Dr. Hans Morschitzky
Klinischer und Gesundheitspsychologe
Psychotherapeut
Verhaltenstherapie und Systemische Familientherapie
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Häufigkeit von Angststörungen
Ergänzung des folgendes Textes durch neueste Daten:
Im Rahmen einer sehr umfangreichen und repräsentativen Studie über den Gesundheitszustand in Deutschland im Jahr 2013 fand man bei 15,3 Prozent der 18- bis 79-Jährigen eine Angststörung innerhalb der letzten 12 Monate. Dabei ergab sich folgende Häufigkeitsverteilung bei den verschiedenen Angststörungen: Panikstörung: 2,0 %, generalisierte Angststörung: 2,2 %, soziale Phobie: 2,7 %, Agoraphobie; 4,0 %, spezifische Phobien: 10,3 %.
Angststörungen sind bei Frauen (noch vor den Depressionen) die häufigste psychiatrische Störung, bei Männern (nach dem Alkoholmissbrauch) immerhin die zweithäufigste psychische Störung. In klinischen Stichproben sind Panikstörungen und Agoraphobien die häufigsten Angststörungen, gefolgt von sozialen Phobien, während in der Allgemeinbevölkerung soziale und spezifische Phobien am weitesten verbreitet sind.
Laut umfangreichen älteren Befragungen litten in den USA und in Deutschland etwa 14-15 % der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens unter einer Angststörung. Nach der ECA-Studie 5 Großstädten von 5 US-Bundesstaaten an über 18000 Personen in den 1980er-Jahren hatten nach DSM-III-Diagnostik 14,6% der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens und 8,9% innerhalb der letzten 6 Monate eine Angststörung. Lebenszeitbezogen entwickeln 5,2% eine Agoraphobie, 1,6% eine Panikstörung, 8,5% eine generalisierte Angststörung, 10,0% eine spezifische Phobie, 2,8% eine soziale Phobie und 2,5% eine Zwangsstörung. Nach der Münchner 7-Jahres-Follow-up-Studie (MFS) des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, einer 1981 begonnenen Verlaufsstudie an über 1300 Personen, bekommen in Deutschland 13,9% der Allgemeinbevölkerung irgendwann im Verlauf ihres Lebens eine Angststörung: 5,7% eine Agoraphobie, 2,4% eine Panikstörung, 8,0% eine spezifische Phobie, 2,5% eine soziale Phobie und 2,0% eine Zwangsstörung (die generalisierte Angststörung wurde nicht erfasst).
Nach zwei umfangreichen neueren Erhebungen in den USA ist die Häufigkeitsrate von Angststörungen in der Bevölkerung der 18- bis 54-Jährigen deutlich höher als früher angenommen. Nach der National Comorbidity Survey (NCS-Studie in den frühen 1990er-Jahren mit verbesserten diagnostischen Kriterien (DSM-III-R) entwickelten von über 8000 repräsentativ ausgewählten Personen in den USA 24,9% im Laufe ihres Lebens eine Angststörung: 3,5% eine Panikstörung (eine Panikattacke: 15,6%), 5,3% eine Agoraphobie ohne Panikstörung (inklusive mit Panikstörung: 6,7%), 5,1% eine generalisierte Angststörung, 11,3% eine spezifische Phobie, 13,3% eine soziale Phobie, 7,8% eine posttraumatische Belastungsstörung. Innerhalb der letzten 12 Monate bekamen 17,2% der US-Amerikaner eine Angststörung: 2,3% eine Panikstörung, 2,8% eine Agoraphobie ohne Panikstörung, 3,1% eine generalisierte Angststörung, 8,8% eine spezifische Phobie, 7,9% eine soziale Phobie, 2,3% eine posttraumatische Belastungsstörung
.
Nach der National Comorbidity Survey Replication (NCS-R-Studie) bei über 9000 Personen in den Jahren 2001-2003 hatten nach DSM-IV-Kriterien in der US-Bevölkerung im Laufe des Lebens 28,8% eine Angststörung: 4,7% eine Panikstörung, 1,4% eine Agoraphobie ohne Panikstörung, 12,5% eine spezifische Phobie, 12,1% eine soziale Phobie, 5,7% eine generalisierte Angststörung, 6,8% eine posttraumatische Belastungsstörung, 1,6% eine Zwangsstörung, 5,2% eine Trennungsangststörung. Im Laufe des Lebens hatten 22,7% der Bevölkerung mindestens eine Panikattacke. Innerhalb der letzten 12 Monate hatten 18,1% eine Angststörung: 2,7% eine Panikstörung, 0,8% eine Agoraphobie ohne Panikstörung, 8,7% eine spezifische Phobie, 6,8% eine soziale Phobie, 3,1% eine generalisierte Angststörung, 3,5% eine posttraumatische Belastungsstörung, 1,0% eine Zwangsstörung, 0,9% eine Trennungsangststörung.
Aus den relativ übereinstimmenden Daten beider Studien folgt: Unter Berücksichtigung der Zwangsstörung, der posttraumatischen Belastungsstörung und der Trennungsangststörung, die nach dem ICD-10 nicht zu den Angststörungen im Sinne der Diagnosen F40 und F41 zählen, leidet mindestens jeder Vierte der Allgemeinbevölkerung im Laufe seines Lebens unter einer Angststörung. Die Befragungsergebnisse mögen auf den ersten Blick unglaubhaft hoch erscheinen, sie müssen jedoch auf den Hintergrund verstanden werden, dass laut aktueller NCS-R-Studie 46,4% der US-Bürger mindestens einmal in ihrem Leben unter einer psychischen Störung leiden (innerhalb der letzten 12 Monate trifft dies auf 26,2% zu).
Nach einer umfangreichen europäischen Befragung (ESEMeD) von 21425 Personen in sechs Ländern (Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Spanien) in den Jahren 2001-2003 hatten im Laufe des Lebens 13,6% der Bevölkerung (9,5% der Männer und 17,5% der Frauen) und innerhalb der letzten 12 Monate 6,4% der Bevölkerung (3,8% der Männer und 8,7% der Frauen) eine Angststörung. Es gibt auch neuere repräsentative deutsche Studien zur Verbreitung von Angststörungen. Demnach leiden aktuell (Punktprävalenz) rund 9% der Deutschen unter einer Angststörung.
Im Rahmen des Bundesgesundheitssurvey 1998 wurden durch eine Zusatzauswertung auf der Basis von 4181 Personen aktuellste und repräsentative Daten zur Verbreitung von Angststörungen in Deutschland gewonnen. Ca. 9% (genau 8,87%) der 18- bis 65-Jährigen wiesen aktuell (innerhalb der letzten vier Wochen) und 14,5% innerhalb der letzten 12 Monate eine Angststörung auf. Die 12-Monatsprävalenzen der verschiedenen Angststörungen betragen: 1,1% Panikstörung, 2,0% Agoraphobie, 7,6% spezifische Phobie, 2,0% soziale Phobie, 5,1% generalisierte Angststörung, 0,7% Zwangsstörung. Es bestanden keine Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland (alte Bundesländer: 8,97%; neue Bundesländer: 8,98%). Unter den Männern wiesen rund 5%, unter den Frauen rund 13% eine Angststörung auf, und zwar relativ unabhängig vom jeweiligen Altersbereich. Der höchste Prozentsatz bestand bei 18- bis 35-Jährigen (Frauen: 13,32%, Männer: 5,46%).
Nach der TACOS-Studie, einer 1996 durchgeführten Erhebung an 4075 18- bis 64-Jährigen der Allgemeinbevölkerung einer norddeutschen Region wiesen 15,1% im Laufe des Lebens eine Angststörung nach dem DSM-IV auf (Panikattacken: 5,8%, Panikstörung ohne Agoraphobie: 0,9%, Panikstörung mit Agoraphobie: 1,3%, Agoraphobie ohne Panikstörung: 1,1%, soziale Phobie: 1,9%, generalisierte Angststörung: 0,8%, spezifische Phobie: 10,6%, Zwangsstörungen: 0,5%, posttraumatische Belastungsstörung: 1,4%, Angststörung aufgrund medizinischer Krankheitsfaktoren: 0,7%).
Nach der EDSP-Studie, einer über 5 Jahre angelegten repräsentativen Verlaufsstudie bei 3021 14- bis 24-Jährigen aus Bayern, erlebten 14,4% dieser jungen Menschen im Laufe des Lebens eine Angststörung. Die Lebenszeitprävalenz im Einzelnen: 3,5% Panikstörung, 5,3% Agoraphobie, 5,1% generalisierte Angststörung, 11,3% spezifische Phobie, 7,6% soziale Phobie, 2,1% Zwangsstörung (Datenerhebung 1995 und 1996).
Nach einer 1994 unter Leitung des Angstexperten Margraf durchgeführten repräsentativen Befragung von 2948 Personen in der BRD (1939 in Westdeutschland und 1009 in Ostdeutschland) weisen 8,8% der Deutschen (11,0% der Frauen und 6,4% der Männer) zum Befragungszeitpunkt behandlungsrelevante Angstsyndrome auf, erhoben durch das Beck-Angst-Inventar. Ängste treten in Ostdeutschland (16,3%) doppelt so häufig auf als in Westdeutschland (7%), was wohl durch die Umbruchssituation erklärbar ist. Aus der Forschung ist bekannt, dass die Unkontrollierbarkeit und Unvorhersagbarkeit von Lebenssituationen eine zentrale Ursache für Angstreaktionen darstellt.
Angststörungen sind häufiger
bei Frauen (unter den Angst-Betroffenen sind 66,0% Frauen und 34,0% Männer),
bei jungen und alten Menschen (bis 20 Jahre: 13,5%, über 65 Jahre: 13,4%),
in der Altersgruppe der 36- bis 45-Jährigen (10,3%),
bei Geschiedenen oder getrennt Lebenden (12,1%, nur Osten: 20,2%),
bei Verwitweten (12,9%, nur Osten: 18,4%),
bei der Gruppe der in Ausbildung Stehenden wie Schüler, Studenten, Auszubildende, Wehr- und Zivildienstleistende (13,5%, nur Osten: 26,3%),
bei Arbeitslosen (10,8%, nur Osten: 16,8%),
bei fehlendem Schulabschluss (18,9%, nur Westen: 20,5%),
bei un- oder angelernten Arbeitern (12,1%, nur Osten: 14,5%),
bei niedrigem Einkommen (12,7%) und auch bei hohem Einkommen (16,4%),
in kleinen Wohnorten unter 2000 Einwohnern (15,3%).
Jeder siebente Deutsche (13,1%) war bzw. ist gerade wegen Angstsymptomen in Behandlung (von den insgesamt 394 Behandelten waren 109 klinische und 285 subklinische „Fälle“). Nur 41,6% aller Befragten mit behandlungsbedürftigen Ängsten erhielten eine Behandlung im weitesten Sinne. Als Behandler der Befragten wurden verschiedene Berufsgruppen in folgender Häufigkeit eruiert: 81,7% Allgemeinmediziner, 5,8% Psychiater oder Nervenfachärzte, 16,5% andere Fachärzte (z.B. Internisten), 2,8% Psychologen und 1,3% Heilpraktiker. Über vier Fünftel der Behandlungen von Menschen mit Angststörungen erfolgen demnach durch den Hausarzt.
89,3% aller Behandelten erhielten Medikamente, 74,4% eine allgemeine Beratung, 9,4% eine stationäre Behandlung, 16,5% eine Psychotherapie, 5,1% eine andere Behandlung. Die Pharmakotherapie stellt in der Versorgungspraxis die häufigste Form der Angstbehandlung dar. Nur bei insgesamt 25% der klinischen und subklinischen Fälle erfolgte eine psychotherapeutische Behandlung.
Die Behandelten unterzogen sich folgenden psychotherapeutische Methoden: 11,9% Entspannungsmethoden, autogenes Training oder Hypnose, 11,4% Gesprächstherapie oder psychodynamische Verfahren und 1,0% verhaltenstherapeutische bzw. kognitive Verfahren. Verhaltenstherapeutische Behandlungsmethoden, deren Wirksamkeit sehr hoch und durch die Psychotherapieforschung gut belegt sind, wurden in der Praxis kaum verwendet, was eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit erfordert. Nur 26,3% aller in irgendeiner Form behandelten Patienten schätzten die Therapie als dauerhaft erfolgreich ein. Von den Befragten mit psychotherapeutischer Behandlung berichteten 8,1% keinen, 28,6% einen kurzfristigen, 48,0% einen mittelfristigen und nur 15,3% einen dauerhaften Erfolg, bei den medikamentös Behandelten beschrieben 8,9% keinen, 28,2% einen kurzfristigen, 33,2% einen mittelfristigen und 29,7% einen dauerhaften Erfolg.
Nach der Dresdner Angststudie besteht akuter Handlungsbedarf im Bereich der Angststörungen. Rund 60% aller Befragten mit Angstsymptomen haben niemals einen Therapeuten aufgesucht. Im Durchschnitt erfolgt eine adäquate Behandlung erst nach 7 Jahren. Die Ersterkrankung setzt zwischen dem 20. und dem 25. Lebensjahr ein. Der erste Arztbesuch erfolgt durchschnittlich mit 24 Jahren.
Ohne Behandlung ist die Entwicklung von Angststörungen im Laufe des Lebens nach allen Studien als sehr negativ zu beurteilen. Spontanheilungen sind seltener, als früher angenommen wurde, jedenfalls niedriger als bei anderen psychischen Störungen. Es ist ein Faktum: Angststörungen sind – ebenso wie Depressionen – in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Laut manchen Fachleuten seien nur die Diagnosen angestiegen, während der Prozentanteil der Angstkranken in der Bevölkerung gleich geblieben sei.
Viele Experten gehen jedoch davon aus, dass seit den 1950er-Jahre Angststörungen tatsächlich um mindestens 1,2 Standardabweichungen zugenommen haben, bedingt durch sozioökonomische Faktoren und persönliche Bedrohungseinschätzungen:
Obwohl das Leben in früheren Jahrhunderten durch zahlreiche Faktoren viel stärker bedroht war als heute, nehmen die Menschen gegenwärtig subjektiv immer weniger Sicherheit im Leben wahr. Die Bevölkerung ist im Zeitalter der Globalisierung binnen Minuten über alle Bedrohungen in der näheren und weiteren Umwelt informiert. Die mangelnde subjektive Kontrolle der Umwelt macht Angst und erzeugt Stress. Krank machend ist nicht der Stress an sich, sondern das Gefühl des Kontrollverlusts.
Der schulische und berufliche Leistungsdruck fördert Versagensängste und soziale Ängste, aber auch existenzielle Ängste in Bezug auf die ökonomische Absicherung des weiteren Lebens. Arbeitnehmer haben immer häufiger das Gefühl, dass ihr Arbeitsplatz als Grundlage der Existenzsicherung nicht garantiert ist.
Die Menschen wurden noch nie so alt wie jetzt und fürchten sich dennoch mehr denn je vor Krankheiten, einerseits wegen des größeren Erkrankungsrisikos als Folge höheren Lebensalters, andererseits wegen höherer Erwartungen an die Medizin.
Familiäre Stützsysteme haben durch die zunehmende Instabilität von Ehe und Beziehungen ihren wichtigen Schutzfaktor für die Gesundheit in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter verloren. Die Vereinzelung, soziale Entwurzelung und mangelnde Solidarität fördert heutzutage Angstkrankheiten. Stabile Sozialkontakte dagegen schützen vor krankhaften Ängsten. Der Verlust von sozialer Verbundenheit macht zwanzig Prozent der Varianz aus, die beim Anstieg der Ängste beobachtbar sind.
Angststörungen in der ärztlichen Praxis
Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation in 15 Zentren aus 14 Ländern über das Vorkommen psychischer Störungen in der Ordination von Allgemeinärzten, diagnostiziert anhand der ICD-10-Kriterien, ergab prozentuelle Häufigkeiten psychischer Störungen, wie sie in Tab. 1 dargestellt sind.
Tab. 1: Psychische Störungen in der Allgemeinarztpraxis
Psychische Störung (WHO-Querschnittstudie) |
Weltweit (15 Zentren) |
Europa (ohne BRD) |
BRD (Berlin, Mainz) |
|
% |
% |
% |
Agoraphobie, akut |
1,5 |
2,4 |
1,6 |
Panikstörung, akut |
1,1 |
2,0 |
1,3 |
Generalisierte Angststörung |
7,9 |
8,5 |
8,5 |
Depression |
10,4 |
12,7 |
8,6 |
Dysthymie (leichte Depression) |
2,1 |
2,5 |
0,7 |
Somatisierungsstörung |
2,7 |
1,3 |
2,1 |
Alkoholabhängigkeit |
2,7 |
2,3 |
6,3 |
Alkoholmissbrauch |
3,3 |
|
|
Neurasthenie |
|
7,9 |
7,5 |
Hypochondrie |
5,4 |
|
|
Gesamt |
24,0 |
21,9 |
20,9 |
Bereits ohne die nicht erfassten spezifischen und sozialen Phobien sowie posttraumatischen Belastungsstörungen weisen mehr als 10% der Patienten von Allgemeinärzten manifeste behandlungsbedürftige Angststörungen auf.
Nach der WHO-Studie findet man in deutschen Allgemeinarztpraxen 1,6% akute Agoraphobien, 1,3% akute Panikstörungen, 8,5% generalisierte Angststörungen. Insgesamt leiden weltweit etwa ein Viertel der Patienten von Allgemeinärzten unter psychischen Störungen. Rund 60% aller Patienten, die wegen psychischer Probleme den Hausarzt aufsuchen, weisen laut WHO-Studie mehr als eine psychische Störung auf (zumeist Angst und Depression).
In der BRD erhielten 20,9% der Patienten von Allgemeinmedizinern eine psychiatrische ICD-10-Diagnose, weitere 8,5% klagten über typische Beschwerden, ohne die vollen Kriterien einer psychiatrischen ICD-10-Diagnose zu erfüllen. Die Übereinstimmung zwischen der ICD-Diagnose durch Fachleute und der Feststellung einer psychischen Erkrankung durch den Hausarzt betrug 60%, d.h. bei 40% wurde die psychische Störung nicht erkannt. Rund 50% aller Angststörungen werden vom Hausarzt nicht erkannt oder als Depressionen bzw. somatische Störungen fehldiagnostiziert. Weitere 25% werden nach Expertenurteil fehlbehandelt.
16,1% der Patienten von deutschen Allgemeinärzten erhalten Medikamente wegen einer psychischen Störung, davon 4,5% Tranquilizer, 3,4% Hypnotika (Schlafmittel), 1,7% Anxiolytika, 2,0% Antidepressiva, 1,3% Antipsychotika, 2,8% pflanzliche Mittel, 1,1% Schmerzmittel.
Die Mehrzahl der Angstpatienten wird über 4-10 Jahre nicht adäquat diagnostiziert und behandelt. Im Durchschnitt vergehen sieben Jahre, bis eine Angsterkrankung als solche erkannt wird. Ärztliche Hilfe wird anfangs eher über somatoforme Störungen (Kreislaufprobleme, Schwindel usw.) und Schlafstörungen gesucht.
Unter 500 deutschen Allgemeinarztpatienten mit aktuellen, körperlich nicht hinreichend begründbaren Beschwerden wurde bei 21% eine Angststörung festgestellt. Von 6307 Patienten aus Allgemeinarztpraxen in den USA wiesen 32,7% eine vorübergehende Angstsymptomatik auf, die in 56% der Fälle nicht erkannt wurde. Von 1994 niederländischen Patienten mit einer psychiatrischen Diagnose wurden in den Allgemeinarztpraxen nur 47% als psychisch krank erkannt. Die von den Ärzten rasch erkannten und richtig behandelten Angstpatienten wiesen eine kürzere Erkrankungsdauer auf. Das rasche Erkennen von Angststörungen hat somit einen positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf.
Menschen mit Angststörungen können in einer durchschnittlichen Arztpraxis angesichts des nötigen Zeitaufwands oft nicht ausreichend betreut werden. Bei einer Befragung von Allgemeinärzten und Nervenärzten in Deutschland gaben 54,5% an, dass Angstpatienten eine große Belastung für die Praxis seien. 91,7% meinten, dass bei Angstpatienten im Vergleich zu anderen Patienten mehr Zeit aufgewendet werden müsse. Tranquilizer sind daher häufig das Mittel der Wahl, dieses Problem zu entschärfen, von dem viele Ärzte wissen, dass es dadurch nicht lösbar ist.
Angststörungen im Rahmen von psychischen Mehrfacherkrankungen
„Komorbidität“ bezeichnet eine Mehrfacherkrankung in einem bestimmten Zeitintervall, d.h. die Betroffenen weisen mehr als eine Diagnose auf, was bei der Behandlung von Angstpatienten ausreichend berücksichtigt werden muss. Es können folgende Zusammenhänge zwischen Ängsten und anderen psychischen Störungen bestehen:
gleichzeitiges Auftreten von Angst und einer anderen psychischen Störung, verursacht durch eine dritte Störung (z.B. Alkoholmissbrauch),
Ängste als Ursache anderer Störungen,
Ängste als oft bleibende Folge anderer Störungen,
Ängste zeitlich umschrieben im Rahmen der Manifestation einer anderen Störung.
Nach umfangreichen statistischen Analysen verschiedener epidemiologischer Studien hatten mehr als 70% aller psychischen Mehrfacherkrankungen, wo Angst eine Rolle spielt, mit einer Angstsymptomatik begonnen. Nur bei ca. 20% waren die depressiven Symptome bereits vor den Angstsymptomen vorhanden. Diese Beziehung kann wegen der unzureichenden Datengrundlage allerdings nicht im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Verhältnisses interpretiert werden.
Lebenszeitlich gesehen sind in der BRD nur 8% der Panikstörungen, 25% der Agoraphobien und 44% der spezifischen und sozialen Phobien und in den USA (NCS-Studie) nur 12,4% der Agoraphobien, 16,6% der spezifischen Phobien und 19% der sozialen Phobien reine Angststörungen. In allen anderen Fällen trat im Laufe des Lebens noch mindestens eine weitere Angststörung auf.
In der deutschen Bevölkerung ergeben sich Mehrfacherkrankungen im Laufe des Lebens in folgender Häufigkeit: 3,8% Angststörung und affektive Störung, 1,2% Angststörung und Medikamentenmissbrauch, 1,0% Angststörung, affektive Störung und Medikamentenmissbrauch.
Von den nach der MFS-Studie 13,9% im Laufe des Lebens an Angststörungen erkrankten Deutschen leidet jeder Zweite wenigstens einmal an einer weiteren psychischen Störung. In der Gruppe von Menschen mit Angststörungen, affektiven Erkrankungen und Substanzmissbrauch findet sich lebenszeitlich gesehen jeweils ein Prozentanteil von 26,4% mit reinen Angststörungen bzw. reinen Depressionen, während knapp die Hälfte eine Kombination von Angst und Depression aufweist, teilweise in Verbindung mit Substanzmissbrauch bzw. Substanzabhängigkeit.
Psychische Mehrfacherkrankungen sind im klinischen Bereich (Ambulanzen, stationäre Patienten) noch häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Im klinischen Bereich (stationär behandelte Patienten der Klinik des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München) waren lebenszeitlich gesehen die reinen Störungen mit 9,1% reinen Angststörungen, 13,1% reinen depressiven Störungen und 1% reinem Substanzmissbrauch bzw. reiner Substanzabhängigkeit die Ausnahme, fast 80% wiesen eine Kombination von Angststörung und Depression auf, selbst im Querschnittsbefund (gleichzeitig auftretend) war dies bei fast 50% der Fall.
Die Thematik der Komorbidität ist ein häufiger Grund, warum eine monosymptomatisch ausgerichtete Konfrontationstherapie zu keinem Erfolg führt.