Dr. Hans Morschitzky
Klnischer Psychologe, Psychotherapeut
Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie
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Menschliche Sehnsucht nach Unsterblichkeit und ewigem Leben
Vielfältige Jenseitsvorstellungen in der Menschheitsgeschichte
Neben Vorstellungen von einem ewigen Leben im Diesseits in Form der
mythologischen Erzählungen von einem nicht mehr vorhandenen Paradies, wie
etwa im Buch Genesis des Alten Testaments, haben vor allem die
Vorstellungen über ein Leben nach dem Tod schon immer das Denken und
Verhalten der Menschen und Völker bestimmt. Der Glaube an eine unsterbliche
Seele ist damit nicht unbedingt verbunden, wie verschiedene Vorstellungen
belegen: Der Geist bzw. die Seele verlässt den Körper beim Tod, ohne dass
das Individuum unsterblich ist, die Verstorbenen befinden sich in einem
Schattenreich wie im Alten Testament oder bestimmte höhergestellte
Verstorbene betreten mit ihrem irdischen Körper das Jenseits wie im alten
Ägypten.
Der Glaube an eine unsterbliche Seele, oft auch an ein Weiterleben
des verstorbenen oder eines erneuerten Körpers in einer anderen Dimension,
ist ein Grundbedürfnis vieler Menschen und Völker seit Jahrtausenden in
aller Welt. Trotz völlig unterschiedlicher Vorstellungen, wie es nach dem
Tod weitergehen könnte, stand in früheren Zeiten religions- und
kulturunabhängig fest, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, zumindest für
bestimmte herausgehobene Personen wie Pharaonen, Könige und Heroen.
Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit hat keineswegs nur mit der
Unfähigkeit und dem Unwillen des Menschen zu tun, den Tod als endgültiges
Aus der eigenen Person anzuerkennen, sondern auch mit dem Wunsch und der
Hoffnung, dass die engsten Angehörigen und die besten Freunde im Jenseits
gut aufgehoben sind, bis man nach dem eigenen Tod wieder mit ihnen zusammen
sein kann.
Der Ahnenkult und die Verehrung der Geister der Verstorbenen in
vielen Regionen der Welt weisen auf die Bedeutung des Wir-Gefühls jenseits
des Todes hin. Ahnenkulte beruhen auf dem Glauben an ein Weiterleben der
Verstorbenen im Jenseits, aus dem deren Geister in guter und schlechter
Weise für die Lebenden wirksam werden. Die Hinterbliebenen oder zumindest
bestimmte Mittler können mit den Ahnen in Kontakt treten, etwa durch Opfer,
Orakel und Gebete. In schamanistisch und animistisch geprägten Religionen
der Welt spielt der Ahnenkult auch heutzutage noch eine große Rolle.
Zur Bewältigung der Angst vor dem Tod als dem Ende der irdischen Existenz setzen die Menschen nach dem US-Psychiater Robert Jay Lifton fünf verschiedene Strategien von Transzendenz, das heißt von Überschreitung der eigenen Person, ein:
den biologisch-generativen Modus mit dem Wunsch nach Weiterleben in seinen Nachkommen oder in der Gesellschaft,
den religiösen Modus mit dem Glauben an ein ewiges Leben und der Erfahrung spiritueller Verbundenheit mit einer höheren Macht,
den kreativen Modus mit dem Bestreben, in seinen Taten und Werken weiterzuleben,
den natur- und kosmosbezogenen Modus mit Bezug auf eine überdauernde Totalität in der Natur, in der Welt oder im Kosmos,
den
Modus der erfahrenen Transzendenz in Form des Staunens und der
Ehrfurcht vor der Schöpfung sowie in Form eines sehr persönlichen mystischen
oder ekstatischen Erlebens.
Der englische Philosoph, Diplomat und Journalist Stephen Cave
beschreibt in seinem Buch „Unsterblich. Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben
als Triebkraft unserer Zivilisation“,
welche vier Mittel und Wege den Menschen und Völkern aller Zeiten die
Verwirklichung der Sehnsucht nach Unsterblichkeit garantieren
sollten. Bereits im alten Ägypten habe es im Laufe der Zeit alle vier
Modelle gegeben.
Cave unterscheidet zwischen vier Unsterblichkeitserzählungen:
Weiterlebenserzählung.
Es geht um das intensive Bemühen des Menschen um ein möglichst langes, am
besten ewiges Weiterleben des Körpers auf dieser Erde mithilfe bestimmter
Strategien (gegenwärtig mithilfe der modernen Medizin, die ein immer
längeres Leben ermöglichen soll).
Auferstehungserzählung.
Es geht um den Glauben an die Auferstehung von den Toten in Form des
Weiterlebens des Menschen in einer anderen Welt mit demselben oder einem
neuen Körper (mit demselben Körper bei ägyptischen Pharaonen wie Cheops, der
laut damaligem Glauben im ursprünglichen Körper zum Himmel aufstieg, mit
einem verwandelten Körper laut den monotheistischen Religionen Judentum,
Christentum und Islam).
Seelenerzählung.
Es geht um die Unsterblichkeit der Seele in Form eines körperlosen
Weiterlebens des Menschen in einer anderen Welt (in unterschiedlichen
Varianten vorhanden in der assyrisch-babylonischen Kultur, im alten Ägypten,
in der griechischen Mythologie, bei den griechischen Philosophen Pythagoras,
Sokrates und Platon, in den letzten zwei Jahrhunderten vor Christus auch im
Judentum, später vor allem im Christentum, Islam und anderen Religionen).
Vermächtniserzählung.
Es geht um das ruhmvolle symbolische Weiterleben des Menschen in Form der
persönlichen Taten in dieser Welt (dieser Aspekt passt zur
Terror-Management-Theorie sowie zur Lebensbedeutung „Generativität“ in der
Sinnforschung).
Die „Weiterlebenserzählung“ und die „Vermächtniserzählung“ handeln von der
Sehnsucht des Menschen nach möglichst langer realer bzw. symbolischer
Anwesenheit auf der Erde. Sie bieten zwar keinen gleichwertigen Ersatz für
den Glauben an die Auferweckung des Körpers im Jenseits
(„Auferstehungserzählung“) bzw. an die Unsterblichkeit der Seele
(„Seelenerzählung“), haben aber das Leben des Einzelmenschen sowie praktisch
aller Völker seit Beginn der Menschheit so stark geprägt, dass man laut
Stephen Cave alle Kulturen als Ausdruck dieses Bestrebens betrachten kann.
Die Kombination von „Auferstehungserzählung“ und „Seelenerzählung“ stellt
bis heute die offizielle Lehre der christlichen Konfessionen dar.
Die Sehnsucht des Menschen nach Unsterblichkeit entspricht nach Meinung des
atheistischen Philosophen Cave dem natürlichen, evolutionär-biologisch
fundierten Grundbedürfnis des Menschen, sich in die Zukunft zu projizieren.
Es wird nur kontrastiert vom gleichzeitigen Wissen des Menschen um seine
Sterblichkeit, was Cave, wie bereits erwähnt, als Sterblichkeitsparadoxon
bezeichnet.
Die Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod zeigt sich bei zwei
völlig unterschiedlichen Personengruppen in ähnlicher Weise:
Kirchenferne Menschen,
die an keinen persönlichen Gott glauben, zu dem man beten kann, glauben
dennoch sehr diffus an „etwas Höheres“ und dass nach dem Tod „noch etwas
kommt“.
Immer mehr
religiöse Menschen mit Zugehörigkeit zu einer
Religionsgemeinschaft stehen immer weniger hinter einzelnen Glaubensinhalten
oder interessieren sich gar nicht dafür, glauben aber zumindest an Gott und
an ein ewiges Leben nach dem Tod.
Abnehmender Jenseitsglaube in der Gegenwart
Bei Umfragen zur religiösen Einstellung der Bevölkerung ergibt sich
übereinstimmend der Befund, dass in Europa der Glaube an die zentralen
Inhalte der christlichen Religion im Laufe der Jahre stetig abnimmt. Nach
einer großen Befragung in Deutschland im Auftrag der Zeitschrift SPIEGEL im
Jahr 2019 glauben 55 Prozent der Bevölkerung an einen Gott (im Westen 63
Prozent, im Osten 26 Prozent), 46 Prozent an eine unsterbliche Seele, 40
Prozent an ein Leben nach dem Tod, 40 Prozent an Engel, 26 Prozent an einen
Teufel, 13 Prozent an eine Hölle als Ort der ewigen Verdammnis. Von den
Gottgläubigen glauben 67 Prozent an einen dreifaltigen Gott, 55 Prozent,
dass Jesus in einer Person Gott und Mensch war, 54 Prozent, dass Jesus von
den Toten auferstanden ist, 49 Prozent, dass Gott alles, was es gibt,
erschaffen hat.
Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2015 glauben nur 36 Prozent der Deutschen an
die Auferstehung Jesu von den Toten und nur 34 Prozent an das ewige Leben.
Nach einer Umfrage im Rahmen der europäischen Wertestudie im Jahr 2018
glauben in Österreich 73 Prozent der Bevölkerung an einen Gott und 53
Prozent an ein Weiterleben nach dem Tod; als religiös bezeichnen sich
immerhin 63 Prozent der Bevölkerung.
Laut einer sehr differenzierten Befragung im Jahr 2020 glauben 29 Prozent
der Befragten an einen persönlichen Gott und weitere 42 Prozent an ein
höheres Wesen oder eine geistige Macht.
Die Personen mit einer starken Gottesüberzeugung haben sich von 1970 bis
2020 nahezu halbiert. Im Durchschnitt glaubt nur mehr ein gutes Drittel (36
Prozent) der Bevölkerung an die Kernbotschaften der Bibel. Im offiziell
großteils katholischen Österreich kann man nur mehr ein Drittel der
Bevölkerung als „christlich“ bezeichnen, wenn man als Kriterium dafür den
Glauben an die Kernbotschaft der Auferstehung Jesu zugrunde legt. An die
eigene Auferstehung von den Toten mit Leib und Seele glauben gar nur mehr 22
Prozent der Bevölkerung.
Nach einer anderen Befragung in Österreich im Jahr 2014 glauben 49 Prozent
an einen allmächtigen Gott, 46 Prozent an ein ewiges Leben, 36 Prozent an
die Auferstehung der Toten, 31 Prozent, dass Jesus nach seinem Tod am Kreuz
am dritten Tag auferstanden ist, und 19 Prozent, dass Jesus vom Himmel
kommen wird, die Lebenden und die Toten zu richten.
Laut Umfragen und amtlicher Statistik schwindet auch der Anteil von
Menschen, die einer christlichen Konfession angehören. Vor allem bei jungen
Erwachsenen nimmt die kirchlich gebundene Religion einen immer geringeren
Stellenwert ein. Markante Eckpunkte des Lebens wie christliche Taufe und
christliches Begräbnis werden von Menschen in der heutigen Zeit nicht mehr
unbedingt als Garantie für einen sicheren Platz im Himmel benötigt, falls es
doch einen Gott und ein Leben nach dem Tod geben sollte. Immer mehr Menschen
machen sich dies mit ihrem „Herrgott“ selbst aus, zu dem sie auch ohne
Mitgliedschaft bei einer christlichen Kirche beten können. Der frühere Glanz
des Christentums gegenüber den anderen Religionen verblasst zunehmend,
dennoch wird überall in Europa auf das „christliche Abendland“ verwiesen,
das nicht von Islamgläubigen überschwemmt werden dürfe. Das Kreuz gilt als
christliches Symbol, an die damit verbundene Erlösung glauben jedoch immer
weniger Menschen.
Mindestens ein Drittel, eher sogar rund die Hälfte der Menschen in Europa
schätzt sich selbst als weder religiös noch spirituell ein. Angesichts
dieser Zahlen ist die Behauptung problematisch, dass jeder Mensch eine
spirituelle Dimension besitzt, wenn man nicht auch bereits einen „säkularen
Humanismus“ als Spiritualität bezeichnet.
Hoffnung auf das Himmelreich
Die Vorstellungen über das Leben nach dem Tod sind in der Bibel und in den
späteren christlichen Konfessionen keineswegs so einheitlich, wie man
vielleicht erwarten würde. Auf wichtige Aspekte davon möchte ich mithilfe
von relevanter Literatur näher eingehen, weil viele Leserinnen und Leser
vermutlich christlich sozialisiert sind bzw. auch im Erwachsenenalter einer
christlichen Konfession angehören.
Der Glaube an ein ewiges Leben bei Gott im Himmel hat im Christentum eine
lange Vorgeschichte, die an die jüdische Erwartung des Messias auf
Erden anknüpft. Laut Bibelforschung verkündete Jesus den Anbruch des
Reiches Gottes auf Erden als unmittelbar bevorstehend und irdisch
erlebbar. Jesus rief in der Tradition des Judentums zur raschen Umkehr auf,
weil das Himmelreich nahe sei und das Endgericht Gottes über die Menschheit
binnen kurzer Zeit hereinbrechen werde.
Nach Auffassung der meisten evangelischen und katholischen
Bibelwissenschaftler betrachtete Jesus sich selbst, entgegen bestimmter
Bibelstellen, weder als den verheißenen Messias noch als Sohn Gottes,
sondern nur als „Menschensohn“. Erst nach seinem Tod übertrugen seine
Anhänger im Lichte seiner subjektiv erlebten Auferstehung, die von
Außenstehenden trotz der biblischen Erzählungen davon nicht objektiv
beobachtbar war, auf ihn verschiedene Hoheitstitel wie „Messias“ und „Sohn
Gottes“.
Die Evangelien vermitteln eine doppelte Botschaft: Einerseits ist das
Gottesreich im Handeln von Jesus im Diesseits, im Hier und Jetzt, bereits
angebrochen, andererseits ist die Vollendung in der Zukunft noch ausständig.
Die jüdisch-christliche Urgemeinde, der Apostel Paulus und die frühen
Judenchristen waren im Rahmen der Endzeitstimmung der damaligen Zeit
fest davon überzeugt, dass Jesus nach seinem Tod und seiner Auferweckung
durch Gott der verheißene Messias (griech. Christos) sei und alle
Menschen sein Kommen auf diese Welt zu ihren Lebzeiten noch miterleben
würden. Der Himmel sollte auf die Erde kommen und sie völlig verändern und
nicht die Menschen in einen anderswo lokalisierten Himmel. Für die
Naherwartung des Reiches Gottes von Jesus und seinen Jüngern gibt es
zahlreiche Belege in den Evangelien und in den Paulus-Briefen.
Die inständig erwartete Wiederkunft Jesu blieb jedoch immer länger aus
(Fachausdruck: Parusieverzögerung), viele Mitglieder der Urgemeinde
starben enttäuscht, andere beklagten sich bei Paulus, wie aus seinen Briefen
hervorgeht, dass dieses Ereignis noch immer nicht stattgefunden habe und
wohl auch sie ohne den Beginn des Reiches Gottes auf Erden sterben müssten.
Als Folge davon wurde der Erwartungshorizont auf einen unbestimmten
Zeitpunkt in der Zukunft erweitert, wie aus Briefen des Paulus und den
später verfassten Evangelien hervorgeht. Aus der Naherwartung wurde
eine Fernerwartung. Gleichzeitig wurde das gesamte Handeln Jesu laut
Evangelien als Anbruch des Reiches Gottes auf Erden interpretiert.
Die zentrale Botschaft Jesu war das bevorstehende Anbrechen des Reiches
Gottes auf Erden. Christen beten im „Vater unser“, dem häufigsten
Gebet der Christenheit, weiterhin um das Kommen des Reiches Gottes sowie um
die Wiederkunft Christi. Das Bitten um das Gottesreich in der Zukunft geht
einher mit dem Glauben, dass das Leben im Hier und Jetzt bereits
durchdrungen ist von der Anwesenheit Jesu Christi, die von den Gläubigen
gegenwärtig
bereits innerlich erlebt und äußerlich bei jedem Gottesdienst gefeiert wird.
Auferweckung mit einem neuen, verklärten Leib
Analog zum Tod und zur Auferweckung Jesu wurde die Auferweckung der Menschen
von den Toten verkündigt, die durch den Kreuzestod Jesu als Sühneopfer
für die Sünden der Menschen ermöglicht worden sei. Die christliche
Botschaft von der Erlösung der Menschen kommt ohne das
hellenistisch-philosophische Konzept einer unsterblichen Seele aus, das für
die Jünger Jesu, den Apostel Paulus, die Evangelien und die frühen Christen
nicht zur Botschaft Jesu passte.
Im Apostolischen Glaubensbekenntnis der christlichen Kirchen wird im
Schlusssatz der Glaube an die „Auferstehung der Toten und das ewige Leben“
bekundet. Das macht den Kern des christlichen Glaubens aus, soweit es das
Schicksal der Menschen betrifft: Alle Menschen werden am Ende der Zeiten
bzw. der Welt mit einem neuen, verklärten Leib auferstehen, und zwar
nicht aufgrund eigener Kraft; alle werden auferweckt durch einen
Schöpfungsakt Gottes.
Nach der Auferweckung von den Toten durch den Messias, der im Christentum
mit Jesus gleichgesetzt wird, erfolgt eine Art Gerichtsverhandlung, das
Letzte (Jüngste) Gericht, bei dem von Jesus Christus entschieden wird,
ob die auferweckten Personen aufgrund ihres früheren Lebens für immer in den
Himmel oder in die Hölle kommen, in den Worten der neueren Theologie
ausgedrückt, auf ewig in der Nähe Gottes oder in Gottferne leben werden.
Nach römisch-katholischer Lehre gibt es das erste göttliche Gericht über die
Seele gleich unmittelbar nach dem Tod: „In seiner unsterblichen Seele erhält
jeder Mensch gleich nach dem Tod durch Christus, den Richter der Lebenden
und der Toten, in einem besonderen Gericht seine ewige Vergeltung.“
Die evangelischen Kirchen lehnen diese Sichtweise zugunsten des Endgerichts
am Letzten (Jüngsten) Tag ab.
Die Botschaft von der „Auferstehung des Fleisches“ kraft der
Todesüberwindung von Jesus Christus, die der Apostel Paulus in der
griechischen Welt durch seine Missionsreisen und seine Briefe verkündet
hatte, hat nach Auffassung von Fachleuten die rasche Ausbreitung des
Christentums längst vor ihrer Anerkennung als Staatsreligion im römischen
Reich bewirkt, anfangs vor allem bei den untersten sozialen Schichten ohne
Chancen im irdischen Leben.
Der menschliche Körper wurde in der hellenistisch-platonischen Philosophie
geringgeschätzt, während er nach jüdisch-christlicher Verkündigung ein
Geschöpf Gottes ist und im Jenseits in verklärter Weise auferweckt wird. Die
Wertschätzung des Körpers ging seit dem 3. bzw. 4. Jahrhundert sukzessive
verloren, je mehr das dualistische Körper-Seele-Modell des griechischen
Philosophen Platon (427–347 vor Christus) und seines späteren römischen
Schülers Plotin (205–270 nach Christus) und damit deren negative Sichtweise
des Körpers die christliche Theologie geprägt hat.
Das Christentum beeindruckte die Menschen in der griechisch-römischen Antike
mit dem Anspruch einer Erlösungsreligion, die eine göttliche
Auferweckung mit Körper und Seele verspricht. Die Götter der alten Griechen
und Römer waren zu sehr mit sich selbst und ihren Streitigkeiten
untereinander beschäftigt, als dass sie sich um das Leben der Menschen und
ihre postmortale Zukunft gekümmert hätten.
Allein die Botschaft, dass der Mensch mit dem biologischen Tod nicht
endgültig gestorben ist, sondern befreit vom Kerker des Körpers als reine
Seele weiterleben wird, wäre für die Adressaten von Paulus nichts Neues
gewesen. Seit den Pythagoräern und der platonischen Philosophie war im alten
Griechenland ein Weiterleben in Form der unsterblichen Seele bekannt. Nach
Platon existieren die Seelen bereits vor der Geburt des Menschen im
Reich der Ideen, nehmen dann bei der Geburt einen Körper an und befreien
sich davon wieder mit dem Tod, um in das Reich der Ideen zurückzukehren und
später bis zur Befreiung von allen irdischen Begierden neuerlich als Mensch
oder als Tier in die Welt einzutreten.
In den ältesten Schriften des Alten Testaments gab es noch keine
Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tod. Der Mensch geht nach
seinem Tod in eine Schattenwelt, die Scheol (griech. Hades),
ein und lebt an diesem düsteren, trostlosen Ort des Vergessens fern von Gott
ein nichtpersonales, unwirkliches Schattendasein. Dieses „Leben“ galt nicht
als wirkliches Leben, die Bezeichnung „Schatten“ ist somit sehr treffend.
Fromme Juden achteten daher darauf, in ihren Nachkommen weiterzuleben.
Der Glaube an die Auferstehung der Toten entwickelte sich im Judentum erst im 2. Jahrhundert vor Christi Geburt aufgrund äußerer Einflüsse, und zwar durch die Lehre des iranischen Priesters und Philosophen Zoroastra (Zarathustra), der bereits Jahrhunderte vorher gelebt hatte. Diese Hoffnung entstand in der jüdischen Apokalyptik, die auf dem Hintergrund der Besetzung Israels durch die Seleukiden die Vorzeichen der Endzeit und die Wende zu einem neuen Zeitalter verkündete. Die Welt werde in den paradiesischen Urzustand zurückverwandelt, in dem es die Sünde und das Böse nicht mehr geben werde; alle Menschen werden von den Toten zu einem ewigen Leben auferstehen, gleichsam als Ausgleich für die schlechten und unerträglichen Verhältnisse in der damaligen Welt in Israel.
Zur Zeit Jesu gab es innerhalb des Judentums heftige Verfechter für und
gegen den Glauben an die Auferstehung der Toten. Der Apostel Paulus
hatte unter seinem früheren Namen Saulus als frommer Jude und
Mitglied der Laiengruppe der Pharisäer an eine körperliche
Auferweckung der Verstorbenen und an ein göttliches Endgericht bei der
Wiederkunft des Messias geglaubt, im Gegensatz zur Priestergruppe der mit
den Römern kollaborierenden Sadduzäer, denen zufolge alle Menschen
laut den ältesten Schriften des Alten Testaments, der Tora (der fünf Bücher
Mose), mit ihrem biologischen Tod für immer tot und dann im Schattenreich,
im Totenreich, seien.
Laut Evangelien (Mk 12,18–27; Mt 22, 22–33, Lk 20, 27–38) versuchten
die Sadduzäer in einem Gespräch mit Jesus den Glauben an die Auferstehung
der Toten durch folgende hypothetische Frage als absurd darzustellen: „Mit
wem wird bei der Auferstehung eine Frau verheiratet sein, die nach dem Tod
ihres Mannes der Reihe nach mit dessen sieben Brüdern verheiratet war?“ Nach
Jesus werden die auferweckten Menschen nicht mehr heiraten, sondern wie die
Engel im Himmel sein, jenseits dessen, was den irdischen Menschen als Mann
und Frau ausmacht. Gott sei ein Gott der Lebenden und nicht der Toten, das
heißt, alle Toten werden auferweckt werden.
Unsterblichkeit des Menschen durch den Kreuzestod Jesu
Die vom Apostel Paulus übermittelte Frohe Botschaft an die „Heiden“
unterschied sich radikal von den hellenistischen Vorstellungen über ein
Weiterleben nach dem Tod: erstens durch die Hoffnung auf eine Auferstehung
des Menschen mit Seele und Körper, und zweitens durch den Umstand,
dass es sich bei der Auferweckung der Menschen beim Letzten (Jüngsten)
Gericht um einen Erlösungsakt durch Jesus Christus handle, der als
Sohn Gottes auf die Welt gekommen sei, um durch seine Kreuzigung und
Auferstehung den Fluch des Sündenfalls der ersten Menschen Adam und Eva
aufzuheben. Paulus hat dies im 1. Korinther-Brief, 15:22, so formuliert:
„Wie nämlich in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig
gemacht werden.“
Nicht Weihnachten, wie es angesichts des Trubels in der westlichen Welt oft
scheinen mag, ist das größte Fest der Christenzeit, sondern Ostern.
Das Weihnachtsfest soll nur an die Geburt Jesu erinnern, das Osterfest
dagegen drückt Jesu Triumph über den Tod durch seine Auferstehung aus. Das
wollen Paulus und die Evangelien verkünden: Jesus ist durch seinen Opfertod
am Kreuz gestorben wie jeder andere Mensch, durch seine leibliche
Auferstehung hat er jedoch allen Menschen die Erlösung von ihren Sünden und
die zukünftige Auferweckung ihres Körpers am Ende der Zeiten ermöglicht.
Den Hintergrund der christlichen Erlösungslehre nach Paulus bildet die
Geschichte vom Sündenfall von Adam und Eva im Paradies. Nach dem Buch
Genesis des Alten Testaments hatten beide vom Baum der Erkenntnis
gegessen. Sie wollten von sich aus wissen, was gut und böse ist, und wollten
ewig leben wie Gott; sie mussten daher auf Geheiß Gottes das Paradies nackt
verlassen, womit ihre Sterblichkeit und auch die ihrer Nachfolger besiegelt
war.
Der Apostel Paulus stellte Jesus als Gegenpol zu Adam und Eva und deren
Ursünde im Paradies dar. Wie er in seinen Briefen betonte, sei der Tod
des Menschen die Folge der Sünde von Adam und Eva im Paradies, sodass
die Wiedererlangung des ewigen Lebens nicht vom Menschen selbst bewirkt
werden könne, sondern nur durch den Glauben an Jesus, den Christus (hebräisch:
Messias), der durch sein Sterben und seine Auferstehung den Tod überwunden
habe.
Kritiker des Christentums weisen darauf hin, was heutzutage im Gegensatz zur
offiziellen Lehre der römisch-katholischen Kirche
auch die moderne Bibelforschung anerkennt: Laut Evolutionstheorie hat es
kein erstes Menschenpaar Adam und Eva gegeben, noch dazu in einem Paradies
mit einem endlos langen Leben, sodass deren Nachkommen auch nicht von einer
Ursünde erlöst werden müssten.
Das Christentum interpretierte im Gegensatz zum Judentum und Islam den
Schöpfungsbericht als erlösungsbedürftigen Sündenfall. Seit dem 20.
Jahrhundert sprechen auch die Theologinnen und Theologen der christlichen
Kirchen bezüglich der Erschaffung der Menschen durch Gott laut Altem
Testament von einem „Mythos“, das heißt von einer nicht historisch gemeinten
Botschaft der Bibel über die grundsätzliche Beziehung zwischen Gott und den
Menschen sowie über das Wesen des Bösen und seiner Überwindung.
Widerspruch zwischen Auferweckung von den Toten und Unsterblichkeit der
Seele?
Die Unsterblichkeit der menschlichen Seele in der christlichen
Modifizierung der Vorstellungen des Philosophen Platon und die
Auferweckung der Verstorbenen zu neuem körperlichen Leben gemäß dem
Neuen Testament ist laut protestantischen und nichtchristlichen Kritikern
ein Widerspruch in sich. Aus katholischer Sicht garantiert dagegen nur die
Unsterblichkeit der Seele die Identität des Menschen mit seinem
irdischen Körper und seinem späteren verklärten Körper.
Die katholische Kirche legte beim 5. Laterankonzil im Jahr 1513 die
Unsterblichkeit der menschlichen Seele dogmatisch fest. Jeder Mensch habe
eine individuelle und unsterbliche Seele, die den Leib im Tod überdauere.
Martin Luther lehnte trotz des Glaubens an eine unsterbliche Seele diese
Sichtweise als Teufelslehre, weil heidnisch (hellenistisch) ab. Die Seele
habe ihre Lebenskraft nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch Gott.
Das frühe Christentum orientierte sich bei der theologischen
Weiterentwicklung der Lehre und der Formulierung der Dogmen an der
Vorstellung einer unsterblichen Seele, wie sie im griechisch-hellenistischen
Raum bekannt war, und zwar in Form des Leib-Seele-Dualismus des Philosophen
Platon; diese Auffassung vertraten bereits die Pythagoräer im
5. Jahrhundert vor Christus, später auch die Gnosis, das sind
religiöse, von der Kirche als Häresie verurteilte Strömungen und
Geheimlehren im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus. Der Körper, der in der
Bibel als Geschöpf Gottes galt, wurde von der platonischen Philosophie als
Kerker der Seele betrachtet, eine Sichtweise, die sich im Christentum
im Laufe der Jahrhunderte verheerend ausgewirkt hat. Der Tod stellt nach
Platon die Befreiung der Seele von den Einschränkungen des Körpers und den
personalen Übergang in die Welt der Ideen dar, in der die Seele bereits vor
der Geburt ohne einen Schöpfungsakt existiert hat.
Jesus glaubte als tiefgläubiger Jude an keine unsterbliche Seele, sondern an
die baldige Wiederkunft des Messias zu den Menschen der damaligen Welt, um
das Himmelreich auf Erden zu errichten. Die platonische Vorstellung einer
körperlosen unsterblichen Seele gelangte im 3. Jahrhundert durch den
Theologen Origenes in die christliche Welt. Die Seele verbindet sich
demnach mit einem vergänglichen Körper und verlässt ihn dann wieder beim
Tod. Diese Aussage erfolgt laut vielen christlichen Theologen und
Theologinnen ohne überzeugende Belege im Alten und Neuen Testament.
Die neuplatonische Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen
Seele, wie sie der ein halbes Jahrtausend später lebende römische Philosoph
Plotin in der Nachfolge von Platon vertreten hatte, ermöglichte dem
Christentum die Vorstellung eines Weiterlebens im Jenseits, und zwar als
Überbrückung der Zeit vom Tod bis zur Auferweckung der Toten mit einem
verklärten unsterblichen Leib.
Gegen Ende des 4. Jahrhunderts entwickelte der berühmte Kirchenlehrer
Augustinus (354–430 nach Christus) bereits im Alter von 32 Jahren jene
kreative Übernahme der platonischen Seelenlehre, wie sie für das weitere,
vor allem römisch-katholische Christentum bestimmend blieb: Die immaterielle
Seele ist nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch Gott unsterblich;
die Seele kommt nach dem Tod in das Reich Gottes und nicht in das Reich des
Geistes; die Seele existiert nach dem Tod des Körpers für ewig bei Gott und
durchläuft keine Seelenwanderung wie bei Platon.
Seit Augustinus bilden der christliche Auferstehungsglaube und der
platonisch geprägte Unsterblichkeitsglaube eine untrennbare Einheit.
Laut Augustinus gibt es wegen der vorübergehenden
Körper-Seele-Trennung nach dem Tod zwei Auferstehungen und zwei
Gerichte über den Menschen: Die erste Auferstehung des Menschen besteht
in der Auferstehung der Seele, über die gleich nach dem Tod ein erstes
(Zwischen-)Urteil gesprochen wird, die zweite Auferstehung erfolgt am Ende
der Welt, wenn der Mensch zusammen mit seinem Leib auferweckt wird, um durch
das Jüngste Gericht von seinem endgültigen Schicksal zu erfahren. Diese
Lehre wurde später in den katholischen Katechismus aufgenommen. Die
Vorstellungen vom individuellen Gericht unmittelbar nach dem Tod und einem
Weltgericht am Ende der Zeiten spiegeln das menschliche Grundbedürfnis nach
Gerechtigkeit und damit die ethische Forderung wider, wonach die Guten
belohnt und die Bösen bestraft werden sollen, nach dem Motto: Der Mörder
soll nicht für immer über sein Opfer triumphieren können.
Augustinus war auch der Schöpfer der Erbsündenlehre als Folge der Ursünde der ersten Menschen im Paradies; demnach seien alle Menschen durch Vererbung zu Sündern geworden, sodass das ewige Leben erst durch die Taufe und damit durch die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche gesichert sei. Doch auch das allein reiche nicht aus, weil nur relativ wenige Gläubige von Gott für den Aufenthalt im Himmel vorherbestimmt seien.
Das Leben nach dem Tod laut den evangelischen Kirchen
Die Erbsündenlehre samt deren Folgen und die Lehre vom Fegefeuer wurden von
den evangelischen Kirchen abgelehnt. Die sogenannte Prädestinationslehre
von Augustinus, wonach das Seelenheil des Menschen von Gott vorherbestimmt
sei, wurde jedoch nicht nur von Martin Luther, sondern vor allem auch von
Johannes Calvin vertreten. Diese Lehre hat bei vielen Gläubigen große Ängste
über ihr endgültiges Schicksal im Jenseits ausgelöst, bei Calvinisten im
Laufe der Zeit jedoch eine große irdische Schaffenskraft als sichtbares
Zeichen der Auserwählung Gottes für das Himmelreich bewirkt.
Im Gegensatz zur katholischen Kirche vertrat Martin Luther die Auffassung,
dass sich gläubige Christen ihres ewigen Heils gewiss sein können aufgrund
ihres Glaubens an die Erlösung und an einen gnädigen Gott, der keine guten
Werke zur Besänftigung benötige, der aber auch kein Fegefeuer zur Läuterung
auf dem Weg in den Himmel zwischengeschaltet habe. Die Menschen können und
müssen laut der sogenannten Rechtfertigungslehre allein aus dem
Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus nichts zu ihrem ewigen Heil
beitragen, auch von den Angehörigen benötigen sie nach ihrem Tod keine
Gebete oder Opfer. Luther lehrte die Heilsgewissheit allein aus dem
Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus, was von der
römisch-katholischen Kirche im Konzil von Trient im Jahr 1547 scharf
verurteilt wurde.
Luther war übrigens als Kind seiner Zeit vom bevorstehenden Weltuntergang
überzeugt; er hatte aufgrund von Berechnungen auf der Basis biblischer
Aussagen dreimal für den Zeitraum seines Lebens den Weltuntergang
vorhergesagt.
Die meisten evangelischen Theologen und Theologinnen lehnen das Konzept
einer unsterblichen Seele als hellenistischen Fremdkörper im Christentum ab,
manche dagegen denken ähnlich wie die katholische Kirche. Nach der
traditionellen evangelischen Lehre befinden sich die Verstorbenen bis zu
ihrer Auferweckung am Letzten Tag in einem Seelenschlaf, aus dem sie
erst am Letzten (Jüngsten) Tag mit Leib und Seele zur Unsterblichkeit
auferweckt werden. Luther stellte sich den Zustand der Toten als tiefen,
traumlosen, zeit- und raumentrückten „Schlaf“ ohne Bewusstsein und
Empfindungen vor. Das Konzil von Trient lehnte Luthers Vorstellung vom
Seelenschlaf entschieden ab, verbunden mit der Drohung der Exkommunikation.
Die christliche Glaube an die Auferweckung der Toten, wie ihn Paulus in der
griechischen Antike verkündet hatte, wäre aus evangelischer Sicht
überflüssig, wenn die Seele und damit der Mensch von Natur aus unsterblich
wäre. Die Auferweckung des Menschen mit Körper und Seele ist nach Paulus als
Gnadenakt Gottes anzusehen. Die Möglichkeit zum ewigen Leben des Menschen
besteht nur aufgrund der Erlösung durch den Sühnetod Jesu. Die Auferweckung
des Menschen mit Leib und Seele ist nur dann möglich, wenn auch Jesus am
Kreuz mit Leib und Seele gestorben ist.
Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertraten verschiedene renommierte evangelische Gelehrte im Gegensatz zur Vergangenheit, als man das postmortale Leben bis zur Auferstehung als „Seelenschlaf“ bezeichnete, den biblischen „Ganztod“-Glauben, das heißt, sie glaubten zwar an die Auferweckung des Menschen mit Leib und Seele beim Letzten (Jüngsten) Gericht, jedoch ohne ein zwischenzeitliches körperloses Seelenleben nach dem Tod – eine Sichtweise, der sich mittlerweile auch verschiedene katholische Theologinnen und Theologen angeschlossen haben.
Ganztodtheorie-Vertreter
halten die Trennung von Leib und Seele für ein griechisch-philosophisches
Konzept, denn Juden und Frühchristen glaubten nicht an die Unsterblichkeit
der Seele, sondern hofften auf die Auferweckung
des ganzen Menschen mit Leib und Seele bei der Wiederkunft Christi. Die
Auferweckung des Menschen beim Letzten Gericht war in der Bibel immer
identisch mit der göttlich bewirkten Auferweckung des ganzen Menschen mit
Körper und Seele. In der griechischen Übersetzung der Bibel bezeichnet das
Wort „psyche“ nicht das hellenistische Konzept einer immateriellen Seele,
sondern stets den ganzen Menschen.
Sechs verschiedene Vorstellungen der christlichen Kirchen über das Leben
nach dem Tod
Das Christentum hat nach meinen Recherchen sechs völlig unterschiedliche
Vorstellungen über das ewige Leben des Menschen entwickelt. Das
erste und ursprüngliche Glaubensmodell bestand bei den frühesten
Christen in der nicht erfüllten Erwartung eines Himmels auf Erden nach der
Wiederkunft des Messias in Form von Jesus Christus. Das zweite Konzept
war die Vorstellung des bereits vom Judentum sowie von den frühen
Kirchenlehrern beschriebenen Seelenschlafs, das durch Martin Luther ab dem
16. Jahrhundert in der evangelischen Kirche populär geworden war.
Das dritte Vorstellungsmodell bestand im Glauben an die
Auferstehung des irdischen Leibes. Die Kirchenversammlung von Toledo
erklärte im Jahr 675 nach Christus, dass der Leib, in dem wir leben,
bestehen und uns bewegen, auferstehen wird. Papst Leo IX. sprach 1053 von
der wahren Auferstehung desselben Fleisches, das er jetzt trage. Das vierte
Laterankonzil von 1215 formulierte gegenüber „Häretikern“, dass dieselben
Leiber auferstehen, die wir jetzt haben. Als Folge dieser Sichtweise
verboten alle christlichen Kirchen bis ins 20. Jahrhundert, den Leichnam zu
verbrennen.
Das vierte Vorstellungsmodell, das Mehrphasen-Modell der
römisch-katholischen Kirche, geht davon aus, dass der Mensch nach dem Tod
aufgrund seiner unsterblichen Seele körperlos bei Gott weiterlebt und
beim Letzten (Jüngsten) Gericht am Ende der Zeiten wieder mit einem
verklärten Körper verbunden wird. Dieses dualistische, von der
griechisch-hellenistischen Philosophie beeinflusste Glaubensmodell prägte
bis in die Gegenwart die Vorstellungen vom Leben nach dem Tod. Katholisch
Gläubige können im Katechismus der katholischen Kirche Genaueres dazu
nachlesen. Von zentraler Bedeutung ist die Definition der Auferstehung des
Menschen: „Im Tod, bei der Trennung der Seele vom Leib, fällt der Leib des
Menschen der Verwesung anheim, während seine Seele Gott entgegengeht und
darauf wartet, dass sie einst mit ihrem verherrlichten Leib wiedervereint
wird. In seiner Allmacht wird Gott unserem Leib dann endgültig das
unvergängliche Leben geben, indem er ihn kraft der Auferstehung Jesu wieder
mit unserer Seele vereint.“
Die allerersten derartigen Vorstellungen finden sich im Christentum und in
der jüdischen Apokalyptik ab dem 2. Jahrhundert nach Christus.
Der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod, zuerst in Form einer körperlosen
Seele, wie sie in den älteren Schriften des Alten Testaments nicht vorkommt,
und dann in Form einer Körper-Seele-Einheit als Folge der von Jesus Christus
als der zweiten göttlichen Person bewirkten Auferweckung von den Toten mit
einem realen Körper am Ende der Zeiten bzw. der Welt, gehört zu den
Kernbotschaften des römisch-katholischen Glaubens. Nach katholischer Lehre
garantiert nur die nach dem Tod unsterbliche Seele die Einheit des
derzeitigen und des zukünftigen, verklärten Leibes.
Das fünfte Vorstellungsmodell vom Leben nach dem Tod, die
„Auferstehung im Tod“, hat sich in der katholischen Theologie der
letzten Jahrzehnte entwickelt.
Es soll verschiedene sonst gegebene Widersprüche vermeiden und imponiert
auch manchen Vertretern der evangelischen Theologie. Laut kirchlicher
Tradition erleben bestimmte Menschen die volle Auferstehung mit Leib und
Seele bereits mit ihrem Tod, wie etwa Maria, die Mutter von Jesus, aufgrund
ihrer Verdienste, christliche Märtyrer als Belohnung für ihren Heldenmut
sowie andere privilegierte Personen wie Apostel und Patriarchen. Das
katholische Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den
Himmel unmittelbar nach ihrem Tod, wie es von Papst Pius XII. im Jahr
1950 verkündet wurde, soll ein Vorbild dafür sein, was mit allen anderen
Menschen erst beim Jüngsten (Letzten) Gericht geschehen wird.
In Anschluss an derartige Sichtweisen vertreten verschiedene katholische
Theologinnen und Theologen die Auffassung, dass auch alle anderen Menschen
ihre leibliche Auferstehung bereits im Moment des Todes in Form einer
Verwandlung erleben und nicht erst nach einem Zwischenzustand in Form
einer körperlosen Seele. Die sofortige Aufnahme des Menschen mit Leib und
Seele nach dem Tod in die Ewigkeit Gottes überschreite als transzendentes
Geschehen die Dimensionen von Raum und Zeit und könne daher sinnlich nicht
wahrgenommen werden.
Die Erwartung der leiblichen Auferweckung aller Verstorbenen vor dem Letzten Gericht wurde von Kardinal Josef Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation verworfen. Einerseits werde durch das Konzept der Auferstehung im Tod der menschliche Körper zu einem Leib ohne sichtbare Materie, was dem Gedanken der Auferweckung mit einem verklärten Leib widerspreche, andererseits wären dann Ablass und Totenmessen überflüssig, wodurch ein Widerspruch zur römisch-katholischen Lehre bestünde. Die Kongregation für die Glaubenslehre brachte im Jahr 1979 die lehramtliche Formulierung eines Zwischenzustands nach dem Tod bis zur Auferstehung derart zum Ausdruck: „Die Kirche hält an der Fortdauer und Subsistenz eines geistigen Elementes nach dem Tode fest, das mit Bewusstsein und Willen ausgestattet ist, so dass das ‚Ich des Menschen‘ weiterbesteht, wobei es freilich in der Zwischenzeit seiner vollen Körperlichkeit entbehrt. Um dieses Element zu bezeichnen, verwendet die Kirche den Ausdruck ‚Seele‘, der durch den Gebrauch in der Heiligen Schrift und in der Tradition sich fest eingebürgert hat.“
Das sechste Vorstellungsmodell, das Ganztodmodell der
evangelischen Kirchen, lehnt ein postmortales Leben mit einer unsterblichen
Seele ohne Körper als unbiblisch ab. Erst beim Letzten Gericht wird der
Mensch mit Körper und Seele zum ewigen Leben bei Gott auferweckt.
Die rasche Verbreitung der Ganztodtheorie innerhalb der letzten
Jahrzehnte im evangelischen Raum hat dazu geführt, dass sich die Union
Evangelischer Kirchen in der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) in der
Schrift „Unsere Hoffnung auf das ewige Leben“
aus dem Jahr 2008 offiziell zu dieser Auffassung bekannt hat, wenngleich
viele evangelisch Gläubige und auch manche evangelische Theologinnen und
Theologen nach wie vor ein dualistisches Modell wie die römisch-katholische
Kirche vertreten.
Nach den evangelischen Kirchen gibt es keine unsterbliche Seele als
Bindeglied zwischen dem irdischen Körper und dem späteren Auferweckungsleib.
Menschen sterben mit Leib und Seele und werden am Jüngsten Tag von Gott in
ihrer seelisch-körperlichen Einheit auferweckt. Die Verstorbenen bleiben bis
zu ihrer Auferweckung bei Gott in Erinnerung, worin sich die Treue Gottes zu
den Menschen zeige, aber ohne personale Existenz mit einer körperlosen
Seele.
Für Gläubige drängt sich die Frage auf: Welche Sichtweise ist richtig? Viel wichtiger ist jedoch die zentrale Frage: Glaube ich an ein Leben nach dem Tod: ja oder nein? Erst danach ist es sinnvoll, sich mithilfe der verschiedenen christlichen Traditionen konkrete Vorstellungen vom Jenseits zu machen. Die Entscheidung für oder gegen ein Leben nach dem Tod ist eine reine Glaubensentscheidung, ohne jeden Beweis für die Richtigkeit der jeweiligen Vorstellung.
Auswirkungen der griechisch-hellenistischen Philosophie auf das christliche
Körper-Seele-Verständnis
Nach dem dualistischen Erklärungsmodell, wie es der griechische
Philosoph Platon vertrat, sind der materielle Körper und die
immaterielle Seele zwei voneinander völlig unabhängige Substanzen, sodass
die Seele als immaterielle Substanz beim Tod des Menschen nicht sterben kann
und in der Welt der Ideen unkörperlich auf ewig weiterlebt, nachdem sie
durch mehrere Verleiblichungen in Form von Menschen oder Tieren endgültig
von allem Irdischen gereinigt wurde.
Nach den nicht-dualistischen Vorstellungen des Platon-Schülers
Aristoteles ist die Seele die Form des Körpers. Es besteht eine
enge, unauflösbare Verbindung zwischen Seele und Körper, weshalb mit dem Tod
des Körpers auch die Seele stirbt. Die Vorstellungen von Aristoteles, die
erst im Mittelalter über Vermittlung arabischer Gelehrter in Spanien dem
Christentum in Mitteleuropa bekannt geworden sind, wurden vom berühmten
Theologen Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert in die christliche
Theologie eingebracht. Er versteht die Seele ebenfalls als die Form des
Körpers, die diesen zu einem menschlichen Wesen macht, ohne jedoch mit dem
Tod zu sterben.
Das Konzil von Vienne bestätigte im Jahr 1312 Thomas von Aquin: Die Seele
ist durch sich selbst und wesentlich die Form des menschlichen Körpers.
Papst Johannes XXII. 1331/1332 vertrat die Auffassung, dass auch die Seele
und nicht nur der Körper erst nach der allgemeinen Totenerweckung zusammen
mit dem Körper entweder zur Anschauung Gottes oder in die Hölle kommt. Er
orientierte sich dabei an jenem Teil der Kirchenväter, die im Gegensatz zu
anderen theologischen Gelehrten schon vor Jahrhunderten die Vorstellung vom
jüdischen, alttestamentarischen Seelenschlaf bis zur Auferweckung mit
Leib und Seele vertreten hatten, auf die sich, wie bereits erwähnt, auch der
Reformator Martin Luther berufen hatte. Als Folge intensiver Diskussionen
widerrief der Papst im Jahr 1334 in einer Bulle seine Meinung auf dem
Sterbebett.
Sein Nachfolger Benedikt XII. verkündete im Jahr 1336 jene Lehre, die auch
heute noch die gültige Lehrmeinung der römisch-katholischen Kirche
darstellt: Die Seelen der Gläubigen, die keiner Reinigung (im Fegefeuer)
mehr bedürfen, kommen sofort nach dem Tod, noch vor der Auferweckung der
Leiber beim Jüngsten Gericht, in den Himmel, während die Seelen der im
Zustand einer Todsünde Verstorbenen sofort mit den Qualen der Hölle
gepeinigt werden.
Benedikt XII. lehnte die Vorstellung vom „Schlaf der Toten“ bis zu ihrer
Auferweckung am Letzten (Jüngsten) Tag ab; er lehrte, die bis zum Jüngsten
Tag leiblos nackte Seele könne schon wahrhaft glückselig sein und das ewige
Leben haben, ohne dass ein Körper nötig sei.
„Seele“
wird von der „orthodoxen“ katholischen Theologie nach wie vor – im Gegensatz
zu den Naturwissenschaften – verstanden als körperunabhängiges
Identitäts- und Ich-Bewusstsein des Menschen, als biologisch vom Körper
und Gehirn ablösbarer Personkern, der alle charakteristischen Merkmale einer
individuellen Person enthält, inklusive Erinnern, Denken, Fühlen und Wollen.
Nur auf diese Weise kann aus katholischer Sicht die Einheit des irdischen
Leibes und des späteren verklärten Auferstehungsleibes garantiert werden.
Das Konzept des Seelenschlafs, bei dem auch die Seele gestorben sei,
sei nicht geeignet, die Identität der irdischen Person mit dem auferweckten
Menschen im Himmel bzw. in der Hölle sicherzustellen. Sonst könnten die
Verstorbenen nach dem Tod weder bereits im Himmel noch in der Hölle bzw.
vorübergehend im Fegefeuer sein.
Der Zusammenhang von Körper und Seele in der christlichen Lehre vom Moment
der Zeugung an
Die unsterbliche Seele existiert aus christlicher Sicht nicht von sich aus bereits vor der Geburt des Menschen in einer jenseitigen Welt, sondern erst durch einen Schöpfungsakt Gottes. Das Christentum erklärt die Beseelung des Menschen bei seiner Entstehung sowie auch das Weiterleben des Menschen nach dem Tod durch einen speziellen Eingriff Gottes. Demnach fügt Gott im Moment der Zeugung des Menschen die unsterbliche Seele hinzu. Im Katechismus der katholischen Kirche heißt es: „Die Kirche lehrt, daß jede Geistseele unmittelbar von Gott geschaffen ist – sie wird nicht von den Eltern ‚hervorgebracht‘ – und daß sie unsterblich ist: sie geht nicht zugrunde, wenn sie sich im Tod vom Leib trennt, und sie wird sich bei der Auferstehung von neuem mit dem Leib vereinen.“
Das Christentum hat im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Vorstellungen
davon entwickelt, zu welchem Zeitpunkt die unsterbliche Seele mit dem Körper
verbunden wird. Die Vorstellung der Beseelung bereits beim Zeugungsakt (Simultanbeseelung),
die auf die alten Pythagoräer in der griechischen Antike zurückgeht, wurde
von verschiedenen christlichen Theologen bereits seit dem dritten
Jahrhundert vertreten.
Im Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert dominierte die Meinung der Sukzessivbeseelung des Theologen Thomas von Aquin, die auf den Philosophen Aristoteles zurückgeht. Demnach haucht Gott dem männlichen Fötus erst am vierzigsten Tag nach der Befruchtung, dem weiblichen Fötus gar erst am achtzigsten Tag nach der Befruchtung eine Vernunftseele ein. Nach Aristoteles erhält der männliche Fötus am vierzigsten Tag, der weibliche Fötus am neunzigsten Tag eine Vernunftseele, vorher hatten beide nur eine vegetative Seele ähnlich wie die Pflanzen und eine animalische Seele wie die Tiere.
Die Unterscheidung zwischen unbeseeltem Embryo und beseelten Embryo war in
früherer Zeit von großer Bedeutung für die Beurteilung der Abtreibung als
Mord. Obwohl in beiden Fällen abgelehnt, galt nur die Abtreibung des
beseelten Embryos als Mord, mit der Konsequenz des Todesurteils für die
abtreibende Frau.
Im Laufe der Jahrhunderte vertraten fast alle Päpste die Lehre von der
Sukzessivbeseelung, nur der auch sonst sehr sittenstrenge Papst Sixtus V.
verkündete 1588 in einer Bulle die Simultanbeseelung, was bereits 1591 von
Papst Gregor XIV. widerrufen wurde. Seit dem Jahr 1869 gilt die Entscheidung
von Papst Pius IX. als offizielle Lehrmeinung.
Demnach wird der Mensch bereits bei seiner Empfängnis unmittelbar von Gott
mit einer Geistseele ausgestattet.
Papst Pius IX. hatte im Jahr 1854 das Dogma von der unbefleckten
Empfängnis Mariens verkündet, wonach Maria von ihrer Mutter ohne
Erbsünde empfangen wurde, was nichts mit dem Dogma der Jungfrauengeburt zu
tun hat. Den Hintergrund verstehen nur theologisch sachkundige Personen: Auf
diese Weise konnte auch Jesus ohne Erbsünde von seiner Mutter Maria
empfangen werden und durch seinen Kreuzestod die Menschen von der Erbsünde
erlösen.
Der zeitliche Zusammenhang des Dogmas mit der dekredierten Simultanbeseelung ist rasch erklärt: Von ihren Eltern ganz normal gezeugt, war Maria somit von ihrer Empfängnis an und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt ein Mensch mit einer unsterblichen Seele. Dasselbe gilt auch von Jesus. Jede andere Sichtweise verletze die Würde von Maria und Jesus. Das Dogma der Simultanbeseelung hängt somit eng mit diesem Mariendogma zusammen.
Das christliche Glaubensbekenntnis mit Überzeugung beten?
Lesen Sie im Fall der Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche in Ruhe und
mit Bedachtsamkeit das Apostolische Glaubensbekenntnis der
christlichen Konfessionen, wie es in jeder Kirche gebetet wird. Wahre
Christen glauben an mehr als nur an die Auferstehung des Menschen mit Leib
und Seele, nämlich an einen göttlichen Heilsplan, ohne den kein
ewiges Leben des Menschen denkbar ist.
Die folgende Übersetzung des seit Anfang des 5. Jahrhunderts in dieser Form überlieferten und allen Gläubigen bekannten christlichen Glaubensbekenntnisses (Apostolikum genannt) aus dem Lateinischen wurde im Dezember 1970 von der Arbeitsgemeinschaft für liturgische Texte der Kirchen des deutschen Sprachgebiets verabschiedet:
„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels
und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren
Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den
Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des
allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und
die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige
katholische/christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der
Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.“
Das christliche Glaubensbekenntnis soll für gläubige Menschen der Anlass dafür sein, sich stärker als bisher mit dem zentralen Umfang der christlichen Lehre auseinanderzusetzen. Viele theologisch wenig geschulte Christinnen und Christen können diese dogmatischen Formulierungen in der heutigen Zeit weder verstehen noch glaubhaft finden, sodass bestimmte Bücher hilfreich sein können.
Das gilt vor allem auch vom viel komplexeren, von den orthodoxen Kirchen bevorzugten Glaubensbekenntnis, das unter dem Namen Nicäno-Konstantinopolitanum neben dem Apostolikum von allen christlichen Kirchen seit dem Jahr 451, das heißt seit dem Konzil von Chalcedon, als verbindlich angesehen wird. Damals wurde die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes (Trinität) und die Zwei-Naturen-Lehre (Jesus als zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott) präzisiert:
„Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles
geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Und
an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater
geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom
wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch
ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom
Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der
Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter
Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage
auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur
Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die
Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein. Wir glauben
an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater
(und dem Sohn) hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und
verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine,
heilige, christliche/katholische und apostolische Kirche. Wir bekennen die
eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt. Amen.“
Seit dem Konzil von Nicäa in der Nähe des heutigen Istanbul im Jahr
325, das von Kaiser Konstantin zur Verhinderung einer Spaltung des
Christentums und damit auch des Römischen Reiches einberufen worden war,
wurde das christliche Glaubensbekenntnis immer wieder erweitert,
insbesondere in den drei weiteren Konzilien in Konstantinopel im Jahr 381,
in Ephesos im Jahr 431 und in Chalcedon im Jahr 451, die in Reaktion auf
sogenannte Häretiker (Irrlehrer) zur Präzisierung der christlichen
Glaubenswahrheiten stattgefunden hatten. Die dogmatischen Festlegungen
dieser „allgemeinen“ Konzilien wurden später auch von den evangelischen,
anglikanischen und orthodoxen Kirchen übernommen.
Die Bischöfe und Theologen standen bei den für die Dogmenbildung zentralen
Konzilien unter massivem, machtpolitisch motivierten Druck vonseiten der
römischer Kaiser, zu einer einheitlichen, vom jeweiligen Kaiser und dessen
Beratern bzw. Verwandten gewünschten Lehrmeinung zu gelangen: 325 durch
Kaiser Konstantin, 381 durch Kaiser Theodosius, 431 durch Kaiser Theodosius
II., 451 durch Kaiser Markian, der ein 449 stattgefundenes Konzil unter
Theodosius II. in Richtung „orthodoxer“ Lehre revidieren ließ. „Häretiker“
wurden nach den jeweiligen Konzilien exkommuniziert, verbannt, misshandelt
oder ermordet.
Die Amtskirche und ihre Gelehrten waren früher mit Glaubensthemen beschäftigt, die sich nur im Kontext der griechisch-hellenistischen Philosophie verstehen lassen und für Menschen von heute oft völlig unverständlich sind, und zwar vor allem in Hinblick auf die Beziehung zwischen der menschlichen und der göttlichen Natur in Jesus sowie in Bezug auf das Verhältnis zwischen den drei göttlichen Personen von Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Zahlreiche Dogmen wären laut vielen theologischen Fachleuten auf der Basis
der Paulus-Briefe und der drei sogenannten synoptischen Evangelien von
Matthäus, Markus und Lukas niemals so formuliert worden. Verschiedene
katholische und evangelische Gelehrte weisen darauf hin, dass in beiden
Glaubensbekenntnissen vieles von dem fehlt, was die Faszination der Person
Jesu und seiner Botschaft in der Bibel ausmacht.
Verkürzungen der christlichen Lehre vom Leben nach dem Tod
Für viele Christinnen und Christen ist der Glaube an eine unsterbliche
Seele und damit an die nichtkörperliche Weiterexistenz nach dem Tod eine
ausreichende Beruhigung angesichts der Angst vor dem Tod und dem Danach.
„Für die meisten heutigen Christen ist allein die Seele der Weg zur
Unsterblichkeit.“
Fälschlicherweise sind zahlreiche Gläubige davon überzeugt, dass die
Unsterblichkeit der menschlichen Seele eine christliche Botschaft sei.
Tatsächlich jedoch besteht die Frohe Botschaft des Christentums nicht in der
Verkündigung des hellenistischen Konzepts der Unsterblichkeit der Seele,
sondern in der körperlichen Auferweckung der Toten durch Gott am Ende der
Zeiten.
Die Vorstellung der Auferweckung des Körpers anlässlich des Letzten
(Jüngsten) Gerichts mit anschließender Verteilung der körperlich
Wiederauferstandenen durch Jesus Christus je nach ihrem irdischen Leben in
den Himmel oder in die Hölle passt für viele Menschen nicht mehr in das
Denken der heutigen Zeit, in der vielfach bezweifelt wird, ob es überhaupt
einen Teufel als Widersacher von Gott und eine ewige Hölle gibt, mit deren
Feuerqualen in früheren Jahrhunderten die christlichen Kirchen ihren
Gläubigen gedroht hatten. Schließlich könne ein liebender und gütiger Gott
auch jenen Menschen, die im Diesseits gar nicht so gläubig und gottgefällig
gelebt haben, auf seine uns unbekannte Weise das ewige Heil schenken. Das
Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits, wonach jeder
Mensch nach seinen Taten auf ewig belohnt oder für immer bestraft wird, hat
heutzutage nicht mehr dieselbe Bedeutung zur Steuerung des Verhaltens der
Menschen wie in früheren Zeiten.
Viele Gläubige haben trotz des in der Kirche mitgebeteten Glaubensbekenntnisses nicht verstanden, dass die biblische Erzählung vom Sündenfall der ersten Menschen im Paradies und die darauffolgende Vertreibung aus dem Paradies nach christlicher Lehre die Sterblichkeit des menschlichen Geschlechts begründet hat.
Jesus hat durch seinen Tod am Kreuz und seine leibliche Auferstehung von den
Toten allen Menschen das ewige Leben mit einem unsterblichen Leib
ermöglicht, wie dies vom Apostel Paulus als zentrale Glaubensbotschaft in
seinen Briefen und damit als erstes biblisches Zeugnis verkündigt wurde. Der
Tod wird heutzutage als evolutionär-biologisch bedingt und nicht als Folge
der Sünde eines ersten Menschenpaares angesehen, sodass daher von vielen
Christen kein ewiges Leben durch den Sühnetod Jesu am Kreuz, sondern durch
den Glauben an eine unsterbliche Seele erwartet wird.
Die paulinische Verkündigung der körperlichen Wiederauferstehung mit einem
neuen, verherrlichten, verklärten Körper ohne Leiden, aber auch ohne Freuden
wie Sexualität beschäftigt heutzutage kaum noch Christen, die sich im
naturwissenschaftlichen Zeitalter entweder gar keine Vorstellungen davon
machen oder sich das spätere Leben nach der Auferstehung so ähnlich wie auf
der Erde ausmalen – einfach als ewiges Zusammensein mit jenen geliebten
Personen, die man durch den irdischen Tod verloren hat. Früher stand dagegen
die Anschauung Gottes im Mittelpunkt der Vorstellungen vom Leben im Himmel.
Viele Mitglieder der christlichen Kirchen haben kein Verständnis für die
Bedeutung der Trinitätslehre, wonach der christliche Gott eine
Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. Nach den Dogmen
der Kirche ist die zweite göttliche Person in Gestalt von Jesus Christus als
Mensch auf die Welt gekommen, um die Menschen als leibhaftiger Mensch durch
sein Leiden, seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung zu erlösen und zum
ewigen Leben zu befähigen.
Die zentralen Botschaften des Christentums werden heute immer weniger verstanden und stellen mittlerweile dasselbe Ärgernis wie in der Zeit von Paulus in der griechisch-römischen Antike dar. Die dogmatisierten Kernbotschaften werden oft nicht einmal mehr von den Vertretern der christlichen Konfessionen in der Kirche und im Religionsunterricht thematisiert. Am deutlichsten ist, soweit es die Letzten Dinge betrifft, davon noch die Rede bei christlichen Begräbnissen, wo die Kirchen den Hinterbliebenen Trost spenden in Form des Glaubens an ein späteres Zusammentreffen im Himmel, in den gläubige und möglicherweise auch ungläubige Menschen gelangen könnten, weil Gott gnädig und barmherzig sein könne. Bei immer mehr Menschen, vor allem auch bei sogenannten „Taufscheinchristen“, beruht der Glaube an das ewige Leben als Folge einer unsterblichen Seele auf einem Patchwork aus christlichen, buddhistischen und esoterischen Bildern, neuerdings ergänzt durch die zahlreichen Bücher zu Nahtoderfahrungen.
Nach bereits dargestellten Umfrageergebnissen glauben in Deutschland und
Österreich immer weniger Menschen an Gott und die christlichen
Glaubensinhalte und haben selbst als Mitglieder einer christlichen
Glaubensgemeinschaft oftmals keine Kenntnis von den Kerninhalten des
christlichen Glaubens.
Trifft das auch auf Sie zu? Wie sehr können Sie sich im Fall der
Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession mit der christlichen
Botschaft und Ihrer Kirche identifizieren? Haben Sie als Mitglied der
römisch-katholischen, evangelischen oder reformierten Kirche große Probleme,
die christliche Lehre zumindest hinsichtlich bestimmter Dogmen so zu
glauben, wie sie von Ihrer Glaubensgemeinschaft verkündet wird? Sprechen Sie
bei der christlichen Lehre nur einige wenige Punkte an, wie etwa ewiges
Leben nach dem Tod im Himmel, Nächstenliebe im Hier und Jetzt und die zehn
Gebote als Basis für ein moralisch integres Leben? Derartige Fragen stellen
sich auch viele andere kritische Menschen, die deswegen jedoch den
christlichen Glauben als solchen nicht aufgeben möchten.
Haben Sie vielleicht deswegen Angst vor den Folgen in einem Leben nach dem
Tod, weil Sie es in diesem Leben wagen, ganz nach Ihren religiösen
Vorstellungen und nicht genau und streng nach den Regeln und
Glaubensinhalten Ihrer Religionsgemeinschaft zu leben? Überlegen Sie einmal:
In welchem Ausmaß kann Ihnen die christliche Botschaft in ihrer Gesamtheit
und nicht bloß in einigen ausgewählten Bereichen helfen, Ihre Angst vor dem
Tod und dem Danach zu vermindern? Vielleicht hilft Ihnen neben der
angeführten Literatur auch ein Gespräch mit einer Vertreterin oder einem
Vertreter Ihrer Kirche.
Neuinterpretation der christlichen Lehre für die heutige Zeit
In früheren Jahrhunderten war den Gläubigen aller christlichen Konfessionen
klar: Im Alten und Neuen Testament spricht Gott selbst zu den Gläubigen. Man
brauche das Wort Gottes nur in der Bibel nachzulesen – eine Sichtweise, die
heute als fundamentalistisch bezeichnet wird. Die sogenannte
Verbalinspirationslehre kam im 17. Jahrhundert innerhalb der
lutherischen Orthodoxie auf, die das protestantische Schriftprinzip (nur die
Heilige Schrift zählt) gegen die Lehre der römisch-katholischen Kirche
abzusichern versuchte, der zufolge neben der Bibel auch die kirchlichen
Überlieferungen und die dogmatischen Festlegungen für die Gläubigen
verbindlich seien. Dabei wurde behauptet, dass der Heilige Geist den
Verfassern der Bücher der Bibel nicht nur die Sachverhalte eingegeben,
sondern auch den genauen Wortlaut quasi diktiert habe. Nach einem derartigen
Verständnis der Bibel wird Gott zum eigentlichen Autor der Bibel, der sich
der Verfasser als schreibender Hilfsmittel bedient habe.
Eine ähnliche Argumentation bestand bereits bei Augustinus, später bei
katholischen Theologen, Päpsten und auch beim Heiligen Offizium in Rom, das
die Verbalinspiration im Jahr 1907 angesichts des Modernismus dekredierte,
somit die buchstäbliche Richtigkeit bzw. Wahrheit aller Inhalte der Bibel
behauptete.
Alle Vertreter des Christentums gehen mittlerweile davon aus, dass die Bibel
von Menschen mit bestimmten theologischen Sichtweisen für besondere
Zielgruppen geschrieben wurde. Der Verfasser des Matthäus-Evangeliums
wandte sich primär an die Juden und Judenchristen, denen das Geschehen um
und mit Jesus als aus dem Alten Testament vorhergesagt erklärt wurde. Der
Verfasser des Lukas-Evangeliums wandte sich vor allem an die Heiden
und Heidenchristen, die mit den jüdischen Glaubensinhalten nichts oder nur
wenig anfangen konnten.
Je mehr das Christentum in die griechisch-römische Welt vordrang, umso
dominierender wurde anstelle der jüdisch geprägten Messias-Vorstellungen der
Begriff der Gottessohnschaft Jesu, weil der Begriff der Vergöttlichung
bestimmter Personen damals allgemein bekannt war. So wurde etwa auch der
bekannte Kaiser Augustus nach seinem Tod zu einem Gott erklärt. In der
heutigen Zeit wird in der kirchlichen Verkündigung immer häufiger ein Bild
von Jesus bevorzugt, das seine Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit in den
Vordergrund stellt. Die Begriffe „Messias“ und „Sohn Gottes“ sagen
unvoreingenommenen, nichtchristlich sozialisierten Menschen der heutigen
Zeit oft nichts mehr. Die Botschaft Jesu müsse daher auf die heutige Zeit
übertragen werden, fordern immer mehr evangelische und katholische Gelehrte.
Fundamental verändert hat sich auch die dreiteilige Sicht der Welt mit der
Erde in der Mitte, dem Himmel „oben“ und der Hölle „unten“. Die
naturwissenschaftliche Sicht der Welt und des Weltalls brachte die Lehre
von der Verbalinspiration, dass die Bibel das irrtumsfreie Wort
Gottes sei und die jeweiligen Autoren wortwörtlich die Aussagen und
Anweisungen Gottes aufgeschrieben hätten, stark ins Wanken und erforderte
ein Umdenken der christlichen Kirchen.
Der biblische Kosmos mit der Erde als dem Mittelpunkt der Welt hat seit dem
16. Jahrhundert ausgedient. Der Mythos der Erschaffung von Adam und Eva im
Paradies wurde durch die von Charles Darwin ausgehende Lehre von der
Evolution des Menschen ersetzt, wonach zufällige Mutationen, deren Vererbung
und die Überlebensfähigkeit jener Organismen, die sich am besten an die
jeweiligen Umweltbedingungen anpassen können, die Entwicklung der Menschheit
bestimmt haben.
Der Katechismus der katholischen Kirche aus dem Jahr 1997 verkündet
weiterhin unter Ignorierung aller Erkenntnisse der Naturwissenschaften als
Folge der Gleichsetzung von mythologischen Aussagen mit der Realität, dass
Adam und Eva das erste Menschenpaar und damit unsere Stammeltern gewesen
seien. Ihre Ursünde im Paradies sei durch Vererbung auf ihre Nachkommen und
die ganze Menschheit übertragen worden, sodass die Menschen davon nur durch
den Tod Jesu am Kreuz befreit werden können.
Dieser Katechismus, der im Auftrag von Papst Johannes Paul II. erstellt
wurde, wird von der Mehrheit der katholischen Gelehrten aufgrund des
konservativen Inhalts als längst überholt angesehen.
Als Folge der Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der
historisch-kritischen Methode der Bibelforschung haben christliche Gelehrte
die Bibel völlig neu interpretiert, um nicht ständig mit den Wissenschaften
im Widerspruch zu stehen. Man bemühte sich, die christliche Botschaft in die
moderne Welt zu übertragen, genauso wie sich das Christentum im Zuge seiner
Ausbreitung im Laufe der Jahrhunderte auch an die Denkwelt der bekehrten
Völker und deren Religionen angepasst hatte. Eine ähnliche Verkündigung der
christlichen Lehre wäre mithilfe der Jesuiten vielleicht auch in China
gelungen, wenn nicht aufgrund von theologischen Streitigkeiten (sog.
Ritenstreit) im Jahr 1742 von Papst Benedikt XIV. die Anpassung an die
konfuzianische Ahnenverehrung verboten worden wäre, worin die katholische
Kirche heutzutage kein Problem mehr sieht.
Seit dem 20. Jahrhundert arbeiteten zahlreiche christliche Theologinnen und
Theologen an der Aufdeckung zeitbedingter Mythologien, aber auch vieler
Widersprüche innerhalb der vier Evangelien, die nicht mehr länger durch eine
systematische Harmonisierung überdeckt werden konnten. Viele Berichte des
Neuen Testaments wurden von immer mehr christlichen Gelehrten nicht mehr als
Aussagen über tatsächliche historische Ereignisse und Wahrheiten angesehen,
wie etwa die Jungfrauengeburt, die physische, von Zeugen sinnlich
wahrgenommene Auferstehung Jesu von den Toten, sein Abstieg zu den
Verstorbenen in die Unterwelt und seine physische Himmelfahrt, sondern als
zeitbedingte Bildsprache über zentrale Wahrheiten der christlichen
Botschaft. Sogar die Göttlichkeit des tiefgläubigen Juden Jesus wird immer
häufiger als Aussage in den Kategorien früherer Zeiten betrachtet.
Immer stärker wird von theologischen Fachleuten auch die Auffassung
vertreten, dass die Interpretation des Kreuzestodes Jesu als Sühnetod
für die Sünden und die dadurch ermöglichte Erlösung der Menschen nur eine
von verschiedenen Sichtweisen sei. Man könne den Tod Jesu auch als
Konsequenz der radikalen Verkündigung von Jesus verstehen, gegen die
sich das kritisierte jüdische Establishment mithilfe der römischen
Besatzungsmacht gewehrt habe, indem man Jesus als Volksaufwiegler
dargestellt habe.
In der Bibel wird den Vertretern des Judentums die Schuld am Tod Jesu
gegeben, während die römische Besatzungsmacht relativ glimpflich davonkommt,
obwohl der historische Pilatus als brutaler Herrscher bekannt war,
bedingt durch den Umstand, dass das Christentum im Interesse seiner raschen
Ausbreitung im römischen Reich eine Allianz mit der Staatsmacht eingegangen
war.
Die Neuinterpretation der christlichen Botschaft hat auch Auswirkungen auf die Lehre von den Letzten Dingen, das heißt auf das, was mit den Menschen nach dem Tod passiert, aber auch mit der ganzen Welt am Ende der Zeiten. Existenzielle Ängste werden dadurch entschärft, dass früher zentrale Inhalte der christlichen Botschaft als mythologisch erklärt, einfach gestrichen oder theologisch bzw. tiefenpsychologisch uminterpretiert werden: Adam und Eva als erstes Menschenpaar, deren Sündenfall und die daraus abgeleitete Erbsündenlehre, die Existenz eines Teufels, einer Hölle und eines Fegefeuers, die griechisch-hellenistische Vorstellung einer unsterblichen Seele, die Erwartung eines Jüngsten Gerichts mit der Verurteilung vieler Menschen zur ewigen Verdammnis.
Das Christentum soll wieder zur Frohbotschaft statt zur Drohbotschaft
werden. Das Bild eines liebenden statt strafenden Gottes hat im 20.
Jahrhundert auch zum Konzept der Allerlösung geführt, das heißt,
letztlich könnten alle Menschen gerettet werden, weil alle von Jesus
Christus erlöst worden seien.
Wegen ähnlicher Auffassungen war der Theologe Origenes aus dem 3.
Jahrhundert von der Kirche im Jahr 553 nachträglich als häretisch verurteilt
worden.
Vor allem protestantische, aber auch katholische Gelehrte haben seit der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an einer zeitgemäßen Neuauslegung der
Bibel gearbeitet, die als Entmythologisierung bekannt geworden und
erstmals vom evangelischen Theologen Rudolf Bultmann im Jahr 1941 so
bezeichnet wurde. Zuerst von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche
Deutschlands im Jahr 1952 dafür gerügt, drückte man ihm 20 Jahre später das
Bedauern über diese kritische Erklärung zu seiner Arbeit aus.
Die römisch-katholische Kirche reagierte mit einem akademischen Lehrverbot
für jene Theologinnen und Theologen, die die christliche Lehre von den
Mythen und Dogmen „entstauben“ und auf die heutige Zeit übertragen wollten,
sowie auch mit dem Entzug der priesterlichen Befugnisse für Pfarrer in der
kirchlichen Praxis. Der französische katholische Theologe Alfred Loisy,
ein prominenter Vertreter der historisch-kritischen Methode in der
Bibelwissenschaft und des kritisierten „Modernismus“, wurde 1908 vom
heiliggesprochenen Papst Pius X. exkommuniziert. Loisy glaubte nicht an die
Göttlichkeit Christi und wagte die kritische Feststellung: „Jesus hat das
Reich Gottes verkündet, gekommen aber ist die Kirche.“
Die katholische Amtskirche wehrt sich bis heute mit aller Macht gegen jede
Form des „Modernismus“, den Papst Pius X. bereits im Jahr 1907 als
„Sammelbecken aller Häresien“ verurteilt hatte, mit automatischer
Exkommunikation seiner Anhänger. Hauptsächlicher Unterschied zu damals: Man
vermeidet heutzutage das Wort „Modernismus“. Während das Heilige Offizium in
Rom im Jahr 1907 die Verbalinspiration und damit die Richtigkeit bzw.
historische Wahrheit der Aussagen der Bibel bis in alle Einzelheiten
dekretiert hatte, wurde die historisch-kritische Methode der Bibelforschung
von der katholischen Bibelkommission im Jahr 1964 zwar anerkannt, jedoch nur
innerhalb bestimmter, von der Kirche definierter Grenzen.
Typische Beispiele kirchlicher Verfolgung sind die durch ihre zahlreichen
Bücher bekannten Theologen Hans Küng, Eugen Drewermann und
Hubertus Halbfas sowie der Theologin Uta Ranke-Heinemann. Zuerst
primär innerhalb der Theologie diskutiert und den Studentinnen und Studenten
gelehrt, finden diese „modernen“ Formulierungen der christlichen Botschaft
zunehmend Eingang in die Denkwelt der Gläubigen. Von Kritikern des
Christentums wurde die Entmythologisierung der Bibel als misslungener
Rettungsversuch des christlichen Glaubens angesehen, von deren Vertretern
dagegen als einzige Chance betrachtet, wie die christliche Botschaft in der
heutigen Zeit den Menschen glaubhaft und überzeugend nahegebracht werden
könne.
Maßgeblicher Betreiber der Verfolgung kritischer Interpreten der
katholischen Lehre war der als Hüter des römisch-katholischen Christentums
bekannte deutsche Kardinal Josef Ratzinger, der als Präfekt der
Kongregation für die Glaubenslehre (früher als „Heilige Inquisition“
bekannt) und danach auch als Papst Benedikt XVI. sehr scharf
gegenüber allen „Abweichlern“ von der orthodoxen katholischen Lehre
aufgetreten war. In der evangelischen Kirche besteht zwar mehr Freiheit in
der Lehre als in der katholischen Kirche, doch gibt es auch dort Grenzen,
wenn die zentralen Inhalte der evangelischen Dogmatik infrage gestellt
werden, wie sie in den entsprechenden Dogmatik-Lehrbüchern festgehalten
sind.
Gläubigen mit Interesse an der modernen Bibelwissenschaft sowie an neueren Sichtweisen des christlichen Glaubens und des Konzepts einer unsterblichen Seele empfehle ich zwei Bücher der katholischen, sehr ökumenisch denkenden Theologieprofessorin Doris Nauer: „Gott – Woran glauben Christen? Verständlich erläutert für Neugierige“ und „Christliches Menschenbild heute? Verständlich erläutert für Neugierige“. Dogmenkritischen Christen empfehle ich das Buch „Wendepunkte oder Was eigentlich besagt das Christentum?“ des katholischen Theologen und Priesters Eugen Drewermann, der im Jahr 2005 aufgrund zahlreicher Konflikte mit der Amtskirche aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten ist.
Botschaften anderer Religionen
Die beiden anderen monotheistischen Weltreligionen, das Judentum und der
Islam, vertreten ebenfalls den Glauben an eine unsterbliche Seele
sowie an ein Jüngstes Gericht am Ende der Zeiten, anlässlich dessen
die Verstorbenen mit ihrem Körper auferweckt werden.
Nach islamischem Glauben erfolgt vor der allgemeinen
Totenauferstehung unmittelbar nach dem Tod ein himmlisches Zwischengericht.
Als Folge davon gehen die Seelen der Gerechten ins Paradies ein, wo sie
wieder mit ihren Körpern vereint werden, während die Seelen der Ungerechten
an einen Ort der Qualen gelangen. In gewisser Analoge zur katholischen
Fegefeuerlehre gibt es daneben auch noch einen Ort der Läuterung für jene
Personen islamischen Glaubens, die neben guten auch böse Taten begangen
haben und später doch noch in das Paradies kommen können, während für die
Ungläubigen keine Chance auf das Paradies besteht. In islamischen Ländern
sowie auch bei islamgläubigen Menschen in Europa ist der Glaube an Himmel,
Hölle, Gott und Teufel, Unsterblichkeit und Göttliches Gericht weiterhin
ungebrochen in einer Weise vorhanden, wie dies früher im Christentum vor der
Aufklärung der Fall war.
Im Judentum gab es im Laufe der Jahrhunderte innerhalb der
verschiedenen Strömungen sehr unterschiedliche Sichtweisen, aber der Glaube
an ein ewiges Leben war und ist durchgehend vorhanden.
In vielen anderen Religionen der Vergangenheit und Gegenwart findet man ebenfalls eine allgemeine Totenauferstehung beim Übergang zur Vollendung der Welt. Lediglich zwei Weltreligionen, der Buddhismus und der Hinduismus, betonen die Wiedergeburt (Reinkarnation), das heißt die neuerliche Rückkehr auf diese Welt auf einer höheren oder niedrigeren Seinsstufe, je nach den Taten der Menschen im früheren Leben.
Nach dem Hinduismus müssen Leben und Tod im Sinne einer
Seelenwanderung solange durchlaufen werden, bis die endgültige Verschmelzung
der unsterblichen Seele mit dem Weltgeist Brahman gelingt. Nach dem
Buddhismus, zumindest in seiner strengen und ursprünglichen Form,
geht es um das endgültige Aufgehen des Individuums, um das Erlöschen im
Nirwana. Eine unsterbliche Seele als Basis für die Wiedergeburten gibt
es dabei nicht. Als wesensübergreifende Einheit gilt das unpersönliche
Karma als Summe aller Handlungsfolgen und nicht eine personale
Integrität. In der Volksfrömmigkeit wird aus dem Nirwana oft eine Insel der
Seligen, in der die Toten weiterleben. Nach dem Shintoismus in Japan
behält die vom Körper abgespaltene Seele ihre Individualität nach dem Tod
bei und steigt im Laufe der Zeit zu den Ahnen auf. Zumindest im Volksglauben
gibt es somit auch bei den asiatischen Religionen eine Art Unsterblichkeit
der Seele als Basis dafür, dass der Mensch seinen Tod in Form eines
Jenseits-Daseins überlebt.
Buddhistische Auffassungen
finden in den USA und auch in Europa zunehmend Anklang, als Alternative zum
Christentum. Rund 22 Prozent der Deutschen glauben mittlerweile an eine
Wiedergeburt im Sinne der buddhistischen Reinkarnationslehre. Die meisten
christlichen Buddhismus-Sympathisanten verbinden die Vorstellung der
Seelenwanderung mit dem Glauben an ihre Identität über den Tod und die
verschiedenen Wiedergeburten hinweg; sie unterliegen damit einem
Missverständnis, weil der Buddhismus gar keine personale Identität im Sinne
einer unsterblichen Seele kennt, sondern nur Karma-bedingte Wiedergeburten
ohne Seelenwanderung.
Bei Menschen christlichen Glaubens mit einem Reinkarnationsglauben steht dieser oft in Verbindung mit der Hoffnung auf die Erlösung aller Menschen anstelle eines sogenannten doppelten Gerichtsausgangs, das heißt einem späteren Leben im Himmel oder in der Hölle. Die Seelenwandung in Form von Wiedergeburten erfolgt laut Buddhismus als kosmische Gesetzmäßigkeit, ohne ein göttliches Gericht nach dem Tod des Organismus. Wiedergeburten werden im christlich-westlichen Kontext viel positiver als neue Chancen für die Menschen betrachtet, ganz anders als das negativ gefärbte Bild von Wiedergeburt im östlichen buddhistischen Kontext als Abbüßen eines bösartigen Karmas.
Hoffnung auf Unsterblichkeit ohne Gott
Die Annahme einer körperunabhängigen unsterblichen Seele bei Menschen
im Gegensatz zu Tieren stärkt auch bei vielen nichtreligiösen Menschen der
westlichen Welt das Selbstbewusstsein, im Rahmen der Evolution als
höchstentwickeltes Tier doch etwas ganz Besonderes zu sein und der
Vergänglichkeit nicht in derselben Weise unterworfen zu sein wie die übrige
belebte Natur.
Die Vorstellung einer unsterblichen Seele trägt aus ethischer Sicht auch
außerhalb der monotheistischen Religionen dazu bei, jeden Menschen als
wertvoll und einzigartig betrachten zu können, ganz abgesehen von seinem
Alter, seinem Äußeren, seinem Geschlecht oder seiner sozialen Stellung in
der jeweiligen Kultur und Gesellschaft, ohne deswegen einen Schöpfungsakt
Gottes annehmen zu müssen.
Unabhängig, aber nicht ganz unbeeinflusst von den Vorstellungen der
Weltreligionen glauben viele nichtreligiöse Menschen mehr oder weniger
überzeugt an ein Weiterleben des Menschen nach dem Tod, ohne sich
diesbezüglich genauere Vorstellungen zu machen. Der Glaube an eine
körperunabhängige und unsterbliche Seele ist in den meisten Kulturen seit
Urzeiten verankert und stellt kein Spezifikum der bei uns verbreiteten
Religionen Christentum, Judentum und Islam dar. Beispielsweise bestand nach
dem römischen Feldherrn Cäsar der Kampfesmut der Gallier bzw. Kelten in
ihrem Glauben, dass ihre Seele nach dem Tod in einem anderen Körper
weiterlebe.
Die Religion der Moderne ist in der westlichen Welt zunehmend frei
von den zentralen christlichen Glaubensvorstellungen. Laut Umfragen glauben
zahlreiche Menschen an eine unsterbliche Seele bzw. an irgendein Weiterleben
nach dem Tod, obwohl sie weder einer Religionsgemeinschaft angehören noch an
einen persönlichen Gott glauben. Sie glauben nicht selten an „etwas
Höheres“, können jedoch keine Zusammenhänge zwischen einer höheren Macht und
den Umständen ihres Weiterlebens nach dem Tod herstellen. Bei anderen
Personen findet man dagegen trotz wachsender Säkularisierung unreflektiert
die christlichen, jüdischen oder islamischen Glaubenslehren zum Weiterleben
nach dem Tod im Hintergrund ihrer Gedanken und Vorstellungen bezüglich ihrer
postmortalen Existenz.
Jenseitsvorstellungen werden in der westlichen Welt neben vielen
Bestseller-Büchern über Nahtoderfahrungen zunehmend beeinflusst von
esoterischen Konzepten, wie etwa Spiritismus, Theosophie,
Anthroposophie oder New-Age-Bewegung, und den Vorstellungen von der
Wiedergeburt der Seele, das heißt von Reinkarnationsvorstellungen, bedingt
durch die zunehmende Verbreitung einer buddhistischen Religiosität.
Der religionsunabhängige Glaube vieler Menschen an die Unsterblichkeit der
menschlichen Seele, ausgedrückt in der diffusen Formulierung, dass „nach dem
Tod noch irgendwas kommt“, kann die Angst vor dem Tod und dem Danach
erheblich reduzieren. Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele stellt
nicht nur eine Tröstung und Angstminderung für die eigene Person dar,
sondern auch eine traurigkeits- und depressionsmindernde Hoffnung für nahe
Angehörige, Freunde und Bekannte, ihre Verstorbenen nach deren Tod und dem
späteren eigenen Tod „drüben“ wiedersehen zu können.
Auch der Verfall des Körpers während des Sterbeprozesses und alle
damit verbundenen Schmerzen sind leichter zu ertragen durch den Glauben,
nach dem Tod von allen Qualen befreit zu sein. Der Glaube an die Trennung
der Seele vom Körper im Moment des Todes kann die Furcht vor dem Sterben
erheblich reduzieren, weil man den Übergang in eine andere Welt, in einen
anderen Seinszustand, erwartet. Das Leiden während des Sterbeprozesses wird
leichter erträglich durch die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod.
Die Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits sowie
auf eine Entschädigung für alle Entbehrungen im Leben auf dieser Welt
besteht auch bei vielen Menschen, die an keinen persönlichen Gott im Sinne
der monotheistischen Religionen glauben, und hilft überall auf der Welt
Personen mit einem schlimmen Schicksal zu einer besseren Akzeptanz der
Lebensbedingungen im Diesseits.
Beantworten Sie im Fall des Glaubens an ein Jenseits folgende Frage:
Glaube ich an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele bzw. an ein
Weiterleben nach dem Tod aufgrund des christlichen Glaubens, einer anderen
Religion, einer Vermischung bestimmter Religionen, esoterischer
Vorstellungen, philosophischer Überlegungen oder verschiedener Bücher über
Nahtoderlebnisse?
Nahtoderfahrungen als Beweis für ein Jenseits?
Nahtoderfahrungen sind ein relativ häufiges Phänomen
Rund vier Prozent der Bevölkerung in Deutschland und in den USA haben
Nahtoderfahrungen gemacht, das heißt Erlebnisse, als sie bereits
klinisch tot waren. Zahlreiche Fachleute aus den Bereichen der Medizin und
der Psychologie sowie auch andere Experten und Betroffene mit
Nahtoderfahrung
haben den Buchmarkt mit Büchern zur Nahtodthematik überflutet. Diese
Veröffentlichungen haben vor allem auch bei kirchenfernen und ungläubigen
Menschen die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod gestärkt, weil die
berichteten Jenseits-Erfahrungen die Unsterblichkeit der Seele beweisen
würden.
Angestoßen wurde diese Entwicklung in den 1970er-Jahren vom amerikanischen Psychiater Raymond Moody, der 150 Betroffene interviewt hatte, und der Neurologin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross, die aufgrund der Berichte von Personen mit Nahtoderfahrung der Meinung war, dass der Tod nur ein Übergang in ein anderes Leben sei. Für viele Menschen sehr überzeugend wirken insbesondere die persönlichen Nahtoderfahrungen des amerikanischen Neurochirurgen Eben Alexander.
Die Mehrzahl der Menschen mit Nahtoderfahrung berichtete folgende typische Erlebnisinhalte:
Außerkörperliche Erfahrungen.
Die Betroffenen hatten das Gefühl, über sich oder neben ihrem Körper zu sein
und von außen zu beobachten, was mit ihrem Körper gerade geschieht. Diese
Erfahrungen werden häufig interpretiert als Trennung von Körper und Seele
sowie als Weiterexistenz der körperlosen Seele. Die Erfahrung der
Außerkörperlichkeit gilt in der Forschung als eindrucksvollste
Nahtoderfahrung. Sie wird von den Betroffenen je nach religiöser Einstellung
als Beweis für ein Jenseits und ein Weiterleben nach dem Tod, das heißt als
Beleg für die Unsterblichkeit der Seele und ein höheres Wesen interpretiert.
Filmartiger Lebensrückblick. Die Betroffenen berichteten, dass ihr Leben in Bildern wie ein Film an in ihnen vorüberzog. Diese Erfahrungen werden häufig als Beurteilung und Rechtfertigung des vergangenen Lebens interpretiert.
Begegnungen mit lebenden oder verstorbenen Bezugspersonen.
Bei den meisten Nahtoderfahrungen kommt es zu Begegnungen mit lebenden oder
verstorbenen Personen oder überirdischen Wesen. Die Betroffenen erkannten
bestimmte Personen, mit denen sie per „Gedankenübertragung“ ohne Sprache
kommunizierten. Diese Erfahrungen werden oft interpretiert als Einswerden
mit verschiedenen Wesen aus einer anderen Welt, die die Verstorbenen in das
ewige Leben geleiten.
Glücksgefühle, Liebe, Geborgenheit und Frieden.
Die Betroffenen erlebten Gefühle von Frieden, Liebe, Glück und
Schmerzfreiheit. Wunderschöne paradiesische Landschaften und sphärische
Klänge und Melodien erhöhten das Wohlbefinden der Seele. Diese Empfindungen
werden oft interpretiert als Vorgefühle einer jenseitigen Welt und das
glückselige Zusammensein mit einem höheren Wesen.
Licht- oder Tunnel-Erfahrungen.
Die Betroffenen machten bildhafte Erfahrungen mit einem dunklen Tunnel und
einem hellen Licht am Ende oder mit einem hellen, weißen oder warmen Licht,
das teilweise als Begegnung mit Jesus, Gott, Heiligen oder anderen Wesen wie
Engeln oder Feen erlebt wurde. Diese Erfahrungen werden oft als Übergang in
eine andere Welt bzw. in einen anderen Bewusstseinszustand sowie als Beweis
der Existenz Gottes oder eines höheren Wesens interpretiert.
Bewusste Rückkehr.
Die Betroffenen berichteten von den Wiederbelebungsversuchen, von der
eigenen Entscheidung zur Rückkehr ins Leben oder von ihrem Widerwillen, ins
Leben zurückgeholt zu werden.
Die faszinierenden Berichte von Nahtoderfahrungen, die unabhängig von
Kultur, Religion und Region sogar von prominenten Personen aus den Bereichen
der Medizin, anderer Naturwissenschaften und auch der Psychotherapie, etwa
von C. G. Jung, gemacht wurden, werden in zunehmendem Ausmaß
wissenschaftlich erforscht, derzeit vor allem vom englischen
Intensivmediziner Sam Parnia in New York, der zwei große
internationale Studien dazu
(in den USA, Großbritannien und Österreich)
koordinierte.
Demnach hatten laut der ersten Studie von 140 Personen, die bereits herztot
und ohne Zufuhr von Blut zum Gehirn waren, 46 Prozent zumindest für einige
Minuten bzw. Stunden verschiedene Gehirnaktivitäten in Form eines
Bewusstseins, dokumentiert durch berichtete Erinnerungen an Angstgefühle,
Löwen, Tiger und Pflanzen, Lichterscheinungen, Szenen voller Gewalt und
Verfolgung, Begegnungen mit Familienmitgliedern und Deja-vu-Erfahrungen. Nur
3 Prozent der Betroffenen sahen Verstorbene oder hatten Geist-Erscheinungen,
nur 7 Prozent nahmen das berühmte helle Licht wahr, nur 2 Prozent hatten
außerkörperliche Erfahrungen. Insgesamt erfüllten nur 9 Personen die
typischen Kriterien für Nahtoderfahrungen. In der zweiten, kleineren Studie
traten typische Nahtodphänomene ebenfalls nur in geringem Ausmaß auf.
Laut Sam Parnia sind Nahtoderfahrungen keine Halluzinationen; sie seien auch
grundlegend anders
als die Erfahrungen von Komapatienten oder Narkotisierten. Für den nicht
religiösen Experten, der von wissenschaftlichen und therapeutischen Motiven
geleitet wird, handelt es sich bei den berichteten Erlebnissen um keine
Nahtoderfahrungen, sondern um naturwissenschaftlich bislang nicht erklärbare
Erfahrungen nach dem Herztod. Er hält es im Gegensatz zur Mehrheit der
Naturwissenschaftler aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse für
möglich, dass es ein von der Materie unabhängiges,
nicht auf elektrischen oder biochemischen Prozessen im Gehirn basierendes
menschliches Bewusstsein gibt, also einen Personkern, der
traditionellerweise als „Seele“ bezeichnet wird. Neuere Studien zur
Überprüfung dieser Vermutung seien nötig.
Existiert das menschliche Bewusstsein unabhängig vom Gehirn?
Der niederländische Kardiologe Pim van Lommel ist der bekannteste Nahtodforscher in Europa. Er führte umfangreiche Befragungen von Menschen mit Nahtoderfahrungen durch. 18 Prozent der überlebenden Herzinfarkt-Patienten hatten Nahtoderfahrungen, die er mithilfe eines sehr komplexen theoretischen Konzepts in seinem Buch „Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung“ zu erklären versucht.
Van Lommel kritisiert die gegenwärtige Dominanz des
naturwissenschaftlich-materialistischen Weltbildes mit dem Gehirn als Basis
der menschlichen Identität, das nicht alle menschlichen Phänomene erklären
könne, und propagiert die Idee eines nicht-lokalen, vom Körper völlig
unabhängigen und endlosen Bewusstseins. Das Bewusstsein sei
allgegenwärtig, habe keine materielle Grundlage im Gehirn, habe bereits vor
der Geburt des Menschen existiert und bestehe auch nach seinem Tod fort. Das
Gehirn sei die Basis für unser Wachbewusstsein, das nur den Zugang zu jenem
Teil ermöglicht, der üblicherweise als Ich bezeichnet wird; es sei nur eine
Schnittstelle und funktioniere wie eine Art Empfangsstation des
Bewusstseins. Es gebe jedoch auch eine Wahrnehmung jenseits der Sinne, auf
denen alle Nahtoderlebnisse beruhen würden. Van Lommel versucht, sein von
den meisten naturwissenschaftlichen Experten abgelehntes Konzept mithilfe
der modernen Physik, namentlich mithilfe von Analogien und Begriffen aus der
Quantenphysik, zu untermauern; er fordert mehr Forschungsgelder, um die von
ihm beschriebenen Phänomene und Erklärungen besser untermauern zu können.
Philosophisch betrachtet, kann man die Konzepte van Lommels als Versuch
betrachten, den Körper-Seele-Dualismus von Platon und Plotin
wiederzubeleben und naturwissenschaftlich zu fundieren, was auf Menschen,
die an ein Weiterleben nach dem Tod glauben bzw. glauben möchten,
faszinierend wirkt. Das Konzept eines Bewusstseins ohne Anfang, das heißt
der Präexistenz der Seele bereits vor der Zeugung des Menschen, widerspricht
allerdings der Grundannahme des Christentums.
Sind alle Nahtoderfahrungen naturwissenschaftlich erklärbar?
Nahtoderlebnisse stellen aus der Sicht der meisten Naturwissenschaftler keinen Beweis für ein Weiterleben nach dem Tod dar, weil es sich dabei um Sterbeerlebnisse einige Minuten vor dem irreversiblen Hirntod handelt, der durch medizinische Interventionen aufgrund günstiger Umstände verhindert werden konnte. Trotz fehlender Großhirnaktivität im EEG lassen sich alle Nahtoderfahrungen rein medizinisch-naturwissenschaftlich erklären. Nach der gängigen Lehrmeinung gibt es nach der klinischen Todesfeststellung kurzfristig noch vorhandene Aktivitäten in den tieferen Schichten des Gehirns, da die verschiedenen Gehirnareale unterschiedlich schnell absterben, bedingt durch die unterschiedlich lange Versorgung mit Sauerstoff nach dem Herzstillstand.
Die naturwissenschaftlich-materialistischen Erklärungsweisen für
Nahtoderfahrungen werden im Folgenden näher ausgeführt. In den
phylogenetisch älteren Schichten des Gehirns erfolgt eine Freisetzung von
Noradrenalin, was mit sensorischer Erregung, Gedächtnisleistungen und
REM-Schlaf-Merkmalen in Verbindung steht und die Erfahrungen des
Lebensrückblicks und der Begegnung mit vertrauten Personen erklärt. Weiters
erfolgt dort auch eine Freisetzung von Opioiden, was zur Unterdrückung von
Schmerzen und zur Auslösung von Glücksgefühlen führt. Bei jedem körperlichen
und psychischen Stress erfolgt eine starke Aktivierung des limbischen
Systems, einer phylogenetisch sehr alten Hirnregion unterhalb der
Großhirnrinde. Die Ausschüttung von Endorphinen bewirkt intensive Gefühle
von Glück, innerer Wärme, Geborgenheit und Schmerzfreiheit, weshalb mit dem
Ende dieser wohligen Gefühle durch die Rückkehr ins Leben durchaus glaubhaft
ein sehr unangenehmer Zustand auftreten kann, der bei manchen Betroffenen
zum inneren Widerstand gegen die Wiederbelebung führt.
Neuere Studien belegen, dass das menschliche Gehirn ähnlich abstirbt wie das
Gehirn von Ratten.
Nach dem Herzstillstand gehen die neuronalen Aktivitäten des Gehirns erst
langsam zurück, steigen kurzfristig sogar stark an, bevor sie langsam wieder
nachlassen und schließlich endgültig aufhören. Dies hängt mit dem großen
Stress durch Sauerstoffmangel zusammen, dem das Gehirn während des
Sterbevorgangs ausgesetzt ist, bedingt durch den Umstand, dass das Gehirn
als Folge des Herzstillstands nicht mehr mit Blut versorgt wird. Die starken
Aktivitäten von subkortikalen Gehirnregionen stellen eine ausreichende
Erklärung für die intensiven Empfindungen und die Gleichsetzung der
Erinnerungen mit realen Erlebnissen dar.
Sauerstoffmangel im Gehirn führt zu Halluzinationen, bedingt durch den Ausfall des Temporal- oder Parietallappens. Die Lichterscheinungen können mit einer verringerten Sauerstoffzufuhr in den Augapfel zusammenhängen. Die meisten Nahtod-Erlebnisinhalte treten auch bei völlig anders bedingten Bewusstseinsveränderungen auf, etwa beim hypoglykämischen Schock, bei einem Delir bzw. einer Demenz, unter Drogeneinfluss, im hypnotischen Zustand, bei autosuggestiver Meditation, während eines epileptischen Anfalls oder bei gezielter Stimulation des linksseitigen Schläfenlappens des Großhirns während einer Operation am offenen Gehirn.
Abstürzende Bergsteiger, die mit dem Tod gerechnet, jedoch durch eine
Seilsicherung überlebt haben, hatten ähnliche Erlebnisse wie klinisch Tote
mit Nahtoderfahrungen. Neben Sauerstoffmangel des Gehirns während des
Sterbeprozesses können demnach auch andere Extrembelastungen des Gehirns zu
Nahtod-ähnlichen Erfahrungen führen. Die Interpretation der gemachten
Nahtoderfahrungen wird zudem durch individuelle und kulturelle Faktoren
wesentlich mitbestimmt. Atheistisch und nichtchristlich eingestellte
Personen berichten keineswegs von Begegnungen mit einem persönlichen Gott,
mit Jesus oder Heiligen.
Menschen mit Nahtoderfahrungen haben ihre Erlebnisse auf der Basis von noch
funktionierenden Regionen des Gehirns gemacht und waren daher letztlich
nicht irreversibel tot, wenn man den Ganzhirntod, das heißt das
vollständige Absterben aller Hirnregionen, als Todeskriterium heranzieht.
Nahtoderfahrungen sind nach dem Buch des evangelischen Theologen und
Medizinprofessors Oliver Müller „Altern. Sterben. Tod. Die
Vergänglichkeit des Menschen aus der Sicht der Naturwissenschaften“
keine Todeserfahrungen, noch viel weniger „Berichte aus dem Jenseits“, wie
dies aufgrund mancher Buchtitel scheinen mag. Nahtoderfahrungen sind kein
Beweis für die Existenz einer vom Körper unabhängigen unsterblichen Seele,
stärken jedoch den Glauben vieler Menschen in ihrem Wunsch nach
Unsterblichkeit unabhängig von Gott und einer bestimmten Religion.
Nahtoderfahrungen werden auch von nicht religiösen Personen oft als Beweis
dafür angesehen, dass der Mensch oder ein Teil davon nach dem Tod in einer
jenseitigen Welt weiterlebt. Die weltweit millionenfach berichteten
Nahtoderfahrungen wirken auf die Mehrheit der Betroffenen sowie auf Personen
mit der Furcht vor dem Sterben sehr beruhigend. Viele Personen mit
Nahtoderfahrung haben aufgrund ihrer positiven Erlebnisse weniger Furcht vor
dem Sterben und weniger Angst vor dem Tod als ihre Mitmenschen, es gibt aber
auch Berichte von gegenteiligen Erfahrungen mit schrecklichen Qualen und
Höllen-Erlebnissen.
Lehren der Philosophen
Sterbliche und unsterbliche Seele im antiken Griechenland
Die Angst vor dem Tod wurde im Laufe der Jahrhunderte selten in
philosophischen Hauptwerken thematisiert, wohl aber oft in kurzen
Stellungnahmen vieler Philosophen. Zum bestmöglichen Umgang mit der Angst
vor dem Tod wurden bereits seit den Philosophen der griechischen Antike zwei
konträre Sichtweisen vorgeschlagen. Beide Strömungen möchten die Menschen
belehren, dass sie den Tod nicht fürchten müssen, jedoch aus völlig
unterschiedlichen Gründen.
Nach dem Philosophen Platon müssen wir den Tod nicht fürchten, weil
der wichtigste Teil und Wesenskern in uns, nämlich die Seele, nach dem Tod
im Reich der Ideen unsterblich weiterexistiert. Nach dem Philosophen
Epikur brauchen wir vor dem Tod keine Angst zu haben, weil der
wichtigste Teil in uns, die Seele, nach dem Tod nicht mehr existiert und wir
unseren Tod gar nicht bewusst miterleben.
Die Sichtweise von Platon hat in der Philosophie der Gegenwart sowie der
letzten zwei Jahrhunderte jede Bedeutung verloren und lebt nur noch in der
Vorstellungen der verschiedenen Religionen sowie in der Esoterik weiter,
während die Ansichten von Epikur moderner denn je sind. Der Begriff der
Seele wird heutzutage in der Philosophie und Psychologie als Bezeichnung
für körper- und gehirngebundene „mentale Ereignisse“ betrachtet. Das Konzept
der unsterblichen bzw. sterblichen Seele soll im Folgenden näher dargestellt
werden.
Der Philosoph Platon (427–347 vor Christus) lässt in seiner Schrift
Phaidon seinen zum Tode verurteilten Lehrer Sokrates im Kreis seiner
Schüler die Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele vortragen
und mithilfe verschiedener Argumente auch begründen. Sokrates fürchtet sich
nach Platons Darstellung unmittelbar vor seinem Tod überhaupt nicht vor dem
Ende seiner Existenz, sondern geht ganz bewusst in den Tod und freut sich
auf die beglückende Trennung der Seele vom Körper, die in das Reich der
Ideen zurückkehrt, wo sie ewig weiterlebt, in Gemeinschaft mit den Seelen
gleichgesinnter Menschen.
Ideen
sind nach Platon eigenständige, objektive, vollkommene, unveränderliche und
unvergängliche Realitäten, die als Urbilder die eigentliche
Wirklichkeit darstellen; sie stehen hinter den vergänglichen Sinnesobjekten
als ihren Abbildern. Die sichtbare Welt der Einzeldinge macht demnach
nicht die ganze Wirklichkeit aus. Nach Platon findet das wahre Leben im
Jenseits statt. Die Seele könne sich erst dann ihrem Glück zuwenden, wenn
sie vom Körper durch den Tod getrennt sei. Sie könne nach dem Tod jedoch nur
dann endgültig in das ewige Reich der Ideen zurückkehren, wenn sie von allem
Schlechten gereinigt sei. Jene Seelen, die noch nicht ganz von den Tugenden,
sondern weiterhin von fleischlichen Begierden durchdrungen seien, müssten im
Sinne einer Seelenwanderung und Wiedergeburt in einem neuen Körper
als Mensch oder auch als Tier immer wieder bis zur endgültigen Läuterung in
die Welt zurückkehren.
Eine derartige Reinkarnationslehre wurde in der griechischen Antike
bereits vor Platon vom Philosophen Empedokles, der auch die Lehre von
den vier Urstoffen Luft, Feuer, Erde und Wasser entwickelt hatte, und der
Schule des Pythagoras vertreten. Das Christentum übernahm aus der
platonischen Philosophie zwar die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele,
lehnte jedoch den Reinkarnationsglauben entschieden ab, vor allem auch
gegenüber der als Häresie verdammten Gnosis (am besten übersetzt als
„wahre Erkenntnis“).
Platons Grundkonzept des Menschen beruht auf dem Dualismus von
Körper und Seele, von materieller und immaterieller Substanz, als zwei
getrennten Einheiten. Den Leib-Seele-Dualismus haben nicht nur die
sogenannten Neuplatoniker in der römischen Antike übernommen,
sondern, wie bereits erwähnt, seit dem 3. Jahrhundert nach Christus auch die
christliche Glaubenslehre.
Die Kirchenväter, das heißt die namhaften Theologen des frühen
Christentums, betrachteten das Konzept der unsterblichen Seele als
Möglichkeit, das Weiterleben nach dem Tod ohne Körper begründen zu können.
Während die Seele nach Platon bereits vor der Geburt des Menschen im Reich
der Ideen existiert hat, wird sie laut christlichem Glauben dem menschlichen
Körper bei seiner Zeugung von Gott hinzugefügt und lebt nach dem Tod weiter,
bis sie bei der Auferstehung mit einem neuen, verklärten Leib verbunden
wird.
Der berühmte Platon-Schüler Aristoteles (384–322 vor Christus)
vertrat im Gegensatz zu seinem Lehrer weder eine dualistische noch eine
materialistische Sichtweise. Die Vernunftseele habe es nicht bereits vor der
Geburt des Menschen gegeben; sie sei geistiger Natur und als solche nicht
identisch mit dem Körper, stelle aber auch keine unabhängige, selbständige
substanzielle Wesenheit dar. Die Seele sei kein eigenständiges Wesen, das
unabhängig vom Körper existieren könne, sondern dessen Form, die nicht vom
Körper trennbar sei. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung: Mit dem Tod
des Körpers stirbt auch die Seele für immer. Nach Aristoteles gibt es eine
göttliche Weltseele, an der die Individuen aus Leib und Seele temporär
teilhaben würden, aber als Menschen eben sterblich seien. Der Tod sei das
Ende der menschlichen Existenz, danach scheine es für die Toten nichts Gutes
und nichts Schlechtes mehr zu geben. Aristoteles verwarf – nach anfänglicher
Überzeugung davon – die Existenz einer unsterblichen Seele, denn nur die
Seele Gottes sei unsterblich.
Bestimmte altgriechische Philosophen waren im Gegensatz zu Platon und
Pythagoras aufgrund bestimmter Überlegungen davon überzeugt, dass der Tod
die endgültige Auslöschung des Menschen mit Leib und Seele bedeutet. Nach
den sogenannten Atomisten Demokrit, Leukipp und Epikur besteht die
Seele genauso wie der Körper aus Atomen und zerfällt daher mit diesem
beim Tod für immer.
Der Philosoph Epikur (342–271 vor Christus) wollte seinen
Zeitgenossen die Angst vor dem Tod und dem Danach sowie vor den Göttern
nehmen, indem er ihre Ängste als unnötig und unvernünftig darstellte. Er
kritisierte die religiösen Führer seiner Zeit, die die Angst der Menschen
vor dem Tod nur für ihr eigenes Machtstreben missbrauchen würden.
Als erstes Argument gegen die Sinnlosigkeit der Angst vor dem Tod
führte Epikur folgende Überlegung an: Der Tod sei kein Übel, das wir
fürchten müssten, denn ein Übel könne nur etwas sein, das wir bewusst als
etwas Negatives erleben könnten. Solange wir leben, sei der Tod jedoch noch
nicht da, sodass wir das Leben genießen sollten, und wenn wir gestorben
seien, sei zwar der Tod da, aber wir seien nicht mehr am Leben und würden
davon nichts mitbekommen. Die ständige Erwartung des Todes würde uns nur
sinnlos bedrücken.
Epikur leugnete nicht die Existenz der Götter, denn dies hätte in der
damaligen Zeit tödlich für ihn enden können. Er meinte nur, die Götter
würden sich überhaupt nicht um das Leben der Menschen kümmern, sodass sich
jeder Mensch selbst für innere Ruhe, Glück und Wohlbefinden sorgen müsse.
Wenn Tod vollständigen Wahrnehmungsentzug bedeutet, heißt Leben
mit allen Sinnen wahrnehmen und das Dasein den eigenen Vorstellungen
entsprechend genießen, jedoch ohne jene Ausschweifungen, wie sie Epikur vom
späteren Christentum fälschlicherweise unterstellt wurden. Der Sinn der
menschlichen Existenz auf Erden ist laut Epikur nicht die Vorbereitung auf
ein ewiges Leben, sondern die vollendete Seelenruhe (Ataxie) zu
Lebzeiten.
Epikur lehnte den Glauben an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele ab.
Die Seele sterbe, so Epikurs zweites Argument, mit dem Tod des
Körpers. Was aufgelöst sei, könne nichts mehr wahrnehmen, was nicht mehr
wahrgenommen werden könne, sei ein Nichts. Als Tote und endgültig
Ausgelöschte wissen wir nach Epikur nichts mehr von unserem Tod.
Als drittes Argument, gleichsam als „Trost“ für das endgültige Aus
des Lebens, bietet Epikur, insbesondere jedoch dessen späterer römischer
Schüler Lukrez, den Menschen die Überlegung an, dass sie auch schon
vor der Geburt nicht existent gewesen seien, und nach ihrem Tod einfach nur
dieselbe Situation bestehen würde.
Können derart banale, an den Verstand gerichtete Aussagen wie diese drei
Argumente von Epikur wirklich unsere Angst vor dem Tod vermindern, vor allem
dann, wenn wir den Eintritt des Todes bereits vor unserer durchschnittlichen
Lebenserwartung fürchten? Wenn der Mensch tatsächlich nur dieses eine Leben
hat, ist der Tod das schlimmste Ereignis, das man zu Lebzeiten durchaus
fürchten darf.
Der atheistische Psychotherapeut Irvin Yalom bringt die dreifache Argumentation von Epikur schon sehr früh in die
Therapie bei Menschen mit starken Ängsten vor dem Tod und dem Danach ein.
Bei sehr gläubigen Menschen mit psychischen Problemen würde er jedoch
niemals deren Glaubenssystem infrage stellen, wenn es für sie tatsächlich
eine echte Hilfe zur besseren Lebensbewältigung darstelle.
In neuerer Zeit wurden als Ergänzung zu Epikur weitere Argumente entwickelt,
die existenzielle Ängste reduzieren und dem Tod seine Bedrohlichkeit nehmen
sollen:
Ein endlos langes Leben sei gar nicht wünschenswert, weil das Dasein auf
dieser Welt dann bald jede Sinnhaftigkeit, Motivation und Spannung verlieren
würde.
Ein begrenztes Leben nach dem Motto „Man lebt nur einmal“ sensibilisiere für
die Einmaligkeit und Einzigartigkeit des Lebens und motiviere zu einer
bewussteren Lebensweise.
Der Tod sei evolutionsgeschichtlich notwendig, um neues Leben auf der Welt
zu ermöglichen.
Angesichts unheilbarer Krankheiten mit extremen körperlichen, seelischen und
sozialen Belastungen sowie auch angesichts anderer auswegloser
Lebenssituationen werde der Tod eher als Erlösung willkommen geheißen als
gefürchtet.
Es gibt nach Epikur keinen vorgegebenen Sinn des menschlichen Lebens, sodass
jeder Mensch die Freiheit für und die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben
habe – ein sehr modernes Argument im Sinne des bereits beschriebenen
Sinnsubjektivismus. Epikur und sein späterer römischer
Schüler Lukrez sind für die Gegenwart sehr bedeutsame Philosophen,
weil sie erstmals den Sinnsubjektivismus vertreten haben. Die Menschen
unterliegen nach ihrer Lehre keiner schicksalshaften Notwendigkeit und
müssen keinem vorgegebenen Lebenssinn folgen, da sie von Natur aus zu nichts
bestimmt seien. Sinn und Lebensziele ergeben sich erst aus der freien
Entscheidung des Menschen, der ohne vorgegebene Bindungen an bestimmte
Lebensinhalte und ohne göttliche Richtlinien leben könne. Naturgemäß wurden
die Lehren beider Philosophen vom Christentum, das ein göttliches Gericht
mit bestimmten Folgen nach dem Tod aufgrund des irdischen Lebens verkündete,
massiv abgelehnt.
Religionskritisch eingestellten sowie philosophisch interessierten Menschen
empfehle ich das Buch „Tot ohne Gott. Eine neue Kultur des Abschieds“ des
Philosophen Franz Josef Wetz.
Er betont, dass man sich an seine eigene Vergänglichkeit, an den Schmerz der
Sterblichkeit und an seine Rückkehr ins Nichts nicht so einfach gewöhnen
könne, wie sich dies die „gottlosen Naturalisten“ vorstellen, er vermeidet
jedoch die „Zuflucht bei religiösen Tröstungen“. Derartige negative
Befindlichkeiten müsse der Mensch besser aushalten lernen.
Christlich versus atheistisch geprägte Philosophie
Nach dem Philosophen Richard D. Precht
beschäftigten sich die griechischen Philosophen genau mit dem, was wir heute
als „Sinn des Lebens“ bezeichnen, nämlich mit der Grundfrage: „Worauf kommt
es im Leben wirklich an?“ Die Philosophen im Mittelalter, in der Renaissance
und im Barock widmeten sich nicht der Sinnfrage, weil sie durch die
christliche Glaubenslehre bereits beantwortet worden sei. In den
Jahrhunderten der Dominanz des Christentums blieb die Philosophie christlich
geprägt, wie auch heute noch in Form der christlichen Philosophie an
Theologischen Fakultäten; sie war bemüht, die Existenz Gottes philosophisch
mit Beweisen zu untermauern und dem christlichen Glauben nicht zu
widersprechen, in früherer Zeit allein schon wegen der angedrohten
staatlichen und kirchlichen Sanktionen. Zugrunde lag hier das bereits
beschriebene Konzept des Sinnobjektivismus, nach dem der Lebenssinn
durch die Religion vorgegeben und vom Menschen in seinem irdischen Leben
umzusetzen ist, um nach dem Tod in den Himmel zu kommen.
Der schottische Philosoph David Hume, ein zentraler Vertreter des
Empirismus und Skeptizismus gegenüber allen philosophischen Spekulationen
ohne überprüfbare Erfahrungen, widerlegte im 18. Jahrhundert als einer der
ersten Philosophen alle damals geläufigen Argumente für die Unsterblichkeit
der Seele. Hume wies u.a. darauf hin, dass aufgrund der engen
Verflochtenheit von Leib und Seele, von körperlichen und geistigen
Veränderungen, mit dem Tod der Körper und die Seele gleichzeitig sterben
würden, er wagte es jedoch aus Angst vor der Exkommunikation durch die
anglikanische Kirche nicht, seine Thesen bereits zu seinen Lebzeiten zu
veröffentlichen.
Der deutsche Philosoph Immanuel Kant war in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts einerseits einer der schärfsten Kritiker der Lehre von der
Unsterblichkeit der Seele, für die es keine ausreichenden theoretischen
Argumente gebe, andererseits gleichzeitig aber auch einer ihrer
bedeutsamsten Befürworter. Nach Kant müsse es trotz fehlender Beweisbarkeit
aus rationalen und ethischen Gründen eine unsterbliche Seele und ein
Jenseits geben, sonst würde der Ungerechtigkeit auf der Welt keine
ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits gegenüberstehen – ein ethisches
Argument, das letztlich auch hinter den Jenseitsverkündigungen und den
Ankündigungen eines Jüngsten Gerichts in den monotheistischen Religionen
steht. Im ewigen Leben sah Kant zudem auch die einzige Möglichkeit, wie der
Mensch zur Vollendung seiner Möglichkeiten gelangen könne.
Kant sah im Zeitalter der Aufklärung die Aufgabe der Philosophie in der Beantwortung der vier großen Fragen der Menschheit (wobei sich die vierte Frage aus den drei anderen Fragen ergibt):
Was kann ich wissen?
Es geht um die Erkenntnistheorie, also darum, was der Mensch aufgrund
seiner Erfahrung und seines Denkens erkennen kann, und zwar in Bezug auf
sich selbst, die Welt und die Beziehung zwischen sich selbst und der Welt.
Die Dinge sind nicht an sich gegeben, sodass sie vom Menschen aufgrund einer
natürlichen Wahrnehmung als solche erkannt werden könnten, sondern sie
werden erst vom erkennenden Subjekt produziert. Unsere Erkenntnis richtet
sich demnach nicht nach den Gegenständen, sondern die Gegenstände werden
nach der Form unserer Erkenntnis beurteilt. Die Frage des Erkennens ist
heute kein rein philosophisches Thema mehr, sondern vor allem ein Thema der
modernen Hirnforschung.
Was soll ich tun?
Es geht um Ethik und Moral, also darum, wie der Mensch als soziales
Wesen sittlich richtig handeln kann. Die Natur kennt keine Ethik, der Mensch
trägt die Verantwortung für sein Handeln auf der Basis einer allgemein
gültigen Gesetzgebung. Der sogenannte „kategorische Imperativ“ gilt dabei
als oberste und allgemeinste Handlungsanweisung für jeden Menschen: „Handle
so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Mit Kants zweiter Frage
beschäftigen sich heute vor allem auch die Hirnforschung, die Psychologie
und die Verhaltensforschung.
Was darf ich hoffen?
Es geht um Religion, Glauben und Lebenssinn, also darum, was der
Mensch über sein physisches Dasein hinaus im Sinne religiöser Inhalte
erwarten kann. Nach Kant ist die Existenz Gottes, eines Jenseits und einer
unsterblichen Seele zwar denkbar, aber nicht erkennbar und nur im Rahmen
eines Glaubens möglich. Gott und ein Jenseits als Ort einer ausgleichenden
Gerechtigkeit sind zwar nicht beweisbar, aber die praktische Vernunft nötigt
uns, daran zu glauben.
Was ist der Mensch?
Es geht darum, was der Mensch ist und was er sein soll.
Beantworten Sie in Anschluss an Kant folgende drei Fragengruppen:
Was sind die gesicherten Erkenntnisse meines Lebens? Worauf stütze ich die
Gewissheit meines täglichen Handelns? Welche Zweifel und Unsicherheiten
beschäftigen mich?
Was sind die Grundlagen meines ethischen Handelns? An welchem Maßstab
orientiere ich mein Handeln?
Was ist mein zentrales religiöses, spirituelles oder nichtreligiöses
Glaubenssystem, auf dem meine Lebensführung beruht?
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich in Frankreich im
Zuge der Aufklärung der Materialismus, wonach es außerhalb der
sinnlich erfahrbaren Natur nichts gibt, keinen Gott, keine unsterbliche
Seele und auch keine unumstößlichen Ideale.
Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts sowie im 19. Jahrhundert ging es in der
Philosophie erstmals wieder um die Frage eines individuellen Lebenssinns
gemäß dem Konzept des bereits beschriebenen Sinnsubjektivismus. Nach
Richard D. Precht
erlebte die Frage nach dem Lebenssinn in der Mitte des 19. Jahrhunderts
einen regelrechten Boom. Ein objektiv vorgegebener Lebenssinn, wie ihn das
Christentum vertrat, wurde bestritten, weil die Grundlagen dafür, nämlich
die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele, als Garantie dafür
geleugnet wurden. Zu den berühmtesten und vehementesten Kritikern des
Gottes- und Unsterblichkeitsglaubens im 19. Jahrhundert gehörten in
Deutschland die Philosophen Ludwig Feuerbach und Friedrich Nietzsche.
Ludwig Feuerbach verwarf im Rahmen seiner massiven Religionskritik den Unsterblichkeitsglauben als lebensfeindlich und drückte in einer in Deutschland bislang unüblichen Direktheit aus, was die französischen Aufklärer bereits im 18. Jahrhundert mehr oder weniger offen religions- und kirchenkritisch vertreten hatten. Der Glaube an Gott, an die Unsterblichkeit der Seele und an ein ewiges Leben seien wunschbedingte Projektionen des Menschen. Die Menschen schaffen sich Gott nach ihrem Bild, um auf diese Weise ihre Angst vor dem Tod zu überwinden und ihren Wunsch nach einem ewigen Leben zu verwirklichen. Nach Feuerbach ist die Vorstellung von Gott das in der Fantasie zur Vollkommenheit überhöhte Wesen des Menschen und die Vorstellung vom ewigen Leben das vollkommen und unendlich gedachte Diesseits. Das Jenseits sei nur ein Bild vom verschönerten Diesseits, das es auf dieser Welt zu verwirklichen gelte. Die Menschen müssten ihre Sehnsüchte als Wunschträume erkennen, sich von ihren Illusionen befreien, den Tod als das unwiderrufliche Ende ihrer Existenz akzeptieren und auf der Basis des angeborenen Glückseligkeitstriebes ihr Leben zum eigenen Wohl und auch zum Wohl der anderen führen.
Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx kritisierte den
Materialismus von Feuerbach als zu theoretisch. Die Philosophen hätten die
Welt nur unterschiedlich interpretiert, es komme darauf an, sie zu
verändern. Religion sei „das Opium des Volkes“, mithilfe dessen die
revolutionäre Änderung der Gesellschaft verhindert werde.
Friedrich Nietzsche
verkündete den „Tod Gottes“ und stellte dem Jenseitsglauben ein engagiertes
und kraftvolles Leben im Diesseits gegenüber, statt den Körper aufgrund des
Körper-Seele-Dualismus geringzuschätzen und dafür eine Belohnung im Leben
nach dem Tod zu erwarten, wie er dies dem Christentum unterstellte.
Die Existenzphilosophie, deren bedeutsamste Vertreter vor allem aus
Deutschland und Frankreich stammten, beschäftigte sich intensiv mit der
Frage nach dem Sinn des Lebens und damit auch mit der Thematik des Todes und
eines möglichen Weiterlebens nach dem Tod.
Der als Begründer der Existenzphilosophie angesehene dänische Philosoph und
protestantische Theologe Søren Kierkegaard betrachtete im 19.
Jahrhundert den christlichen Glauben als die Basis seiner Philosophie.
Angesichts des Todes solle sich der Mensch bewusst werden, dass Gott ihm die
Gelegenheit gebe, sich im Leben selbst zu verwirklichen. Nach Kierkegaard
hat der Mensch zwei Möglichkeiten: das tägliche Leben oberflächlich zu
führen und damit der ewigen Verdammnis anheimzufallen oder die Chance zur
ewigen Seligkeit zu ergreifen durch eine sehr streng und asketisch
definierte Nachfolge Christi. In seinen letzten Lebensjahren stand
Kierkegaard im Widerspruch zur evangelischen Amtskirche, der er vorwarf, sie
vertrete nicht mehr das wahre Christentum, sodass er vor seinem Tod sogar
die Kommunion verweigerte.
Für den deutschen Psychiater und Philosophen Karl Jaspers führt die
nötige Konfrontation mit dem Tod und der damit gegebenen unüberwindlichen
Begrenztheit des Lebens zur Motivation, im Rahmen des zur Verfügung
stehenden Lebenszeitraums alle Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung zu
nutzen und dadurch zum wahren Selbst bzw. zur wahren Existenz zu gelangen.
Den Gedanken an ein Weiterleben nach dem Tod sah Jaspers als Selbsttäuschung
an, die das Erleben wahrer Existenz verhindere. Konfrontationen mit
Grenzsituationen können jedoch zu psychischen Krankheiten führen.
Der deutsche Philosoph Martin Heidegger sah im menschlichen Dasein
ein „Sein zum Tode“, sodass Angst die Grundbefindlichkeit des Menschen sei.
Man könne die Angst vor dem Tod bewältigen lernen, indem man diese
akzeptiere und zum Anlass nehme, sein eigentliches Leben zu leben, das mit
dem Tod für immer zuende sei.
Nach dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre hat das Leben an
sich keinen Sinn, zumal es keinen Gott gebe; auch der Tod gebe dem
menschlichen Dasein keinen Sinn. Ständige Angst vor dem Tod stelle jedoch
den Tod und nicht die eigene Lebensgestaltung in den Mittelpunkt des Lebens.
Jeder Mensch sei für sein Tun verantwortlich – auch dafür, dem Leben in
freier Entscheidung jenen Lebenssinn zu geben, der aus der objektiven
Sinnlosigkeit des Lebens eine subjektive Sinnhaftigkeit mache.
Der französische Philosoph und Schriftsteller Albert Camus hielt das
Leben ebenfalls für sinnlos und sah im Tod jenes Faktum, das die
Sinnlosigkeit beendet. Die Akzeptanz der Endlichkeit des Daseins ohne ein
Leben nach dem Tod biete jedoch die Chance zur Selbstverwirklichung und
damit zu einem sinnerfüllten Leben, wenn der Mensch alle Chancen in einem
gottlosen Universum ausnutze.
Verschiedene Philosophen des 20. Jahrhunderts lehnten klare Antworten auf
die Frage nach dem Lebenssinn ab oder fühlten sich dafür gar nicht
zuständig. Viele Philosophen der Gegenwart haben eine agnostische oder
atheistische Grundeinstellung. In der modernen Philosophie wurde jenseits
der christlichen Philosophie die Idee einer unsterblichen Seele aufgegeben.
Als Neuer Atheismus wird eine aus dem angelsächsischen Bereich kommende, mittlerweile auch in Deutschland weit verbreitete atheistische Bewegung des 21. Jahrhunderts bezeichnet, die ein humanistisches und naturalistisches Weltbild vertritt. Sie ist vor allem bekannt geworden durch die vier bedeutsamsten Vertreter Sam Harris, Richard Dawkins, Daniel Dennett und Christopher Hitchens und deren zahlreiche Bücher, die sich ganz gezielt an die breite Masse wenden und fast schon aggressiv gegen jede Form von Religion, vor allem auch gegen die christliche Religion, auftreten. Es handelt sich dabei oft um Naturwissenschaftler und nicht primär um Vertreter aus dem Bereich der Philosophie, die jede Religion als irrational bezeichnen und für eine rein von Vernunft und Verstand geprägte Welt plädieren. Interessierte verweise ich auf deren Werke, die in diesem Buch nicht näher dargestellt werden, vor allem auf das Buch des Evolutionsbiologen Richard Dawkins „Atheismus für Anfänger: Warum wir Gott für ein sinnerfülltes Leben nicht brauchen“.
Naturwissenschaftlich-materialistische Sichtweisen
Kernpunkte des naturwissenschaftlichen Weltbildes
Das naturwissenschaftlich-materialistische Weltbild lässt sich im
Kontext dieses Buches in drei Punkten zusammenfassen:
Das Weltall entstand vor rund 13,8 Milliarden Jahren, ohne Ziel und Plan,
ohne einen Schöpfergott,
die Erde vor rund 4,5 Milliarden Jahren
durch glückliche Umstände für uns Menschen. Das Weltall dehnt sich von einem
ursprünglich unendlich kleinen Punkt immer weiter aus – eine Entwicklung,
die als „Urknall“ allgemein bekannt geworden ist und seit langem sogar von
der römisch-katholischen Kirche, allerdings als göttlich bewirkte Schöpfung,
anerkannt ist. Als Folge der zunehmenden Ausdehnung wird das Weltall immer
leerer und kälter und schließlich einmal den Kältetod sterben. Das Weltall
besteht aus Milliarden von Galaxien mit noch viel mehr Milliarden an
einzelnen Sonnen. Unsere Sonne wird nach rund 5 Milliarden Jahren erlöschen,
davor wird das Schicksal unserer Erde in Form von Verbrennen durch die Sonne
besiegelt, falls sie nicht schon längst vorher von einem Asteroiden
getroffen wird, wie bereits vor 65 Millionen Jahren in Mexiko vor der
Halbinsel Yucatán. Als Folge der dadurch eingetretenen Verfinsterung und
Sauerstoffnot auf der Erde starben damals die Dinosaurier aus, die die ganze
Erde bevölkert hatten, woraufhin die Evolution einen völlig neuen Verlauf
genommen hat: von überlebenden kleinen Säugetieren, nämlich bestimmten
Mäusen, zu immer höher entwickelten Lebewesen bis hin zu uns Menschen.
Der Mensch ist ein reines Zufallsprodukt der Evolution.
Die Entwicklungsgeschichte des Menschen als höchstentwickeltem Tier beruht
auf zufälligen Mutationen des Erbguts, deren Vererbung und der natürlichen
Auslese der überlebensfähigsten Organismen im Rahmen der konkreten
Lebensbedingungen, das heißt die anpassungsfähigsten Lebewesen setzen sich
durch. Eine unsterbliche Seele ist zur Entwicklung des Menschen aus den
davor lebenden Primaten nicht notwendig, sondern nur eine entsprechende
Entwicklung der Großhirnrinde.
Ein Weiterleben nach dem Tod widerspricht den Naturgesetzen.
Mit dem Tod des Körpers ist der ganze Mensch für immer tot. Das Wesen des
Menschen beruht auf den Funktionen seines Gehirns, nicht auf einer
körperlosen unsterblichen Seele. Alle Bewusstseinsleistungen des Menschen
sind untrennbar an neuronale Funktionen im Gehirn, das heißt an Materie,
gebunden. Die Existenz einer immateriellen, körperunabhängigen Seele lässt
sich naturwissenschaftlich zwar nicht widerlegen, ist aber ohnehin eine
unnötige religiöse Annahme zum Verständnis des Menschen, auf die in den
Humanwissenschaften, wie etwa in der Medizin und in der Psychologie, seit
langem verzichtet wird.
Interessierten werden die allgemeinverständlich geschriebenen Bücher des
berühmten englischen Physikers und Astrophysikers Stephen Hawking
empfohlen, der dezidiert darauf hinweist, dass die Naturwissenschaften Gott
zur Erklärung der Welt nicht benötigen.
Laut wiederholten Umfragen vertritt die überwiegende Mehrzahl der führenden
männlichen und weiblichen Naturwissenschaftler, speziell auch der
Nobelpreisträger, eine atheistische bzw. agnostische Weltanschauung. Die
christlichen Kirchen bzw. verschiedene Autoren und Autorinnen zitieren gerne
einzelne herausragende Wissenschaftler aus allen möglichen Fachrichtungen
als Beweis dafür, dass Wissenschaft und Religion widerspruchsfrei vereinbar
seien. Was ist Ihre Meinung dazu? Werden Ihre religiösen bzw. spirituellen
Überzeugungen von den gängigen wissenschaftlichen Lehrmeinungen beeinflusst?
Untrennbare Verbindung von Körper und Seele
Die Individualität und Einmaligkeit des Menschen wird bestimmt durch seine
immateriellen Fähigkeiten, Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und
Persönlichkeitseigenschaften, die üblicherweise als „Seele“ bezeichnet
werden. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist eine derart definierte Seele
an ein funktionierendes Gehirn gebunden; sie kann nach dem Tod nicht ohne
ein organisches Substrat im Sinne einer körperunabhängigen Seelendefinition
laut bestimmter Philosophen und Religionen existieren.
Dieses Faktum zeigt sich deutlich bei vielen Menschen mit schweren
hirnorganischen Beeinträchtigungen und damit verbundenen Aufmerksamkeits-,
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie einschneidenden und
anhaltenden Persönlichkeitsveränderungen, vor allem auch bei zunehmender
Ausprägung einer Alzheimer-Krankheit.
Seelische Zustände sind aus naturwissenschaftlich-materialistischer Sicht
vollständig an die Funktionsfähigkeit eines lebenden Gehirns gebunden. Der
menschliche Geist kann nur in Verbindung mit Materie funktionieren. Jede
Veränderung und Schädigung des Gehirns führt unweigerlich auch zu einer
Veränderung der seelischen Befindlichkeit. Die untrennbare Verbindung der
Seele mit dem Gehirn zeigt sich am deutlichsten im Zustand nach dem
Ganzhirntod, definiert als Erlöschen aller Regionen des Gehirns und nicht
nur der Gehirnrinde. Wenn die Seele an Materie, eben an das konkret
vorhandene Gehirn, gebunden ist, ist sie wie jede Materie aufgrund
physikalischer Prinzipien vergänglich.
Der Glaube an eine unsterbliche Seele setzt deren Existenz als
unabhängig vom Gehirn, das heißt vom Körper, voraus, was aus
naturwissenschaftlicher Sicht völlig unmöglich ist. Die Behauptung einer
gehirn- und körperunabhängigen Seele widerspricht allen Erkenntnissen der
Naturwissenschaften. Der Glaube, dass die Seele den Körper beim Tod verlässt
und in einer anderen Welt weiterlebt, lässt sich naturwissenschaftlich nicht
widerlegen, weil etwas Unsichtbares mit den Methoden der Naturwissenschaften
überhaupt nicht untersucht werden kann. Eine masselose und energiefreie
Seele wäre aus naturwissenschaftlicher Sicht gar nicht existent. Das Konzept
der Körperlosigkeit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele ist daher aus
naturwissenschaftlicher Sicht völlig unplausibel.
Naturwissenschaftlich-materialistisch orientierte Kritiker sowie atheistische Philosophen stellen folgende Fragen zur Thematik des Lebens nach dem Tod:
Wie kann die Seele als Ausdruck der Identität und des Selbstbewusstseins der Person nach dem Tod unabhängig vom Körper existieren, wenn sie es nicht einmal während des Lebens konnte, wie zahlreiche Erkrankungen des Gehirns belegen?
Wie kann eine immaterielle Substanz wie die Seele an einem bestimmten Ort im Raum, das heißt im Körper, sein und mit diesem in Interaktion treten?
Warum soll Gott bei jeder Zeugung menschlichen Lebens durch die Hinzufügung der immateriellen und unsterblichen Seele unmittelbar in die Natur eingreifen, wenn er auch sonst nicht in die Entwicklung des Weltalls und in die Weiterentwicklung des menschlichen und nichtmenschlichen Lebens eingreift?
Wie und zu welchem Zeitpunkt ist die unsterbliche Seele in den Körper
gelangt? Bereits bei der Empfängnis oder erst zu einem späteren Zeitpunkt
während der Schwangerschaft? In diesem Punkt waren nicht einmal die
katholischen Gelehrten durchgehend derselben Meinung. Verschiedene Päpste
gaben im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Zeitpunkte bezüglich der
Vereinigung von Körper und Seele an.
Wie können die Verstorbenen mit den Hinterbliebenen in Kontakt treten, das
heißt aus dem Jenseits ihre Angehörigen sehen und hören, und wie können die
Lebenden mit den körperlosen Seelen der Toten kommunizieren, um gehört und
gesehen zu werden?
Warum soll nur die menschliche Seele unsterblich sein und nicht etwa auch die Seele von höher entwickelten Tieren, die zumindest einfache Denkleistungen vollbringen können und zu bestimmten Gefühlen fähig sind? Hatten die Neandertaler als Vorfahren bzw. Konkurrenten des homo sapiens auch eine unsterbliche Seele?
Warum sollen gerade die seelischen Funktionen des Gehirns, wie etwa das
Bewusstsein um die eigene Identität, nach dem Tod des Menschen, aufrecht
bleiben, während alle anderen Möglichkeiten des Gehirns zur Steuerung der
verschiedenen Körperfunktionen mit dem biologischen Ende des Organismus
erlöschen?
In welchem unsichtbaren Raum befinden sich die unsichtbaren Seelen nach dem
Tod des Körpers und später dann die Menschen nach ihrer leiblichen
Auferweckung? Früher wurde ohne Kenntnis des Weltalls und der Position der
Erde im Weltall aufgrund der biblischen Aussagen angenommen, dass der Himmel
oben und die Hölle unten sei.
Wenn der Mensch mit einem verklärten Körper von Gott zum ewigen Leben auferweckt werden soll, stellen sich folgende Fragen: in welchem Alters- und Gesundheitszustand, im Zustand unmittelbar vor dem Tod oder im Zustand des bestmöglichen körperlichen Befindens? In welchem körperlichen Zustand befinden sich Menschen im Himmel bzw. Jenseits, die als abgetriebene Föten, Fehlgeburt oder während der Geburt das Leben verloren haben oder als mehrfach Behinderte von klein auf leben mussten? Zugegebenermaßen sind das wenig pietätvolle Fragen, aber laut Kritikern berechtigte Überlegungen, wenn es eine Auferweckung des Körpers am Jüngsten Tag gibt, aber auch der Seele, die sich noch gar nicht richtig zu dem entwickeln konnte, was das Wesen der menschlichen Person ausmacht.
Wie kann der Mensch nach dem Tod in Form einer immateriellen und unsterblichen Seele identisch sein mit seinem Wesen als Körper und Seele im irdischen Leben, etwa als Mann oder Frau, als jüngerer oder älterer Mensch? Wenn die Seele die Identität des irdischen und postmortalen Menschen garantiert, hängt die Persönlichkeit des Menschen doch auch ganz wesentlich von seinem Körper ab: Wie kann man mit einem weiblichen oder männlichen Körper existieren, ohne dass man diesen sinnlich und geschlechtstypisch wahrnehmen und erleben kann?
Was bedeutet „Auferweckung des Körpers“, wenn man diesen gar nicht
wahrnehmen kann, wie dies bei einer leiblich bereits aufweckten Person wie
Maria als der Mutter von Jesus der Fall sein soll? Wenn Menschen laut Jesus
(Mk 12,18–27) im Himmel wie Engel sind, welche Bedeutung hat dann der
Körper? Wie kann man Aussagen über den Zustand von Menschen jenseits von
Raum und Zeit machen, wenn keiner davon jemals etwas wahrgenommen hat?
Das Gehirn macht die Seele: das neurobiologische Erklärungsmodell
Die Neurowissenschaftler Gerhard Roth und Nicole Stüber
erklären in ihrem Buch „Wie die Seele das Gehirn macht“ die Suche nach dem
„Sitz der Seele“ aus neurobiologischer Sicht für beendet.
Nach ihrer Darstellung gibt es kein eng umgrenztes Gehirnareal, das als Ort
des Seelisch-Psychischen lokalisierbar ist. Alle Aspekte des Psychischen,
vor allem auch der Emotionen, beruhen auf dem Zusammenwirken vieler
Komponenten des sogenannten limbischen Systems in Form von sich
überlappenden Netzwerken und Funktionssystemen. Nach den Erkenntnissen der
Neurowissenschaften bringt das Gehirn die Seele in ihrer ganzen Komplexität
von Emotionen, Bewusstsein, Denken und menschlicher Identität hervor.
Der Dualismus, wonach das Geistige oder Mental-Psychische
neurowissenschaftlich nicht erklärbar sei, weil dafür eine eigene, nicht
naturgesetzliche Kausalität im Sinne einer immateriellen Seele erforderlich
sei, gilt aus naturwissenschaftlich-materialistischer Sicht als überholt.
Geist und Bewusstsein lassen sich widerspruchsfrei auf rein biologische
Prozesse zurückführen, wenngleich die genauen Details noch nicht ausreichend
bekannt seien. Mit dem Tod des Körpers sterben auch die eng damit
verbundenen menschlichen Phänomene von Geist und Psyche für immer.
Bereits im Jahr 2004 veröffentlichten elf prominente Neurowissenschaftler,
unter ihnen auch Gerhard Roth, ein Manifest, in dem festgestellt wurde, dass
sich Geist und Bewusstsein im Rahmen der Evolution der Nervensysteme
allmählich ausgebildet haben und damit ausschließlich auf biologischen
Prozessen beruhen. Nur auf der Basis komplizierter neuronaler Prozesse im
Gehirn ist nach diesen Experten all das möglich, was üblicherweise mit den
Worten Geist, Bewusstsein und Seele bezeichnet wird.
Verstärken oder vermindern naturwissenschaftlich-materialistische
Sichtweisen die Angst vor dem Tod?
Überprüfen Sie Ihr Denken und Erleben angesichts der Thesen des
naturwissenschaftlich-materialistischen Weltbildes, wie Sie dies bei den
christlichen Glaubensbekenntnissen getan haben, indem Sie folgende Sätze
laut aussprechen oder niederschreiben: „Es gibt keinen Gott, keine
körperlose, unsterbliche Seele und auch keine spätere Wiederauferweckung
meiner Person mit einem neuen Körper. Mein bisheriger Glaube an ein Leben
nach dem Tod ist aus naturwissenschaftlich-materialistischer Sicht ein
völliger Irrtum und ein reiner Wunschtraum. Durch meinen Tod ist meine
Person für immer und ewig ausgelöscht. Auch meine Angehörigen sind mit ihrem
Ableben für immer tot, es gibt keine Möglichkeit des Wiedersehens in einer
anderen Welt. Ich verzichte auf die falsche Hoffnung und Sehnsucht nach
einem Weiterleben im Jenseits und konzentriere mich voll und ganz auf das
eine und einzige Leben, das ich jetzt auf dieser Welt habe. Es gibt auch
keine Chance auf ein neues irdisches Leben durch eine Wiedergeburt in einer
anderen Existenzform.“
Zeigt sich angesichts dieser Aussagen bei Ihnen eine starke Betroffenheit in
Form von großem körperlichen und seelischen Unbehagen oder gar in Form
bestimmter Symptome, wie etwa Angst- und Panikzuständen oder gar depressiven
Reaktionen, wenn das alles stimmen sollte? Dann sollten Sie sich mit dem Tod
als dem Ende Ihrer personalen Existenz näher beschäftigen. Innere Klarheit
tut gut, um mit der Angst vor dem Tod und der aus
naturwissenschaftlich-materialistischer Sicht gegebenen endgültigen
Auflösung der menschlichen Person angemessen umgehen zu können.
Die naturwissenschaftlich-materialistische Sichtweise kann Ihre
existenziellen Ängste dann erheblich verstärken, wenn Sie auf ein Leben nach
dem Tod hoffen und durch die Macht der Gegenargumente in Ihren Erwartungen
enttäuscht werden; sie kann beruhigend auf Sie wirken, wenn Sie dadurch zur
klaren Erkenntnis gelangen, dass ein Leben nach dem Tod unmöglich ist, auch
wenn dies für Sie und Ihre Angehörigen wünschenswert wäre.
Der Frage, ob der Tod das Ende unseres Lebens oder der Anfang des
Weiterlebens unserer Person in einer anderen Existenzform ist, kommt keiner
von uns aus. Jeder von uns muss seine persönliche Antwort darauf finden. In
beiden Fällen handelt sich um einen Glauben, der auf einer persönlichen
Entscheidung beruht.
Persönliche Entscheidung gefragt
Reflexion der lebensgeschichtlichen Bedingungen
Neben den Naturwissenschaften haben in der Vergangenheit die jeweiligen
gesellschaftlichen Umstände das Denken und den Glauben der Menschen in aller
Welt geprägt. Die politischen, soziokulturellen und psychosozialen
Lebensbedingungen bestimmen oft auch noch in der Gegenwart völlig
unabhängig von den Wissenschaften die Wahrscheinlichkeit unserer
Weltanschauung. Das beste Beispiel dafür sind die USA. Dort, wo die
überwiegende Mehrzahl der herausragenden Naturwissenschaftler eine
atheistische bzw. agnostische Weltanschauung vertritt, ist die Bevölkerung
insgesamt viel religiöser eingestellt als in Europa. Dies hängt mit der
Vielzahl der christlichen Konfessionen und deren gesellschaftlichem Einfluss
zusammen, wie dieser bei uns nicht mehr derart groß ist.
Weltgeschichtlich
betrachtet, haben im Laufe der Jahrhunderte überall auf der Erde die
jeweiligen politischen Umstände die Entwicklung und Ausbreitung bestimmter
Religionen, wie etwa des Christentum oder des Islams, gefördert und das Ende
anderer Religionen eingeleitet. Jeder von uns hat seine religiösen,
spirituellen oder agnostisch-atheistischen Lebenseinstellungen in einem ganz
bestimmten historischen und geographischen Kontext erworben.
Lebensgeschichtlich
betrachtet, werden alle Menschen von Geburt an durch bestimmte familiäre
Vorbilder geprägt, die im weiteren Leben durch gesellschaftlich-kulturelle
Faktoren verstärkt oder verändert werden. Wir müssen uns im Laufe des Lebens
entscheiden, ob wir der Weltanschauung bzw. dem Glauben unserer Kindheit und
Jugendzeit treu bleiben oder ob wir aufgrund unserer Lebenserfahrungen und
später neu erworbenen Denkmuster völlig andere Vorstellungen vom Leben,
Sterben und Totsein entwickeln.
Je nach Lebenssituation können wir aufgrund unserer Weltanschauung zur
Mehrheit oder Minderheit der Bevölkerung gehören. Wenn wir eine
Minderheitenposition vertreten, haben wir einen größeren Druck zur Reflexion
unserer weltanschaulichen Orientierung als andere Personen.
Die Notwendigkeit eines persönlichen Glaubensbekenntnisses
Verfassen Sie ein persönliches Glaubensbekenntnis: Schreiben Sie
einen kurzen Text mit der Überschrift: „Woran ich glaube“. Wenn Ihnen dies
schwer fällt, erstellen Sie zuerst einen Text mit dem Titel: „Woran ich
nicht bzw. nicht mehr glaube“. Manchmal fällt es uns leichter, uns gegenüber
bestimmten religiösen, spirituellen und weltanschaulichen Sichtweisen
abzugrenzen, bevor wir unsere eigenen Einstellungen und Überzeugungen
formulieren können.
Viele
Menschen wünschen sich ein Weiterleben nach dem Tod, vor allem auch in
Gemeinschaft mit den engsten Angehörigen, sind aber trotzdem davon
überzeugt, dass dies nur ein reines Wunschdenken ist. Machen Sie sich klar,
was Sie sich angesichts Ihrer Angst vor dem Tod und einem ungewissen Danach
aus tiefstem Herzen und innerer Sehnsucht wünschen, und was Sie derzeit
tatsächlich glauben und in Ihrem Verhalten ausdrücken.
Weder das Weiterleben noch das Nicht-Weiterleben nach dem Tod ist
naturwissenschaftlich beweisbar oder widerlegbar. Sie sollten aber dennoch
eine Glaubensentscheidung treffen, die Sie später durchaus revidieren
können. Machen Sie sich bewusst, zu welcher Sichtweise Sie derzeit eher
neigen, um im Laufe der Zeit Ihre Einstellungen zu festigen und dadurch mit
Ihren existenziellen Ängsten besser zurechtzukommen: zu einer religiösen,
spirituellen, agnostischen oder atheistischen Grundeinstellung.
Treffen Sie eine ehrliche Entscheidung, die von Ihrer momentanen Sichtweise
und nicht von Ihrer Angst getragen ist. Es gibt genug historische Vorbilder,
die im Zweifel aus taktischen Gründen im Fall der Existenz Gottes und eines
Weiterlebens nach dem Tod auf die „sichere Karte“ gesetzt haben und Mitglied
ihrer Religionsgemeinschaft geblieben sind, damit sie nach dem Tod nicht für
die im Diesseits erfolgte Leugnung eines Jenseits bestraft werden.
Ihre Angst vor dem Tod und dem ungewissen Danach wird nur dann geringer,
wenn Sie eine klare Entscheidung treffen: Sein oder Nicht-Sein nach dem Tod?
Himmel oder Hölle oder gar nichts? Jetzt oder später kommen Sie um die
Antwort auf diese Frage nicht herum: ein oder kein Leben nach dem Tod? Als
Mitglied einer christlichen Konfession sollten Sie sich auch der Frage
stellen: Glaube ich an die Auferstehung Jesu nach seinem Tod am Kreuz und in
der Folge davon auch an meine eigene leibliche Auferstehung als göttliches
Erlösungswerk oder glaube ich ohne die Dogmen der Kirche an Gott und eine
unsterbliche Seele wie viele Menschen in der Vergangenheit und Gegenwart?
Leben in Übereinstimmung mit den Grundüberzeugungen
Die drei großen monotheistischen Weltreligionen (Christentum,
Judentum und Islam) verkünden ein Gericht Gottes über die
Verstorbenen, als Belohnung oder Bestrafung für das irdische Leben, und zwar
im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit, entweder unmittelbar nach dem
Tod, am Ende der Zeit bzw. der Welt oder gar zweimal, nämlich zu beiden
Zeitpunkten. Darauf beruht die existenzielle Angst vieler gläubiger
Menschen: auf der Angst vor einem Leben nach dem Tod, in dem dann die
göttliche „Abrechnung“ folgt. In früheren Jahrhunderten wurde die Furcht vor
dem göttlichen Gericht von den christlichen Kirchen und anderen Religionen
massiv gefördert und für eigene Zwecke missbraucht.
Religiöse Menschen
stehen angesichts von existenziellen Ängsten vor der Frage: Lebe ich
mein Leben bestmöglich nach den Vorschriften meines Glaubens, sodass ich
mich vor dem Gericht Gottes nicht fürchten muss und auf die ewige Seligkeit
im Himmel bzw. Paradies hoffen darf? Die Angst vor dem Tod und dem Danach
ist für Gläubige dann heilsam, wenn sie dadurch daran erinnert werden,
gegenwärtig und zukünftig voll und ganz dafür aufzugehen, was laut ihrer
Religion die zentralen Inhalte ihres Lebens sind bzw. sein sollten.
Spirituelle Menschen
mit einem Glauben an etwas Übernatürliches und an ein Weiterleben nach dem
Tod, jedoch ohne Bindung an eine bestimmte Religionsgemeinschaft, stehen vor
einer ähnlichen Frage: Führe ich mein Leben im Wesentlichen nach
meinen Grundwerten? Anderenfalls mahnt auch in diesem Fall die Angst vor dem
Tod und dem Leben danach zur Entschlossenheit, alles zu unternehmen, um das
irdische Leben dementsprechend auszurichten.
Agnostisch bzw. atheistisch eingestellte Personen
mit einer großen Angst vor dem Tod sollten folgende Frage
beantworten: Stehe ich trotz Angst bzw. Traurigkeit zu meiner
Grundüberzeugung, dass es kein Leben nach dem Tod gibt, ohne panisch zu
werden beim Gedanken, ob es vielleicht doch „etwas Höheres“ gibt, ein
Jenseits oder eine unsterbliche Seele mit oder ohne den Gott der Religionen?
Im Bedarfsfall sollten die Angst vor dem Tod und dem vielleicht doch
möglichen Danach den Anlass darstellen, die bisherigen Einstellungen zu
einer Welt ohne Gott und zum Tod ohne Jenseitserwartungen zu überprüfen und
zu ändern.
Existenzielle Ängste sind völlig normal und menschlich; sie fordern uns zu
einem Realitätscheck auf, ob wir unser Leben auf der Basis unserer
Grundeinstellungen und zentralen Werte führen, oder ob wir „entfremdet“
leben, fern von unseren eigentlichen Lebensidealen und -zielen. Wenn wir
diese Überprüfung unserer Gesinnung und unseres Lebensstils nicht leisten
wollen, zu der wir durch unsere existenziellen Ängste permanent
herausgefordert werden, besteht zumindest für manche von uns unter
bestimmten Umständen eine erhöhte Gefahr, an einer psychischen Erkrankung
wie einer Angststörung, einer Hypochondrie, einer Zwangsstörung, einer
Depression oder einer anderen psychischen oder psychosomatischen Störung zu
erkranken.
Die Angst vor einer falschen Entscheidung kann zu einer scheinbaren
Neutralität oder Gleichgültigkeit den Letzten Dingen des Lebens gegenüber
führen. Jede Vermeidung von Angst hält diese jedoch erst recht aufrecht. Was
ist dann die Lösung dieses Problems? Es gilt dasselbe Handlungsprinzip wie
bei allen Ängsten: Blicken Sie der Angst vor dem Tod und dem möglichen oder
unmöglichen Danach ins Gesicht und treffen Sie eine weltanschauliche
Entscheidung in die eine oder andere Richtung, die Ihnen momentan am
glaubhaftesten erscheint, und seien Sie bereit zur späteren Revision im Fall
anderer Sichtweisen,
wie dies auch viele andere Menschen tun.