Verhaltenstherapie bei Angststörungen
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Dr. Hans Morschitzky
Klinischer Psychologe, Psychotherapeut
Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie
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Verhaltenstherapie - Psychotherapie bei Angststörungen: Panikattacken, Agoraphobie, Sozialphobie, Spezifísche Phobien, Generalisierte Angststörung
Nach dem
internationalen Diagnoseschema ICD-10 unterscheidet man zwei Arten von
Angststörungen:
Phobien:
Agoraphobie, spezifische Phobien, soziale Phobie
Sonstige Angststörungen:
Panikstörung, generalisierte Angststörung
Kategorie (ICD-10-Code in Klammer) |
Kurzbeschreibung nach dem
internationalen Diagnoseschema ICD-10 der Weltgesundheitsbehörde
(WHO) |
1.
Panikstörung (F41.0) Panikattacken
treten oft nach länger dauernden Stressphasen auf, oft jedoch nicht in
einer akuten Belastungssituation, sondern in einer späteren Ruhephase
(abends im Bett, in der Wohnung vor dem Fernsehapparat,, am Wochenende,
zu Urlaubsbeginn, beim Essen in einem Lokal, beim Einkaufen im
Supermarkt)
Falsche Symptominterpretationen: Herzrasen –
Angst vor Herzinfarkt Atemnot –
Angst zu ersticken
Schwindelattacke – Angst umzufallen Innere
Anspannung – Angst, sich selbst oder jemand anderem etwas anzutun
Unwirklichkeitsgefühle – Angst, verrückt zu werden |
Wiederholtes,
später gefürchtetes, plötzliches, massives, Angst machendes Auftreten
körperlicher und geistiger Symptome. Eine Panikattacke besteht aus
mindestens 4 von 14 Symptomen:
|
2.
Generalisierte Angststörung (F41.1) Oft
mit Depressionen verwechselt, obwohl diese in späteren Jahren bei
Nicht-Bewältigung hinzukommen können. |
Mindestens
sechs Monate andauernde unkontrollierbare Sorgen und Befürchtungen
bezüglich alltäglicher Dinge des Lebens (oft Sorgen um Gesundheit und
Wohlergehen von Angehörigen; Krankheitsängsten in Bezug auf die eigene
Person gelten als „hypochondrische Störung“), verbunden mit
verschiedenen körperlichen und geistigen Symptomen, jedoch weniger
ausgeprägt als bei Panikattacken, dafür aber ständig vorhanden. Früher
„Angstneurose“ genannt. |
3.
Agoraphobie (F40.0)
|
Furcht vor
oder Vermeidung von Menschenmengen, öffentlichen Plätzen, allein Reisen
und Reisen mit weiter Entfernung von Zuhause. Einengung der
Bewegungsfreiheit, Gefühl, „in der Falle zu sitzen“. Angst, in
Angstsituationen keinen Fluchtweg oder Helfer zu haben, oft als Folge
von Panikattacken oder körperlichen Symptomen wie Schwindel, Übelkeit,
Harn- oder Stuhldrang.
|
4.
Soziale Phobien (F40.1) |
Angst vor und
Vermeiden von Mittelpunkt-Erleben, Peinlichkeit, Blamage. Angst vor
kritischer Beurteilung durch andere Menschen mit starken
Vermeidungsreaktionen bzw. Unwohlsein in sozialen Situationen. Soziale
Ängste bestehen hinsichtlich bestimmter (Leistungs-) Situationen
(Gehemmtheit durch Beobachtungsgefühle) oder hinsichtlich vieler
Situationen (mangelnde Selbstsicherheit, unzureichende soziale
Kompetenzen). |
5.
Spezifische Phobien (F40.2) |
Angst vor und
Vermeiden von bestimmten Objekten oder einzelnen Situationen (Flug-,
Tunnel-, Lift-, Hunde-, Insekten-, Spritzen-, Blut-, Zahnarztphobie
u.a.). |
Grundprinzipien der verhaltenstherapeutischen Angstbehandlung
Die
Verhaltenstherapie bei Angststörungen folgt denselben allgemeinen
Behandlungsprinzipien, wie diese grundsätzlich bei jeder Störung und jedem
Problem gemäß den Grundsätzen der Selbstmanagement-Therapie zur Anwendung
gelangen. Verhaltenstherapeuten legen mehr Wert auf eine
umfassende
Strukturierung der Therapie als die
Vertreter aller anderen Psychotherapiemethoden. Dabei wird – im Gegensatz zu den
Behauptungen von Kritikern – die Bedeutung der Beziehung zwischen Therapeut und
Patient für den Therapieprozess ebenso beachtet wie bei anderen
Therapiemethoden. Das verhaltenstherapeutische Vorgehen beruht (neben dem Aufbau
der Therapiebeziehung, der Änderungsmotivation, der Erfolgsüberprüfung u.a.) auf
drei Säulen:
1.
Detaillierte Problemanalyse.
Genaue
Erfassung der Probleme und Störungen.
Analyse der
möglichen Ursachen (Wie ist es dazu gekommen?).
Analyse des
gegenwärtigen Umfeldes (Was hält die Probleme derzeit aufrecht?).
2.
Individuelle Zielbestimmung
(global und spezifisch).
Negative Formulierung:
Was soll nicht mehr sein?
Positive Formulierung:
Was genau soll erreicht werden? Als Ziel gilt das, was der Patient anstrebt, und
nicht das, was der Therapeut gerne erreicht hätte. Über die vorher möglichst
konkret definierten Therapieziele ist der Verlauf einer Verhaltenstherapie
jederzeit auf seine
Effizienz hin
überprüfbar.
3.
Konkrete Therapieplanung
gemeinsam mit dem Patienten bei möglichst großer Transparenz des Vorgehens und
abgestimmter Auswahl der in Frage kommenden Methoden. Über den Erfolg der
Therapie bestimmt der Patient aufgrund seiner Ziele.
In der
Verhaltenstherapie werden bei verschiedenen Angststörungen ganz spezifische
Behandlungskonzepte angewandt. Bei der
Behandlung von
Agoraphobie und/oder Panikstörungen ist ein
Vorgehen in drei Phasen angezeigt:
Vorbereitung:
Beziehungsaufbau, Informationsphase, Verhaltensanalyse.
Symptomtherapie:
symptombezogene Therapie (Konfrontationstherapie).
„Hintergrundsarbeit“:
Klärung psychodynamischer und systemischer Aspekte.
Spezifische Therapieansätze bei einzelnen
Angststörungen
Panikattacken |
Agoraphobie |
Generalisierte Angst |
Soziale Ängste |
Exposition an
körpereigene
Signale (z.B. Hyperventilation)
|
Exposition an externe Auslöser |
Entspannungs-verfahren |
Selbstsicherheits-training |
Kognitive Umstrukturierung
|
Abbau von Vermeidung |
Biofeedback
|
Kommunikations-training
|
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|
„Sorgen-Exposition“
Kognitive Strategien zur Beruhigung |
Rollenspiele
In-vivo-Exposition |
3-Phasen-Modell der Behandlung von
Agoraphobie und Panikattacken
1. Phase Vorbereitung |
2. Phase
Symptomorientierte Therapie |
3. Phase Erweiterte
Therapie zur psychischen
Stabilisierung |
Diagnostik und Beziehungsaufbau |
Exposition an innere
Auslöser |
Selbstsicherheit und
soziale Kompetenz |
Exploration der „inneren Welt“ |
Exposition an äußere
Auslöser |
Steigerung des
Selbstwertgefühls |
Krankheitsmodell des Patienten |
Kognitive Neubewertung |
Klärung familiärer
Beziehungen |
Information vermitteln |
|
Biographische
Aufarbeitung |
Gemeinsames Störungs-modell
erarbeiten |
|
Auseinandersetzung
mit Traumata |
Therapie-Rational ableiten |
|
|
„Das typische
Vorgehen in der Behandlung von Personen mit Angst- und Panikstörungen lässt sich
in der Regel in drei Phasen untergliedern.
Die erste Phase
stellt die Eröffnungsphase dar, in der die medizinische und psychologische
Diagnostik im Vordergrund steht. Ziel ist es, die ‚innere Welt des Patienten’ zu
explorieren, seine Ängste, seine Kognitionen, seine körperlichen Reaktionen. Dem
Patienten werden zahlreiche Informationen zur Entstehung von Angstattacken
vermittelt und mit ihm wird ein gemeinsames psychologisches Störungsmodell
erarbeitet... Das Ende der ersten Behandlungsphase stellt in der Regel die
Ableitung des Therapierationals dar, das festlegt, wie ein sinnvolles weiteres
Vorgehen aussehen soll. Insgesamt liegt somit ein Schwerpunkt auf der
Informationsgewinnung, Informationsvermittlung sowie Motivierung zur
Verhaltensänderung. Verschiedene Provokationstests (z.B. Hyperventilation) mit
entsprechenden Auswertungen werden unterstützend eingesetzt in dieser Phase.
Die zweite
Therapiephase stellt das Kernstück der Behandlung dar. In ihr erfolgt eine
Auseinandersetzung mit angstbesetzten Reizen, welche sowohl verinnerlichte Reize
als auch äußere Angstauslöser sein können. Hauptziel dieser Auseinandersetzung
ist nicht das Bewältigen als solches, sondern eine kognitive Neubewertung der
Situation, der eigenen Fähigkeiten und der persönlichen körperlichen Reaktionen.
So trivial das Expositionsverfahren in der theoretischen Darstellung oftmals
wirkt, so viel Erfahrung ist doch andererseits in der praktischen Durchführung
nötig...
Die dritte Behandlungsphase sollte aus Interventionen bestehen, die der allgemeinen psychischen Stabilisierung dienen. Hierzu stehen verschiedenste Möglichkeiten zur Auswahl, die je nach Problemlage des Patienten und persönlichen Vorlieben des Therapeuten gestaltet werden können. So wäre hier durchaus auch an eine biographische Aufarbeitung zu denken, die versucht, dem Patienten Sinnzusammenhänge seiner Angststörung zu vermitteln bzw. solche mit ihm zu erarbeiten, wie dies üblicherweise eher in psychodynamischen Therapien geschieht. Allgemeine Stabilisierungsmaßnahmen können generell alle Maßnahmen zur Steigerung des Selbstwertgefühls darstellen oder zur Aneignung von adäquatem sozialem Kommunikationsverhalten und sozialer Kompetenz. Hierzu zählt zu lernen, Emotionen zu äußern, Kontakte aufzunehmen und aufrechtzuerhalten, berechtigte Forderungen zu stellen und unberechtigte Forderungen zurückzuweisen und vieles mehr. Auch kann zu diesem Zeitpunkt eine Klärung familiärer Beziehungen sowie die Übernahme von Selbstverantwortung in der Familie, am Arbeitsplatz und in weiteren Lebenssituationen erfolgen. Auch eine Auseinandersetzung mit früheren Traumata mag angezeigt sein.
Die Regel der
zeitlichen Anordnung ‚symptomorientierte Therapie vor allgemein psychisch
stabilisierenden Maßnahmen’ hat sich nicht nur in wissenschaftlichen Studien
bewährt, sondern zeigte sich auch im praktischen Vorgehen als überzeugend.
Gerade die biographische Aufarbeitung von traumatischen Ereignissen oder andere
Interventionen der dritten Phase lösen in der Regel erneute Ängste aus, die zu
ständigen Unterbrechungen und Abweichungen vom Therapieplan führen. Mit solchen
Krisen kann der Patient deutlich besser umgehen, wenn ihm zuvor Hilfsmittel zum
Umgang an die Hand gegeben und mit ihm eingeübt wurden. Oftmals bekommen
Patienten erst durch die symptomorientierte Therapie ausreichend Vertrauen zum
Therapeuten, um anschließend auch weitere psychotherapeutische Maßnahmen
durchführen zu wollen und das nötige Vertrauen hierzu zu entwickeln.“
Vorgehen
bei kombinierten Angststörungen
Bei
gleichzeitigem
Vorhandensein mehrerer Störungen und Probleme
(andere Angststörung, Depression, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch,
Substanzabhängigkeit, berufliche Überlastung, familiäre Probleme) sind zuerst
deren Beziehungen zueinander zu bestimmen, der positive oder negative Effekt von
Psychopharmaka zu beurteilen und danach folgende Behandlungsgrundsätze zu
beachten:
Bei
primärer
Angststörung
mit psychosozialen (Folge-)Problemen
sollte zuerst eine gezielte Symptomtherapie erfolgen, bevor die anderen Probleme
zu bewältigen versucht werden. Der bessere Umgang mit bisher unkontrollierbaren
Ängsten erleichtert die Lösung anderer Probleme (Probleme am Arbeitsplatz, in
der Partnerschaft, bei der selbstständigen Lebensführung, bei der Berufswahl,
bei Ortsveränderungen).
Bei
primärer
Angststörung mit sekundärer Depression
reicht meistens eine Konfrontationstherapie, ohne dass eine antidepressive
Medikation erfolgen muss.
Bei
primärer
Depression sollten zuerst eine
medikamentöse Therapie und ein andersartiges psychotherapeutisches Vorgehen
(z.B. kognitive Therapie) erfolgen, bevor eine Konfrontationstherapie
stattfindet (falls diese noch notwendig sein sollte).
Bei
Alkohol-
oder Medikamentenmissbrauch sollte zuerst
die Substanz abgesetzt (ausgeschlichen) werden, bevor eine
Konfrontationstherapie sinnvoll ist. Anderenfalls werden alle erreichten Erfolge
der Substanzwirkung und nicht dem eigenen Bemühen zugeschrieben. Tranquilizer
verhindern bzw. beeinträchtigen das heilsame Erleben der körperlichen und
emotionalen Reaktionen bei der Konfrontation mit den Angst machenden
Situationen.
Bei
Alkohol-
oder Medikamentenabhängigkeit ist zuerst
eine Entzugsbehandlung durchzuführen. Wenn im Verlauf der Suchttherapie deutlich
wird, dass die Abhängigkeit ihren Ausgang von einer primären Angststörung
genommen hat, sollte anschließend eine Angstbehandlung erfolgen.
Bei
Beziehungsproblemen, die eine
Partnertherapie nahe legen, empfiehlt sich in vielen Fällen eine vorherige
individuelle Behandlung der Angststörung, damit Art und Ausmaß der
Beziehungsproblematik deutlicher werden können. Partnerprobleme können Ursache
oder Folge einer Angststörung sein. Erst eine Bewältigung der Angststörung im
Rahmen einer Einzeltherapie ermöglicht in vielen Fällen die Beendigung einer
frustrierenden Partnerschaft, weil anderenfalls erst wieder der Partner eine
Angstschutz-Rolle übernehmen würde und damit die Gefahr einer Pseudointimität
ohne echte innere Nähe gegeben wäre. Dasselbe gilt auch bei beruflichen
Veränderungswünschen, wo Angst und Panik plötzlich eine Pattsituation schaffen.
Therapeut und
Patient können
unterschiedliche Sichtweisen
der Problementstehung und Therapieplanung aufweisen. Ein phobischer Patient hat
vielleicht eine Sicht der Entwicklung seiner Probleme mit folgendem Ablauf:
Phobie – Depression – Arbeitsplatzprobleme – Eheschwierigkeiten. Der Therapeut
vermutet aufgrund seiner Analysen dagegen folgende Entwicklung: Ehekonflikt –
Depression – Phobie – Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Hier sollte der Therapeut
dem Patienten die Chance geben, in der Therapie sein eigenes Modell zu
überprüfen. Der Therapiegrundsatz
„Den Patienten dort abholen, wo er steht“
bedeutet in diesem Fall, mit einer Symptomtherapie zu beginnen. Erst nach einer
vorherigen Symptombehandlung wird vielen Patienten ihr Partner- oder
Berufskonflikt deutlich.
Agoraphobie
In der
Verhaltenstherapie wurden im Laufe der Zeit zwei verschiedene Strategien zur
Behandlung von phobischen Ängsten entwickelt:
Systematische Desensibilisierung:
Aushalten immer schwierigerer Angst machender Situationen in der Vorstellung
unter Angst dämpfenden Entspannungsbedingungen oder in der Realität bei
dosierter, leicht erträglicher Angst
(„gestufte
Reizkonfrontation“).
Reizkonfrontation mit Reaktionsverhinderung
(„massierte Reizkonfrontation“ im Sinne von Reizüberflutung/Flooding):
intensive Konfrontation mit den Angst machenden Situationen in der Realität ohne
Entspannung, sondern bei bewusster Angst- und Panikprovokation mit dem Ziel der
Erlernung von Bewältigungsstrategien bei erlebten Panikreaktionen
(„Angstbewältigungstraining“).
Die verschiedenen
verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätze bei Angststörungen lassen sich
anhand von zwei Kategorien klassifizieren:
Art der Angstkonfrontation:
graduell oder massiert,
Realitätsgrad der Angstkonfrontation:
in der Vorstellung oder in der Realität.
Systematische Desensibilisierung – Die Angst
erfolgreich meiden
1958 stellte der
Psychiater Wolpe in Südafrika die systematische Desensibilisierung zur gezielten
Behandlung von Angst vor. Er übertrug konsequent die Prinzipien der Lerntheorien
auf den klinischen Bereich und wurde damit Ende der 1950er-Jahre einer der
Mitbegründer der Verhaltenstherapie, die sich aus lerntheoretischen Wurzeln
gleichzeitig in Südafrika, in den USA und in England entwickelte.
Die Patienten
lernen, Angst machende Situationen unter Angst dämpfenden Bedingungen zu
ertragen. Ziel ist die
angstfreie Angstbewältigung.
Entspannung wird als die gesuchte Angst dämpfende Bedingung angesehen, weshalb
die rasch erlernbare Technik der
progressiven Muskelentspannung
nach Jacobson eingeübt wird. Es können aber auch andere Entspannungstechniken
eingesetzt werden (Atemtechniken, autogenes Training, Biofeedback, Hypnose). Bei
der systematischen Desensibilisierung werden zuerst konkrete Situationen
hinsichtlich eines phobischen Objekts oder Ereignisses gesammelt, dann in eine
nach
Schwierigkeitsgrad abgestufte Rangfolge
gebracht (d.h. es wird eine Angsthierarchie erstellt) und anschließend von der
leichtesten bis zur schwersten Aufgabe unter
Entspannungsbedingungen in der Vorstellung
ertragen gelernt, bis Angstfreiheit gegeben ist. Die jeweils schwierigere
Situation wird erst dann angegangen, wenn die leichtere wiederholt ohne Angst
durchgestanden werden kann.
Die
Desensibilisierung kann nicht nur in der
Vorstellung, sondern auch in der Realität erfolgen. In der Realität werden nur
jene Situationen aufgesucht, die in der Vorstellung bereits sicher ertragen
werden können. Es handelt sich dabei um eine Angstbehandlung nach dem Modell der
gestuften Reizkonfrontation. Auf diesem
Prinzip beruhen die verschiedenen Selbsthilfeprogramme.
Ein Beispiel für eine
Angstbehandlung nach dem klassischen Desensibilisierungsmodell ist die
Behandlung von Tierphobien (Spinnen, Hunde, Pferde usw.). Während zuerst Bilder
und Filme der gefürchteten Tiere oder Objekte gezeigt werden (vielleicht auch
gezeichnet werden), erfolgt im Laufe der Zeit eine immer stärkere Annäherung an
die realen Angstauslöser, bis schließlich eine Berührung der Tiere bei
erträglicher Erregung möglich wird oder die Tiere auf der Haut ertragen werden
(z.B. bei Käfer- oder Spinnenphobien). Oft sind gar nicht Ängste, sondern
Ekelgefühle auszuhalten.
Das
Desensibilisierungskonzept stellte in den 1960er- und 1970er-Jahren weltweit die
zentrale Angstbehandlungsmethode der Verhaltenstherapie dar, vielfach galt sogar
die formelhafte Gleichsetzung „Verhaltenstherapie = systematische
Desensibilisierung“.
In den 1980er-Jahren
wurde die systematische Desensibilisierung durch die Konfrontationsverfahren
ersetzt. Heutzutage gilt das Konzept in Theorie und Praxis allgemein als
überholt und wird nur mehr in bestimmten Fällen angewandt. Selbst bei
Wirksamkeit verlängert ein derart langsames, weil Angst meidendes Vorgehen die
Behandlungsdauer erheblich, ohne den Behandlungseffekt zu erhöhen.
Studien zur systematischen
Desensibilisierung haben
Folgendes ergeben:
Entspannung
ist keine notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit der systematischen
Desensibilisierung, d.h. erfolgreiche Angstbewältigung setzt nicht unbedingt
eine vorherige Entspannung voraus.
Sichere
Angstbewältigung erfordert kein Vorgehen nach dem Prinzip einer Angsthierarchie,
d.h. ein schrittweises Vorgehen in einer bestimmten Reihenfolge (von leichteren
zu schwierigeren Übungen) ist keinesfalls nötig.
Das Modell der
systematischen Desensibilisierung bedeutet ein
Angst-Meidungs-Training
(„Meidungs-Management“). Eine stärker emotional-physiologische Erregung durch
intensivere Angstzustände wird gezielt zu vermeiden versucht. Es wird trainiert,
wie man den bisher phobisch gemiedenen Situationen ohne große Angst und Panik
begegnen kann. Dies kommt dem Bedürfnis vieler Patienten sehr entgegen, bisher
Angst machende Situationen mit Hilfe bestimmter Techniken garantiert ohne Angst
bewältigen zu können.
Das Modell der
massierten Reizkonfrontation in der Realität (Reizüberflutung oder Flooding)
stellt ein
Angst-Management-Training
dar, dessen Charakteristika im Vergleich zum Desensibilisierungsmodell gut
aufgezeigt werden können.
Angst-Meidungs-Training und
Angst-Management-Training
Angst-Meidungs-Training
(Desensibilisierungs-Modell) |
Angst-Management-Training
(Flooding-Modell) |
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Das
Desensibilierungsmodell als Angst-Meidungs-Training (im Gegensatz zur
systematischen Desensibilisierung erfolgt dabei jedoch keine
Entspannungsinstruktion) wird heute praktisch nur mehr bei
Selbsthilfeprogrammen im Sinne einer
gestuften Reizkonfrontation in der Realität eingesetzt, weil hier die Risiken im
Falle fehlerhafter Anwendung minimiert werden und diese Vorgangsweise den
meisten Angstpatienten erträglich erscheint, sowie bei bestimmten
Personengruppen, denen aufgrund ihrer Probleme und Störungen eine massierte
Konfrontationstherapie nicht zumutbar ist.
Das Modell der
massierten Reizkonfrontation in der Realität (Flooding) ist als
Selbsthilfemethode vielen Agoraphobie-Patienten mit Panikstörung nicht zumutbar,
weil deren Problematik gerade darin besteht, dass sie intensive Angstzustände
vermeiden. Mutige Angstpatienten können auf diese Weise jedoch rasch ihre Ängste
verlieren.
Für bestimmte
Patienten bleibt eine
gestufte Reizkonfrontation
angezeigt:
Menschen mit
Situationsängsten im Rahmen einer generalisierten Angststörung;
Menschen mit
geringer Stresstoleranz und übermäßig großen Belastungen (vor allem auch in
Verbindung mit gleichzeitig vorhandenen anderen Störungen wie depressive
Episode, Erschöpfungsdepression, Kreislaufinstabilität, hormonelle Störungen);
Menschen mit
psychotischen Episoden in der Vorgeschichte;
Menschen mit
Substanzmissbrauch (besonders jene, die die Übungen nur bei heimlicher Alkohol-
oder Tranquilizereinnahme durchführen würden);
Menschen mit
zwanghaft-rigider Persönlichkeitsstruktur, die auf ihre Unabhängigkeit bedacht
sind und durch derartige Übungen in einen Machtkampf mit dem Therapeuten geraten
würden;
Menschen mit
der Unfähigkeit, emotionale Durchbrüche zulassen und sich fallen lassen zu
können (diese Personen bleiben auch beim Flooding verspannt);
Menschen mit
ständiger Leistungshaltung, alles schaffen zu müssen, sogar schwierigste
therapeutische Übungsaufgaben (das Motto „Man muss sich nur zusammenreißen“ ist
gerade bei einer Reizüberflutungstherapie nicht erwünscht);
Menschen mit
Traumatisierung in Kindheit und Jugend durch einen überwiegend
leistungsbezogenen, zuwendungsarmen Erziehungsstil der Eltern (eine massierte
Reizkonfrontationstherapie könnte hier zu einer unkontrollierten Wiederholung
traumatischer Situationen führen);
Menschen mit
einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, um sie anfangs vor einer
unerträglich erscheinenden Überflutung der angstvollen Erinnerungen zu bewahren.
Menschen,
denen beim Vorgehen nach dem Selbsthilfeprinzip ausreichend geholfen werden
kann, indem ihnen ein Therapiemanual zur Verfügung gestellt wird.
Menschen, die
im Rahmen einer massierten Konfrontationstherapie Leistungen erbringen müssen,
zu denen sie körperlich oder kognitiv nicht in der Lage sind (z.B. Bergsteigen
oder einen Vortrag halten).
Konfrontationstherapie – Der Angst begegnen
Die
Reizkonfrontationstherapie wurde in den
1960er-Jahren in England entwickelt, wo sie
„exposure“
genannt wird, weshalb man im deutschen Sprachraum auch von
„Exposition“
oder
„Expositionstherapie“ spricht. In der
letzten Zeit hat sich anstelle der Bezeichnung „Reizkonfrontationstherapie“ der
Begriff
„Konfrontationstherapie“ durchgesetzt, weil
damit nicht nur die Konfrontation mit dem Reizaspekt der Situation („äußere
Reize“), sondern auch die Konfrontation mit den eigenen (Angst-)Reaktionen
(„innere Reize“) erfasst wird. Über eine Konfrontationstherapie erfolgt vor
allem auch eine Differenzierung, Neuordnung und Integration der gesamten
kognitiv-emotionalen Strukturen und nicht nur eine Auseinandersetzung mit der
gefürchteten Außenwelt.
Die
Konfrontationstherapie beruht auf drei
charakteristischen Prinzipien:
Massierte Reizkonfrontation.
Es erfolgt eine direkte, sofortige und intensive Konfrontation mit den am
meisten Angst machenden Situationen in der realen Umwelt.
Ununterbrochene und nicht ablenkende
Konfrontation mit der
Angstsituation bis zum Zeitpunkt eines deutlichen Absinkens der Angstreaktionen
auf ein erträgliches Ausmaß. Die intensive Zuwendung zu den Angst machenden
Reizen kann entweder durch inneres Verbalisieren und Kommentieren der momentanen
Vorgänge oder durch lautes Sprechen über die aktuellen Vorgänge (z.B. in
Begleitung des Therapeuten) aufrechterhalten werden.
Reaktionsverhinderung.
Die Betroffenen sollen die gefürchtete Situation im Zeitpunkt der größten Angst
nicht verlassen, sondern darin ohne Fluchtreaktion ausharren, um das Erlebnis
der Bewältigung zu erfahren.
Neben den
lerntheoretischen Konzepten von
Stimulus (Reiz)
und
Response (Reaktion) als Grundeinheiten des
Verhaltens wurden schon damals kognitive Konzepte betont, die die psychischen
Verarbeitungsprozesse berücksichtigen, die während einer Konfrontationstherapie
ablaufen. Die Wirkmechanismen der Konfrontationstherapie beruhen nach
traditioneller Auffassung jedoch auf den Vorgängen der „Löschung“ und der
„Habituation“.
Löschung
bedeutet, dass die Angstreaktion auf einen phobischen Auslöser hin nicht durch
Flucht oder Vermeidung beendet wird, sondern durch Gewöhnung (Habituation) an
den phobischen Reiz in Form von regelmäßiger Konfrontation.
Habituation
bedeutet eine Gewöhnung an bislang Angst machende Reize und Situationen, sodass
die physiologische Erregung nachlässt. Anders formuliert ist Habituation „das
Absinken der Reaktionswahrscheinlichkeit zentralnervöser und peripherer
Strukturen bei
wiederholter
Reizdarbietung“.
Durch
wiederholte Konfrontation mit dem konditionierten Stimulus bei gleichzeitiger
völliger Verhinderung der Vermeidungsreaktion soll die Angstreaktion gelöscht
werden. Für eine effektive Löschung sollten möglichst alle Reize, die zu
konditionierten Stimuli für die (potentielle) Angstreaktion geworden sind,
dargeboten werden. Ein Generalisierungseffekt ist jedoch zu erwarten.
Bei neuen,
ungewohnten, unerwarteten, gefährlich und unerträglich erscheinenden Reizen und
Situationen erfolgt eine 3-5 Minuten dauernde
arousal
reaction, d.h. eine massive körperliche und
geistige Aktivierung im Sinne der Kampf-Flucht-Reaktion nach Cannon und der
Alarmreaktion nach Selye. Bei Angst- und Zwangspatienten ist anfangs alles immer
wieder neu aufregend, weil durch das ständige Vermeidungsverhalten keine
Gewöhnung an die entsprechenden Auslösereize erfolgt.
Die
Effektivität eines derartigen Vorgehens hatte bereits in den 1930er-Jahren der
Wiener Psychiater Viktor Frankl mit seiner Technik der
„paradoxen
Intention“ aufgezeigt. Die
Reizüberflutungstherapie beginnt genau mit dem, was die systematische
Desensibilisierung bzw. gestufte Reizkonfrontationstherapie gezielt zu
verhindern sucht, nämlich mit der
Provokation von Emotionen und körperlichen Angstreaktionen.
Durch rasche und
massive Konfrontation mit den am meisten Angst machenden Situationen unter
möglichst realistischen Bedingungen, d.h. in Alltagssituationen, werden die
bisher gefürchteten körperlichen, emotionalen und kognitiven Reaktionen in
Anwesenheit des Therapeuten provoziert und bewältigt. Die Patienten werden
ermutigt, die Angst machenden Situationen zum Zeitpunkt der größten vegetativen
Erregung nicht zu verlassen, sondern in einer Art Beobachterposition aushalten
zu lernen.
Bereits vor
über zwei Jahrzehnten warnten die erwähnten Experten vor dem Automatismus „Angst
in verschiedenen Situationen, daher Konfrontationstherapie“ und betonten die
Notwendigkeit einer umfassenden Verhaltensanalyse unter Berücksichtung
kognitiver Aspekte. Angst könne die Folge eines anderen Problems sein. Nur bei
einer sich verselbstständigenden Angstsymptomatik sei eine
Konfrontationstherapie indiziert.
Im Gegensatz zu
Vertretern anderer Psychotherapiemethoden gehen Verhaltenstherapeuten bei Bedarf
zusammen mit ihren Patienten aus dem Therapieraum in Angst machende Situationen
des täglichen Lebens, um ihnen diese in Form eines intensiven Erlebens besser
bewältigen zu helfen als durch ein „Darüber-Reden“.
Angstbehandlung nach
dem Modell der Reizüberflutung erfolgt bei einer schweren Agoraphobie anfangs
häufig gemeinsam mit einem aufmunternden Therapeuten, der sich im Laufe der Zeit
immer mehr ausblendet, kann aber auch von Beginn an alleine durchgeführt werden
oder in Begleitung einer Vertrauensperson.
Bei vielen
agoraphobischen Patienten (vor allem auch bei Patienten mit angstneurotischer
Struktur im Sinne der Psychoanalyse) ist eine Reizüberflutung in Begleitung des
Therapeuten nicht möglich bzw. wenig sinnvoll, weil der
anwesende
Therapeut eine Sicherheitsgarantie
darstellt („Wenn etwas passiert, werden Sie mir helfen“, „Auf Ihre Verantwortung
hin mache ich alles“), aber auch das unerträgliche Gefühl des Alleinseins
mildert („Mit Ihnen mache ich gerne alle Übungen, allein freut es mich nicht“).
Viele Agoraphobie-Patienten können die Übungen in Anwesenheit des Therapeuten
sogar genießen, während sie erst beim Üben allein richtiggehend Angst bekommen.
Reizüberflutung
bedeutet ab Therapiebeginn eine sofortige
Konfrontation
mit den am stärksten Angst machenden Situationen
im Sinne einer
„Überflutung“ (Flooding),
um rasch einen Durchbruch zu erreichen und
tage- bzw. wochenlanges Üben überflüssig zu machen. Dabei wird anfangs
mindestens 1-3 Tage lang zusammen mit dem Therapeuten intensiv geübt, und zwar
den ganzen Tag lang (mindestens jedenfalls 4-6 Stunden), oder es finden 1-5
Übungstage innerhalb von 2 Wochen statt, während eine gestufte Reizkonfrontation
im Sinne eines Angst-Meidungs-Trainings 6 Wochen bis 6 Monate Zeit erfordert,
bis sich ein ausreichender Therapieerfolg einstellt.
Bei einem zeitlich
besonders massierten Vorgehen werden in ca. 5-10 aufeinander folgenden Tagen bis
zu 8-10 Stunden täglich die symptomauslösenden Situationen aufgesucht. Trainiert
wird die Konfrontation mit Angst machenden Situationen, wie sie für den
Patienten typisch sind, aber auch wie sie in der Alltagswelt des
Durchschnittsbürgers auftreten können. Nach den Intensivtagen zusammen mit dem
Therapeuten soll der Patient die Übungen täglich allein fortsetzen.
Durch die
massierte Reizkonfrontation soll
möglichst rasch und intensiv eine Konfrontation mit
den gefürchteten körperlichen, kognitiven und emotionalen Reaktionen
erreicht werden. Ohne Erleben und Bewältigung der
intensivsten Reaktionsmöglichkeiten (Panikattacke) besteht eine potenzielle
Rückfallsgefahr und eine große Erwartungsangst vor dem Schlimmsten, dem man sich
nicht gewachsen sieht. Erwartungsängste sollen dadurch abgebaut und für die
Zukunft verhindert werden.
Bei der
Reizüberflutungstherapie werden
Angst- und Panik-Reaktionen in der realen phobischen Umwelt ausgelöst und dort
zugleich adäquate Bewältigungsstrategien eingeübt.
Dieses Ziel kann durch gestuftes Vorgehen oder durch parallel laufende
Medikation niemals erreicht werden, weil dadurch die für Angstpatienten so
typische „Angst vor der Angst“ nicht überwunden wird.
Durch das
Erlebnis, dass auch die stärkste Angst ausgehalten werden kann und nach einiger
Zeit (5-20 Minuten) zurückgeht, erfolgt gleichzeitig auch eine
„kognitive
Umstrukturierung“, die durch eine rein
kognitive Therapie (Analyse und Änderung der Denkmuster) nicht so effektiv
erreicht werden kann („Ich erlebe, dass ich Angst aushalten kann, daher glaube
ich auch zukünftig, dass ich Angst aushalten kann“).
Durch eine
Expositionstherapie sind oft schon nach einer Woche all jene Ängste bewältigbar,
die vielleicht schon seit Jahren das Leben massiv eingeengt haben. Dies bringt
zwar die schnellsten und sichersten Erfolge, scheint jedoch nur Mutigen und gut
Belastbaren vorbehalten zu sein.
Eine massierte
Konfrontationstherapie ist besonders bei
Phobien mit Panikattacken und Vermeidungsverhalten
(Kleintierphobie, Agoraphobie, soziale Phobie) angezeigt, weil die Betroffenen
dazu neigen, Panikattacken durch Vermeidungsstrategien zu bewältigen, die in
weiterer Folge die Angst vor der Angst nur verstärken und langfristig die Gefahr
einer sekundären Depression oder eines Alkohol- bzw. Medikamentenmissbrauchs in
sich bergen.
Bei
Phobien mit
Angstsymptomatik und Meidung, jedoch ohne Panikattacken,
ist eine gestufte Reizkonfrontation auf der Basis von Selbsthilfebüchern
sinnvoll, wenngleich therapieverlängernd.
Erwartungsängste bezüglich einer
Panikattacke sind –
zumindest bei bereitwilligen Patienten – am schnellsten durch Simulation bzw.
Provokation einer solchen zu behandeln, weil über die konkrete Erfahrung, dass
keine Katastrophe eintritt, die falschen Denkansätze der Patienten am
schnellsten und überzeugendsten korrigiert werden können. Das Grundprinzip
lautet:
Realitätstestung statt Fantasieren. Ziel
ist eine realistischere Einschätzung von Situationen und körperlichen
Reaktionen.
Durch Konfrontationen
mit gefürchteten Situationen, deren konkrete Angstauslöser vorher oft gar nicht
angegeben werden können, wird deutlich, ob eher eine Angst vor den eigenen
körperlichen Reaktionen besteht (wie dies bei einer Panikstörung der Fall ist)
oder eher eine Angst vor der Reaktion der Umwelt (wie dies bei einer sozialen
Phobie zutrifft). Verschiedene Agoraphobiker mit Panikstörung haben keine Angst
zu sterben, sondern eine Angst, unangenehm aufzufallen oder für verrückt
gehalten zu werden.
Der Erfolg von
Konfrontationstherapien hängt sehr davon ab, dass die Betroffenen durch ein
plausibles Erklärungsmodell von der
Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens überzeugt werden können. Dies setzt nicht nur
eine optimale Vermittlung von Sachinformationen und technischen Anleitungen
voraus, sondern auch eine
gute Therapeut-Patient-Beziehung,
durch die ein Mensch mit Angstzuständen erst Vertrauen und Zuversicht entwickeln
kann.
Die meisten
phobischen Patienten wissen im Prinzip, auf welche Weise sie ihre Ängste
überwinden könnten, nämlich durch etwas mehr Mut und Konfrontation mit den Angst
machenden Situationen, doch gerade dazu sind sie nicht in der Lage. Angst vor
bestimmten Situationen zu haben, bedeutet, sich selbst nicht trauen zu können,
aber auch sonst niemandem. Konfrontationstherapien sind daher
Übungen des
Vertrauens.
Angstpatienten
benötigen gerade zu Beginn der Therapie eine emotionale Unterstützung,
Motivierung und Handlungsanleitung durch den Therapeuten. Die Entscheidung zu
Angstbewältigungsübungen allein oder zusammen mit dem Therapeuten stellt einen
Ausdruck des Vertrauens zum Therapeuten dar. Übungen innerhalb und außerhalb des
Therapieraumes führen zu einer
Intensivierung der Therapeut-Patient-Beziehung,
sodass es später möglich wird, verschiedene persönliche Themen in die Therapie
einzubringen. Die therapeutische Beziehung ist in der Verhaltenstherapie ebenso
wichtig wie bei anderen Psychotherapiemethoden. Die „Verhaltens“-Therapie wird
durch die Übungen auch zu einer „Erlebens“-Therapie, wie der Angst- und
Zwangsexperte Reinecker formuliert hat.
Die meisten
Patienten machen durch eine Konfrontationstherapie die bisher für unmöglich
gehaltene Erfahrung, dass sie auch die größte körperliche Erregung ertragen
können. Wiederholte Erlebnisse dieser Art bewirken eine
kognitive
Umstrukturierung: neue Erfahrungen führen
zu neuen Einstellungen.
In vielen Therapien
sowie auch bei rein kognitiv orientierter Verhaltenstherapie läuft es umgekehrt:
neue Sichtweisen sollen zu neuen Erfahrungen führen. Dies ist zwar oft der
elegantere Weg, scheitert bei Angststörungen jedoch häufig an den
unkontrollierbar erscheinenden körperlichen Symptomen und dem seit Jahren
eingeschliffenen Vermeidungsverhalten.
Aufgrund ihrer
relativ stabilen Persönlichkeitsstruktur gelingt es reinen Agoraphobikern oft
recht leicht, nach einem Angstbewältigungstraining weitere anstehende Probleme
selbst zu lösen (z.B. partnerschaftliche, familiäre oder berufliche Probleme).
Menschen mit generalisierter Angststörung, schwerer Zwangsstörung und
ängstlich-vermeidender Persönlichkeitsstörung benötigen dagegen aufgrund ihrer
frühkindlichen Beeinträchtigungen bzw. schweren sozialen Defizite meistens eine
längere Therapie. Psychoanalytiker sprechen hier von ich-stärkenden Maßnahmen
und „Nachreifung“. Die Alternative „kurz dauernde und oberflächliche
Verhaltenstherapie oder „lang dauernde und tief schürfende Psychoanalyse“ ist
heutzutage als überholt anzusehen.
Agoraphobiker mit Panikattacken fürchten
letztlich nicht verschiedene äußere Gegebenheiten, sondern ihre eigenen
unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen in diesen Situationen.
Eine Konfrontationstherapie soll Angstpatienten helfen, ihre Symptome besser
auszuhalten.
Bei der
Konfrontationstherapie geht es nicht darum, schnell etwas „wegzumachen“, sondern
das Erlebte vorerst einmal besser annehmen und aushalten zu lernen, um über
diese Erfahrungen einen besseren Zugang zu sich selbst zu erhalten. Dies
entspricht gestalttherapeutischen Konzepten („awareness“, „experiencing“).
Oft reicht schon eine einmalige
(zweistündige) Realitätstestung aus, um das weitere Vermeidungsverhalten zu
beenden und den Betroffenen vor
Augen zu führen, welche anderen Probleme vielleicht zum Vorschein kommen
(berufliche oder partnerschaftliche Probleme, Konflikte zwischen Mutterschaft
und Berufswunsch bei Frauen bzw. zwischen Autonomiewünschen der Ehefrau und
Dominanzstreben des Gatten usw.). Wo dies der Fall ist, werden bereits durch
eine kurze Konfrontationstherapie die „dahinter liegenden“ Probleme auch für den
Patienten deutlich, ohne dass der Therapeut den Betroffenen des Widerstands
gegen diese Erkenntnis beschuldigen muss.
Viele Phobiker
haben so starke
Erwartungen des eigenen Versagens in phobischen
Situationen, dass sie die ersten
Erfolgserlebnisse bald entwerten durch die neuerliche Vorstellung möglicher
Gefahren. Dies erfordert weitere Übungen, um die
Erwartung von Erfolgserlebnissen
aufzubauen.
In England
wurden im Laufe der Zeit durch verschiedene Studien einige Konzepte der
verhaltenstherapeutischen Angstbehandlung revidiert. Demnach schadet das
Verlassen der Situation bei Angst dem Therapieerfolg ebenso wenig wie die
Anwesenheit des Therapeuten nützt. Rachman, einer der Mitbegründer der
Verhaltenstherapie, stellte ein zentrales Prinzip der traditionellen
verhaltenstherapeutischen Angstbewältigung in Frage. Die
Reaktionsverhinderung, d.h. das Prinzip,
Angst machende Situationen zum Zeitpunkt größter Angst nicht zu verlassen, ist
nach 1986 publizierten Forschungsergebnissen für den Therapieerfolg nicht
unbedingt notwendig. Die Rachman-Gruppe stellte gleich hohe Therapieerfolge
fest, wenn den Patienten erlaubt wurde, die phobischen Situationen zu verlassen,
sobald sie ein hohes Angstniveau erreicht hatten. Ähnliche Erkenntnisse wurden
in den Niederlanden gewonnen.
Die
Therapieerfolge nach dem Hamburger Konzept, das Flucht grundsätzlich „erlaubt“,
scheinen diese Befunde indirekt zu bestätigen. Nach verschiedenen Autoren ist
als gemeinsamer Nenner aller erfolgreichen Angstbehandlungen
die
Konfrontation mit den Angst machenden äußeren und inneren Reizen
anzusehen, die zu einer kognitiven Neubewertung körperlicher Reaktionen und
situativer Gegebenheiten führt.
Die Forderung, in der
Angst machenden Situation unbedingt auszuharren und erst nach Abklingen der
Angst den jeweiligen Aufenthaltsort zu verlassen, weist auf die
lerntheoretischen Wurzeln der Konfrontationstherapie hin: durch das
Vermeidungsverhalten erfolge keine ausreichende „Löschung“ des Angstverhaltens,
weil dieses durch die erfolgreiche Aktion der Flucht immer wieder verstärkt
werde. Dies trifft zwar oft zu, eine Verallgemeinerung ist daraus jedoch nicht
ableitbar. Die Möglichkeit zur Flucht kann ein Gefühl der Souveränität
vermitteln und das Aushalten der Angst erleichtern.
Das Team um
Marks
in London bestätigte im Rahmen einer großen Studie an 99 phobischen Patienten
die Ergebnisse anderer Untersuchungen, dass sich die meisten Phobiker wesentlich
verbessern durch
systematische Selbstkonfrontation
und wenig profitieren von zusätzlicher therapeutengeleiteter Exposition. Die in
der klinischen Praxis oft anzutreffende Konfrontationstherapie in Begleitung
eines Therapeuten scheint demnach unter dem Gesichtspunkt von Aufwand und Ertrag
nicht erforderlich zu sein.
Amerikanische
Studien zur Behandlung von Panikattacken weisen ebenfalls darauf hin, dass ein
reduzierter Therapeutenkontakt oft schon einen ausreichenden Therapieerfolg
garantiert. Die Erkenntnisse der englischen und amerikanischen Studien haben zur
Folge, dass der Stundenaufwand für Therapeuten bei Angstbehandlungen deutlich
reduziert werden kann, weil das gemeinsame Üben in Alltagssituationen entfällt.
Zumindest in günstigen Fällen können
körperbezogene
Übungen und Erfahrungen in Gegenwart des Therapeuten auf den Therapieraum
begrenzt werden.
Bei
Konfrontationstherapien geht es nicht primär darum, die Patienten mit
gefürchteten Situationen oder Orten zu konfrontieren, sondern mit den dabei
auftretenden, als gefährlich und unkontrollierbar erlebten Symptomen. Wenn dies
im Therapieraum durch bestimmte Provokationsübungen gelingt, wird das
selbstständige Aufsuchen der gefürchteten Situationen erleichtert. Sollte dies
nicht möglich sein, werden genau jene Situationen aufgesucht, wo die
gefürchteten körperlichen Zustände auftreten.
Bei einer
Konfrontationstherapie geht es weniger um Bewältigungserfahrungen im Sinne von
„Sie sehen, was Sie alles aushalten können“, als vielmehr darum, den Patienten
im Rahmen einer verbesserten Selbstwahrnehmung zu zeigen, wie sie selbst den
gefürchteten Angstkreislauf aufschaukeln.
Im Sinne eines
zeitökonomischen Vorgehens sind keine stunden- oder tagelangen gemeinsamen
Übungen erforderlich, um dem Patienten in jeder nur denkbaren Situation das
Gefühl der Kontrolle zu vermitteln, sondern lediglich eine
gezielte
Auswahl von
Panik provozierenden Situationen.
Ohne Bereitschaft zum
Erleben einer ausgeprägten Panikattacke sind Stadtübungen bei Agoraphobie mit
Panikstörung wenig sinnvoll, weil aufgrund der Erwartungsängste kein
ausreichender Generalisierungseffekt auftritt.
Weitere Verbesserungen der
verhaltenstherapeutischen Angstbewältigungstherapie
Zur weiteren
Effizienzsteigerung der Angstbewältigungstherapie werden neben der kognitiven
Therapie nach Beck immer häufiger auch systemische (familien- und
partnerbezogene) Sichtweisen berücksichtigt, ein Trend, der in der
Verhaltenstherapie ganz allgemein festzustellen ist. Dies kann auf vier
verschiedene Arten erfolgen:
Stärkere Berücksichtigung interaktioneller
bzw. partnerschaftlicher Aspekte
im Rahmen einer Einzeltherapie (wie bei einer systemisch orientierten
Einzeltherapie). Eine Beziehungsklärung zum Partner erfordert zuerst eine
bessere Beziehung zu sich selbst, weshalb anfangs oft eine symptomzentrierte
Einzeltherapie zielführender ist.
Partnerunterstützte Einzeltherapie.
Einbeziehung des Partners im Rahmen einer primär am Patienten ausgerichteten
Therapie. Der Einsatz des „gesunden“ Partners als Kotherapeut ist dann
unproduktiv, wenn dieser selbst an der Entstehung oder Eskalation der
Angststörung beteiligt ist. Das Hamburger Team hat mit der Einbeziehung des
Partners in das Selbsthilfeprogramm oft schlechte Erfahrungen gemacht.
Verhaltenstherapeutische Partnertherapie
(Kommunikations- und Problemlösetraining) nach einer erfolgreichen
Einzeltherapie (Konfrontationstherapie).
Partnertherapie
anstelle einer Konfrontationstherapie oder als zusätzliche
Behandlungskomponente. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung systemischer
Sichtweisen innerhalb der Verhaltenstherapie erfolgt oft eine kombiniert
verhaltenstherapeutisch-systemisch ausgerichtete Partnertherapie.
Bei der
Behandlung von Menschen mit Angst- und Panikzuständen, die zu einer körperlichen
Schonhaltung neigen, ist oft auch eine körperbezogene Therapie mit dem Ziel der
physiologischen Aktivierung und Symptomprovokation
angezeigt. Das traditionelle Erlernen von Entspannungstechniken (z.B. autogenes
Training) zur Dämpfung von chronischer Anspannung ist zwar durchaus wichtig und
wertvoll, dient bei dieser Patientengruppe jedoch zu sehr dem Zweck, jede Form
von Anspannung wegen des Angst erzeugenden Effekts weg entspannen zu wollen.
Wenn die körperliche Ebene bei einer starken Somatisierung zur stellvertretenden
Konfliktebene geworden ist, wird nicht nur durch Medikamente, sondern auch durch
reine Entspannungstechniken keine Sensibilisierung dafür entwickelt, was
wirklich körperlich so bedrängend ist.
In der
Verhaltenstherapie war ein
körperorientiertes Vorgehen früher zu sehr
auf anspannungsreduzierende Methoden bezogen oder sollte durch eine
Konfrontationstherapie nur eine Habituation an die Angst machenden Reize bewirkt
werden. Zukünftig sind vermehrt Konzepte und Techniken zu berücksichtigen, die
anderswo unter folgenden Bezeichnungen bekannt sind: emotionszentrierte
Psychotherapie, Awareness-Training (Wahrnehmung, was ist), körperorientierte
Psychotherapie, Leibtherapie, Sporttherapie. Körperliche Aktivierung und
körperbezogene Erfahrungen dienen nicht nur im Sinne von Belastungstraining,
Sport, Turnen, Langsamlauftherapie oder Schwimmtherapie dazu, chronische
Verspannungszustände als Folge des ständigen ängstlichen Denkens abzureagieren
oder körperliche Fitness anstelle der ausgeprägten hypochondrischen Schonhaltung
aufzubauen, sondern haben vielmehr auch den Zweck, den Körper im
buchstäblichsten Sinn als Ausdruck der Seele wahrnehmen zu lernen.
Psychotherapie als geplante Intervention zur Veränderung des Verhaltens,
Erlebens und Denkens bedarf auch in der Verhaltenstherapie eines Verständnisses,
das den Körper als Ort und Mittel für den Zugang zur Seele ernst nimmt.
Anleitung zur Konfrontationstherapie für
Psychotherapeuten
Führen
Sie eine detaillierte
Motivations-, Bedingungs-, Verhaltens- und
Funktionsanalyse des Angstverhaltens durch,
bevor Sie aktionsorientiert vorgehen. Lassen Sie sich auf keinen blinden
Aktionismus ein! Eine Konfrontationstherapie erfordert stets die Einbettung in
eine therapeutische Gesamtstrategie. Welche familiären, beruflichen und
sonstigen Belastungen und welche Denkmuster haben die Entwicklung einer
Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung begünstigt? Wie oft sind wirklich
Panikattacken aufgetreten und wie oft „nur“ verschiedene unangenehme Symptome
wie Schwindel, Übelkeit, Harn- oder Stuhldrang? Wie und durch welche Denkmuster
kommt es zu den vom Patienten am meisten gefürchteten Symptomen? Welche
Erklärungsmodelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung hat der
Patient entwickelt? Unter welchen Bedingungen treten die Symptome besonders
häufig auf, wo dagegen überhaupt nicht? Welche Situationen meidet der Patient
auf jeden Fall, welche kann er unter bestimmten Umständen aufsuchen? Mit welchen
Sicherheitssignalen (Handy, Medikamente, Begleiter) kann der Patient sofort
verschiedene Situationen problemlos aufsuchen? Welche subtilen Vermeidungsformen
setzt der Patient ein? Wie sehr sind die Ängste Ausdruck einer Hemmung und
Vermeidungshaltung und wie sehr Ausdruck mangelnder sozialer Kompetenz? Wie
entschlossen ist der Patient, eine Panikattacke auf jeden Fall zu vermeiden?
Warum will der Patient gerade jetzt sein Verhalten ändern? Welche attraktiven
Ziele hat er nach der Angstbewältigung vor Augen? Welche sonstigen Ressourcen
bestehen?
Klären
Sie
alle
Kontraindikationen ab (Psychose in der
Anamnese, gegenwärtig primäre Depression, Herzerkrankung, Epilepsie,
Entzugssymptomatik, aktuell notwendige, hohe medikamentöse Dosierung). Vermeiden
Sie auf diese Weise gefährliche Situationen (z.B. Provokation eines Herzanfalls,
epileptischen oder psychogenen Anfalls, Durchbruch psychotischer Ängste, Risiken
bei Borderline-Störung, depressiver Zusammenbruch, verstärkte Angstabwehr durch
Zwangssymptome, Misserfolgserlebnis bzw. noch mehr Angst bei geringer
Übungsmotivation). Halten Sie den Patienten
auch für fähig, nach einer intensiven Konfrontationstherapie einen längeren
Heimweg gefahrlos allein mit dem Auto antreten zu können?
Achten
Sie genau auf das Ausmaß der
Eigen- bzw. Fremdmotivation
für eine Konfrontationstherapie. Will der Betroffene seine Störung wegen sich
oder primär wegen des ständigen Drängens anderer (z.B. Kritik des Partners)
loswerden? Im Falle eines ambivalenten Verhaltens des Patienten sollten Sie
anfangs noch mehr an der Motivations- und Zielklärung arbeiten und nicht
vorschnell aus Ihrer Verantwortung heraus oder auf Druck eines Angehörigen mit
einer Konfrontationstherapie beginnen, ohne dass der Patient echt Ja dazu gesagt
hat. Zur Klärung des Sachverhalts sollten Sie in den ersten Sitzungen zentrale
Bezugspersonen einladen, um deren Einstellungen und Erwartungen kennen zu
lernen. Eine gute Vorbereitung und eine Stärkung der Eigenmotivation vermindern
spätere Fehler und Misserfolge.
Erfassen Sie möglichst genau den bisherigen
sekundären
Krankheitsgewinn, den der Patient aus
seiner Störung bezogen hat, denn in diesem Fall stellen die Ängste einen
vorläufigen Problemlösungsversuch angesichts einer Situation dar, für die er
noch keine anderen Bewältigungsstrategien entwickelt hat. Hält die Agoraphobie
die Partnerschaft zusammen, verhindert sie die Wiederaufnahme einer Arbeit oder
stellt sie die Begründung dafür dar, dass der Untersuchte nicht allein sein
möchte und nichts allein machen muss? Was verliert der Patient im Falle der
Angstfreiheit?
Gewinnen Sie einen Überblick darüber, welche
anderen
Probleme und Störungen neben der
Agoraphobie mit oder ohne Panikattacken noch gegeben sind. Sind die
Angstsymptome die primäre Störung oder die sekundäre Folge anderer Beschwerden
(Depression, Alkoholmissbrauch, beruflicher oder familiärer Stress)? Besteht
letztlich gar eine Sozialphobie, die vom Patienten nicht wirklich erkannt und
als „Platzangst“ missverstanden wird?
Achten
Sie anfangs nur darauf, wie Sie die
aktuellen,
problemerhaltenden Bedingungen der
Agoraphobie am besten
unterbrechen
können. Benutzen Sie dabei Ihr Wissen, wie die Angststörung entstanden ist und
durch welche Bedingungen sie gegenwärtig aufrechterhalten wird. Sie können dann
vielleicht zum Schluss kommen, dass derzeit eine Konfrontationstherapie nicht
die beste Behandlungsstrategie ist, sondern einige berufsbezogene,
partnerorientierte bzw. partnergestützte Gespräche sinnvoller wären.
Berücksichtigen Sie die
intraindividuellen und interaktionellen Funktionen
der Angstsymptome. Ohne die Berücksichtigung der verschiedenen Funktionalitäten
wird eine Konfrontationstherapie auf Dauer scheitern. Die Ängste waren bisher
ein immerhin vorläufiger, wenngleich wenig konstruktiver Problemlösungsversuch
angesichts oft vieler Schwierigkeiten des Lebens. Weisen Sie den Patienten daher
vor und bei Bedarf auch während der Konfrontationstherapie immer wieder auf die
erarbeiteten Zusammenhänge zwischen seinen Ängsten und seiner psychosozialen
Befindlichkeit hin. Wenn Sie eine Konfrontationstherapie bei einer
Individualtherapie durchführen, sollten Sie auch die möglichen Auswirkungen auf
die Partner-/Familiensituation thematisieren.
Sprechen Sie (wenn möglich) mit dem
Partner
über die Konsequenzen einer schnellen
Symptomreduktion für die Partnerschaft. Welche Auswirkungen hätte die plötzliche
Angstfreiheit auf die Partnerschaft? Der Partner ist auf eine rasche Änderung
oft nicht vorbereitet, sodass eventuell Partnerschaftsprobleme resultieren
könnten, die durch rechtzeitige Vorbeugung zumindest gemildert werden könnten.
Oft kann der „gesunde“ Partner mit der plötzlichen Symptomfreiheit des
ehemaligen Angstpatienten nicht umgehen.
Erklären Sie dem Patienten vor Übungsbeginn das
Konzept von
Angst
und ihrer Reduktion.
Die Entwicklung eines adäquaten Gesundheitsmodells im Sinne des Wissens darum,
wie man gesund wird, beschleunigt und stabilisiert Erfolge, die oft falschen
Erklärungskonzepte der Patienten für ihre psychovegetativen Symptome verstärken
die Ängste (Herzinfarkt, „Nervenzusammenbruch“, Verrücktwerden). Wenn das
agoraphobische Vermeidungsverhalten voll und ganz mit der Angst vor
Panikattacken begründet wird, empfehlen Sie dem Patienten nützliche
Selbsthilfebücher
„Wenn plötzlich die Angst kommt. Panikattacken
verstehen und überwinden“ von Baker,
„Keine Panik
mehr. Selbsttherapie bei Panikattacken“ von
Marchand & Letarte oder
„Die zehn Gesichter der Angst. Ein
Selbsthilfe-Programm in 7 Schritten“ von
Morschitzky & Sator.
Achten
Sie darauf, dass
Psychopharmaka
nur allmählich abgesetzt werden. Der plötzliche Verzicht auf Tranquilizer und
Antidepressiva kann zu Panikattacken führen. Benzodiazepine sollten wenigstens 2
Wochen vor Beginn der Konfrontationstherapie abgesetzt werden, weil sonst der
Erfolge den Medikamenten zugeschrieben und die eigene Leistung geschmälert wird
(diese Behauptung ist jedoch umstritten und empirisch nicht ausreichend
abgesichert, sodass auch eine Kombinationstherapie möglich ist). Antidepressiva
können bei entsprechender Indikation weiter eingenommen werden. Nach Studien
bringt die Kombination von Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie (Angst
dämpfende Antidepressiva) bei schweren Angststörungen die raschesten Erfolge.
Beginnen Sie die Konfrontationstherapie zumindest in bestimmten Fällen mit einem
„mentalen Training“, wo der Patient wie
Spitzensportler in der Vorstellung alles bewältigen soll, was in der
Wirklichkeit auf ihn wartet. Dabei können Sie unter Umständen auf wichtige
Probleme aufmerksam werden, z.B. dass sich der Patient nicht einmal in der
Verstellung in eine Angstsituation begeben möchte oder dass er falsche
Bewältigungsstrategien wie permanente Ablenkungstechniken einsetzt, ohne die
aufkommende Angst wirklich zuzulassen, obwohl Sie ihn auf die Bedeutung eines
derartigen Vorgehens mehrfach hingewiesen haben.
Verwenden Sie für die Beschreibung und die Protokollierung des Angstausmaßes
eine Angst-Skala (von 0-10), um ein einfaches
Veränderungsmaß zu haben, das ohne lange Erklärungen eine rasche
Therapeut-Patient-Kommunikation über die aktuelle Befindlichkeit ermöglicht.
Begleiten
Sie den
Patienten anfangs nur bei echtem Bedarf in angstbesetzte Situationen
und unterstützen Sie ihn bei der Konfrontation mit den wichtigsten Angst
auslösenden Situationen, und zwar entweder
gestuft
(üben Sie von leichten bis schweren Situationen)
oder massiert
(beginnen Sie mit den am meisten
Angst machenden Situationen). Der Patient soll die für ihn passende
Vorgangsweise auswählen. Blenden Sie sich möglichst bald aus dem Übungsprogramm
aus, damit der Patient auf sich selbst gestellt alle Erfolge sich selbst
zuschreiben lernt.
Wenn
der Patient die Konfrontationstherapie von Anfang an ohne Ihre Anwesenheit
durchführt, was in den meisten Fällen die sinnvollste Vorgangsweise ist,
empfehlen Sie ihm ein Selbsthilfebuch. z.B.
„Die zehn
Gesichter der Angst. Ein Selbsthilfe-Programm in 7 Schritten“
von Morschitzky & Sator.
Wenn
Sie den Patienten anfangs begleiten, sind folgende Vorgangsweisen zu beachten.
Bauen Sie durch Ihre
wohlwollende Unterstützung
die Motivation des Patienten ständig immer weiter auf. Sie verhindern dadurch
eine manchmal auftretende Resignationsneigung.
Verstärken Sie
das Verbleiben in der angstbesetzten Situation,
bis die Angst deutlich abgenommen hat. Ein Verlassen der Angstsituation zum
Zeitpunkt der größten psychovegetativen Erregung kann dazu führen, dass der
Misserfolg am Ende der Übung emotional stärker erinnert wird als der anfängliche
Erfolg, was zur Folge haben kann, dass entsprechende Angst machende Situationen
zukünftig immer weniger aufgesucht werden. Üben Sie keinen Druck aus, dass der
Patient die Situation nicht verlässt. Wenn ein
Meidungsverhalten auftritt, schlagen Sie
dem Patienten etwas später, jedoch noch im Rahmen desselben Übungstages, das
Wiederaufsuchen der gemiedenen Situation vor.
Der
Patient darf
die Situation jederzeit verlassen.
Dies muss keineswegs einen Rückschlag für die Therapie bedeuten, wie früher
immer behauptet wurde. Die Entscheidung zum (Wieder-) Aufsuchen oder Verlassen
einer Situation verbleibt immer beim Patienten. Schränken Sie den Patienten
keinesfalls durch einen entmündigenden Therapievertrag ein. Der Patient ist für
sein Leben und Verhalten selbst verantwortlich. Das oberste Ziel ist die
Selbstbestimmung und Freiheit des Patienten, der auch in der Therapie zu nichts
gezwungen wird, sondern sich selbst für jenen Weg entscheidet, der ihm der beste
zu sein scheint. Im Falle Ihrer Anwesenheit diskutieren Sie mit dem Patienten
jedoch vor dem gewünschten Abbruch einer Übung die möglichen Folgen seines
Verhaltens, um ihn dadurch vielleicht zum Durchhalten ermutigen zu können.
Der Patient
verbalisiert in der Angstsituation seine Wahrnehmungen der Innen- und Außenwelt,
um seine Gedanken, Gefühle und körperlichen Zustände bewusst und ohne jegliche
Vermeidung zu registrieren. Er sagt innerlich bzw. laut vor dem Therapeuten:
„Ich sehe … spüre … höre … denke jetzt …“ Er spürt und benennt vor allem auch
die Angstreaktionen seines Körpers: „Mein Herz schlägt jetzt schneller, mir wird
etwas übel, mein Mund ist ganz trocken, ich bin leicht schwindlig, meine Beine
sind wackelig“. Er akzeptiert alle körperlichen Empfindungen ohne Ablenkungs-
oder Unterdrückungsversuche und wendet sich seinen Zielen zu.
Der
Patient soll sich dann, wenn er sich vor seinen Angstsymptomen und bestimmten
äußeren Situationen nicht mehr so stark fürchtet wie früher,
bewusst auf die
Umwelt konzentrieren und das tun, was er
gerne tun möchte. Das primäre Therapieziel des Patienten soll nicht nur die
Angstbewältigung sein, sondern vielmehr auch die intensivere Teilnahme am Leben
und an der Welt um ihn herum. Es soll wieder Spaß machen, sich überallhin
bewegen zu können; deshalb ist es wichtig, Ziele zu entwickeln, deretwegen es
sich lohnt, die Wohnung zu verlassen und nicht einfach nur wegen der
Angstbewältigung fremde Umgebungen aufzusuchen.
Die
folgenden
zusätzlichen
Empfehlungen
für Sie bzw. den Patienten haben sich in der Praxis vielfach bewährt. Der
Patient soll bereits gemeisterte leichtere Situationen später wiederholen, um
dadurch sein Erfolgserleben zu verstärken. Dies gilt insbesondere auch
angesichts von mit großem Energieaufwand bewältigten schwierigeren Übungen, die
erste Selbstzweifel des Patienten über den Gesamterfolg der Therapie bewirkt
haben könnten. Überprüfen Sie den Erfolg jeder Sitzung und diskutieren Sie
Fortschritte und Konsequenzen des neuen Verhaltens. Vereinbaren Sie zwischen den
Therapieterminen Übungsaufgaben, die der Patient allein erledigt, und ermutigen
Sie den Patienten zum täglichen Üben. Betonen Sie die Notwendigkeit regelmäßigen
Übens für den langfristigen Erfolg. Verweisen Sie auf die Möglichkeit von
zwischenzeitlichen Rückschritten und die Chance, daraus zu lernen. Vereinbaren
Sie nach der Kurzzeittherapie gemeinsame Auffrischungssitzungen.
Ziehen Sie sich im Laufe der Sitzungen
zunehmend zurück, falls Sie aus
bestimmten Gründen mehrfach an der Konfrontationstherapie teilgenommen haben,
und lassen Sie den Patienten das Konzept ohne Hilfestellung anwenden. Der
Patient soll die Begegnung mit den gefürchteten Situationen möglichst oft allein
üben bzw. anfangs mit Unterstützung durch einen Partner, eine andere
Bezugsperson oder einen anderen Angstpatienten, wenn er doch noch nicht in der
Lage ist, alles ohne Hilfestellung zu bewältigen.
Die Provokation von heftigen Panikattacken
ist für die Bewältigung einer Agoraphobie nicht unbedingt erforderlich.
Bei dieser Form der Konfrontationstherapie kommt es nicht darauf an, dass der
Patient möglichst viele und starke Panikattacken erlebt. Wenn er die
Bereitschaft zu einer Panikattacke mitbringt bzw. diese zumindest nicht
vermeidet, falls sie doch auftreten sollte, sind Angst und Schrecken vor
Panikattacken ohnehin bald Vergangenheit. Das Ertragen eines massiven
Kontrollverlusts in Form einer heftigen Panikattacke ist für viele Agoraphobiker
keine heilsame Erfahrung. Das optimale Lernen und Einüben neuer Erfahrungen wie
etwa die Rückeroberung der Umwelt durch einen erweiterten Bewegungsradius
erfolgt am besten auf einem mittleren Angstniveau und wird im Falle einer
psychovegetativen Überaktivierung sogar gestört. Der Patient soll nicht primär
seine Angst durch Habituation verlieren, sondern vielmehr neue
Lebensmöglichkeiten entwickeln.
Akzeptieren
Sie es, wenn der Patient nach reiflicher Überlegung und mehrfachem Üben erklärt,
dass er zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestimmte Ängste nicht ändern kann
oder will. Der Patient ist für sein Leben selbst verantwortlich und hat ein
Recht darauf, so sein zu dürfen, wie er ist. Vielleicht braucht er jedoch Ihre
Hilfe, sich mit seinen Ängsten besser annehmen zu lernen, ohne ständig das Ziel
eines möglichst angstfreien Lebens vor Augen zu haben. Die Einstellung „Ich darf
Angst haben“ bzw. „Ich bin auch trotz meiner Ängste ein liebenswerter Mensch“
kann bereits neue Verhaltensmöglichkeiten eröffnen.
Greifen
Sie nach der Konfrontationstherapie bei Bedarf die dem Patienten bewusst
gewordenen
Themen
und
Problembereiche auf (z.B. Verlustängste,
Todesängste, Angst vor Eigenständigkeit, Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen,
mangelndes Vertrauen in sich und andere, Partner- und Familienkonflikte). Bieten
Sie eine
„Hintergrundsarbeit“
an, drängen Sie diese dem Patienten jedoch nicht auf.
Panikstörung
Panikartige Ängste
galten bis vor 20 Jahren als schwer behandelbar. Selbst in der
Verhaltenstherapie wurden im Vergleich zur Agoraphobie erst relativ spät
spezifische Behandlungsansätze entwickelt. Man beschäftigte sich lange Zeit nur
mit der Behandlung von Ängsten als Folge externer Reize, d.h. mit phobischen
Störungen und dem damit verbundenen Vermeidungsverhalten. Die Behandlung von
Panikstörungen innerhalb der Verhaltenstherapie wurde erst möglich durch eine
stärkere Berücksichtigung kognitiver Konzepte, die bei den ausschließlich
lerntheoretisch orientierten Ansätzen der frühen Verhaltenstherapie
vernachlässigt wurden. Die kognitive Verhaltenstherapie bietet mittlerweile das
erfolgreichste Behandlungskonzept für Panikpatienten mit und ohne Agoraphobie
an.
Im deutschen
Sprachraum haben Margraf & Schneider auf der Grundlage der kognitiven Therapie
von Clark und Beck mit ihrem Standardwerk
„Panik.
Angstanfälle und ihre Behandlung“ ein
umfangreiches, empirisch gut abgesichertes Behandlungsprogramm für
Panikstörungen vorgelegt. Kognitive Techniken werden dabei nicht global
eingesetzt, sondern stellen die veränderte Bewertung körperlicher Symptome in
den Mittelpunkt. Daneben werden die bewährten Techniken der
Konfrontationstherapie angewandt, um kognitive Änderungen zu erleichtern. Das
Programm ist zugeschnitten auf die Behandlung von Panikstörungen ohne
Agoraphobie, ist aber auch bei Agoraphobie mit Panikstörung verwendbar. Die
Techniken der Konfrontationstherapie werden durch kognitive Konzepte und
Techniken erweitert, sodass eine effizientere Behandlung einer Agoraphobie mit
Panikstörung gegeben ist.
Das gesamte
Therapieprogramm umfasst folgende Aspekte:
Diagnostische Phase.
Zu Beginn erfolgt eine gezielte Suche nach möglichen Auslösern für Panikattacken
sowie nach Bedingungen, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens erhöhen (z.B.
Kognitionen, Hyperventilation, interpersonelle Situation). Im Mittelpunkt stehen
die Grobdiagnostik und die Analyse des Problemverhaltens.
Vermittlung eines Erklärungsmodells für
Panikattacken (psychoeduktive Phase).
Informationen und Erklärungen zu Beginn der Therapie
vermitteln den Betroffenen eine neue und erleichternde Sichtweise ihrer Störung,
erhöhen die Wirksamkeit und Akzeptanz des therapeutischen Vorgehens und sind
auch hilfreich zur Vorbeugung von Rückfällen. Vermittelt und erklärt werden
folgende
Konzepte: Natur
der Angst, Teufelskreis der Angst, Komponenten der Angst (physiologisch,
kognitiv, Verhalten), Typen von Angstanfällen, Vermittlung des Stressmodells,
psychophysiologisches Modell der Angst, Genesemodell der Angst (Auslösefaktoren,
Prädispositionen, aufrechterhaltende Faktoren), Information über den typischen
Angstverlauf, Vermittlung des Konfrontationskonzepts als Behandlungsprinzip. Die
Vermittlung eines adäquaten Erklärungsmodells stellt einen Schwerpunkt der
Behandlung dar. Dabei werden Alternativen angeboten zu der Befürchtung vieler
Panikpatienten, an einer (unerkannten) schweren körperlichen oder psychischen
Krankheit zu leiden. Die Erläuterungen beruhen auf dem beschriebenen
psychophysiologischen Erklärungsmodell für Panikstörungen. Sowohl spontan
auftretende Panikattacken als auch starke Angstreaktionen in phobischen
Situationen werden als Ergebnis eines Teufelskreises aus den individuell
relevanten körperlichen Symptomen (z.B. Herzrasen, Schwindel), Kognitionen (z.B.
„Ich könnte ohnmächtig werden“) und Verhaltensweisen (z.B. Hyperventilation)
dargestellt.
Imaginative Auseinandersetzung mit
verschiedenen befürchteten Katastrophen („Entkatastrophisieren“).
„Was wäre, wenn“-Vorstellungsübungen als bewusstes Zu-Ende-Denken von
befürchteten Ereignissen, z.B. Vorstellung eines Ohnmachtsanfalls mit den am
meisten gefürchteten Konsequenzen (außer Sterben).
Konfrontation mit internen Auslösern der
Angstanfälle (besseres Umgehen mit unangenehmen, bewusst provozierten
Körpersensationen). Die Patienten
lernen durch Verhaltensexperimente, ihre Aufmerksamkeit auf unangenehme
Körpersensationen zu lenken und ihre Hypothesen bezüglich gefürchteter
körperlicher Zustände zu überprüfen. Es wird drei Minuten lang ein
Hyperventilationstest durchgeführt, um die eventuelle Auslösbarkeit von
Panikattacken durch Hyperventilation zu testen und gleichzeitig die gefürchteten
psychovegetativen Symptome besser ertragen zu lernen. Daneben werden auch andere
Provokationsverfahren eingesetzt: körperliche Belastung zur Provokation von
Herzrasen und Hitzegefühlen, schnelle Drehungen des Kopfes und des Körpers zur
Schwindelprovokation, visuelle Effekte zur Provokation optisch-räumlicher
Täuschungen, fünfminütige Konzentration auf den Herzschlag zur Erhöhung des
Angstniveaus.
Konfrontation mit externen Auslösern
(Vermeidungsverhalten bewältigen).
Die Patienten sollen sich dabei allein
bestimmten subjektiven, agoraphobisch befärbten Bedrohungssituationen ohne
Vermeidungsreaktion stellen. Sie üben in der Alltagsrealität die Konfrontation
mit Angst machenden Situationen, überprüfen und widerlegen dadurch ihre Angst
machenden Gedanken und Hypothesen.
Spezielle kognitive Techniken (in Anlehnung
an Beck). Im Rahmen einer
kognitiven Therapie werden die typischen Angst machenden Gedanken, die
dysfunktionalen kognitiven Schemata sowie die Fehlinterpretationen der
körperlichen Symptome (Gedanken, Vorstellungsbilder, Einschätzungen der
Wahrscheinlichkeit von Ereignissen) systematisch erarbeitet, die während eines
Angstanfalls auftreten (z.B. „Ich bekomme einen Herzinfarkt“, „Ich könnte
verrückt werden“, „Zu starkes Herzklopfen schadet meiner Gesundheit“), wobei auf
die individuellen Gegebenheiten eingegangen wird. Zuerst wird ausführlich
analysiert, welche Gründe aus der Sicht der Patienten für ihre Angst erzeugende
Interpretation sprechen, anschließend werden alternative Erklärungen für die
Symptomatik, d.h. andere Ursachenzuschreibungen (Reattribuierungen), erarbeitet.
Die übermäßige Konzentration auf den Körper, das bewusste Bemühen, normal zu
denken, zu fühlen, zu atmen usw. und das Unterdrücken negativer Gedanken werden
als potenzielle Panikverstärkung dargestellt. Die Patienten lernen, ihr
Bedürfnis nach 100%iger Sicherheit als eine Quelle ihrer Störung zu erkennen,
und werden angeleitet, mit einem Restrisiko leben zu können.
Weitere Maßnahmen.
Bei Bedarf erfolgen verschiedene andere Trainingsmaßnahmen:
Selbstinstruktionstraining, Problemlösetraining, Training sozialer Fertigkeiten,
Generalisierung der Lernerfolge, Rückfallsprävention.
Generalisierte Angststörung
Die
generalisierte Angststörung war jahrelang ein „Stiefkind“ der Forschung und der
Behandlung im Bereich der Angsterkrankungen. Das Behandlungskonzept besteht aus
einer Verbindung verschiedener Strategien:
Informationsvermittlung
über die Störung und den Kreislauf der Angst.
Selbstbeobachtung
zur Sensibilisierung für die Mechanismen der Angstentstehung.
Hier-und-Jetzt-Wahrnehmungsübungen
(„Awareness“):
Konzentration der Wahrnehmung und des Erlebens auf aktuelle Sinneseindrücke und
Erfahrungen und nicht auf vergangene oder zukünftig befürchtete Ereignisse. Die
Betroffenen beseitigen
dagegen
die aktuellen Angstgedanken durch eine Aufmerksamkeitsumlenkung auf noch
gefährlichere Situationen, die zukünftig eintreten könnten.
Entspannungstechniken
zur Reduktion des erhöhten Anspannungsniveaus.
Einbeziehung kognitiver Techniken
im Sinne der kognitiven Therapie von Beck: Identifizierung, Analyse und
Veränderung von kognitiven Verzerrungen mit dem Ziel der kognitiven
Umstrukturierung zugunsten alternativer und hilfreicherer Sichtweisen. Vor allem
ist es angesichts der ständigen Suche nach Sicherheit erforderlich, mehr
Toleranz von Unsicherheit und Restrisiko zu entwickeln.
Intensive Konfrontation mit den ständigen
Sorgen („Sorgen-Exposition“) im Sinne einer kognitiv-emotionalen Konfrontation
in der Vorstellung (Konfrontation in sensu).
Der Patient soll sich täglich mindestens 25-30 Minuten lang eine typische
Sorgensituation vorstellen, mit allen möglichen negativen Konsequenzen ausmalen,
die dabei auftretenden Kognitionen registrieren und die damit verbundenen
Emotionen und körperlichen Zustände aushalten lernen. Es ist das Ziel, sich der
größtmöglichen Angst ohne kognitive Vermeidungsstrategien zu stellen. Die Furcht
erregende Szene wird so lange möglichst bildhaft mit dem allerschlimmsten
denkbaren Ausgang durchgespielt, bis sie nur noch wenig Angst auslöst, d.h. bis
eine Gewöhnung (Habituation) einsetzt. Erst danach sollen weniger sorgenvolle
Alternativen erwogen werden. Anschließend werden weitere Sorgen in ähnlicher
Weise behandelt. Die Technik des bildhaften „Zu-Ende-Denkens“ wird auch in der
Behandlung von Zwangsgedanken eingesetzt. Wenn sie wirkt, beruht sie teilweise
auf einem paradoxen Effekt: was man absichtlich auslöst, wird nicht mehr als
unkontrollierbar erlebt.
Konfrontationstherapie
(Konfrontation
in vivo) zur Überprüfung der ständigen
Sorgen, soweit dies möglich ist.
Die emotionale Bewältigung von Sorgen im Rahmen einer Konfrontationsbehandlung ist mit einer starken, recht unangenehmen psychovegetativen Aktivierung verbunden, stellt aber in Verbindung mit einer kognitiven Therapie (Änderung der Denkmuster) die wirksamste Behandlungsmethode bei einer generalisierten Angststörung dar. Die Effizienz der verhaltenstherapeutischen Konfrontationstherapie wird auf diese Weise nicht nur bei Phobien, sondern auch bei der generalisierten Angststörung deutlich. Ängste können nur überwunden werden, indem sie sowohl kognitiv als auch emotional ohne Vermeidung bewältigt werden.
Das bislang
umfassendste Behandlungskonzept haben Becker & Margraf in ihrem Buch
„Generalisierte
Angststörung“ vorgestellt. Die Methode der
Konfrontationstherapie, die sich bereits bei der Therapie spezifischer und
sozialer Phobien sowie der Agoraphobie bewährt hat, wird konsequent auf den
Bereich der generalisierten Angststörung übertragen. Im Mittelpunkt der
Behandlung steht die Sorgenkonfrontation in sensu sowie in vivo ohne jede
Entspannung, weil diese eine Habituation verhindert. Die Behandlung erfolgt im
Rahmen einer Einzeltherapie, weil dadurch am besten auf die individuell recht
unterschiedlichen Sorgen und Komorbiditäten eingegangen werden kann, beruht auf
einem sehr hilfreichen und konkreten Therapieleitfaden, dauert 15-20 Stunden
(empfohlen werden Doppelstunden zur Erleichterung der Habituation bei der
Sorgenkonfrontation) und umfasst folgende Schritte:
Allgemeine Informationsvermittlung.
Informationen über Angst und Angststörungen im Allgemeinen sowie über die
generalisierte Angststörung im Besonderen sollen den Betroffenen ein besseres
Verständnis ihrer Störung ermöglichen. Anschließend werden mit den Patienten
gemeinsam die Entstehungsbedingungen (auslösende und aufrechterhaltende
Faktoren) ihrer Ängste erforscht, damit die Betroffenen die allgemeinen
Informationen auf ihre spezielle Situation übertragen und das daraus folgende
Therapiekonzept nachvollziehen können. Wichtige Informationen für die Therapie
stammen aus der regelmäßigen Selbstbeobachtung der Patienten, weshalb diese
angeleitet werden, ein Sorgentagebuch zu führen, um auf diese Weise die
typischen Inhalte und Auslöser der Sorgen, den Verlauf der Sorgenepisoden und
der sorgenfreien Zeiten zu dokumentieren und Zusammenhänge zwischen Sorgen und
Aktivitäten, Zeiten oder Personen zu erkennen.
Sorgenkonfrontation in sensu.
Die Patienten erhalten eine Einführung in die Art und Wirkungsweise einer
Konfrontationstherapie, um den Effekt der Angstreduktion durch Habituation zu
verstehen. Ablenkung, Unterdrückung und Vermeidung der Sorgen sowie
Rückversicherungsfragen werden als nur kurzfristig wirksam und langfristig Angst
verstärkend dargestellt. Die zahlreichen unkontrollierbaren Sorgen werden in der
Therapie isoliert und nacheinander bewältigt, um die Sorgenkette zu
durchbrechen. Die rasch wechselnden Gedankenketten werden in lebendige
Vorstellungsbilder übersetzt, wobei alle Sinnesqualitäten angesprochen werden,
um ein konkretes Bild zum schlimmstmöglichen Ausgang zu entwickeln. Das ständige
„Was wäre, wenn“ soll bei geschlossenen Augen bildhaft zu Ende gedacht werden.
Dabei werden bewusst auch die bisher gefürchteten und daher vermiedenen
vegetativen Symptome provoziert. Die Betroffenen sollen die Erfahrung machen,
dass Ängste am besten und raschesten durch mentales und körperliches Zulassen
ohne jeden Kampf dagegen überwunden werden können. Sie erhalten dann die
Aufgabe, sich täglich eine Stunde lang sehr lebendig mit ihren Angst machenden
Sorgen zu konfrontieren. Positive Erlebnisse führen dann auch zu neuen
Denkmustern.
Konfrontation in vivo.
Bei einer ausschließlichen Konfrontation in sensu besteht eine hohe
Rückfallsgefahr, weshalb die erreichten Fortschritte durch eine analoge
Konfrontationstherapie in vivo abgesichert werden müssen, soweit dies von der
Art der Angst her möglich ist. Empfohlen wird eine massierte
Konfrontationstherapie, nur in Ausnahmefällen eine gestufte, wo mit langsam
ansteigendem Schwierigkeitsgrad zu üben begonnen wird. Die Konfrontation soll
vom Patienten alleine so lange ohne Vermeidungs- und Rückversicherungsverhalten
durchgeführt werden, bis eine Habituation eintritt. Typische Beispiele dafür
sind etwa folgende ängstliche Verhaltensweisen: ein Kind ständig über das Handy
kontrollieren; lieber zu früh als zu knapp bei einem Termin erscheinen; alleine
etwas unternehmen ohne ängstliche Vorsorgemaßnahmen.
Kognitive Therapie.
Die Analyse und Änderung der Denkmuster („kognitive Umstrukturierung“) stellt
eine unterstützende Therapiemaßnahme dar. Bei Bedarf werden auch Meta-Sorgen
(z.B. „Meine Sorgen sind unkontrollierbar“, „Ich werde von den vielen Sorgen
noch verrückt“, „Meine Sorgen helfen mir, etwas Schlimmes zu verhindern“) einer
Bearbeitung unterzogen. Die zwei wichtigsten Techniken dabei sind die
Realitätsüberprüfung (genaue Analyse, wie berechtigt die Sorgen tatsächlich
sind) und das Entkatastrophieren (eine vermeintliche Katastrophe realistisch
einschätzen lernen). Entsprechende Hausaufgaben sollen die Therapiefortschritte
absichern.
Angewandte Entspannung.
Bei erheblicher muskulärer Verspannung kann zusätzlich noch die so genannte
„angewandte Entspannung“ nach Öst eingesetzt werden, die auf der progressiven
Muskelentspannung nach Jacobson beruht. Es wird zuerst die Langform und
anschießend die Kurzform des Verfahrens vermittelt. Diese Technik kann auch bei
Patienten, die Ängste nicht allein durch Zulassen ohne Entspannung bewältigen
können oder wollen, zur Unterstützung in Angst- und Stresssituationen sowohl in
sensu als auch in vivo eingesetzt werden.
Aus
langjähriger klinischer Praxis möchte ich neben den erwähnten positiven Aspekten
auf einen Kritikpunkt hinweisen. Eine reine Konfrontationstherapie bei Menschen
mit einer schweren generalisierten Angststörung, die von Psychoanalytikern als
„ich-schwach“ bezeichnet werden, führt zum
gleichen Problem wie bei Sozialphobikern mit sozialen Defiziten, die eine
ausgeprägte Erwartungsangst aufweisen: Wer selbstunsicher ist, einen
fundamentalen Mangel an Vertrauen zu sich und zu anderen aufweist und bestimmte
Fähigkeiten noch gar nicht erworben hat, wird diese erst erlernen müssen und
kann nicht allein durch eine Konfrontationstherapie geheilt werden, weil sonst
die Misserfolgserlebnisse nur vermehrt werden und die Angst insgesamt verstärkt
wird. Verhaltenstherapeuten bekommen es bei der Behandlung der generalisierten
Angststörung mit dem zu tun, was in der Psychoanalyse als die Dynamik der
Angstneurose
beschrieben wird. Vielleicht könnte sich hier ein Brückenschlag zur
Psychoanalyse ergeben. Menschen, die von klein auf bzw. von ihrer Natur her
recht ängstlich sind, wird man nicht allein durch Konfrontationstechniken in
ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern können. Der heilende Effekt der
therapeutischen Beziehung als solcher, wie er nicht nur in der Psychoanalyse,
sondern u.a. auch in der klientenzentrierten Psychotherapie nach Rogers von
zentraler Bedeutung ist, wird gerade in der Verhaltenstherapie bei Menschen mit
einer generalisierten Angststörung in ihrer vollen Bedeutung erst erkannt werden
müssen. Entscheidend ist oft der Aufbau von Vertrauen zu sich selbst und zu
anderen, was im Rahmen der Psychotherapie eingeübt werden muss.
Spezifische Phobie
Spezifische Phobien
stellten seit den frühen 1960er-Jahren ein beliebtes Anwendungsgebiet der neu
entwickelten verhaltenstherapeutischen Methoden dar (insbesondere der
systematischen Desensibilisierung, z.B. bei einer Spinnenphobie). Dabei wurde
lange Zeit rigide nach bestimmten Techniken vorgegangen, ohne die funktionale
Bedeutung der jeweiligen Phobie ausreichend zu berücksichtigen. Ein derartiges
„Wegtrainieren“ von Symptomen hat in vielen Fällen zwar durchaus gut
funktioniert, insgesamt jedoch dem Image der Verhaltenstherapie so schwer
geschadet, dass viele Kritiker auch heute noch dieser Psychotherapiemethode ihre
Vergangenheit vorwerfen.
Heutzutage wird
stärker als früher beachtet, dass auch die scheinbar einfachen spezifischen
Phobien vor Behandlungsbeginn eine
individuelle
und differenzierte Verhaltensanalyse sowie
eine
funktionale Analyse ihrer Bedeutung
erfordern. Misserfolge in der Therapie sind oft durch die Vernachlässigung
dieser Aspekte erklärbar.
Spezifische Phobien können oft sehr subtil in den beruflichen, familiären oder privaten Bereich eingebettet sein:
Eine
sich plötzlich entwickelnde
Flugphobie eines
erfolgreichen, weltweit tätigen Managers kann Ausdruck dafür sein, dass er als
Familienvater mit vier Kindern und einer überforderten bzw. chronisch kranken
Frau unbewusst nicht mehr ständig Außendienste, noch dazu in Übersee, machen
möchte, obwohl er vielleicht bewusst nach einer entsprechenden Lösung sucht und
daher eine reine Flugphobie-Behandlung erwartet.
Die
Angst
vor Blitz und Donner kann zwar ausdrücken,
dass eine Frau sich während eines heftigen Gewitters ohne ihren Mann zu Hause
fürchtet, aber auch signalisieren, dass sie eigentlich nicht mehr länger im
entlegenen Haus am Waldrand wohnen möchte, abgeschnitten vom früheren
Bekanntenkreis.
Eine sich plötzlich entwickelnde Blutphobie einer Krankenschwester kann symbolisieren, dass sie wegen der Kinder nicht mehr länger berufstätig sein möchte, obwohl sie dies aus finanziellen Gründen (Kreditrückzahlung) eigentlich sein müsste.
Eine
Hundephobie kann der Rechtfertigung eines
sozialen Rückzugs dienen.
Bei den
häufigen
Tierphobien
(Spinnen, Schlangen, Hunde usw.) wurde zumeist die systematische
Desensibilisierung eingesetzt. Bei
Insektenphobien
(„Angst“ vor Spinnen und Käfern) geht es
meist um Ekelgefühle, die es besser als bisher auszuhalten gilt, sowie um die
Überprüfung der falschen und fantastischen Vorstellungsbilder, die nichts mit
der Realität dieser Tiere zu tun hat (z.B. „Die Spinne wird mich anspringen und
beißen“).
Menschen mit
Klaustrophobie haben eine große Ähnlichkeit
mit Panikpatienten mit Agoraphobie, weil sie wie diese befürchten, in einer
Situation, in der sie sich festgehalten fühlen, eine Panikattacke zu bekommen,
sodass sie sich in ständiger Fluchtbereitschaft und damit starker Anspannung
befinden. Die Betroffenen haben in geschlossenen Räumen ein Engegefühl in der
Brust mit der Schwierigkeit durchzuatmen, sodass sie am liebsten das Weite
suchen würden, aber ausharren müssen. Von der englischen Gruppe um Rachman wurde
ein Programm entwickelt, das aus einer Kombination von drei Therapieelementen
besteht: Konfrontation mit Angst auslösenden Situationen, Konfrontation mit den
körperbezogenen Reaktionen, kognitive Therapie.
Bei einer
Flugphobie (Aviophobie) werden verschiedene
Therapiemethoden einzeln oder kombiniert eingesetzt: systematische
Desensibilisierung, Konfrontationstherapie, kognitive Therapie,
Selbstinstruktionstraining nach Meichenbaum, mentales Training. Auf vielen
Flughäfen werden Seminare zur Bewältigung der Flugangst angeboten. Neuerdings
werden die Möglichkeiten der Computertechnik genutzt, indem mit Hilfe einer
Spezialbrille wirklichkeitsnahe Flüge simuliert werden. Die Therapie der
Flugphobie muss sich auf die speziell gegebene Angst beziehen:
Todesangst
aus Angst vor einem Absturz,
Flugphobie
als Höhenphobie,
Angst vor
Panikattacken wegen fehlender Fluchtmöglichkeit (Flugangst als Extremvariante
einer Agoraphobie),
klaustrophobische Angst (Angst vor Beengtheit durch Flugzeug, Angeschnalltsein
oder Sauerstoffmangel),
Kontrollverlustangst in Verbindung mit der Angst vor sozialer Auffälligkeit,
Kontrollverlustangst im Sinne des Umstands, anderen (den Piloten) vertrauen zu
müssen,
Kontrollverlustangst im Sinne des Umstands, einer unbekannten Technik vertrauen
zu müssen.
Angst vor der
Ferne, agoraphobische Angst, am Urlaubsort bis zum Rückflug festzusitzen („in
der Falle sitzen“, nicht jederzeit nach Hause fliegen zu können).
Eine Höhenphobie, die durch den Aufenthalt auf Brücken, einem Hochhaus, einem Balkon, einem Turm, einer Leiter oder in einer Seilbahn ausgelöst wird, entsteht aus einem normalen Höhenschwindel. Die Betroffenen müssen daher vor einer Konfrontationstherapie über den Umstand aufgeklärt werden, dass ihre Höhenangst aus ganz normalem Höhenschwindel entsteht, der immer dann auftritt, wenn sie sich in größerer Höhe befinden und deshalb vermeintlich mangels Halt einen Absturz fürchten. Tatsächlich jedoch hat der Höhenschwindel weniger mit einer Angst an sich zu tun, sondern vielmehr mit dem Umstand, dass in größeren Höhen die Entfernung zum nächsten Objekt zu groß ist und daher durch die fehlende Auge-Körper-Koordination ein Schwindelgefühl auftritt. Erst danach entwickeln sich Vorstellungen, abstürzen zu können, sodass man sich dagegen wehrt und in der Folge davon stark verspannt. Die Betroffenen sollen unterscheiden lernen zwischen ihren inneren Vorstellungen und ihren äußeren Wahrnehmungen (Was genau stelle ich mir vor, was sehe ich wirklich vor mir?). Anschließend sollen sie den Wahrheitsgehalt der aktivierten Vorstellungen in der Realität überprüfen und ihre Situation neu bewerten lernen. Allein bereits durch die Verbesserung der Wahrnehmung können die Mikroauslöser der Höhenphobie identifiziert werden.
Grundsätzlich wird bei der Behandlung von spezifischen Phobien auf dieselben Techniken zurückgegriffen, wie sie bei der Behandlung der Agoraphobie dargestellt wurden. Daneben bewähren sich Techniken aus dem mentalen Training. Bei entsprechender Ausbildung des Psychotherapeuten kann eine Hypnotherapie sehr hilfreich sein.
Durch die
Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten werden Menschen mit spezifischen
Phobien zumindest in bestimmten Zentren immer häufiger mit virtuellen Techniken
behandelt. Es handelt sich dabei um eine Art
„virtuelle
Konfrontationstherapie“.
Mithilfe der
Cyberbrille,
die verschiedene gefürchtete Situationen möglichst realistisch wiedergibt,
erfolgt die Konfrontation mit den Auslösereizen (Spinnen, Höhen, Flugzeug,
Aufzug u.a.), die Angst, Panik, Beklemmung oder Ekel hervorrufen. Das Üben in
realen Situationen wird dadurch jedoch keinesfalls ersetzt, sondern im Anschluss
an die Cybertherapie nur erleichtert.
Bei
Prüfungsängsten
ohne ausgeprägte Sozialphobie ist eine stärker kognitive Therapie erforderlich
und nicht einfach nur eine Änderung von Verhaltensweisen wie etwa häufigeres
Melden im Unterricht, größere Bereitschaft zu Vorträgen und häufigeres Antreten
zu Prüfungen. Die Betroffenen müssen ihr geringes leistungsbezogenes
Selbstvertrauen, ihren niedrigen Selbstwert, ihre permanente Selbstabwertung und
ihr ständiges Katastrophendenken erkennen und durch andere Sichtweisen ändern
lernen. Sie müssen mehr Sicherheit von innen heraus entwickeln und nicht einfach
nur äußere Kontrollstrategien anwenden, um selbstsicherer zu wirken. Die
Angstfantasien vor der Prüfung werden schließlich so groß, dass neue
Informationen aufgrund der eingetretenen Konzentrationsstörung gar nicht mehr
aufgenommen werden können, was erst recht den Zweifel an den eigenen kognitiven
Fähigkeiten nährt. In Form eines mentalen Trainings („Exposition in sensu“) soll
sich der Betroffene die Prüfungssituation möglichst plastisch und im
Zeitlupentempo-Ablauf vorstellen lernen; er soll sich die gesamte
Prüfungssituation möglichst realistisch vergegenwärtigen und sie sehr lebendig
durchleben. Er soll vor allem auf die auftretenden Gefühle achten, sodass er
diese verbalisieren kann, z.B. „Ich fürchte mich vor dem Prüfer; ich habe Angst,
dass mir nichts einfällt; mir ist das ganz peinlich; ich fürchte, dass die
anderen sehr schlecht von mir denken; sie werden mich verachten wegen meiner
Unwissenheit; ich schäme mich vor den anderen wegen meines schlechten
Abschneidens.“
Über den Weg der
Provokation der starken negativen Gefühle ist eine Veränderung möglich. Es
erfolgt kein Kampf mehr gegen die negativen Gefühle und die körperliche
Verspannung. Der Betroffene nimmt diese Zustände einfach an und hat damit mehr
Kraft, sich zu Hause voll und ganz auf das Erlernen des Wissensstoffes und in
der Schule bzw. auf der Universität intensiv auf die Aktivierung seines Wissens
zu konzentrieren, weil er sich von den vielen Störgedanken nicht mehr ablenken
lässt. Bestimmte Atemübungen und Selbstinstruktionstechniken erleichtern eine
selbstsichere Präsentation. Anstelle des früheren Perfektionismusstrebens, alles
lernen und wissen zu müssen, wird der „Mut zur Lücke“ trainiert, d.h. die
Bereitschaft zur Unvollkommenheit und Schwäche.
Soziale
Phobie
Bei Sozialphobien
bestehen je nach Diagnose und Verhaltensanalyse folgende therapeutische
Vorgangsweisen:
Training zur Verbesserung der sozialen
Kompetenz bei einer
generalisierten Sozialphobie und bei selbstunsicherer Persönlichkeitsstruktur.
Konfrontationstherapie
bei einer spezifischen Sozialphobie, wo aus Angst vor sozialer Kritik vorhandene
soziale Kompetenzen nicht genutzt werden.
Kognitive Therapie
als grundlegender Therapiebaustein bei allen sozialen Ängsten.
Soziales Kompetenztraining
Frühe
Erklärungsversuche sozialer Phobien gingen von der Annahme unzureichender
sozialer Fertigkeiten aus. Nach dem Modell des sozialen Lernens waren effektive
Modelle nicht vorhanden und wurden selbstsichere Verhaltensweisen nicht
ausreichend verstärkt. Soziale Defizite bestehen bei Menschen mit einer
generalisierten Sozialphobie sowie bei Menschen mit einer
vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung und werden
traditionellerweise durch soziale Kompetenztrainings behandelt, die früher
häufig „Selbstsicherheitstraining“ genannt wurden.
„Soziale Kompetenz“
bezeichnet das potenzielle Handlungsrepertoire,
„soziale
Fertigkeiten“ die manifeste Umsetzung in
konkrete Verhaltensweisen. Nach einer anderen Unterscheidung versteht man unter
„sozialer Kompetenz“ die grundsätzliche Verfügbarkeit eines
Verhaltensrepertoires in sozialen Situationen, während der Begriff
„soziale
Performanz“ das in sozialen Situationen
tatsächlich gezeigte und beobachtbare Verhalten umschreibt. Sozialphobiker
können trotz an sich vorhandener sozialer Kompetenzen wegen einer unzureichenden
sozialen Performanz als auffällig, seltsam, befremdend, abweisend oder kühl
erlebt werden, was bei anderen Menschen tatsächlich jene negativen und
ablehnenden Reaktionen hervorrufen kann, die sie am meisten fürchten. Die
Modelle zur Erklärung sozialer Ängste und Phobien haben in der Vergangenheit die
Defizite hinsichtlich sozialer Performanz zu wenig berücksichtigt und
Sozialphobikern oft vorschnell einen Mangel an sozialer Kompetenz unterstellt.
Die
unzureichende
Unterscheidung zwischen sozialer Kompetenz und sozialer Performanz
kann zu einem falschen therapeutischen Vorgehen führen: Es wird dann etwas
trainiert, was die Betroffenen bereits können, jedoch nicht einsetzen. Vor allem
aus der Sicht der kognitiven Therapie wird der unreflektierte Einsatz von
sozialen Kompetenztrainings kritisiert, denn es sind gerade bestimmte
Kognitionen, die die Umsetzung der vorhandenen Fähigkeiten blockieren, z.B. „Ich
könnte mich zwar durchsetzen, aber dann ist mein Partner beleidigt, und das
halte ich nicht aus, wenn ich nicht jederzeit geliebt werde.“ Die vermeidenden
Verhaltensweisen von Menschen mit sozialen Ängsten und Phobien haben oft den
Charakter eines Sicherheitsverhaltens; sie schützen vor unangenehmen Erfahrungen
wie Peinlichkeit und Abgelehnt-Werden.
„Soziale Kompetenz“
gilt heutzutage als Oberbegriff für ältere Konzepte wie Selbstbehauptung,
Durchsetzungsfähigkeit, Selbstsicherheit, soziale Fertigkeiten oder
Selbstvertrauen. Soziale Kompetenztrainings umfassen einen weiteren
Gegenstandsbereich als die herkömmlichen Durchsetzungs- oder
Selbstbehauptungstrainings, die in der Vergangenheit häufig ohne individuelle
Verhaltensanalyse durchgeführt wurden. Der Begriff der sozialen Kompetenz
beschreibt keine situationsübergreifende Persönlichkeitseigenschaft, sondern
umfasst unterschiedliche Verhaltensaspekte in Abhängigkeit von bestimmten
sozialen Situationen und ihren Anforderungen.
Soziale
Kompetenztrainings werden nicht nur bei Menschen mit Angststörungen und
Selbstunsicherheit, sondern auch bei Patienten eingesetzt, die ganz
unterschiedliche Diagnosen aufweisen (z.B. Depression, Zwangsstörung,
Schizophrenie, sexuelle Störung, Essstörung, Alkohol-/Medikamentenmissbrauch,
psychosomatische Störungen).
Verschiedene
Selbstsicherheitstrainings haben seit den 1970er- und 1980er-Jahren weite
Verbreitung gefunden, vor allem auch im klinischen Bereich. Die Konzepte
umfassen
vier Generalisationsbereiche sozialer Ängste:
Angst vor
Ablehnung beim Äußern eigener Bedürfnisse,
Angst vor
Ablehnung bei der Abgrenzung gegen Übergriffe von anderen,
Angst vor
Kritik oder Fehlschlägen,
Angst vor
sozialen Kontakten.
Die Verbesserung
sozialer Fertigkeiten wird über folgende Therapieziele angestrebt:
Berechtigte Forderungen stellen lernen:
Auskünfte erfragen, sich beschweren, auf etwas bestehen, jemanden um etwas
bitten, etwas für sich oder für andere verlangen, gegen Unrecht protestieren.
Das Verhalten soll energisch und bestimmt sein.
Unbillige Forderungen oder Bitten anderer
abschlagen und Nein sagen lernen:
sich nicht ausnutzen lassen, es nicht allen recht machen wollen, auf die eigenen
Bedürfnisse achten und es aushalten lernen, dass andere deswegen verärgert sein
könnten, Auseinandersetzungen nicht konfliktscheu ausweichen, etwas ablehnen,
eine Bitte abschlagen, einen Vorschlag zurückweisen. Das Verhalten soll nicht
aggressiv, sondern freundlich-bestimmt sein.
Kritik äußern und ertragen sowie öffentliche
Beachtung aushalten lernen:
Kritik offen, bestimmt und in akzeptabler Form ausdrücken, berechtigte Kritik
annehmen, absichtlich einen Fehler machen, im Mittelpunkt stehen (z.B. laut
reden oder rufen, einen Vortrag halten).
Kontakte herstellen und aufrechterhalten
lernen: Gespräche beginnen und
aufrechterhalten, eigene Gefühle mitteilen, auf andere eingehen, körperliche
Nähe ertragen, Verabredungen treffen, nonverbale Kontaktfähigkeit entwickeln
(Blickkontakt, Lächeln, bestimmte Körperhaltung, Stimme usw.).
Beim
Selbstsicherheitstraining folgt auf die
„Grundstufe“
eine
„Fortgeschrittenen-Stufe“, wo die Anwendung
selbstsicheren Verhaltens im Freundeskreis, am Arbeitsplatz und in der Familie
bzw. Partnerschaft angestrebt wird.
Als
Methoden
werden Verhaltensübungen, Rollenspiele, Modelllernen, Feedback, Videotraining
und Hausaufgaben eingesetzt. Das Programm wird im Regelfall unter Teilnahme von
zwei Therapeuten, die als Modell für das einzuübende Verhalten dienen, in Form
einer Gruppentherapie mit Einzelbehandlungen kombiniert, kann aber auch als
reine Einzel- oder Gruppentherapie zum Einsatz kommen. Die sehr detailliert und
differenziert ausgearbeiteten und nach steigender Schwierigkeit aufeinander
aufbauenden Übungen sollten nicht einfach – wie dies leider oft genug erfolgte –
als reines Übungsprogramm zum Eintrainieren von erwünschten
Standardverhaltensweisen eingesetzt werden und auch nicht sklavisch genau in der
vorgegebenen Reihenfolge absolviert werden, sondern sehr
individualisiert erfolgen auf der Basis
einer
exakten Verhaltens- und Zielanalyse bei
jedem Therapieteilnehmer.
Alle
Therapiekonzepte zum Abbau sozialer Ängste müssen deren mögliche Funktionen im
Rahmen der aktuellen Sozialbeziehungen berücksichtigen.
Systemische
Funktionen einer Sozialphobie sind z.B.:
Eine junge
Frau mit sozialen Ängsten bleibt partnerlos an die Mutter gebunden, die seit dem
Tod ihres Gatten allein nicht ausreichend lebensfähig ist.
Ein Mann mit
sozialen Ängsten verbringt sein Leben in überenger Beziehung mit seiner Gattin
und schränkt dadurch deren Freiheitsraum ein („Ich lebe ganz für Ehe und
Familie, sie soll es auch tun!“).
Ein
Jugendlicher mit sozialen Ängsten möchte sich von den Eltern erhalten lassen.
Bei einem Training
sozialer Fertigkeiten sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:
Interaktionelle Sichtweise
bestimmter Verhaltensweisen im Gesamtkontext. Es erfolgt eine Einbettung in die
Partnerschaft, Berufssituation usw. Welche Bedeutung hat ein bestimmtes
Verhalten in einer konkreten Situation? Jedes Verhalten kann eine
unterschiedliche Bedeutung und Funktion haben, je nach Situation, Kontext, Art
und Stadium der Interaktion, Art und Anzahl der Personen und ihren Zielen.
Individuelle Anpassung
an den Patienten. Was ist „echt“, was nur „antrainiert“?
Reflexion der
impliziten Ziel- und Wertvorstellungen.
Wer bestimmt, was „sozial angepasst“ und „sozial kompetent“ ist? Erwünschte
Standards in unserer Gesellschaft dürfen nicht unkritisch als Therapieziele
übernommen werden, wenn der Klient dadurch in seiner Lebenssituation noch
größere Probleme bekommen würde.
Konfrontationstherapie
Spezifische
Sozialphobien beruhen auf der Angst vor ganz bestimmten Situationen, die durch
Vermeiden im Sinne eines Sicherheitsverhaltens zu umgehen versucht werden. Auf
diese Weise werden die soziale Phobie und soziale Defizite aufgrund mangelnder
Übung verstärkt. Derartige soziale Ängste werden im Sinne einer
Konfrontationstherapie behandelt (Übungen
in realen Situationen und weniger im Therapieraum). Dies ist gerade bei Menschen
mit einer spezifischen Sozialphobie wichtig, die bei guten sozialen Kompetenzen
ständig Angst vor Beurteilung haben.
Für einen
dauerhaften Therapieerfolg ist es erforderlich, eine Veränderung des zentralen
Aspekts der sozialen Phobie, nämlich der
Angst vor
negativer Bewertung durch andere, zu
erreichen. Sozialphobiker, die Kontaktprobleme eher wegen ihrer Hemmung aus
Angst vor sozialer Kritik und nicht wegen eines fundamentalen Mangels an
sozialer Kompetenz haben, benötigen
Angst
provozierende Übungssituationen zur
Stärkung des Selbstvertrauens. Über Erfolge im Rahmen einer
Konfrontationstherapie finden dabei indirekt auch Einstellungsänderungen statt.
Durch
regelmäßige Übungen in realen Situationen (anfangs zusammen mit dem Therapeuten,
ökonomisch und therapeutisch sinnvoll in Form einer Gruppentherapie) erfolgt
einerseits eine
externe Realitätsüberprüfung
(„Die anderen tun nichts, was negativ oder bedrohlich wäre“), andererseits eine
interne Realitätsüberprüfung („Ich kann mit
den negativen Urteilen anderer besser leben, als ich geglaubt habe“). Darüber
hinaus ist die
direkte Analyse und Änderung der vorhandenen
Denkmuster (vor allem der Angst vor
Ablehnung) sehr wichtig, weil viele Sozialphobiker im Gegensatz zu
Agoraphobikern ohnehin die meisten sozialen Situationen aufsuchen (wenngleich
oft mit einem unguten Gefühl), ohne durch diese Art der Konfrontation eine
Symptomreduktion zu erreichen.
Eine Schulung
der
sozialen Wahrnehmung ist unbedingt
angezeigt, damit Sozialphobiker die Reaktionen anderer Menschen richtig
einschätzen lernen. Die Betroffenen sollen ihre Befürchtungen im Rahmen der
Reizkonfrontation nicht einfach besser aushalten, sondern überhaupt als
unberechtigt erkennen lernen. Es wird eine
adäquatere Form
der
Informationsverarbeitung trainiert.
Die massivste
Form einer Konfrontation ist die
Symptomprovokation,
die so genannte
paradoxe Intention,
d.h. der Vorsatz bzw. Ratschlag, genau das zu tun, was man am meisten fürchtet:
Rotwerden oder Schwitzen von sich aus ansprechen, absichtlich zittern, bei
Sprechangst die Nervosität öffentlich bekannt geben, durch auffälliges Verhalten
auf sich aufmerksam machen oder bestimmte gefürchtete Personen bewusst
ansprechen. Auf diese Weise werden bewusst alle Vermeidungsreaktionen und
Sicherheitsverhaltensweisen aufgegeben. Es handelt sich um
„Mittelpunktsübungen“, wo die Betroffenen bewusst auf sich aufmerksam machen und
die befürchtete Kritik vonseiten der Umwelt riskieren. Eine Symptomprovokation
kann in bestimmten Fällen durchaus sinnvoll sein, kann aber ohne
Berücksichtigung der Lebenserfahrungen und der Persönlichkeit des Patienten zu
einer symptomverstärkenden Retraumatisierung führen. Der Effekt der erhofften
Habituation kann zudem auch durch bestimmte Interpretationen zunichte gemacht
werden, z.B. „Bei einer solchen Übung kann ich mich durchaus auffällig
verhalten, in bestimmten für mich wichtigen Situationen darf ich mich aber nicht
blamieren, weil ich sonst erledigt bin.“
Kognitive Therapie
Aus der kognitiven
Theorie der Sozialphobie von Clark & Wells resultieren ganz bestimmte
Behandlungsansätze. Es geht um die Änderung der zentralen aufrechterhaltenden
Faktoren der Sozialphobie, nämlich der selbstfokussierten Aufmerksamkeit, der
negativen Verarbeitung des Selbst und des Sicherheitsverhaltens. Dabei verändern
die Betroffenen ihre negativen Überzeugungen bezüglich ihrer Wirkung auf andere
Menschen durch direkte Beobachtung, statt sie durch ständige Selbstbeobachtung
zu erschließen. Das Behandlungskonzept umfasst sechs Schritte:
Entwicklung eines individuell abgestimmten
Modells der sozialen Angst.
Anhand bestimmter sozialphobischer Reaktionen (z.B. Vermeiden) wird das Modell
erklärt.
Manipulation der selbstfokussierten
Aufmerksamkeit und des Sicherheitsverhaltens.
Die Betroffenen erfahren, dass sie ihre Ängste durch Selbstbeobachtung
verstärken und durch Zuwendung auf andere Menschen abbauen.
Rückmeldung durch Video- und
Tonbandaufnahmen. Videofeedback
widerlegt den vermeintlich negativen Eindruck auf andere, der nur auf den
eigenen Gefühlen und Empfindungen beruht.
Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus und genaues
Beobachten der sozialen Umgebung.
Durch Konfrontation mit der sozialen Umwelt erfolgt eine Überprüfung bestimmter
Annahmen und Erwartungen.
Informationsverarbeitung vor und nach
sozialen Situationen. Die
verzerrte Verarbeitung von Informationen vor und nach sozialen Situationen wird
modifiziert.
Grundlegende Überzeugungen analysieren. Zentrale Denkmuster werden verändert.
Das
Behandlungsmodell des amerikanischen Verhaltenstherapeuten Heimberg legt zu
Therapiebeginn den Schwerpunkt auf die
Analyse und
Veränderung negativer kognitiver Muster,
die den sozialen Ängsten zugrunde liegen (z.B. „Ich möchte bei allen beliebt
sein“, „Ich tue alles, um Kritik zu vermeiden“, „Ich halte es nicht aus, von
jemand abgelehnt zu werden“). Nach der kognitiven Umstrukturierung erfolgen
Konfrontationsübungen in Form von Rollenspielen in der Gruppe sowie als
Hausaufgaben. Bei der Behandlung werden vier Therapiephasen unterschieden:
Aufbau von Therapiemotivation
(Patienten mit ausgeprägter Sozialphobie können sich trotz Änderungswunsches
eine Verhaltensänderung oft nicht vorstellen), Entwicklung einer guten
Therapeut-Patient-Beziehung (viele Patienten halten anfangs kaum Kritik
vonseiten des Therapeuten aus), Aufbau von Gruppenkohäsion (im Falle einer
Gruppentherapie) sowie Vermittlung eines hilfreichen Störungsmodells.
Konfrontation mit den phobischen Situationen
in der Gruppe (Rollenspiele), im Rahmen einer Konfrontation in sensu
(Vorstellungsübungen), in Form einer Konfrontation in vivo (gestufte oder
massierte Konfrontationstherapie) sowie Selbstinstruktionstraining.
Übertragung der Lernerfahrungen auf den
Alltag des Patienten. Durch
entsprechende Hausaufgaben ist der Transferprozess auf die Lebenswelt des
Patienten einzuleiten und abzusichern, der ansonsten oft nur unzureichend
erfolgt. Dabei ist neben neuen Handlungsweisen auch die Entwicklung neuer
Sichtweisen wichtig.
Kognitive Umstrukturierung:
direkte oder indirekte Änderung von Denkmustern.
Im Buch
„Soziale
Phobien“ von Stangier u.a. wird ein
kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungsmanual vorgestellt, das auf dem
kognitiven Erklärungsmodell und Therapiekonzept von Clark &Wells beruht. Sehr
detailliert wird eine kognitive Verhaltenstherapie der Sozialphobie in fünf
Phasen vorgestellt:
Eingangsdiagnostik und Modellableitung.
Gemeinsam mit dem Patienten werden die negativen Denkmuster (z.B. „Ich bin
unattraktiv und dumm“), die körperlichen Angstsymptome (z.B. feuchte Hände,
Händezittern, Rotwerden), die Sicherheitsverhaltensweisen (z.B. schweigen, um
nicht aufzufallen), die Art der erhöhten Selbstaufmerksamkeit und der
selbstbezogenen Gedanken, Gefühle und Bilder sowie deren Zusammenhänge mit dem
Sicherheitsverhalten und den Angstsymptomen identifiziert. Die gewonnenen
Erkenntnisse vertiefen das Verständnis für das kognitiv-behaviorale
Erklärungsmodell und die Motivation für das Behandlungskonzept.
Kognitive Vorbereitung auf die Exposition.
Im Zentrum steht die Änderung der Faktoren der Informationsverarbeitung, die die
unrealistischen Bewertungen stabilisieren und aufrechterhalten, nämlich die Art
der Selbstaufmerksamkeit, der bildhaften Vorstellungen und des
Sicherheitsverhaltens. Dabei werden innerhalb des Therapieraums Rollenspiele und
Videofeedback eingesetzt. Videoaufnahmen ermöglichen eine Sicht von außen, aus
der Beobachterperspektive, wie einen die anderen sehen, was die falschen
Bewertungen auf der Basis des überkritischen inneren Erlebens korrigieren soll.
Auf das Vermeiden von Sicherheitsverhalten wird ebenfalls geachtet.
Exposition in vivo und Verhaltensexperimente.
Es erfolgt eine Konfrontation mit Angst aktivierenden Situationen in der realen
Umwelt so lange dauern soll, bis eine Habituation einsetzt. Durch derartige
Verhaltensexperimente in der Realität werden die negativen Überzeugungen
überprüft und als unzutreffend erkannt. Dabei sollen die Patienten ihre
Wahrnehmung auf die soziale Umwelt und nicht ständig auf sich selbst richten, um
eine angemessene Realitätsprüfung zu erreichen.
Verbale Überprüfung negativer Kognitionen.
Nach der behavioralen, d.h. verhaltensbezogenen Überprüfung negativer Gedanken
und Erwartungen, erfolgt in einem weiteren Schritt eine verbale Überprüfung
dysfunktionaler Gedanken und Grundüberzeugungen mit dem Ziel, angemessenere
Denkmuster zu entwickeln.
Therapieabschluss und Rückfallprophylaxe.
Am Therapieende werden die Erkenntnisse/Fortschritte zusammengefasst, Auslöser
für Rückfälle besprochen sowie Vereinbarungen für Auffrischungs-/Krisensitzungen
getroffen.
Neben oder anstelle
einer kognitiv orientierten Einzeltherapie kann auch eine kognitiv-behaviorale
Gruppentherapie erfolgen, vor allem dann, wenn aus der Verhaltens- und
Problemanalyse ein Defizit an sozialer Kompetenz erkennbar ist. Dies trifft
insbesondere auf zahlreiche Patienten mit einer generalisierten Sozialphobie zu.