Noradrenalin, Dopamin und Serotonin metabolisiert (verstoffwechselt); sie steigern dadurch die Mengen dieser Transmitter in den präsynaptischen Nervenendigungen. Infolgedessen können mehr Transmittermoleküle in den synaptischen Spalt freigesetzt werden, wenn die Nerven stimuliert werden.

MAO-Hemmer werden wegen der damit verbundenen Probleme und Gefahren, aber wegen unzureichender Wirksamkeit nur mehr selten eingesetzt, und zwar am ehesten in Kliniken und vor allem dann, wenn SSRI nicht ausreichend wirken.

Man unterscheidet zwei Typen von MAO-Hemmern:

1. Irreversible, nicht-selektive MAO-Hemmer (MAO-Hemmer der 1. Generation) mit der Substanz Tranylcypromin (D: Jatrosom; in Ö nicht mehr im Handel).

2. Reversible, selektive MAO-A-Hemmer (MAO-Hemmer der 2. Generation, RIMA) mit der Substanz Moclobemid (Aurorix).

Irreversible, nicht-selektive MAO-Hemmer

Irreversible, nicht-selektive Hemmer der Monoaminoxidase A und B wie Tranylcypromin (D: Jatrosom N , Ö: nicht mehr auf dem Markt) sind heutzutage praktisch bedeutungslos, weil aufgrund verschiedener Einschränkungen nur ein enggesteckter klinischer Einsatzbereich möglich ist: strenge Diätvorschriften (keine Tyramin-hältigen Nahrungsmittel und Getränke, d.h. Verbot von gereiftem Käse, fermentierten Würsten, getrockneten Früchten, Schokolade, Alkohol), keine Zusatzmedikation wegen möglicher Wechselwirkungen (z.B. bei Sympathomimetika), Einhaltung von Umstellungszeiten nach anderen Medikamenten.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer dürfen wegen der potenziell tödlichen Interaktion keinesfalls gleichzeitig oder unmittelbar davor eingenommen werden. Die Nichtbeachtung dieser Umstände führt zu einem lebensbedrohlichen Blutdruckanstieg (hypertensive Krise).

Die ambulante Tagesdosis beträgt 20-40 mg (verteilt auf 1-3 Einnahmezeitpunkte), stationär bis 60 mg. Empfohlen wird am Anfang eine einschleichende und am Ende eine ausschleichende Dosierung. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 1,5-3 Stunden, der maximale Plasmaspiegel wird nach 0,5-3 Stunden erreicht.

Reversible, selektive MAO-A-Hemmer

Reversible, selektive MAO-A-Hemmer (RIMA: Reversible Inhibitoren der Monoaminooxidase A) sind derzeit nur in Form der Substanz Moclobemid (D/Ö: Aurorix) auf dem Markt. Moclobemid hemmt hochselektiv und in reversibler Weise die MAO-A und macht Diätvorschriften wegen der normalen Tyramin-Verstoffwechselung überflüssig (außer dem Verzicht auf ein Übermaß an gereiftem Käse und der empfohlenen Einnahme am Ende der Mahlzeiten). Es bestehen auch nur mehr wenige Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.

In der Praxis ist Folgendes wichtig: MAO-Hemmer dürfen nicht in Kombination mit SSRI, die den Serotoninspiegel steigern, verschrieben werden, weil dadurch Komplikationen auftreten können (z.B. Hyperthermie, Konfusion, Hyperreflexie, Myoclonus). SSRI und auch Clomipramin müssen vorher ausgeschlichen sein, beim Umstieg auf SSRI muss das Mittel zwei Wochen vorher abgesetzt werden.

Moclobemid hemmt den präsynaptischen Abbau von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin und erhöht damit die Verfügbarkeit dieser Neurotransmitter im synaptischen Spalt.

Die oft bereits nach einer Woche einsetzende Verbesserung der Stimmung und der psychomotorischen Aktivität führt zur Reduktion von Symptomen wie Dysphorie, Erschöpfung, Antriebsmangel und Konzentrationsschwierigkeiten. Obwohl ein sedierender Effekt fehlt, kommt es auch zu einer Besserung der Schlafqualität.

Die selektive Hemmung der MAO-A gilt als ein wichtiger Faktor zur Behandlung von Depressionen und Angststörungen, weil Noradrenalin und Serotonin bei Menschen fast ausschließlich durch MAO-A katabolisiert werden und Störungen der noradrenergen und serotonergen Neurotransmission als Angst und Depression erzeugend angesehen werden. Das Mittel wirkt häufig dort, wo Trizyklika und SSRI nicht ansprechen.

Die Substanz ist zugelassen zur Behandlung von Depressionen und Sozialphobien. In einer umfangreichen Studie wurde die Wirksamkeit bei der Sozialen Phobie nachgewiesen. Insgesamt haben sich jedoch in weiteren Studien die erhofften positiven Wirkungen bei der Sozialphobie nicht erfüllt, sodass mittlerweile die SSRI die Mittel der ersten Wahl auch bei Sozialen Phobien sind.

Wegen der aktivierenden, antriebssteigernden Eigenschaften liegt der Hauptanwendungsbereich der RIMA bei ängstlich-gehemmten depressiven Zuständen. Eine dämpfende Wirkung ist nicht gegeben.

Die Wirkung bei Panikstörungen ist unzureichend nachgewiesen, wenngleich sie durch Effizienzstudien mit irreversiblen, selektiven MAO-Hemmern indirekt belegt ist. Es gibt auch keine kontrollierten Behandlungsergebnisse für Generalisierte Angststörungen. Die Substanz ist somit in ihrer Wirksamkeit für Angststörungen, ausgenommen die Sozialphobie, noch nicht bestätigt (entsprechend den üblichen Forschungskriterien).

Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 2-7 Stunden, die Dauer der MAO-Hemmung 14-24 Stunden.

Die Tagesdosis beträgt anfangs 300 mg (sofortige Dosierung ohne Einschleichen), nach einer Woche kann eine Steigerung auf 600 mg erfolgen. 600 mg sind laut einer Studie wirksamer als 300 mg. Bei einer Sozialphobie wird eine Zieldosis von 600 mg/Tag empfohlen.

Es treten eher wenige Nebenwirkungen auf, vor allem deutlich weniger vegetative bzw. anticholinerge Symptome. Es erfolgt keine zentrale Dämpfung und somit keine kognitive Beeinträchtigung.

Mögliche Nebenwirkungen sind: Herzrasen, Schwindel, Schlafstörung, Agitiertheit, Erregung, Reizbarkeit, innere Unruhe, Nervosität, verstärktes Angstgefühl, Zittern, Mundtrockenheit, Hautreaktionen (Jucken), Übelkeit, Durchfall, Verstopfung, Magenbrennen, Kopfschmerzen, Schwächegefühl, Parästhesien.

 

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

Ein Mangel an Serotonin und Noradrenalin in den Synapsen bzw. ein neurochemisches Ungleichgewicht zwischen Serotonin, Noradrenalin und Dopamin werden nach den gängigen biologischen Theorien als mögliche Ursachen bestimmter Depressionen und auch Angststörungen angesehen. Eine Serotonin-Dopamin-Balance-Störung wird traditionellerweise auch bei Zwängen angenommen.

Die Wirksamkeit der SSRI ist war mittlerweile bereits – je nach Substanz unterschiedlich gut – für alle wichtigen Angststörungen belegt, doch weist dies bei Angststörungen noch weniger als bei Depressionen darauf hin, dass diese durch einen Serotininmangel bedingt sind.

Das war die bisher gängige Botschaft der Pharmaindustrie: Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI: Selective Serotonin Reuptake Inhibitors) Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin, Citalopram und Escitalopram reagieren selektiv auf die Serotonintransporter und hemmen ausschließlich die normalerweise rasch erfolgende Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin in den präsynaptischen Teil der Synapse serotonerger Neurone, wodurch im synaptischen Spalt, d.h. in der Lücke zwischen dem einen und dem anderen, nachfolgenden Nerv, mehr Serotonin zur Verfügung steht.

SSRI bewirken einerseits eine Vermehrung von Serotonin im synaptischen Spalt durch die Hemmung der Wiederaufnahme in die Präsynapse und stimulieren andererseits laut gängiger Theorie gleichzeitig drei postsynaptische Serotoninrezeptoren. Die Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin sollen dagegen nicht beeinflusst werden, auch keine anderen Neurotransmitter, weshalb die SSRI weniger unangenehme Nebenwirkungen haben als die Trizyklika.

Das war die Botschaft in der Vergangenheit: SSRI haben wegen der fehlenden anticholinergen, antihistaminergen und antiadrenergen Nebenwirkungen ein vergleichsweise günstiges Nebenwirkungsprofil. SSRI sind wegen der geringeren Nebenwirkungen, der geringeren Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, der relativen Risikoarmut bei Überdosierung (im Falle eines Selbstmordversuchs keine kardiotoxische Wirkung) und der fehlenden Verstärkung von Alkohol zwar sowohl den Tranquilizern als auch den anticholinerg wirkenden trizyklischen Antidepressiva vorzuziehen, sie sind aber in bestimmten Fällen dennoch nicht ungefährlich. Auch wenn es die Pharmafirmen bestreiten: Unter SSRI traten bereits bei den Studien zur Wirksamkeitsüberprüfungen Selbstmordversuche und Suizide auf - sogar mit entsprechenden Verurteilungen der betroffenen Firmen. 

Die Serotoninerhöhung im synaptischen Spalt führt zu folgenden typischen Nebenwirkungen: innere Unruge, Schwitzen, Zunahme von Angst und Schlafstörungen, sexuelle Nebenwirkungen (Orgasmusprobleme bei Frauen und Männern, bei Männern somit verzögerte Ejakulation, mitunter entstehen auch Libidoprobleme).

Die gefährlichsten Nebenwirkungen der SSRI bestehen in einem leicht erhöhten Risiko für Blutungen, z.B. im Magen oder Kopf, im Falle überhöhter Dosierung (z.B. drei Tabletten pro Tag) kann es zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen kommen, bei gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente können bestimmte SSRI, vor allem Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin, zur Wirkungsverstärkung der anderen Medikamente führen.

Am wenigsten selektiv wirkt die Substanz Paroxetin (Seroxat), die u.a. wie die Trizyklika die Acetylcholinrezeptoren  blockiert, mit entsprechenden möglichen Nebenwirkungen, zumindest bei höherer Dosierung, wie etwa Mundtrockenheit, Verstopfung, Hemmung beim Wasserlassen, Akkommodationsprobleme der Augen, kognitive Störungen (Gedächtnisprobleme, Verwirrung), Dämpfung der Herztätigkeit in Verbindung mit einer Blutdrucksenkung (was Panikattacken auslösen kann), Verlangsamung der Überleitung im Herzen (Herzrhythmusstörungen als Folge der verlangsamten Erregungsüberleitung) und Herzrasen (Sinustachykardie).

Im Falle einer Verminderung des Natriumgfehalts im Blut kann es zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Zittern, Müdigkeit oder Verwirrung kommen,

SSRI wirken vom Anspruch her angstlösend und stimmungsstabilisierend, ohne dämpfend zu sein, während das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin (Saroten, Amineurin, Tryptizol) angstlösend und gleichzeitig recht dämpfend wirkt.

Bei akuter Verabreichung von SSRI setzt die Blockade rasch ein. Bei regelmäßiger Einnahme kommt es zu adaptiven Veränderungen an den prä- und postsynaptischen Serotoninrezeptoren, die der Grund dafür sind, dass diese Substanzen bei Depressionen oft erst nach 2-4 Wochen, bei Zwangsstörungen gar erst nach 8 bzw. 10-12 Wochen therapeutisch wirksam sind.

Neuere Studien mit anfangs rascher Dosissteigerung haben ergeben, dass im Vergleich zur Placebobehandlung bereits nach einer Behandlungswoche eine leichtere, aber signifikante Symptomreduktion eintreten kann - falls nicht stärkere Nebenwirkungen auftreten! 

Die Bezeichung "selektiv" sollte ursprünglich zum Ausdruck bringen, dass die SSRI ausschließlich auf die Serotonin-Tansportermoleküle wirken, im Gegensatz zu den trizyklischen Antidepressiva, die auch den Noradrenalin- und Dopaminspiegel durch Hemmung der Wiederaufnahme erhöhen, mit allen damit verbundenen Nebenwirkungen.

Mittlerweile ist erwiesen:

SSRI sollten über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten regelmäßig eingenommen werden, um einen hilfreichen Serotonin-Spiegel aufzubauen und zu erhalten, bei Zwangsstörungen viel länger.

Die Serotoninerhöhung hat eine antipanische, stimmungs- und antriebssteigernde Wirkung, hemmt möglicherweise den Appetit (wirkt also im Vergleich zu anderen Antidepressiva wenig appetitanregend), bewirkt am ehesten eine vorübergehende Übelkeit und dämpft manchmal die Libido und die sexuelle Funktionsfähigkeit (Orgasmusprobleme, Ejakulationsverzögerung).

Serotonerge Neurone sind im Zentralnervensystem besonders im limbischen System lokalisiert, das mit der Steuerung emotioneller Reaktionen in Verbindung steht. Die serotonergen Systeme haben Bahnen zum Locus coeruleus (= noradrenerge Neurone) und auch zur Substantia nigra (dopaminerg), sodass Serotonin als Komodulator von Noradrenalin und Dopamin angesehen wird.

Trotz der Gemeinsamkeiten zwischen den SSRI bestehen auch Unterschiede, die noch kaum erforscht sind. Bei Unwirksamkeit einer Substanz kann daher der Umstieg auf einen anderen SSRI durchaus zum erwünschten Effekt führen.

SSRI waren aufgrund der hohen Entwicklungskosten viel teurer als Tranquilizer und trizyklische Antidepressiva. Mittlerweile ist der Preis durch die zahlreichen Generika jedoch stark gefallen.

Wegen der fehlenden Sedierung muss bei Bedarf ein Tranquilizer oder ein dämpfendes Antidepressivum (Amitriptylin, Doxepin, Trazodon, Mianserin, Mirtazapin) zusätzlich verabreicht werden (abends zur Vermeidung möglicher Nebenwirkungen).

Am ehesten werden Trizyklika bei einer SSRI-Therapie zur Schlafverbesserung verabreicht. In diesem Fall sollte ein SSRI gewählt werden, der wenige Interaktionen aufweist, z.B. Sertralin.  

Mögliche Nebenwirkungen der SSRI in den ersten 2-4 Wochen: Übelkeit, Brechreiz, Durchfall, Appetitminderung, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schwitzen, innere Unruhe (Agitiertheit), Angst- und Erregungszustände, Sexualstörungen (Ejakulationsverzögerung bei Männern, Orgasmus- oder Libidoprobleme bei Frauen). Sexuelle Nebenwirkungen kommen bei Fluvoxamin seltener vor. Es kommt zu Nebenwirkungen durch die indirekte Stimulation der Rezeptorsubtypen: 5-HT2A: Ängstlichkeit, Agitiertheit, sexuelle Funktionsstörungen, 5-HT2C: Appetitminderung, Reizbarkeit, sexuelle Funktionsstörungen, 5-HT3: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen.

Unter Fluoxetin und Paroxetin sind auch extrapyramidale Nebenwirkungen möglich (Akathisie: Sitz-, Steh- und Bewegungsunruhe; Dyskinesien: Bewegungsstörungen). Fluoxetin kann in höherer Dosis zu einer (oft erwünschten) Gewichtsabnahme führen. Subjektiv kann anfangs vor allem das „Jitteriness“-Syndrom (Zustand von Ängstlichkeit und Nervosität) belastend sein. Die Nebenwirkungen können durch eine einschleichende, langsam ansteigende Medikation verhindert oder reduziert werden, d.h. in der ersten Woche wird am besten nur die halbe Dosis (5, 10 bzw. 25 mg) eingenommen.

Als zentrales „Serotonin-Syndrom“ bei SSRI und Venlafaxin (auch bei serotonerg wirksamen trizyklischen Antidepressiva) bezeichnet man die serotonerge Überaktivität in Form des gleichzeitigen Auftretens von mindestens drei der folgenden Nebenwirkungen: Erregung, Verwirrtheit, Hypomanie, Tremor, Myoklonien, Hyperreflexie, Rigor, Ataxie, Hyperaktivität, Hypo- oder Hyperthermie, Tachykardie, Schüttelfrost, Schweißausbrüche, Durchfall. Das Serotonin-Syndrom, das überwiegend innerhalb der ersten  24 Stunden nach der Einnahme eines SSRI auftritt, kommt vorwiegend bei einer Kombinationstherapie mit einen anderen Psychopharmakon vor.  

Nach umfangreichen Erhebungen in den USA wurde (nach Placebobereinigung) Nausea (Übelkeit) als die häufigste SSRI-Nebenwirkung festgestellt, mit Häufigkeiten von 26,0% bei Fluvoxamin, 16,4% bei Paroxetin, 14,3% bei Sertralin und 11,0% bei Fluoxetin. Durchfall (8,4%) und Mundtrockenheit (7,0%) plagen vor allem Depressive mit Sertralin-Einnahme. Ejakulationsstörungen ergaben sich am häufigsten bei Sertralin (13,3%) und Paroxetin (12,9%). Die oft erwünschte Nebenwirkung Gewichtsverlust trat mit 6,4% der Fälle bei Fluoxetin am häufigsten auf. Libido- und Ejakulationsstörungen kommen bei Sertralin rund 6-mal häufiger vor als bei Fluoxetin. Extrapyramidal-motorische Störungen treten nur sehr selten auf, am ehesten bei Paroxetin.

Bei allen SSRI kann plötzliches Absetzen 1-10 Tage (im Mittel 3 Tage) später zu typischen Absetzeffekten führen, die durchschnittlich 7-14 Tage anhalten, wie groß angelegte Erhebungen in England und Australien ergaben. Es handelt sich dabei um keine Entzugssymptome wie bei Benzodiazepinen, da SSRI nicht abhängig machen. Es zeigen sich nur jene Veränderungen, die auftreten, wenn das Psychopharmakon durch das plötzliche Absetzen nicht mehr auf den Rezeptor wirken kann. In Abgrenzung zu den Entzugssymptomen bei Tranquilizern spricht man von Absetzeffekten oder einem Absetzsyndrom, weil danach die ursprünglichen Symptome wieder auftreten.

Vorübergehend können auch Entzugssymptome im Sinne bisher unbekannter Symptome auftreten, die durch neuerliche Einnahme des SSRI bald wieder verschwinden. Diese Forschungsergebnisse haben dazu geführt, dass viele Patienten eine große Angst vor einer Abhängigkeit von SSRI entwickelt haben, was unbegründet ist.

Bei 45% der englischen Patienten traten neurologische Symptome auf (Schwindel, Kopfschmerzen, Parästhesien). Bei 25% ergaben sich gastrointestinale und andere somatische Beschwerden, z.B. bei 10% Übelkeit, bei manche Patienten Erbrechen oder Mundtrockenheit. Bei 23% traten neuropsychiatrische Zustände und Verhaltensstörungen auf, z.B. bei 4% Schwächegefühle, bei anderen Reizbarkeit oder Angstzustände, bei 5% Schlafstörungen (Schlaflosigkeit, lebhafte Träume). Beachtliche 16% bezeichneten die Ausprägung der Absetzsymptome als stark. Die Absetzeffekte sind naturgemäß stärker bei jenen SSRI, die eine kürzere Halbwertszeit haben (z.B. Paroxetin, Fluvoxamin) als bei jenen SSRI, die eine längere Halbwertszeit aufweisen (Fluoxetin).

Bei Paroxetin wurden in England die mit 5,1% häufigsten Absetzeffekte festgestellt, was u.a. mit der kurzen Halbwertszeit und dem fehlenden aktiven Metaboliten zusammenhängen dürfte. Bei den anderen SSRI ergaben sich nur sehr geringe Absetzeffekte (0,06-0,9%), die geringsten bei Fluoxetin wegen der langen Halbwertszeit der Muttersubstanz und des aktiven Metaboliten Norfluoxetin (6-9 Tage).

Eine australische Studie kam zu ähnlichen Befunden. Demnach waren Schwindel, Übelkeit, Lethargie, Parästhesien (Körpermissempfindungen), Albträume, Reizbarkeit und Stimmungsveränderungen die häufigsten Absetzsymptome. Die geringen Absetzeffekte bei Fluoxetin und Sertralin wurden durch die längere Eliminationshalbwertszeit beider Substanzen erklärt.

Zusammenfassend gesehen können beim Absetzen von SSRI folgende Symptome auftreten: Schwindel, Kopfschmerzen, Parästhesien (Körpermissempfindungen), Gleichgewichtsstörungen, Ataxie (Schwäche), Zittern, Augenzucken, Tinnitus (Ohrgeräusche), Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Schlafstörungen (Schlaflosigkeit, lebhafte Träume), Angstzustände, Reizbarkeit, Aggressionen, Hyperaktivität. Gelegentlich sind auch Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Depressionen zu finden. Bei neuerlicher Einnahme eines SSRI-Antidepressivums verschwinden die Absetzsymptome innerhalb von 1-2 Tagen. Beim Absetzen eines SSRI ist daher auf ein langsames Ausschleichen zu achten.

Ungünstige Effekte einer medikamentösen Kombinationstherapie wurden bisher noch zu wenig beachtet. Für die Behandlungspraxis bedeutsam ist der Umstand, dass SSRI (insbesondere Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin) den Plasmaspiegel von gleichzeitig eingenommenen trizyklischen Antidepressiva auf den vier- bis sechsfachen Wert erhöhen und den serotonergen Effekt verstärken können, weshalb die Kombination von SSRI und Trizyklika riskant ist.

SSRI blockieren je nach Präparat in unterschiedlicher Weise das Enzym Cytochrom P450, über dessen Wirksystem viele andere Medikamente abgebaut werden. Dieser Umstand kann die Wirkung anderer Medikamente vervielfachen, sodass die Gefahr einer toxischen Plasmakonzentration bei einem anderen eingenommenen Psychopharmakon besteht, weshalb von einer unkontrollierten Einnahme abzuraten ist.

Sertralin, Citalopram und Escitalopram weisen die geringsten Interaktionen mit dem Cytochrom-P450-System auf, d.h. sie lassen sich besser als andere SSRI mit anderen Psychopharmaka kombinieren und werden daher häufig bei Kombinationstherapien eingesetzt. SSRI dürfen wegen der (an sich seltenen) Gefahr eines Serotonin-Syndroms auch nicht mit MAO-Hemmern (z.B. Moclobemid: Aurorix) kombiniert werden.

Bei SSRI bestehen auch Placeboeffekte: Depressive Patienten, die auf eine SSRI-Therapie sehr früh ansprachen (im Sinne eines antizipierten Placeboeffekts), profitierten bei einer Langzeittherapie von Placebo, während Patienten mit einem anfänglich verzögerten Ansprechen zur Rückfallsvorbeugung ein Antidepressivum benötigten. Wenn depressive Patienten also schon sehr früh auf SSRI ansprachen, machte es keinen Unterschied, ob sie bei einer Langzeittherapie ein Placebo oder einen SSRI erhielten.

Im Folgenden werden die sechs verschiedenen SSRI näher dargestellt.

Gleich vorweg: In Deutschland wird mit deutlichem Abstanz am häufigsten Citalopram verordnet, gefolgt von Sertralin und Escitalopram, danach erst folgen Fluoxetin und Paroxetin, am seltensten wird Fluvoxamin verschrieben (das Mittel bewirkt oft eine anhaltende Übelkeit). Citalopram, die Nachfolge-Substanz Escitalopram sowie Sertralin gelten unter Berücksichtigung von Wirkung und Nebenwirkungen am vorteilhaftesten.

Fluoxetin

Fluoxetin (D: Fluctin, Ö: Fluctine, USA: Prozac) war der erste SSRI auf dem Markt (in den USA seit 1988). Neben dem Originalpräparat gibt es – wie bei anderen SSRI – mittlerweile zahlreiche Generika, d.h. Medikamente, die auch andere Firmen erzeugen dürfen, weil der Patentschutz erloschen ist. Prozac wurde in den USA durch ein Buch, das zum Bestseller wurde, als „Glückspille“ bekannt, was nicht zutreffend ist. Gesunden Menschen geht es nach Einnahme dieser Substanz nicht besser, sondern schlechter.

Fluoxetin hat die Zulassung für Depressionen, Zwangsstörungen und Bulimia nervosa. Bei Panikstörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen besteht ebenfalls Wirksamkeit. Eine Dosis von 20 mg/Tag ist meist ausreichend, bei Zwangsstörungen ist eine langsame Steigerung auf 40-60 mg/Tag empfehlenswert. Wenn nach 10 Wochen keine Besserung der Zwänge einsetzt, sollte ein Wechsel auf eine andere Substanz erwogen werden. Bei Panikpatienten sollte mit einer Einschleichdosis von 10 mg begonnen werden. Fluoxetin wirkt stimmungsaufhellend ohne Tagesmüdigkeit.

Die Eliminationshalbwertszeit der Muttersubstanz beträgt 4-6 Tage, des Metaboliten Norfluoxetin 4-16 Tage. Dies ist viel länger als bei allen anderen SSRI und hat Vor- und Nachteile. Die sehr lange Wirkungsdauer verhindert zwar Rückfälle bei unregelmäßiger Medikamenteneinnahme bzw. Symptome beim plötzlichen Absetzen, erschwert jedoch den raschen Umstieg auf ein anderes Mittel bei Wirkungslosigkeit der Substanz.

Es bestehen keine anticholinergen oder antihistaminergen Eigenschaften. Häufige Nebenwirkungen zu Behandlungsbeginn und bei höherer Dosierung sind: Appetitlosigkeit, (meist erwünschte) Gewichtsabnahme, Übelkeit (gelegentlich bis zum Erbrechen), Durchfall, vermehrtes Schwitzen, Angst, innere Unruhe und Erregungszustände (Agitiertheit), Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Tremor, Schwindel, sexuelle Funktionsstörungen (insbesondere Ejakulationsverzögerungen), Hautausschlag, Juckreiz, Herzklopfen.

Bei trotz einschleichender Dosierung anhaltenden Erregungszuständen mit Unruhe, Angst, Desorientierung und Schlafstörungen muss das Präparat gewechselt werden. Bei Diabetikern ist eine Hypoglykämie möglich, nach dem Absetzen eine Hyperglykämie.

Fluoxetin hemmt das Cytochrom P450IID6 Isoenzym, sodass die Wirkung aller Medikamente, die dadurch metabolisiert werden, erhöht wird (Dosisreduktion des anderen Mittels ist zu überlegen). Fluoxetin beeinflusst die Dopaminfunktion, was bei anderen SSRI nicht der Fall ist.

Die Substanz stellt nicht das Mittel der ersten Wahl bei Angst- und Panikstörungen dar, weil die Wirksamkeit im Vergleich zu anderen SSRI weniger gut belegt ist. Bei einer placebokontrollierten Studie zeigte sich jedoch eine Verminderung der Panikattacken und der damit verbundenen Angstsymptome.

Fluvoxamin

Fluvoxamin (D: Fevarin, Ö: Floxyfral) wirkt antidepressiv, zwangslindernd und angstlösend. Das Mittel ist zugelassen zur Behandlung von Depressionen, Panikstörungen und Zwangsstörungen. Es wurde auch bei Sozialer Phobie, Binge-Eating-Störung und Bulimie als wirksam nachgewiesen. Die Substanz hat nicht jene Bedeutung und Verbreitung erlangt, wie dies bei den anderen SSRI der Fall ist.

Die Tagesdosis beträgt in der 1. Woche 50 mg, ab der 2. Woche 100 mg, bei Bedarf später 150 mg, bei Zwangsstörungen 200-300 mg. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt ca. 20 Stunden. Es bestehen keine anticholinergen oder antihistaminergen Eigenschaften.

Häufige Nebenwirkungen sind zu Behandlungsbeginn und bei höherer Dosierung: Appetitlosigkeit, Übelkeit (gelegentlich mit Erbrechen), Durchfall, innere Unruhe und Agitiertheit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Tremor, Schwindel, Schwitzen, sexuelle Funktionsstörungen (insbesondere Ejakulationsverzögerung).

Wegen verschiedener Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Psychopharmaka und anderen Medikamenten ist eine gewissenhafte Verordnung und Überprüfung angezeigt.

Paroxetin

Paroxetin (D/Ö: Seroxat), das zu den selektivsten SSRI gehört, ist aufgrund vieler Studien zugelassen für Depressionen, Panikstörungen mit und ohne Agoraphobie, Soziale Angststörungen, Generalisierte Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Zwangsstörungen.

Umfangreiches Datenmaterial belegt weiters, dass Paroxetin auch die Ängste im Rahmen einer depressiven Episode wirksam beseitigt (im Rahmen einer depressiven Episode treten bei mindestens 60-90% der Patienten auch Ängste auf).

Bei Panikpatienten und Sozialphobikern ist eine einmalige Tagesdosis von 20 mg morgens ausreichend, bei Bedarf (bei Zwangsstörungen unbedingt) kann eine Steigerung auf 50-60 mg vorgenommen werden (Intervall der Dosissteigerung mindestens eine Woche).

Zumindest bei Panikpatienten sollte zur Vermeidung bzw. Minimierung des Risikos einer möglichen Verschlechterung der Panikstörung anfangs mit einer subtherapeutischen Dosis von 10 mg/Tag begonnen werden und dann wöchentlich um jeweils 10 mg/Tag bis zur Zieldosis gesteigert werden. Bei einer Dosis von 40 mg ließ sich die Anzahl kompletter Panikattacken im Vergleich zu niedrigeren Dosierungen und zu Placebo am stärksten reduzieren.

Der Rückgang der Angstsymptomatik setzt im Vergleich zu anderen Antidepressiva und Placebo bereits nach einer Woche ein. Bei einer Dosisfindungsstudie für Panikpatienten waren Dosen von 10 und 20 mg Paroxetin nicht bzw. nur wenig besser als Placebo, während 40 mg die beste Wirkung erbrachten.

Häufige Nebenwirkungen zu Therapiebeginn sowie bei Dosissteigerung sind: sexuelle Funktionsstörungen (insbesondere verzögerte Ejakulation), Übelkeit, Brechreiz, Magen-Darmbeschwerden, Durchfall, Verstopfung, verminderter Appetit, Mundtrockenheit, Schwitzen, Tremor, Unruhe, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, erhöhte Cholesterinwerte (bei Herz-Kreislauf-Patienten besonders beachten!).

Ein abruptes Absetzen sollte vermieden werden, weil vorübergehend bestimmte Symptome auftreten können, vor allem Benommenheit, sensorische Störungen, Schlafstörungen, Agitation, Ängstlichkeit, Übelkeit oder Schwitzen. Absetzphänomene sind stärker als bei anderen SSRI. Bei Kombination mit Trizyklika, Benzodiazepinen, Neuroleptika und Lithium kann ein vorher stabiler Plasmaspiegel stark ansteigen.

Wie bei anderen SSRI sollte gleichzeitig keinesfalls ein MAO-Hemmer (Aurorix) eingenommen werden (Abstand von 14 Tagen), weil es dadurch zu Erregung, Unruhe, Zittern, Herzrasen und gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit oder Durchfall kommen kann. Paroxetin kann ein neuroleptisches malignes Syndrom auslösen.

Paroxetin kann anfangs erregend und stimulierend wirken, z.B. in Form von Schlaflosigkeit, Nervosität und vermehrtem Antrieb. Bei Patienten mit Selbstmordgedanken, Erregung und Schlafstörung sollte daher anfangs zusätzlich ein beruhigendes bzw. schlafförderndes Mittel (ein dämpfendes Antidepressivum oder ein Tranquilizer in fallender Dosierung) verordnet werden.

Die Eliminationshalbwertszeit beträgt ca. 16 Stunden (8-30 Stunden), ein Steady-state-Plasmaspiegel wird nach ca. 7-14 Tagen erreicht. Paroxetin und Fluvoxamin haben eine kürzere Halbwertszeit als andere SSRI. Die belastenden anticholinergen und antihistaminergen Nebenwirkungen fehlen. Paroxetin weist unter den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern die geringste Affinität zu den Histamin-H1-, alpha1- und cholinergen Rezeptoren auf.

Paroxetin war lange Zeit neben Sertralin eines der häufigsten Mittel zur Behandlung von Panikstörungen und wird immer mehr zugunsten des wesentlich nebenwirkungsärmeren Escitalopram ersetzt. Die Substanz wirkt im Vergleich zu Fluoxetin schneller, stärker angstlösend und weist höhere Ansprechraten auf. Paroxetin zeigte im Vergleich mit Clomipramin einen deutlich früheren Wirkungsbeginn und war nach 12 Wochen gleich wirksam bei weniger Nebenwirkungen als das trizyklische Antidepressivum.

1995 wurde die erste SSRI-Studie bei Panikpatienten (großteils mit Agoraphobie) vorgestellt, bei der Paroxetin und Placebo jeweils in Kombination mit einer kognitiven Therapie eingesetzt wurden. Dabei war die Kombination von Pharmakotherapie und kognitive Therapie der anderen Behandlungsform überlegen. Eine Reduktion um mindestens 50% der Panikattacken nach 3 Monaten war bei 82% der Paroxetin-Gruppe und bei 50% der Placebogruppe festzustellen.

1997 wurde eine in 11 Ländern durchgeführte Placebo- und Clomipramin-kontrollierte Doppelblindstudie veröffentlicht, die den Effekt von Paroxetin bei 367 Panikpatienten nach 3 Monaten erhob. Nach 3 Monaten hatten 50,9% der Paroxetin-Gruppe, 36,7% der Clomipramin-Gruppe und 31,6% der Placebogruppe keine Panikattacken mehr. Das Kriterium der Panikattackenreduktion um mindestens die Hälfte ergab in allen 3 Gruppen doppelt so hohe Erfolgswerte (76,1% vs. 64,5% vs. 60,0%). Paroxetin und Clomipramin waren gleich wirksam, allerdings wirkte Paroxetin rascher und hatte weniger Nebenwirkungen. Beachtlich ist der relativ hohe Placeboeffekt.

In einer weiteren Erfolgsüberprüfung nach einem Jahr wurden die in der Studie verbliebenen 176 Panikpatienten untersucht. Es handelt sich dabei um die erste längerfristige SSRI-Studie mit Placebokontrolle bei Panikstörungen. Insgesamt ergab sich eine weitere Besserung mit denselben bereits angeführten Effekten. Am Studienende hatten 85% der Paroxetin-Gruppe, 72% der Clomipramin-Gruppe und 59% der Placebogruppe keine Panikattacken mehr. Die Prozentwerte für eine Reduktion der Panik-attacken auf die Hälfte betrugen bei den 3 Gruppen 98%, 92% bzw. 88%. Paroxetin erwies sich auch nach einem Jahr als wirksames, sicheres und gut verträgliches Mittel zur Behandlung von Panikstörungen. Trotz des Ausfalls zahlreicher Placebo-Gruppenteilnehmer war bei verschiedenen Patienten auch noch nach einem Jahr eine anhaltende Placebowirkung feststellbar, obwohl Beratungsgespräche möglichst reduziert worden waren. Die Teilnahme an einer Studie stellt nach Auffassung der Autoren an sich bereits einen Placeboeffekt dar.

Drei placeobokontrollierte Studien mit insgesamt 566 Patienten mit Generalisierter Angststörung bestätigten die Wirksamkeit bei Generalisierter Angststörung nach achtwöchiger Behandlungsdauer. Die Wirksamkeit bei einer posttraumatischen Belastungsstörung ist empirisch ebenfalls als erwiesen anzusehen. Paroxetin ist auch bei Zwangsstörungen mindestens so gut wirksam wie die Referenzsubstanz Clomipramin. Nach 12 Wochen ergab sich bei über 50% der Zwangspatienten eine deutliche Reduktion der Zwangssymptomatik (nötige Dosis: 40-60 mg). Nach einem Behandlungsjahr konnte die nach 12 Wochen erreichte Besserung beibehalten bzw. gesteigert werden.

Sertralin

Sertralin (D: Gladem, Zoloft, Ö: Gladem, Tresleen) ist ein hochselektiver SSRI zur Behandlung folgender Störungen: Depressionen (inklusive Rezidivprophylaxe depressiver Störungen und Depressionen in Begleitung von Angstzuständen), Panikstörungen mit und ohne Agoraphobie, Zwangsstörungen (auch bei Kindern und Jugendlichen), Generalisierte Angststörungen, Soziale Phobien und Posttraumatische Belastungsstörungen. Die Wirksamkeit ist durch zahlreiche Studien belegt.

Die Standarddosis beträgt unabhängig vom Alter 50 mg pro Tag und kann bei Bedarf und guter Verträglichkeit um jeweils weitere 50 mg pro Woche auf die Zieldosis auf 100-200 mg erhöht werden, was vor allem bei Zwangspatienten angezeigt ist. Dosisfindungsstudien haben gezeigt, dass eine Tagesdosis von 50 mg in den meisten Fällen ausreichend ist. Diese Dosis entspricht auch der Erhaltungsdosis. Der Wirkungseintritt erfolgt relativ rasch, erste Effekte sind oft bereits nach einer Woche festzustellen.

Sertralin weist für ein Antidepressivum recht günstige Eigenschaften auf:

Sertralin hat im Vergleich zu Paroxetin, Fluoxetin und Fluvoxamin auch ein geringeres Interaktionsrisiko mit anderen Medikamenten. Es verträgt sich eher mit Trizyklika, Benzodiazepinen und Medikamenten für ältere Menschen.

Häufige Nebenwirkungen zu Therapiebeginn und bei Dosissteigerung sind: Übelkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Durchfall, Mundtrockenheit, Tremor, Schwindel, Schlafstörungen, Müdigkeit, sexuelle Funktionsstörungen (insbesondere Ejakulationsverzögerung), vermehrtes Schwitzen, Dyspepsie, Kopfschmerzen.

Sertralin hemmt nicht so stark wie andere SSRI den Abbau des Enzymsystems Cytochrom P450 (Isoenzym 2D6, aber auch Isoenzyme 2C9 und 2C10), das für den Abbau vieler Arzneimittel (auch Lebensmittel) zuständig ist, und verstärkt nicht in unkontrollierbarer Weise die Wirkung anderer gleichzeitig eingenommener Medikamente.

Vergleichsstudien zwischen Sertralin und Fluoxetin ergaben, dass die Angstsymptomatik durch Sertralin tendenziell besser beeinflusst wurde als durch Fluoxetin. Bei einer deutschen 15-Wochen-Studie zum Vergleich von Sertralin (50-150 mg) und Paroxetin (40-60 mg) ergab sich die gleiche Wirksamkeit, jedoch eine bessere Verträglichkeit von Sertralin (keine Verschlechterung während der Ausschleichphase; Paroxetin-Patienten erlebten beim Absetzen mehr Panikattacken und generell eher eine Verschlechterung des Zustandsbildes).

In den USA wurden mehrere multizentrische, placebokontrollierte Doppelblindstudien mit einer Dosis von 50, 100 und 200 mg Sertralin durchgeführt. Die Studien dauerten zumeist 10-12 Wochen.

Die folgende Tabelle zeigt die hohe Wirksamkeit von Sertralin, aber auch die hohen Placeboeffekte.

Sertralin-Studien bei Panikpatienten  

Patientenzahl

Panikreduktion in der Sertralin-Gruppe

Panikreduktion in der Placebogruppe

177

65%

39%

168

77%

51%

88

71%

39%

176

79%

59%

152

84%

29%

Eine Meta-Analyse von 4 placebokontrollierten Doppelblindstudien bei Panikpatienten, die 407 Sertralin-Gruppenteilnehmer und 257 Placebo-Gruppenteilnehmer umfasste, ergab bei 69% der Sertralin-Gruppenteilnehmer und bei 47 der Placebogruppen-teilnehmer eine Reduktion der Panikattacken, aber auch der Erwartungsangst (67% vs. 50%). Die Besserungen durch die Sertralin-Behandlung zeigten sich auch anhand der Hamilton-Angst-Skala, anhand einer globalen Erfolgsbeurteilung u.a.

Bei einer Studie an 320 Panikpatienten führte Sertralin im Vergleich zu Placebo zu weniger Panikattacken, weniger Erwartungsangst, weniger phobischer Vermeidung, geringerer soziale Beeinträchtigung, besserer sozialer, familiärer und beruflicher Funktionsfähigkeit, vermehrten Freizeitaktivitäten, besserer Stimmung u.a.

Bei einer Studie mit fixen Dosierungen von 50, 100 und 200 mg/Tag waren 76% der Patienten nach 6 Wochen frei von Panikattacken. Dabei bestand kein Zusammenhang zwischen der Höhe der Dosierung und dem Zurückgehen der Panikattacken.

Zwei placebokontrollierte Studien dokumentierten die Wirksamkeit von Sertralin in der Akutbehandlung der posttraumatischen Belastungsstörung, im Rahmen einer späteren Verlaufsuntersuchung zeigte sich eine stabile Besserung bei anhaltender Dauerbehandlung bis zur 36. Woche. Eine kanadische 20-Wochen-Muticenterstudie erbrachte die Wirksamkeit bei Patienten mit einer generalisierten Sozialphobie.

Eine große Sertralin-Studie zur Behandlung von Zwangsstörungen in 11 amerikanischen Zentren bei insgesamt 324 Zwangspatienten ergab in der Sertralin-Gruppe gegenüber der Placebogruppe in allen Bereichen signifikante Verbesserungen bei verschiedenen Skalen. Nach einer Globalbeurteilung zeigten sich 52,8% der Sertralin-Gruppe und 35% der Placebogruppe „viel gebessert“ oder „sehr viel gebessert“.

Der im Vergleich zu früheren Studien wesentlich größere Placeboeffekt dürfte damit zusammenhängen, dass auch Patienten mit leichterer Zwangsstörung in die Studie aufgenommen wurden, von denen ein Teil auch ohne Medikament eine Besserung erreichte. Dies weist auf die Wirksamkeit von unspezifischen Therapieeffekten hin. Vier weitere Studien belegen ebenfalls den Behandlungseffekt von Sertralin bei Zwangsstörungen.

Citalopram

Citalopram (D: Cipramil, Ö: Seropram) war vor Escitalopram, das von der Firma Lundbeck entwickelt wurde, der selektivste Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.

Citalopram ist zugelassen zur Behandlung von Depressionen, Panikstörungen mit und ohne Agoraphobie, Soziale Phobien und Zwangsstörungen und zählte wegen der geringen Nebenwirkungen vor dem Erscheinen des Nachfolgepräparates Escitalopram zu den in der klinischen Praxis am meisten verschriebenen SSRI.

Bei den meisten Angst- und Panikpatienten ist eine Zieldosis von 20-30 mg/Tag ausreichend, bei Zwangspatienten wird bei Verträglichkeit der Substanz eine Dosis bis zu 60 mg/Tag empfohlen.

Bei manchen Panikpatienten treten anfangs verstärkte Angstsymptome auf. Diese paradoxe Zunahme der Angst ist in der ersten Behandlungswoche am stärksten und lässt im Laufe von zwei Wochen nach. Durch eine niedrige Anfangsdosis von 10 mg/Tag in der ersten Woche kann dies oft verhindert werden.

Die Wirkung von Citalopram setzt schneller ein als die von Fluoxetin (maximaler Plasmaspiegel nach 3 Stunden).

Der Steady-state-Plasmaspiegel wird innerhalb von 1-2 Wochen erreicht. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt ca. 33 Stunden. Das Medikament sollte ausschleichend abgesetzt werden (pro Woche 10 mg weniger).

Citalopram beeinflusst die Wiederaufnahme von Noradrenalin, Dopamin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA) nicht oder nur in geringem Maß.

Im Gegensatz zu vielen trizyklischen Antidepressiva und einigen Serotonin-Wiederaufnahmehemmern zeigt Citalopram keine oder nur geringe Affinität zu einer Reihe von Rezeptoren wie 5-HT1A- Rezeptoren und 5-HT2-Rezeptoren, dopaminergen D1- und D2-Rezeptoren, Histamin H1-Rezeptoren, verschiedenen Adrenorezeptoren, muskarinischen cholinergen Rezeptoren sowie Benzodiazepin- und Opioid-Rezeptoren.

Die fehlende Wirkung auf diese Rezeptoren erklärt das Fehlen von Nebenwirkungen wie z.B. Mundtrockenheit, Blasen- und Darmstörungen, verschwommenes Sehen, Sedierung, Kardiotoxizität, orthostatische Hypotonie.

Citalopram unterdrückt den REM-Schlaf, erhöht die Tiefschlafphase, bewirkt keine psychomotorische Verlangsamung und keine kognitive Beeinträchtigung und nur eine minimale Sedierung.

Häufige Nebenwirkungen zu Therapiebeginn bzw. bei höherer Dosierung sind: Übelkeit (gelegentlich bis zum Erbrechen), Appetitlosigkeit, Durchfall, verstärkte Schweißneigung, innere Unruhe, Agitiertheit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Tremor, Schwindel und Zwangsgähnen, aber auch sexuelle Funktionsstörungen (insbesondere Ejakulationsverzögerungen, Orgasmusstörungen, Libidominderung). Geringe Interaktionen mit anderen Medikamenten sind möglich, die Komplikationen mit anderen Medikamenten sind jedoch geringer als bei Paroxetin.

In einer großen Untersuchung an 401 Zwangspatienten wurde Citalopram auch als wirksames Mittel zur Behandlung der Zwangsstörung nachgewiesen. Die Wirksamkeit der Substanz war im Wesentlichen unabhängig von der Höhe der Dosierung (Tagesdosen von 20, 40 und 60 mg).

Nach zwei offenen Studien und einer Placebo- und Clomipramin-kontrollierten Doppelblindstudie in 4 Ländern (Finnland, Schweden, Niederlande und Großbritannien) bei 475 Panikpatienten mit und ohne Agoraphobie besteht Wirksamkeit bei Panikstörungen.

Die Untersuchung des Dosiseffekts ergab folgende Befunde: 10-15 mg Citalopram waren nicht wirksamer als Placebo, während eine Dosis von 20-30 mg bzw. 40-60 mg der Placebobehandlung signifikant überlegen war. Mit 20-30 mg wurden sogar bessere Ergebnisse erzielt als mit einer höheren Dosis, d.h. die Standardbehandlung mit 20 mg ist meist ausreichend.

Bei einer Vergleichsstudie an Panikpatienten war Citalopram nach 60 Tagen bei 86% wirksam und Paroxetin bei 84%.

Escitalopram

Escitalopram (D/Ö: Cipralex) ist der neueste und gleichzeitig stärkste selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, der eine Weiterentwicklung von Citalopram darstellt.

Aus der einschlägigen Fachliteratur stammen folgende Informationen: Escitalopram ist das pharmakologisch wirksame Enantiomer des Citaloprams, eines so genannten Razemats. Citalopram ist ein Razemat aus einem rechtsdrehenden (R-) Enantiomer, das therapeutisch wirkungslos und sogar kontraproduktiv ist, und einem linksdrehenden   (S-) Enantiomer, das für die therapeutische Wirksamkeit verantwortlich ist. Links- und rechtsdrehende Moleküle, die zueinander gleich sind, werden Enantiomere genannt, die zur Unterscheidung mit R und S gekennzeichnet sind. Als Razemat bezeichnet man das Gemisch der beiden Enantiomere. Durch die neuen Möglichkeiten der technischen Trennung der beiden Komponenten konnte das reine (S)-Citalopram entwickelt werden, das eine noch höhere Serotonin-Spezifität aufweist, bei bereits erheblich niedrigerer Dosierung wirkt und entsprechend weniger Nebenwirkungen hat.

Escitalopram weist gegenüber Citalopram folgende Verbesserungen auf: Es erfolgt eine noch selektivere Serotonin-Wiederaufnahmehemmung; die Wirkung tritt deutlich früher ein; mehr Patienten sprechen darauf an und werden symptomfrei; die Substanz ist genauso gut verträglich wie Citalopram, sogar mit noch weniger Nebenwirkungen.

Wegen der besseren Wirksamkeit bei relativ günstigem Preis möchte die Herstellerfirma Escitalopram durch das früher bewährte Citalopram sukzessive ersetzen.

Verschiedene Studien widersprechen der Behauptung der Herstellerfirma Lundbeck, das Enantiomer Escitalopram wirke stärker und schneller als das Recemat Citalopram.

Im Gegensatz zu Citalopram hat Escitalopram aufgrund von verschiedenen Studien, finanziert von der Herstellerfirma, eine breite Indikationszulassung erreicht, ähnlich wie Sertralin, das von der weltgrößten Pharmafirma Pfizer auf den Markt gebracht wurde und daher ebenfalls viele Wirksamkeitsstudien aufweisen kann.

Escitalopram ist anerkannt zur Behandlung von Depressionen, Panikstörungen mit und ohne Agoraphobie, Zwangsstörungen, Generalisierten und Sozialen Angststörungen.

Gegenüber Venlafaxin-Retard-Präparaten 75-150 mg wirkte Escitalopram schneller und war gleich gut bei besserer Verträglichkeit.

Einnahmeempfehlungen: in der ersten Woche 5 mg/Tag, danach 10 mg pro Tag, bei Bedarf später 20 mg/Tag. Bei einer Eliminationshalbwertszeit von 30 Stunden reicht eine Tablette pro Tag aus. Der maximale Plasmaspiegel wird nach 4 Stunden erreicht. Das Wirkungsmaximum wird nach etwa drei Monaten erreicht. Die Einnahmedauer sollte bei erstmaligem Auftreten der Symptome mindestens mehrere Monate, eher jedoch 6 Monate und nach einem Rückfall sogar 12 Monate umfassen.

Häufige Nebenwirkungen zu Behandlungsbeginn und bei höherer Dosierung: Übelkeit (gelegentlich bis zum Erbrechen), Appetitlosigkeit, Durchfall, Appetitlosigkeit, vermehrtes Schwitzen, innere Unruhe, Agitiertheit, Kopfschmerzen, Schwindel, Tremor, Einschlafstörung, sexuelle Funktionsstörungen (Ejakulationsverzögerung, Libidominderung, Orgasmusstörungen). Es gibt nur wenige Arzneimittelinteraktionen, sodass sich das Mittel gut zur Kombinationstherapie eignet. Wegen möglicher Störungen der Reizweiterleitung (Verlängerung des QT-Intervalls) kann es zu schwerwiegenden Herzrhythmusstörungen kommen, sodass die früher vor allem bei Zwangsstörngen übliche tägliche Höchstdosis von 30 auf 20 mg reduziert wurde. Eine Überprüfung der Herzleistung durch ein EKG ist zumindest bei Personen mit Herzproblemen sowie bei älteren Menschen unbedingt erforderlich.

 

Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)

SSRI wirken bei vielen Menschen mit starken Depressionen nicht ausreichend, sodass in der Forschung wieder die Wirkprinzipien der trizyklischen Antidepressiva im Mittelpunkt standen, mit dem Ziel, Substanzen zu entwickeln, die weniger Nebenwirkungen als die Trizyklika enthalten sollten.

 

SNRI sollen nur die die Wiederaufnahmepumpen für Serotonin und Noradrenalin hemmen und andere Nerevenbotenstoffe nicht beeinflussen. SNRI hemmen selektiv die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt,ohne die bekannt hohen Trizyklika-Wirkungen auf andere Rezeptorsysteme.

 

SNRI sind für viele Menschen mit Angststörungen zumindest in höherer Dosis wegen anhaltender und stärkerer noradrenerger Nebenwirkungen im Vergleich zu SSRI nicht tolerierbar, vor allem aufgrund von Effekten wie Blutdrucksteigerung, Herzrasen, Zittern und Mundtrockenheit - was bis hin zu Panikattacken führen kann.

 

Venlafaxin (D: Trevilor, Ö: Efectin), Milnacipran (Milnaneurax in D, Ixel und Dalcipran in Ö) und Duloxetin (Cymbalta) sind die drei spezifischen Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI Specific Serotonin and Noradrenalin Reuptake Inhibitors). Die erste SNRI-Substanz war Venlafaxin (Markteinführung 1996), die neueste Duloxetin - mittlerweile sind beide aufgrund des erloschenden Patentschutzes als Generika verschreibbar.  

 

SNRI sind nach den SSRI die am zweithäufigsten verschriebenen Antidepressiva.

 

Milnacipran blockiert die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme ungefähr gleich stark (daher gerade bei Angstpatienten Gefahr von sehr unangenehmen, angstmachenden Nebenwirkungen), Duloxetin hat eine 10-fach größere Selektivität für Serotonin, Venlafaxin eine 30-fach größere Selektivität für Serotonin. Venlafaxin ist daher wegen geringerer Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung für viele Patienten am besten verträglich.

 

Bei Menschen mit bipolaren Störungen können SSRI im Rahmen der Behandlung einer Depression eine Manie auslösen, sodass Vorsicht angebracht ist.  

Velafaxin

Venlafaxin ist ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) (mit zusätzlicher schwacher Dopamin-Wiederaufnahmehemmung). Diesen Wirkmechanismus findet man auch bei Trizyklika wie Clomipramin oder Amitriptylin, jedoch weniger spezifisch, weshalb cholinerge Nebenwirkungen auftreten. Venlafaxin hemmt bei niedriger Dosis die Serotonin-, bei mittlerer Dosis zusätzlich die Noradrenalin- und bei hoher Dosis auch noch die Dopamin-Rückaufnahme aus dem synaptischen Spalt.

Die Substanz wirkt stimmungsaufhellend und angstlösend. Die Wirkung setzt in höherer Dosis im Vergleich zu SSRI schneller ein. Der angstlösende Effekt erfolgt schnell, die stimmungsaufhellende Wirkung erst nach zwei Wochen.

Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 5 Stunden (Retard-Präparat: 14-18). Der maximale Plasmaspiegel wird nach 2-4 Stunden (retard: 8-9), die Steady-State-Dosis nach 3 Tagen erreicht.

Venlafaxin ist zugelassen mit der Indikation für Depressionen mit und ohne begleitende Angstsymptomatik (auch für Rezidivprophylaxe depressiver Störungen), Generalisierte Angststörungen und Soziale Phobien (nicht für Zwangsstörungen zugelassen).

Die angstlösende Komponente von Venlafaxin wurde auch bei depressiven Patienten mit gleichzeitiger Angstsymptomatik im Vergleich zu Fluoxetin und Placebo nachgewiesen.

Das Mittel erzielt nach einer multizentrischen Studie über 6 Monate bei ambulanten Patienten mit einer Generalisierten Angststörung auch dann gute Erfolge, wenn keine depressive Begleitsymptomatik besteht.

Die häufige Komorbidität von Angststörung und Depression verschlechtert die Prognose, sodass eine effiziente Behandlung sehr wichtig ist.

Venlafaxin stellt oft das Mittel der ersten Wahl dar, weil es den Vorteil hoher Wirksamkeit gegenüber beiden Erkrankungen in einem Präparat vereint.

Die Tagesdosis beträgt 75-150 mg (beginnend mit 37,5 mg), auf 2-mal 75 mg verteilt, bei Bedarf Steigerung bis auf 225 mg. Wegen besserer Verträglichkeit sind Retardpräparate (D: Trevilor  retard, Ö: Efectin  ER) empfehlenswert.

Venlafaxin hat im Vergleich zu den Trizyklika weniger Nebenwirkungen, weil andere Transmittersysteme nicht wesentlich beeinflusst werden, oft zeigen sich jedoch mehr Nebenwirkungen als bei SSRI.

Es besteht laut Herstellerfirma angeblich keine Affinität für cholinerge, H1-Histamin-, alpha1-adrenerge, Benzodiazepin-, Opiat-, N-methyl-d-Asparaginsäure (NMDA)- und Phenzyklidin (PCP)-Rezeptoren.

Häufigkeit und Intensität der Nebenwirkungen nehmen im Verlauf der Behandlung und nach Reduktion der Dosis ab.

Häufige Nebenwirkungen zu Behandlungsbeginn und bei Dosissteigerung: Übelkeit (gelegentlich mit Erbrechen), Durchfall, Appetitlosigkeit, vermehrter (nächtlicher) Schweiß, innere Unruhe, Agitiertheit, Angstzustände, Tremor, Nervosität, Sehstörungen, dosisabhängig Blutdruckanstieg und Herzbeschwerden, Schlafstörung, Parästhesien, Hautausschlag, sexuelle Funktionsstörungen. Ein sedierender Effekt fehlt.

Zur Verminderung der möglichen starken Nebenwirkungen werden daher Retard-Präparate verordnet, die den Wirkstoff verzögert abgeben, erkennbar durch die Zusatzbezeichnung XR (extended release).

 

Milnacipran

Milnacipran (Milnaneurax in D, Ixel und Dalcipran in Ö) hemmt selektiv die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin, ohne direkt die postsynaptischen Rezeptoren zu beeinflussen.

Das Mittel hat keine Auswirkungen auf die cholinergen Rezeptoren, die H1-Histaminrezeptoren, die dopaminergen Rezeptoren, die Benzodiazepin- und Opiatrezeptoren.

Gegenüber Venlafaxin hemmt Milnacipran das serotonerge und das noradrenerge System in gleich starker Weise.

Das Mittel wirkt in niedriger Dosis wie ein SSRI, während die noradrenerge Komponente erst bei einer Tagesdosis von über 150 mg zum Tragen kommt.

Milnacipran ist zugelassen zur Behandlung von Depressionen. Es gibt erste Hinweise auf Wirksamkeit bei Angststörungen.

Die Substanz weist im Gegensatz zu den meisten SSRI und Trizyklika eine lineare Kinetik auf. Es besteht eine lineare Beziehung zwischen der verabreichten Dosis und der Plasmakonzentration. Kumulations- oder Sättigungsphänomene treten nicht auf.

Es gibt keine dosisabhängige Wirkung auf die verschiedenen Transmittersysteme und keine Wechsel- und Nebenwirkungen wie bei den trizyklischen Antidepressiva.

Die Substanz unterliegt keiner Biotransformation durch das Cytochrom P450-System.

Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören: Schwindel, übermäßiges Schwitzen, Angstzustände, Schlafstörungen, Hitzewallungen, Schwitzen, Dysurie, Übelkeit, Erbrechen, Mundtrockenheit, Verstopfung, Tremor, Herzklopfen, Agitiertheit, Hautausschlag. Gastrointestinale und sexuelle Nebenwirkungen sind seltener als bei den SSRI.

Bei Angstpatienten kann Milnacipran wegen möglicher cholinerger Nebenwirkungen (z.B. Verstopfung, Übelkeit, vermehrtes Schwitzen, Tachykardie, Müdigkeit, Tremor) anfangs zu Agitation und Unruhezuständen führen, sodass folgendes Vorgehen zu empfehlen ist: Beginn mit 25 mg, Steigerung auf 50 mg nach drei Tagen, später Steigerung auf 100-200 mg.

 

Wegen des Abbaus über die Nieren sollte Milnacipran  bei verminderter Nierenleistung nicht eingenommen werden (Venlafaxin und Duloxetin werden dagegen über die Leber abgebaut).

 

Die Wirksamkeit setzt nach 1-3 Wochen ein. Rezeptorbindungsstudien haben jedoch gezeigt, dass Milnacipran keine erhebliche Affinität zu cholinergen Rezeptoren aufweist.

 

Wegen der kurzen Eliminationshalbwertszeit von ca. 8 Stunden ist eine zweimalige Einnahme pro Tag erforderlich. Nach mehrmaliger Gabe wird ein Steady-State-Plasmaspiegel nach 2-3 Tagen erreicht.

 

Duloxetin

 

Duloxetin (D/Ö: Cymbalta) ist ein neuerer Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Die Substanz ist zugelassen bei Depressionen, Schmerzstörungen (Schmerzen bei diabetischer Polyneurophathie, Fibromyalgie),  Generalisierter Angststörung und stressbedingtem Harnabgang (Harninkontinenz).

 

Es besteht ein rascher Wirkungseintritt (nach einer Woche) bei einem relativ günstigen Nebenwirkungsprofil, ohne bedeutsame Affinität für andere Rezeptoren (keine anticholinergen oder antihistaminergen Eigenschaften, keine Blockade dopaminerger, serotonerger oder opioiderger Rezeptoren).

 

Die Tagesdosis ist 60-120 mg (anfangs 30 mg). Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 9-19 Stunden (durchschnittlich 12,5 Stunden), maximaler Plasmaspiegel nach 2-6 Stunden.

 

Häufige Nebenwirkungen zu Therapiebeginn: Übelkeit (bis zum Erbrechen), Appetitverminderung, Schlaflosigkeit, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Durchfall, Angst, Nervosität, Agitiertheit, Schwindel, Tremor, Durchfall, Verstopfung, Hitzewallungen, vermehrtes Schwitzen, Muskelsteifigkeit, sexuelle Funktionsstörungen (Libidoverminderung, Orgasmusstörungen, erektile Dysfunktion), Herzrasen, Mundtrockenheit u.a.

 

 

Autorezeptor-Blocker

Autorezeptor-Blocker erhöhen wie Trizyklika, SSRI und SNRI die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt, jedoch nicht durch die Hemmung der Wiederaufnahmepumpe, sondern durch die Blockade der sogenannten Autorezeptoren an der ersten Nervenzelle, d.h. an der präsynaptischen Nervenzelle, wodurch keine Rückmeldung über das Ausmaß von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt möglich ist (die Autorezeptoren  würde sonst bei einem bestimmten Ausmaß die Ausschüttung dieser Neurotransmitter in den synaptischen Spalt vermindern). Als Folge davon werden weiterhin konstant Serotonin und Noradrenalin in den synaptischen Spalt ausgeschüttet.

Mirtazapin 

Mirtazapin (D: Remergil, Ö: Remeron) hat eine tetrazyklische Struktur und ist als Nachfolgepräparat von Mianserin (Tolvon) seit 1996 auf dem Markt.

Mirtazapin ist ein noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum (NaSSA) mit einem dualen Wirkmechanismus.

Es werden die präsynaptischen adrenergen alpha2-Rezeptoren am noradrenergen Neuron (= Autorezeptor) und am serotonergen Neuron (= Heterozeptor) blockiert.

Durch diese Rezeptorblockade wird ein Neurotransmittermangel vorgetäuscht. Im Sinne einer negativen Feedback-Regulation erfolgt eine vermehrte Freisetzung von Noradrenalin und Serotonin.

Zusätzlich stimuliert das noradrenerge Neuron die nachgeschaltete serotonerge Nervenzelle, was die Serotonin-Freisetzung fördert. Die Aktivierung von Neuronen durch Serotonin über den Subtyp der 5-HT1A-Rezeptoren führt zur erwünschten antidepressiven und angstlösenden Wirkung.

Im Gegensatz zu den SSRI und den SNRI, die die Konzentration der Botenstoffe im synaptischen Spalt durch die Blockierung der Wiederaufnahme erhöhen, sollen die NaSSAs die Produktion der Neurotransmitter steigern.

Die zusätzliche Hemmung der Histamin-H1-Rezeptore führt zu einer sedierenden Wirkung.

Die unerwünschte Wirkung der Stimulierung der 5-HT1A-Rezeptoren (Mirtazapin ist ein H1-Rezeptoragonist) bewirkt Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Benommenheit, Mundtrockenheit und vor allem häufige Gewichtszunahme.

Die gleichzeitige Blockierung der 5-HT2- und 5-HT3-Rezeptoren auf postsynaptischer Ebene, die kein anderes Antidepressivum bewirkt, verhindert die typischen serotonergen Nebenwirkungen. Dadurch werden SSRI-Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall, Schlafstörungen und Sexualstörungen vermieden.

Mirtazapin wirkt antidepressiv, schlaffördernd und angstlösend. Es besteht zwar offiziell nur eine Indikation für depressive Erkrankungen, die Substanz wird jedoch auch jenen Angstpatienten verordnet, die gleichzeitig eine Sedierung benötigen, ohne dass deswegen Tranquilizer eingesetzt werden sollen.

Die Tagesdosis beträgt 30 mg abends (beginnend mit 15 mg), bei Nichtansprechen wird auf 45 mg erhöht. Bei Hypotoniepatienten ist eine Verstärkung der Hypotonie bei Bedarf durch eine Dosisreduktion zu vermeiden. Das Mittel wird ausschleichend abgesetzt.

Wirkungen und Nebenwirkungen beruhen auf folgenden Rezeptoreinwirkungen:

Mirtazapin wirkt relativ rasch (oft bereits in der ersten Woche) und hat eine nur leicht sedierende Wirkung, weil der aktivierende Noradrenalin-Effekt die sedierende Wirkung über die Histaminrezeptoren teilweise kompensiert. Anticholinerge, antiadrenerge und serotonerge Nebenwirkungen treten selten auf.

Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 20-40 Stunden (bis 65 Stunden möglich). Dies rechtfertigt die Empfehlung zur Einmalgabe. Der maximale Plasmaspiegel wird nach zwei Stunden, der Steady-state-Plasmaspiegel nach 3-4 Tagen erreicht, danach erfolgt keine weitere Akkumulation.

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Sedierung, Müdigkeit (manchmal „hang over“-Effekt am nächsten Morgen), Appetit- und Gewichtszunahme (Heißhungerphasen), gelegentlich auch Mundtrockenheit, Verstopfung, Schwindel, orthostatische Hypotonie, Kopfschmerzen, akute Knochenmarksdepression. Wegen der möglichen Blutbildschädigung sind regelmäßige Laborkontrollen empfehlenswert.

Das in der Praxis größte Problem stellt die oft relativ starke Gewichtszunahme dar. Die Beeinträchtigung von Wachheit, Aufmerksamkeit und Konzentration (vor allem in den ersten Wochen) ist bezüglich Verkehrstauglichkeit zu beachten. Anticholinerge Wirkungen fehlen.

Mirtazapin verstärkt die Wirkung von Benzodiazepinen, was bei gleichzeitiger Einnahme zu beachten ist, und verstärkt auch die Wirkung von Alkohol, sodass eine strikte Alkoholabstinenz eingehalten werden muss.

Mirtazapin ist bei viel weniger Nebenwirkungen gleich wirksam wie Amitriptylin, Clomipramin und Doxepin und wirksamer als Trazodon. Im Vergleich zu den SSRI fehlen Nebenwirkungen wie Übelkeit, und es zeigt sich ein (oft erwünschter) leicht sedierender Effekt. Mirtazapin führt zu keiner Hemmung metabolisierender Enzymsysteme (insbesondere Cytochrom P450), sodass ein eher geringes Interaktionspotenzial besteht.  

 

Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI)

Reboxetin

Reboxetin (Edronax) ist ein spezifischer Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer  (NARI: Specific Noradrenalin Reuptake Inhibitor). Die Substanz hemmt den Rücktransport des Neurotransmitters Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt in das vorgeschaltete Neuron. Der Transport von Serotonin wird kaum, das Dopaminsystem überhaupt nicht beeinflusst.

Das waren die früher üblichen positiven Aussagen zu Reboxetin, wie sie auch noch in meinem Buch "Angststörungen" zu lesen sind:

Häufige Nebenwirkungen sind: Mundtrockenheit, Verstopfung, Appetitverlust, Übelkeit, Herzrasen, orthostatische Hypotonie, Kopfschmerzen, vermehrtes Schwitzen, Schlafstörungen, innere Unruhe, Tremor, Harnverhaltung (hauptsächlich bei Männern), sexuelle Funktionsstörungen (Ejakulationsverzögerung, erektile Dysfunktion).

Mittlerweile ist klar: Das Mittel ist nicht so effektiv, wie von der Herstellerfirma früher behauptet wurde (mehrere Wirksamkeitsstudien ohne Erfolgsnachweis wurden von der Herstellerfirma unterschlagen), und laut neuester Antidepressiva-Vergleichsstudie das eindeutig unwirksamste Mittel überhaupt, sodass es in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr bezahlt wird.

  

Serotonin-Wiederaufnahmeverstärker (SRE)

Tianeptin

Tianeptin (Ö: Stablon, D: Tianeurax) ist ein neueres Antidepressivum im deutschsprachigen Raum, in Frankreich ist die Substanz seit längerem zugelassen, unterliegt dort aber mittlerweile dem Betäubungsmittelgesetz wegen Suchtgefahr.

Das Mittel ist ein Serotonin-Wiederaufnahmeverstärker (Enhancer) - das Gegenteil der SSRI. Statt selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmung erhöht Tianeptin die Serotonin-Rückaufnahme aus dem synaptischen Spalt und widerspricht damit gängigen Theorien von Depressionen als Serotoninmangelzustand. Tianeptin erhöht die Feuerungsrate der Neuronen im Hippocampus.

Die Substanz steigert erstens die spontane Aktivität von Pyramidenzellen im Hippocampus und beschleunigt ihre Wiederherstellung nach funktioneller Hemmung und steigert zweitens die Wiederaufnahme von Serotonin durch die Nervenzellen in der Hirnrinde sowie im Hippocampus.

Tianeptin wird neben der Behandlung von Depressionen wegen der anxiolytischen Komponente auch bei Angststörungen eingesetzt. Doppelblindstudien fehlen jedoch.

Die Substanz nimmt eine Mittelstellung zwischen sedativen und stimulierenden Antidepressiva ein und hat eine starke Wirkung auf somatische Beschwerden, besonders auf die mit Angst und Stimmungsschwankungen verbundenen gastrointestinalen Beschwerden.

Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 3 Stunden, was leider eine tägliche Mehrfacheinnahme erfordert. Die Tagesdosis ist 37,5 mg (dreimal 12,5 mg).

Das Mittel ist gut verträglich und sollte wie alle Antidepressiva nur ausschleichend abgesetzt werden. Es bestehen keine MAO-Aktivität und keine Effekte an anderen Neurotransmittern (keine Metabolisierung über das Cytochrom P450).

Bei gleich guter Wirksamkeit gegenüber SSRIs und besserer Akzeptanz als Trizyklika weist die Substanz einige Vorteile auf, die den Einsatz durchaus bei Angstpatienten überlegenswert machen. Anticholinerge Symptome fehlen.

Die häufigsten Nebenwirkungen sind: Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Somnolenz, Angst, Mundtrockenheit, Verstopfung, Bauchschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, seltener sind Ein- und Durchschlafstörungen, Erbrechen, Dyspepsie, Durchfall, Appetitmangel, Hautveränderungen (Pruritus), Sehstörungen. Die Nebenwirkungen nehmen bei fortgesetzter Behandlung und Dosisreduktion ab.

 

 
Serotonin-Modulatoren
 

Trazodon

Trazodon (D: Thombran, Ö: Trittico) unterscheidet sich in seinem Wirkmechanismus von allen anderen Antidepressiva. Es handelt sich um einen schwachen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, der gleichzeitig einen ausgeprägten Antagonismus gegenüber 5-HT2-Rezeptoren und alpha-Adrenorezeptoren, aber praktisch keine anticholinerge Wirkung hat, d.h. das Mittel hemmt präsynaptisch die Serotonin-Wiederaufnahme und blockiert postsynaptisch die 5-HT2A-Rezeptoren.

Dieses Wirkungsprofil ist verantwortlich für die Verstärkung der antidepressiven Wirkung besonders in den Bereichen Anxiolyse, Besserung von Schlafstörungen und Aufrechterhaltung der sexuellen Funktion.

Trazodon wird eingesetzt Behandlung von Depressionen unterschiedlicher Ursachen mit und ohne Angstkomponente sowie bei anhaltenden Schlafstörungen bei Depressionen. Es fördert den Tiefschlaf, vermindert psychovegetative (somatoforme) Symptome und ist auch zugelassen zur Behandlung chronischer Schmerzzustände und funktioneller Sexualstörungen. Zur Behandlung von Panikattacken ist das Mittel nicht geeignet.

Die Substanz wirkt sedierend, angstlösend und weist nur wenig Nebenwirkungen auf (keine anticholinergen Effekte), weshalb es Angstpatienten gerne zur Beruhigung verschrieben wird (abendliche Einnahme zwecks Reduktion von Nebenwirkungen). Die sedierende Wirkung setzt meist unmittelbar bereits in den ersten Tagen ein, die stimmungsaufhellende Wirkung gewöhnlich erst nach 1-3 Wochen.

Das Mittel wird in der klinischen Praxis oft als Alternative zu Mirtazapin (D: Remergil, Ö: Remeron) bei depressiv bedingten Schlafstörungen eingesetzt, weil SSRI keine dämpfende und schlaffördernde Wirkung haben, sondern zumindest zu Behandlungsbeginn oft Schlafstörungen bewirken (weshalb zu deren Vermeidung die SSRI-Einnahme am Morgen und bei wiederholter Einnahme spätestens zu Mittag erfolgt).

Zu Behandlungsbeginn ist eine niedrige abendliche Dosis von 50 mg zu empfehlen, anschließend erfolgt eine graduelle Steigerung auf die Zieldosis von 100-150 mg (wenn eine stärkere Dämpfung und eine schlafanstoßende Wirkung bei einer Schlafstörung gewünscht werden).

Die Tagesdosis wird verabreicht entweder als Einmaldosis, vorzugsweise abends, oder in zwei Dosen, wobei die höhere Dosis abends eingenommen werden soll. Zwecks besserer Verträglichkeit wird das Mittel in Österreich auch als Retard-Präparat verkauft, wo der Wirkstoff verzögert an den Körper abgegeben wird. Die in Österreich üblichen Retard-Präparate mit 75 mg und 150 mg sind auf drei Teile teilbar und ermöglichen daher eine individuelle Dosierung.

Häufige Nebenwirkungen zu Behandlungsbeginn und bei Überdosierung sind: Schläfrigkeit, Benommenheit, Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Mundtrockenheit, Verstopfung, Durchfall, beschleunigter oder verlangsamter Herzschlag, orthostatische Hypotonie, Sehstörungen, Hautausschlag, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Nervosität, Zittern. Ein möglicher Blutdruckabfall sollte zu Behandlungsbeginn und bei Menschen mit niedrigem Blutdruck beachtet werden. Bei gleichzeitiger Beta-Blocker-Einnahme zur Blutdrucksenkung ist die mögliche Wirkungsverstärkung zu beachten. Wegen möglicher Herz-Kreislaufprobleme werden oft andere Mittel bevorzugt.

Zu Behandlungsbeginn ist aufgrund der sedierenden Wirkung die Aufmerksamkeit und Reaktionsgeschwindigkeit und damit auch die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigt, was vor allem am Morgen beachtet werden muss.

 

Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI)

Bupropion (Elontril in D, Wellbutrin in Ö) hemmt die Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmepumpe, sodass die Konzentration von Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt erhöht wird, bei keiner oder nur geringer Vestärkung von Serotonin. Das MIttel wird vor allem bei Depressionen mit Antriebsverminderung eingesetzt, nicht jedoch bei Angststörungen.

Häufige Nebenwirkungen sind Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Übelkeit. Die Standarddosis beträgt 150-300 mg pro Tag.