Dr. Hans Morschitzky

Klinischer und Gesundheitspsychologe

Psychotherapeut

Verhaltenstherapie und Systemische Familientherapie

A-4040 Linz, Hauptstraße 77     

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Angststörungen als Übergangs-Probleme im Rahmen des Lebenszyklus

 

 

Leben bedeutet Veränderung, Fortschreiten von einer Lebensphase zur anderen. An diesen ganz normalen Aufgaben, die das Leben uns stellt, reifen wir als Menschen. Übergänge im Rahmen des Lebenszyklus stellen oft auch sehr kritische Ereignisse dar, die – wenn sie nicht ausreichend bewältigbar sind – zu psychischen Störungen führen können.

 

Angststörungen spiegeln oft die Furcht vor Veränderungen wider, die durchaus als notwendig erkannt werden. Das Alte befriedigt nicht mehr, das Neue macht jedoch Angst. Die Angst kann nicht als Kraft genutzt werden, sondern führt dazu, dass das Beschreiten neuer Wege vermieden wird. Eine unglücklich machende Partnerschaft, ein belastendes Zusammenleben mit den Eltern, ein frustrierender Arbeitsplatz oder eine unpassende Berufstätigkeit können häufig nicht aufgegeben werden aus Angst vor der Ungewissheit der Zukunft. Es fehlt das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten.

 

Zwangsstörungen drücken nicht selten die Schwierigkeit aus, das Vergangene vergangen sein zu lassen. Das Geschehene muss immer wieder neu auf mögliche Fehler überprüft werden, sodass die Möglichkeit zu neuen Entwicklungen eingeschränkt ist. Man beschäftigt sich lieber mit dem Vertrauten, obwohl dies schon bald unerträglich erscheint, anstatt etwas Neues zu wagen. Es fehlt der Mut zum Risiko. Und wenn doch neue Möglichkeiten erwogen werden, können Menschen mit einer Zwangsstörung nicht so einfach resignieren wie Menschen mit einer typischen Angststörung. Sie suchen nach einem Weg, wie sie eine Aufgabe perfekt bewältigen können, denn Perfektion wäre eine Garantie, ein befürchtetes Versagen zu vermeiden. Ein zwanghafter Perfektionismus ist oft auch ein Bewältigungsversuch von sonst nicht erträglichen Ängsten: Wenn alles perfekt ist, braucht man sich nicht mehr zu  fürchten - was sich bald als zusätzliches Problem herausstellt, denn es ist nie alles perfekt vorbereitet.

 

Depressionen drücken oft die Schwierigkeit aus, von einer bereits vergangenen Lebensphase auch innerlich Abschied nehmen und sich auf neue Lebensmöglichkeiten einstellen zu können. Eine zu Ende gegangene Beziehung, der Tod eines geliebten Menschen, der Verlust materieller Sicherheit, der Auszug von Zuhause, der Umzug in eine neue Gegend, das Nachlassen der körperlichen und geistigen Vitalität sind oft nur schwer zu verkraften, was die weitere Lebensentwicklung blockieren kann. Es fehlt die Kraft zum Loslassen.

 

 

Vierfelderschema zur Erklärung von Ängsten, Zwängen und Depressionen

 

Man kann Ängste, Zwänge und Depressionen anhand eines Vierfelderschemas charakterisieren, das sich aus zwei Dimensionen ergibt:

 

Verantwortung:

Zeitdimension:

 

 

Tabelle: Vierfelderschema zur Erklärung von Ängsten, Zwängen, Depressionen und Substanzmissbrauch

 

 

Vergangenheit

Zukunft

viel Verantwortung („Selbst schuld“)

Depression

Zwänge

wenig Verantwortung („Andere/anderes schuld“)

Substanzmissbrauch

Ängste/Phobien

 

 

Ängste und Phobien, d.h. Angststörungen im allgemeinen, sind charakterisiert durch die Befürchtung einer Katastrophe in der Zukunft, d.h. die Betroffenen glauben, keinerlei Einfluss darauf zu haben, sodass Sie zur Vermeidung neigen. Es dominiert die Frage: „Was wäre, wenn dies oder jenes passiert? Ich könnte mir allein nicht helfen, also lasse ich mich lieber gar nicht darauf ein.“

 

Depressionen beruhen oft auf einer hohen wahrgenommenen Verantwortung für ein als sehr negativ bewertetes Ereignis in der Vergangenheit, d.h. die Betroffenen glauben, an einem Ereignis in der Vergangenheit mitschuldig geworden zu sein. Es geht ständig um die Frage: „Warum habe ich nur so gehandelt? Ich hätte anders handeln müssen, doch ich habe versagt.“

 

Zwänge gehen einher mit einer subjektiv empfundenen hohen Verantwortung für eine befürchtete Katastrophe, d.h. die Betroffenen tun alles, um sich nicht schuldig und depressiv fühlen zu müssen, weil sie einen Fehler begangen haben. Es dreht sich alles um die Frage: „Wie kann ich Misserfolg vermeiden bei einer Angelegenheit, für die ich mich verantwortlich fühle? Denn wenn ich etwas mache, was ich eigentlich machen will bzw. sollte, wird etwas Schreckliches passieren, weil ich der Sache nicht gewachsen sein werde. Ich bin aber dennoch dafür verantwortlich, wenn etwas passieren sollte, sodass ich es perfekt machen möchte, damit niemand durch mich zu Schaden kommt.“ Über den Weg der Zwänge wird das unerträgliche und depressiv machende Gefühl des Misserfolgs zu verhindern versucht. Zwangsstörungen stellen in diesem Sinn den Versuch dar, eine befürchtete Depression angesichts antizipierter Versagenserlebnisse zu vermeiden.  

 

Auf die Thematik des Substanzmissbrauchs im vierten Quadranten wird in diesem Artikel nicht eingegangen, weil sie hier nicht relevant ist. Das Muster von Alkoholikern ist allgemein bekannt (Motto: „Schuld an meiner Misere waren andere Menschen oder bestimmte Umstände in der Vergangenheit“): „Meine Mutter, meine Gatte, mein Chef usw. waren lieblos zu mir, ich hatte keine Chance bei ungünstigen Lebensumständen. Ich begann also zu trinken, um das leichter auszuhalten, was ich nicht ändern konnte.“

 

Psychische Störungen sind oft charakterisiert durch einen Wechsel der Symptomatik. Wer ängstlich war, wird häufig aufgrund mangelnder Erfolgserlebnisse auch noch depressiv. Wer nicht depressiv werden möchte, wird nicht selten zwanghaft-perfektionistisch.

 

Symptome stellen einen ineffektiven Problemlösungsversuch dar. Es kommt zu einer Perpetuierung des Status quo, ohne dass die anstehenden Probleme in Richtung optimaler Veränderungsschritte tatsächlich gelöst werden.