Dr. Hans Morschitzky
Klinischer und Gesundheitspsychologe
Psychotherapeut
Verhaltenstherapie und Systemische Familientherapie
A-4040 Linz, Hauptstraße 77
Tel.: 0043 732 778601 E-Mail: morschitzky@aon.at
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Leben
bedeutet Veränderung, Fortschreiten von einer Lebensphase zur anderen. An diesen
ganz normalen Aufgaben, die das Leben uns stellt, reifen wir als Menschen.
Übergänge im Rahmen des Lebenszyklus stellen oft auch sehr kritische Ereignisse
dar, die – wenn sie nicht ausreichend bewältigbar sind – zu psychischen
Störungen führen können.
Angststörungen spiegeln oft die
Furcht vor Veränderungen wider, die durchaus als notwendig erkannt werden. Das
Alte befriedigt nicht mehr, das Neue macht jedoch Angst. Die Angst kann nicht
als Kraft genutzt werden, sondern führt dazu, dass das Beschreiten neuer Wege
vermieden wird. Eine unglücklich machende Partnerschaft, ein belastendes
Zusammenleben mit den Eltern, ein frustrierender Arbeitsplatz oder eine
unpassende Berufstätigkeit können häufig nicht aufgegeben werden aus Angst vor
der Ungewissheit der Zukunft. Es fehlt das Vertrauen in die eigenen
Möglichkeiten.
Zwangsstörungen
drücken nicht selten die Schwierigkeit aus, das Vergangene vergangen sein zu
lassen. Das Geschehene muss immer wieder neu auf mögliche Fehler überprüft
werden, sodass die Möglichkeit zu neuen Entwicklungen eingeschränkt ist. Man
beschäftigt sich lieber mit dem Vertrauten, obwohl dies schon bald unerträglich
erscheint, anstatt etwas Neues zu wagen. Es fehlt der Mut zum Risiko. Und wenn
doch neue Möglichkeiten erwogen werden, können Menschen mit einer Zwangsstörung
nicht so einfach resignieren wie Menschen mit einer typischen Angststörung. Sie
suchen nach einem Weg, wie sie eine Aufgabe perfekt bewältigen können, denn
Perfektion wäre eine Garantie, ein befürchtetes Versagen zu vermeiden. Ein
zwanghafter Perfektionismus ist oft auch ein Bewältigungsversuch von sonst nicht
erträglichen Ängsten: Wenn alles perfekt ist, braucht man sich nicht mehr zu
fürchten - was sich bald als zusätzliches Problem herausstellt, denn es ist nie
alles perfekt vorbereitet.
Depressionen drücken oft die
Schwierigkeit aus, von einer bereits vergangenen Lebensphase auch innerlich
Abschied nehmen und sich auf neue Lebensmöglichkeiten einstellen zu können. Eine
zu Ende gegangene Beziehung, der Tod eines geliebten Menschen, der Verlust
materieller Sicherheit, der Auszug von Zuhause, der Umzug in eine neue Gegend,
das Nachlassen der körperlichen und geistigen Vitalität sind oft nur schwer zu
verkraften, was die weitere Lebensentwicklung blockieren kann. Es fehlt die
Kraft zum Loslassen.
Man kann Ängste, Zwänge und Depressionen
anhand eines Vierfelderschemas charakterisieren, das sich aus zwei Dimensionen
ergibt:
Verantwortung:
viel Verantwortung
(Ursachenzuschreibung: Verantwortung liegt bei der Person selbst),
wenig Verantwortung
(Ursachenzuschreibung: Verantwortung liegt außerhalb der Person bei andern
Menschen, Umständen, Schicksal usw.).
Zeitdimension:
Zukunft
Vergangenheit
Tabelle:
Vierfelderschema zur Erklärung von Ängsten, Zwängen, Depressionen und
Substanzmissbrauch
|
Vergangenheit |
Zukunft |
viel Verantwortung („Selbst
schuld“) |
Depression |
Zwänge |
wenig Verantwortung
(„Andere/anderes schuld“) |
Substanzmissbrauch |
Ängste/Phobien |
Ängste und
Phobien, d.h. Angststörungen im
allgemeinen, sind charakterisiert durch die Befürchtung einer Katastrophe in der
Zukunft, d.h. die Betroffenen glauben, keinerlei Einfluss darauf zu haben,
sodass Sie zur Vermeidung neigen. Es dominiert die Frage: „Was wäre, wenn dies
oder jenes passiert? Ich könnte mir allein nicht helfen, also lasse ich mich
lieber gar nicht darauf ein.“
Depressionen beruhen oft auf einer
hohen wahrgenommenen Verantwortung für ein als sehr negativ bewertetes Ereignis
in der Vergangenheit, d.h. die Betroffenen glauben, an einem Ereignis in der
Vergangenheit mitschuldig geworden zu sein. Es geht ständig um die Frage: „Warum
habe ich nur so gehandelt? Ich hätte anders handeln müssen, doch ich habe
versagt.“
Zwänge
gehen einher mit einer subjektiv empfundenen hohen Verantwortung für eine
befürchtete Katastrophe, d.h. die Betroffenen tun alles, um sich nicht schuldig
und depressiv fühlen zu müssen, weil sie einen Fehler begangen haben. Es dreht
sich alles um die Frage: „Wie kann ich Misserfolg vermeiden bei einer
Angelegenheit, für die ich mich verantwortlich fühle? Denn wenn ich etwas mache,
was ich eigentlich machen will bzw. sollte, wird etwas Schreckliches passieren,
weil ich der Sache nicht gewachsen sein werde. Ich bin aber dennoch dafür
verantwortlich, wenn etwas passieren sollte, sodass ich es perfekt machen
möchte, damit niemand durch mich zu Schaden kommt.“ Über den Weg der Zwänge wird
das unerträgliche und depressiv machende Gefühl des Misserfolgs zu verhindern
versucht. Zwangsstörungen stellen in diesem Sinn den Versuch dar, eine
befürchtete Depression angesichts antizipierter Versagenserlebnisse zu
vermeiden.
Auf die
Thematik des
Substanzmissbrauchs im vierten Quadranten wird
in diesem Artikel nicht eingegangen, weil sie hier nicht relevant ist. Das
Muster von Alkoholikern ist allgemein bekannt (Motto: „Schuld an meiner Misere
waren andere Menschen oder bestimmte Umstände in der Vergangenheit“): „Meine
Mutter, meine Gatte, mein Chef usw. waren lieblos zu mir, ich hatte keine Chance
bei ungünstigen Lebensumständen. Ich begann also zu trinken, um das leichter
auszuhalten, was ich nicht ändern konnte.“
Psychische Störungen sind oft
charakterisiert durch einen Wechsel der Symptomatik. Wer ängstlich war, wird
häufig aufgrund mangelnder Erfolgserlebnisse auch noch depressiv. Wer nicht
depressiv werden möchte, wird nicht selten zwanghaft-perfektionistisch.
Symptome
stellen einen ineffektiven Problemlösungsversuch dar.
Es kommt zu einer Perpetuierung des Status quo, ohne dass die anstehenden
Probleme in Richtung optimaler Veränderungsschritte tatsächlich gelöst werden.